Scheinbehindert

Scheinbehindert: 40.000 Gehbehindertenausweise werden illegal verwendet

Missbrauch. 40.000 Gehbehindertenausweise werden illegal verwendet

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Die Affäre sorgte im März des Vorjahrs für allerhand Aufsehen: Das Auto des damaligen ÖVP-Wehrsprechers und Nationalratsabgeordneten Norbert Kapeller war in Linz auf einem Behindertenparkplatz geparkt – mit einem Behindertenausweis hinter der Windschutzscheibe. Die Parklizenz gehörte allerdings einem Verwandten, der bereits verstorben war. Kapellers Frau erklärte sich als schuldig, sie habe den Wagen geparkt. Diese Argumentation half wenig: Kapeller musste, nach veritablem Druck, alle politischen Funktionen zurücklegen.

Pumperlgesund am Behindertenparkplatz
Die Familie Kapeller ist kein Einzelfall. In ganz Österreich werden Gehbehindertenausweise quasi vererbt und ermöglichen pumperlgesunden Verwandten, gratis in Kurzparkzonen zu parken und Behindertenparkplätze zu nutzen. Der Städtebund schätzt, dass gut 40.000 Behindertenausweise von Toten illegal in Verwendung sind. Der Effekt: Für wirklich Gehbehinderte sind dann keine eigentlich für sie reservierten Behindertenparkplätze mehr verfügbar.

„Man muss etwas gegen diesen Missbrauch tun“, argumentiert Stephanie Schwer für den Städtebund. „Das Hauptproblem ist, dass Städte derzeit keine Handhabe besitzen, die Behindertenausweise von den Erben zurückzuverlangen.“ Einzelne Städte, etwa Wels, versuchten es mit öffentlichen Aufrufen – mehr als eindrücklich bitten können sie aber nicht.
Wie umfangreich das Problem ist, kann nur geschätzt werden. Einzelne Stichproben lassen aber erhebliche Mängel vermuten: So ging der Rechnungshof in der Steiermark im Vorjahr 60 zufällig ausgewählten Fällen von Gehbehinderten nach, die verstorben waren. Das Ergebnis: Bloß sieben dieser Ausweise waren von den Erben zurückgegeben worden – 53 hingegen noch im Umlauf. Eine ähnliche Überprüfung in Innsbruck ergab, dass von 3000 Plaketten für Gehbehinderte 600 auf Tote ausgestellt waren.
Das Problem wurzelt einerseits darin, dass die Ausweise aus Datenschutzgründen so im Auto liegen, dass niemand sehen kann, auf wen sie ausgestellt sind. Wesentlich gravierender ist eine österreichische Besonderheit: Die EU empfahl schon im Jahr 1998 dringend, derartige Behindertenausweise nur mehr befristet auszustellen, um die gängige Praxis des Vererbens abzustellen. Zahlreiche Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, folgten dieser Empfehlung – Österreich nicht. Im Gegenteil: Erst vergangene Woche wurde im Verkehrsausschuss des Parlaments die unbefristete Vergabe der Ausweise neuerlich fixiert. Es wurde zwar auch beschlossen, dass vor dem Jahr 2001 ausgestellte weiße Ausweise verfallen – aber die sind ohnehin längst gegen die neuen, blauen Ausweise umgetauscht. Ende Jänner kommt die Causa erneut in den Nationalrat.

"Befristung ist die einzige vernünftige Lösung"
Das Verkehrsministerium argumentiert, dass eine Befristung Behinderten mühselige Behördenwege aufbürden würde. Dem widersprechen selbst Behindertenverbände. Manfred Schweizer, Obmann des Verbands der Querschnittsgelähmten, kam nach Abwägen aller Für und Wider zur Überzeugung: „Eine Befristung ist die einzige vernünftige Lösung. Nur sie kann den Missbrauch verhindern. Und dann finden unsere Behinderten auch wieder Parkplätze.“

Der Städtebund schlägt vor, die Plaketten wie in Deutschland auf jeweils fünf Jahre zu befristen – und danach einfach zu überprüfen, ob der oder die Gehbehinderte noch lebt. „Das wäre ja keine Benachteiligung, im Gegenteil. Man stellt nur sicher, dass auf Behindertenparkplätzen auch Behinderte parken“, sagt Stephanie Schwer für den Städtebund.
Der Ausweis, gehbehindert zu sein, bringt neben dem Recht, das Auto auf speziellen Parkplätzen abzustellen, weitere Vorteile mit sich: Die Autobahnvignette ist gratis, auch in für andere gebührenpflichtigen Kurzparkzonen kann gratis geparkt werden, das Parkverbot gilt nicht, und in Fußgängerzonen kann während der Ladezeiten eingefahren werden. Für alle Gehbehinderten (oder deren Fahrer) gibt es gute Gründe für diese Ausnahmen – sollen doch die Fußwege so kurz wie möglich gehalten werden. Daher sind Behindertenparkplätze auch im kürzestmöglichen Abstand von Ämtern oder Bahnhöfen angelegt. Für die Erben Gehbehinderter gilt dieses Argument mitnichten, dennoch können sie beruhigt die Behindertenausweise der verblichenen Opas, Omas oder Onkel verwenden und sich die Parkplatzsuche erheblich erleichtern.
„Das Risiko, mit dem Ausweis eines Toten erwischt zu werden, ist sehr gering“, seufzt Tomas Joos, Amtsvorstand der Innsbrucker Verkehrsabteilung, aus Erfahrung. Das werde zusehends zum Problem: „Alle Städte kämpfen mit knapper werdendem Parkraum. Da können wir uns Missbrauch nicht leisten.“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin