Schalterschluss

Schalterschluss: Der Stadt Siena droht der Ruin

Italien. Nach dem Kollaps der Traditionsbank Monte dei Paschi droht der Stadt Siena der Ruin

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Von Thomas Migge, Siena, und Gunther Müller

Roberta Ascarelli schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Ach, wir haben hier wirklich wie in einem Schlaraffenland gelebt!“, ruft die Germanistikprofessorin an der Universität von Siena wehmütig. „Wer soll jetzt das Finanzloch der Hochschule stopfen? Wir müssen um unsere Arbeitsplätze fürchten. Wir alle – auch die Uni – hingen doch immer am Geldhahn der Bank.“

Italien mag zu den wirtschaftlichen Sorgenkindern der Eurogruppe gehören, doch den meisten Bewohnern von Siena waren Existenzängste bisher fremd. Wann immer es gröbere Geldsorgen gab: Die Traditionsbank Monte dei Paschi war zur Stelle und half aus.

„Unser Bankomat“
Siena gilt als die schönste Stadt Italiens, und ihre Bank Monte dei Paschi ist die älteste aktive der Welt, gegründet im Jahr 1472 (siehe Kasten am Ende). Beide sind seit Jahrhunderten untrennbar miteinander verbunden. „Unser Bankomat“, wie die Bewohner von Siena das Geldhaus nennen, ist nicht nur der wichtigste Arbeitgeber der Stadt. Die Bürger von Siena profitierten seit Menschengedenken auch direkt von der Bank und vor allem von der Bankenstiftung. 15 Milliarden Euro flossen in den vergangenen 15 Jahren in Kunst- und Kulturprojekte, in Krankenhäuser, Hochschulen und Sportklubs.

Mit diesen großzügigen Finanzspritzen dürfte es nun vorbei sein. Das Schlaraffenland von einst steht vor dem finanziellen und kulturellen Kollaps. In Siena spielt sich dieser Tage etwas ab, das in den Medien wahlweise als „Drama“, „Erdbeben“ oder „traurigster Finanzskandal der jüngeren Geschichte Italiens“ bezeichnet wird: Das stolze Geldinstitut steht vor dem finanziellen Aus und benötigt knapp vier Milliarden Euro vom italienischen Staat, um überleben zu können. Grund für den Niedergang sind Spekulationsgeschäfte mit verheerendem Ergebnis.
Die Ermittlungen der italienischen ­Finanzbehörden konzentrieren sich auf ­einen Mann: Giuseppe Mussari. Der Frauenschwarm mit dem sinnlichen Gesichtsausdruck („Oh, was gefällt uns dieser Mann!“, sagt eine Frau im Zentrum von Siena) wird als Obergauner vorgeführt. Der prominente Banker, der bis 2011 das toskanische Geldhaus geführt hatte, soll sich nicht nur verspekuliert, sondern obendrein auch noch die Bilanzen des Instituts gefälscht haben.

Die Computer Mussaris wurden bereits beschlagnahmt. Dabei fiel auf, dass er zuvor offenbar zahlreiche Mails aus dem Zeitraum zwischen Juni und Oktober 2007 gelöscht hatte. Damals war das Geldhaus gerade dabei gewesen, die norditalienische Bank Antonveneta für neun Milliarden Euro vom spanischen Geldhaus Santander zu kaufen.
Der Deal galt bereits damals als äußerst dubios, der Preis als deutlich überhöht. Sieben Milliarden Euro wurden direkt an Santander gezahlt, die restlichen zwei ­Milliarden auf ein diskret eröffnetes Konto in London überwiesen, das Santander zugerechnet wird, berichtete vergangene Woche die römische Tageszeitung „la Repubblica“.
Untersucht wird nun auch die Rolle von Ettore Gotti Tedeschi, Ex-Chef der skandalumwobenen Vatikanbank IOR und Leiter von Santander in Italien im Jahr 2007.

„Die Bank überweist ja nichts mehr!“
Für die Einwohner von Siena ist die Frage nach dem Schuldigen jedoch weniger interessant als jene nach der eigenen Existenz. Vor allem im finanziell bislang sorgenfreien Magistrat weiß niemand, wie es nun weitergehen soll. Pro Jahr sponserten Mussari und seine Kollegen die Stadtregierung mit mindestens 100 Millionen Euro. „Die Bank finanzierte Kulturinitiativen aller Art, Sportver­eine und auch den Palio, unser traditionelles Pferderennen auf der Piazza del Campo“, weiß Aldo Bennici.
Der kleine Mann mit den wachen Augen ist künstlerischer Direktor der international angesehenen Accademia Musicale Chigiana, an der Stars wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta und viele andere Granden der klassischen Musik unterrichten. Die Konzerte sind gut besucht. „Wir wissen nicht mehr, wie wir die Konzerte unseres diesjährigen Festivals finanzieren sollen“, klagt Bennici. „Die Bank überweist ja nichts mehr!“

Es ist ein frostiger Mittwochnachmittag in Siena. In der Via Banchi di Sopra, wo Monte dei Paschi im Palazzo Salimbeni ihren Hauptsitz hat, bietet keine Vorhalle Schutz vor der Kälte. Das Tor der Bank bleibt allem Klingeln zum Trotz fest verschlossen. Es könnte ja jemand draußen stehen, der unbequeme Fragen stellt. Das besorgt ohnehin bereits ein Heer von Staatsanwälten. Schweigen ist angesagt.
In einer Bar gleich um die Ecke wird hingegen kräftig geflucht. „I nostri padroni!“ („Unsere Herren“), lästert Mario, der am Tresen Kaffee aufbrüht. „Von ,Herren‘ kann jetzt keine Rede mehr sein“, sagt er dann und schlägt mit der Faust auf den Marmortresen. „Die haben hier ja alles komplett heruntergewirtschaftet.“

Ein älterer Mann, in hellbrauner Cordhose, graubrauner Harris-Tweed-Jacke und rotem Kaschmirschal, der auf seinen Cappuccino wartet, hebt den rechten Zeigefinger: „Aber es ist ja nicht so, dass dieses Drama vom Himmel gefallen wäre.“
Er stellt sich vor. Francesco Bisonti, einst Unternehmer in Mailand und seit einigen Jahren Winzer in der Umgebung von Siena. „Es war abzusehen, dass hier alles den Bach hinuntergeht“, sagt Bisonti kopfschüttelnd. „Die Zeichen standen doch seit Monaten auf Sturm, aber niemand wollte die Zeichen erkennen!“

„Willkommen in der Wirklichkeit!“
In knapp drei Wochen wählen die Italiener eine neue Regierung. Verständlich, dass die Politik den Skandal für sich zu nützen sucht. Der tiefe Fall von Monte dei Paschi spielt jedenfalls Berlusconis „Volk der Freiheit“ (PdL) in die Hände. Der ­italienische Ex-Premier und Schon-wieder-Kandidat lässt keine Gelegenheit aus, die Sozialdemokraten von Pierluigi Bersani für das Finanzdesaster verantwortlich zu machen. In Siena haben traditionell die Linken das Sagen, die mit ihrer großzügigen Verteilungspolitik zumindest eine Teilschuld am Ruin der Bank tragen.
Genüsslich verweist Berlusconi auch auf die Tatsache, dass im Zeitraum des Skandals – nämlich von 2006 bis 2011 – ausgerechnet der heutige EZB-Präsident Mario Draghi Chef der italienischen Notenbank und damit oberster Bankenaufseher des Landes war. Er hätte von den dubiosen Geschäften der Monte dei Paschi wissen müssen, ätzt Berlusconi, der seinerseits von Draghi für seine Wirtschaftspolitik kritisiert wurde.

Und die Zukunft von Siena?

So viel ist klar: Die goldenen Zeiten sind vorbei. Ohne die spendable Bank wird das wunderschöne Städtchen wie alle anderen Kommunen Italiens die Folgen von Finanzkrise und Rezession zu spüren bekommen, die inzwischen ganz Italien plagen. Und das bedeutet geschlossene Museen, bröckelnde Altbauten, weil Geld für Restaurierungsarbeiten fehlt, weniger Geld für Sozial- und Kulturprojekte, höhere Arbeitslosigkeit – eine nicht enden wollende Abwärtsspirale.

„Siena ist auf dem harten Boden der ­finanziellen Realitäten aufgeprallt“, sagt der berühmte Krimiautor Andrea Camilleri. „Willkommen in der Wirklichkeit!“, lästert der Ex-Komiker und politische Agitator Beppe Grillo und fordert die Verstaatlichung der Bank Monte dei Paschi di Siena. Sollte der Staat mit noch mehr Milliarden dem angeschlagenen Geldhaus helfen müssen, wird dieser Vorschlag wahrscheinlich Wirklichkeit werden.

Infobox
Von der Weide zur Börse
Die Geschichte der ältesten noch aktiven Bank der Welt.

Die Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS) ist mit ihren 32.000 Mitarbeitern das drittgrößte Geldinstitut Italiens und zugleich die älteste noch existierende Bank der Welt. Das Finanzhaus wurde von Ferdinand II., dem damaligen Großherzog der Toskana, im Jahr 1472 zunächst als Leihhaus unter dem Namen Monte di Pietà gegründet. In ihren Anfängen wurde die Bank mit den Einnahmen aus dem umliegenden Weideland, den so genannten Paschi, besichert. Schnell stieg die MPS zu einer der größten Regionalbanken der Toskana auf. Mit der Gründung Italiens im Jahr 1861 wurde die MPS zur Finanzierung der Staatsausgaben herangezogen.

In der Zeit des Faschismus erhielt die Bank ein neues Statut, das aus ihr ein Kreditinstitut entsprechend dem seinerzeitigen Staatsrecht machte. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierte die MPS nach New York, Frankfurt, London und Singapur. Als erster Bank Italiens gelang es der MPS daraufhin, sich im Versicherungswesen anzusiedeln. 1995 wurde eine MPS-Stiftung gegründet, über die das Gesundheitswesen, Kunst- und Kulturprojekte und Wohltätigkeitsprogramme finanziert werden – Hauptprofiteur ist die Stadt Siena und die gleichnamige Provinz. 1999 ging die MPS an die Börse, 2007 kaufte sie vom spanischen Geldhaus Santander die Banca Antonveneta – ein Schritt, der für den finanziellen Niedergang des Tradi­tionshauses verantwortlich sein könnte.