Elfriede Hammerl

Schäfchenlösung

Schäfchenlösung

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Der Papst war hier und hat gegen die Fristenlösung opponiert. Er appellierte „an die politisch Verantwortlichen, nicht zuzulassen, (…) dass die in Ihrer Rechtsordnung festgelegte Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht faktisch aufgehoben wird“.

Der Satz wurde zunächst so verstanden, wie er vermutlich aufgenommen werden sollte: als Aufforderung, die Fristenlösung zu überdenken.

Hätte der Papst Klartext reden wollen, hätte er auch sagen können: Es passt mir nicht, dass der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen strafrechtlich nicht verfolgt wird. Ich meine, dass auf diese Weise der Eindruck entsteht, eine Abtreibung wäre legal.
Da aber Herr Dr. Ratzinger und seine Redenschreiber nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen sind, war die Aussage diplomatischer formuliert und erlaubte es dem Vatikan, anschließend, als die Wogen der Empörung hochgingen, ein wenig zurückzurudern. Nein, der Papst habe nicht eine Änderung der Gesetzeslage verlangt, sondern nur darauf hinweisen wollen, dass es kein Recht auf Abtreibung geben könne, weil in den Augen der Kirche … Und so weiter.

Der Vatikan ist geübt in Langzeitstrategien. Zwei Schritte vor, einer zurück, erneut einer vor. Mittlerweile hat Kardinal Schönborn schon wieder ein Schäuferl nachgelegt und erklärt, die „jetzige Gesetzeslage“ sei „für uns sicher nicht ein akzeptabler Status“.
Na bitte.

Dass für die katholische Kirche Schwangerschaftsabbrüche unter gar keinen Umständen tolerierbar sind, ist keine Überraschung. Dass sie gegen die Fristenlösung ist, ebenfalls nicht. Und grundsätzlich hat der Papst, wie andere Politiker, das Recht, seine Meinung zu äußern, auch als Gast in einem fremden Land.

Daran, dass viele Staatsoberhäupter und RegierungschefInnen ihr Urteil über die innenpolitischen Zustände in diesem oder jenem Gastland häufig bejammernswert diskret für sich behalten, muss sich der Papst kein Beispiel nehmen, schließlich hat es der Vatikan nicht nötig, seine wirtschaftlichen Interessen weltöffentlich zu machen. Seine Geschäfte florieren, ohne dass er irgendwo zu Kreuze kriechen muss. Und in Österreich hat er diesbezüglich schon gar nichts zu verlieren. Daher: kein Grund zu besonderer Zurückhaltung.

So weit, so wenig erstaunlich. Fragwürdig ist allerdings die Plattform, die der Papst in Österreich für seine politischen Anliegen beansprucht – und bekommen – hat.

Er sei nur als einfacher Pilger unterwegs, der das Mariazeller Jubiläum würdigen wolle, hieß es als Begründung dafür, dass Benedikt XVI. jedweden Dialog mit KirchenkritikerInnen verweigerte. Tatsächlich jedoch kam er als Staatsbesuch.

Protokollarisch ist die Republik zwar verpflichtet, Staatsoberhäupter, die in Österreich einreisen, als Staatsbesuch zu behandeln, es steht den Besuchern aber frei, darauf ausdrücklich zu verzichten. Das geschieht auch immer wieder: Die in Österreich skifahrenden Königsfamilien und ausländischen Präsidenten nehmen zwar fallweise unsere Sicherheitsmaßnahmen in Anspruch, enthalten sich in der Regel aber innenpolitischer Kommentare, von Appellen an unsere PolitikerInnen ganz zu schweigen.

Der Papst hingegen forderte und bekam nicht nur die Beachtung, die ein weltliches Oberhaupt erwarten darf, er wurde darüber hinaus auch noch wie der Repräsentant einer Staatsreligion (die wir nicht haben) behandelt.

Für die Dauer seines Besuchs verwandelte sich unser zweiter Fernsehkanal in Television Maria, und die so genannten Spitzen der heimischen Politik erweckten größerenteils den Eindruck, als läge ihre MinistrantInnen-Vergangenheit noch nicht lange zurück.

Das musste nicht sein. Dadurch bekam der Appell des Papstes ein Gewicht, das er nicht hat und nicht haben sollte. Benedikt XVI. sprach in der Hofburg nicht mehr als ausländischer Staatsgast und Würdenträger einer Religionsgemeinschaft, der anzugehören in Österreich Privatsache ist, sondern wie unser aller oberste moralische Instanz. Dass er sich als solche versteht, gehört zu seiner Job Description, dass kurzfristig der Eindruck entstand, es müssten ihn auch alle anderen so sehen, war nicht notwendig.

Nein, deswegen ist die Fristenlösung nicht gefährdet. (Wenn es eine Gefahr gibt, dann geht sie weniger von den alten Männern im Vatikan aus als vielmehr von jungen bürgerlichen Konservativen beiderlei Geschlechts, die es schick finden, einen strengen moralischen Ton anzuschlagen, weil sie sich selber als Werte definierende Elite und das Gros der – weiblichen – Mitmenschen als führungsbedürftige misera plebs betrachten.) Die gesunkene Bedeutung von Papst und Amtskirche war bei diesem Papstbesuch unübersehbar, auch wenn Kardinal Schönborn tapfer Realitätsverweigerung betrieb und jubelnde Massen erblickte, wo keine waren.

Das sollte PolitikerInnen jedenfalls nachdenken lassen, ob es sich empfiehlt, aus wahltaktischen Überlegungen die fromme Schäfchenherde zu geben. Kann leicht sein, dass so was ins Auge geht und vom angestrebten Image nur noch das des Schäfchens übrig bleibt.