Peter Michael Lingens

Scheitern in Afghanistan

Scheitern in Afghanistan

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Was ich vor ein paar Monaten an dieser Stelle nur vermutet habe, scheint mir mittlerweile sicher: Nach der Intervention im Irak geht auch die Intervention in Afghanistan schief. Deutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat beim Treffen der NATO-Verteidigungsminis­ter in Vil­nius Ende vergangener Woche ein vermehrtes Engagement der Bundeswehr im gefährlichen Süden abgelehnt, und es dürfte den USA kaum gelingen, von irgendwo anders her ausreichend zusätzliche Soldaten zu gewinnen. Nach Ansicht des Internationalen Instituts für Strategische Studien (ISSF) müsse deshalb beim Nato-Gipfel im April geklärt werden, ob das Bündnis in Zukunft jemals die nötigen Truppen für seine „Visionen“ aufbringe.

Ich glaube, man muss viel eher Abschied von den „Visionen“ nehmen: Es gelingt nicht, moslemische Länder, die unter einer noch so üblen Diktatur gelitten haben, mit militärischen Mitteln dauerhaft zu befrieden und in halbwegs funktionsfähige Staatswesen überzuführen. In Afghanistan mit seiner Stammestradition wahrscheinlich sogar noch weniger als im Irak, der immerhin über einen gewissen gebildeten Mittelstand verfügt.
Der religiöse Fanatismus, der die Gesellschaften beider Staaten prägt, produziert eine Art von Widerstand, gegen den sich eine noch so perfekte westliche Militärmaschine nicht durchsetzen kann: Leute, die in Selbstmordattentaten den idealen Weg ins Paradies sehen, kann man auch mit noch so präzisen Lenkraketen nicht besiegen.

Ich muss diesbezüglich nicht zuletzt die eigenen Fehleinschätzungen korrigieren: So schrieb auch ich vor Jahren, die neue Militärtechnologie der USA gestatte es ihnen, an allen Punkten der Erde erfolgreich zu intervenieren, denn ihre Waffen seien so zielgenau, dass es praktisch keine US-Opfer gäbe, und zugleich würden auch die Opferzahlen im Einsatzgebiet gering genug bleiben, um nicht dessen Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit gegen die Intervention aufzubringen.

Das hat, schon was die primären Opferzahlen betrifft, nur halb gestimmt, denn die berühmten „Kollateralschäden“ waren, zumindest im Irak, beträchtlich – aber es stimmt überhaupt nicht für die Folgejahre. Und zwar weder für die USA selbst noch für das Gebiet ihrer Intervention: In Afghanis­tan ist dem erfolg­reichen Ersteinsatz ein anhaltender, religiös unterlegter Stammeskrieg und ein Guerillakrieg gegen die Besatzer gefolgt; im Irak ein Guerillakrieg gegen die Besatzer und ein Religionskrieg von Sunniten und Schiiten unter­einander.

Aufgehellt wird die Irak-Bilanz allenfalls dadurch, dass der kurdische Teil des Landes de facto seine Selbstständigkeit erreicht hat und wohl auch behalten wird. Angeblich hat der verstärkte US-Truppeneinsatz die Zahl der Terroranschläge zuletzt auch im Rest des Landes und vor allem in Bagdad zurückgehen lassen – aber erstens ist unklar, ob es stimmt, und zweitens – und vor allem – haben beide potenziellen künftigen US-Präsidenten, Barack Obama wie Hillary Clinton, bereits erklärt, dass sie die US-Truppen schleunigst abziehen werden.

Und in Afghanistan, wo neben den USA auch andere stark engagiert sind, wird zuerst das europäische En­gagement zerbrechen – so gibt es etwa in der deutschen Bevölkerung eine massive Mehrheit gegen den Bundeswehr­einsatz – und das wird in der Folge den USA die Begründung liefern, sich als „alleingelassen“ ebenfalls zurückzuziehen. Ohne militärischen Schutz werden sich nach menschlichem Ermessen auch die zivilen Hilfsprojekte im Pulverschmauch von Anschlägen auflösen – das Land wird wieder größtenteils den Taliban beziehungsweise diversen Stammesfürsten gehören. Nur ein massiv verstärkter Truppeneinsatz könnte diese Bilanz vielleicht aufhellen, indem sich im Norden des Landes eine befriedete Zone erhalten lässt – aber auch für einen solchen massiv verstärkten Truppeneinsatz sehe ich keine reale politische Chance.

So hat etwa der prominenteste deutsche Kenner der betroffenen Region, Peter Scholl-Latour, in einem TV-Gespräch rundum der (ihm sonst denkbar fremden) „Linken“ Oskar Lafontaines Recht gegeben: Der militärische Einsatz sei sinnlos, die zivilen Hilfsprojekte würden immer aufs Neue zerstört, die Erfolgsmeldungen seien erlogen. Ein Afghanistan-Experte der Regierung, der das Land (im Gegensatz zu Scholl-Latour) in jüngster Zeit bereist und mit seinem Team 2000 Afghanen nach ihrer Meinung befragt hat, stand mit seinem Gegenargument – die Bevölkerung begrüße das internationale Engagement – auf verlo­renem Posten.

Ich glaube, man muss den Sinn militärischer Interventionen nach den jüngsten Erfahrungen tatsächlich grundsätzlich infrage stellen: Die enorme militärtechnische Überlegenheit der USA erweist sich auf längere Sicht als nutzlos. Sie führte allenfalls dann zu einem dauerhaften Erfolg, wenn nach der Intervention ein Vielfaches an Truppen aufgewendet würde – aber auch das ist keineswegs sicher. Deshalb wird dieses Vielfache an Truppen nie zu haben sein, denn die Bevölkerung der Staaten, die an den inter­nationalen Einsätzen beteiligt sind, wird nicht bereit sein, für ein fernes, fremdes Land einen hohen Blutzoll zu ris­kieren.