Heu, Heu, Heu

Marc Pircher: Superstar aus dem Zillertal

Unterhaltung. Besuch bei Marc Pircher, Schlagerstar

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Die Verwandlung vollzieht sich fast unmerklich, was vermutlich daran liegt, dass fast keine Verwandlung stattfindet. Die Augenbraue wandert eine Spur höher, das Sprücheniveau einen Deut tiefer, aber ansonsten bleibt der Star ein Mensch, der Mensch ein Star. Der Marc Pircher, der eben noch am Parkplatz des Hotels Pachmair in Uderns/Zillertal stand und seinen geliehenen Audi A8 streichelte (Wunschkennzeichen: MP 7), unterscheidet sich nur in Nuancen von jenem Marc Pircher, der nun auf der Bühne des Hotels Pachmair steht und zwei Reisebusladungen Nebensaisontouristen aus Sachsen und Thüringen zum Glühen bringt oder zumindest zum Winken. Die Meisten sind schon in einem Alter, in dem man nicht mehr so leicht glüht. Im bestuhlten Saal wechseln sich zuckerwattehaft auftoupierte Grauhaartürme mit glänzenden Scheitelplatten ab; man trägt gedecktes Rentnerbeige oder kariertes Wandererbunt. Marc Pircher hat immer noch dasselbe an wie vorhin: blau-weißes Hemd mit "Tyrol“-Stickerei, graue Jeans, Adidas-Sneaker, große Uhr. Nur dass er ziemlich heiser ist, merkt man plötzlich nicht mehr. "Weißt, beim Singen wird das komischerweise immer besser“, hat er vorher schon angekündigt, und außerdem gehöre das quasi dazu, am Montag sei die Stimme immer im Eimer, am Wochenende finden nämlich die wirklich großen Auftritte statt, bei denen Pircher alles geben muss, vorgestern zum Beispiel im Zürcher Hallenstadion, 10.000 Leute, gleich anschließend noch ein Zeltfest in Bürglen, Kanton Thurgau, 4000 Leute. Heute: Uderns, 100 Pensionisten.

Marc Pircher hätte es natürlich nicht nötig, in diesem Rahmen aufzutreten. Er macht es trotzdem, wöchentlich von Mai bis Oktober. "Finanziell ist das eigentlich uninteressant“, sagt er, aber ums große Geld geht es bei Marc Pircher ohnehin nur selten, es geht eher ums kleine und ums mittlere Geld und um den Kontakt mit den Menschen. Marc Pircher braucht diesen Kontakt, die Reaktion seines Publikums, er braucht das fast körperlich, und er holt es sich, wo immer es geht. Und es geht eigentlich fast immer. Marc Pircher ist im volkstümlichen Schlagergeschäft eine große Nummer, nicht so groß wie der Hansi (Hinterseer) oder der Andreas (Gabalier) oder die Andrea (Berg), aber doch so groß, dass die Leute aus Deutschland nach Tirol kommen, um ihn zu sehen.

Und wenn sie nicht kommen, fährt er halt zu ihnen: Gut 200 Konzerte spielt Pircher im Jahr und fährt dafür bis zu 120.000 Kilometer. Das sind im Schnitt 330 Kilometer pro Tag. Die Terminliste auf Pirchers Homepage umfasst ausgedruckt 42 Din-A4-Seiten und reicht bis in den November 2015. Wie lange kann man so was machen? So lange, wie die Fans das wollen. Im Vorjahr feierte Pircher, 35, sein 20-jähriges Bühnenjubiläum. Der ORF widmete dem Zillertaler aus diesem Anlass ein einstündiges Samstagabend-Portrait; unter der Moderation von Armin Assinger wurden noch einmal die wesentlichen Karrierestationen durchgeackert: Kindheit in Ried im Zillertal, Studium der steirischen Harmonika ebendort, erste Auftritte als Zwölfjähriger bei Tourismusverbandsfeierlichkeiten und Folkloreabenden, anno 1992 TV-Debüt in der RTL-"Heimatmelodie“, 1993 erste eigene Kassette ("Marc Pircher - aus dem Zillertal“), zwei Jahre später erster "Stadl“-Auftritt, 2003 Sieg beim "Grand Prix der Volksmusik“, seit 2005 Moderation von "Weihnachten auf Gut Aiderbichl“, von 2007 bis 2010 Moderation des "Grand Prix der Volksmusik“, zwölf Goldene Schallplatten, fünf aus Platin, 23 Fanclubs in Österreich, Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Dänemark, eine Familie in Ried im Zillertal.

Punkt 20.30 Uhr: Marc Pircher, der Mensch, verwandelt sich in Marc Pircher, den Entertainer. Während seine vierjährige Tochter Anna vom Tonband "viel Spaß mit meinem Papa" wünscht, federt dieser auf die Bühne der Pachmair’schen Hotelbar, verlagert sein Gewicht auf die Zehenspitzen, hebt die Augenbrauen, hängt sich die Harmonika um, strahlt sein Publikum an und wünscht sich nur eines: eine gute Stimmung.

"Zickezackezickezacke!“ Die deutschen Rentner wissen, was zu tun ist ("Heu Heu Heu!“), Pirchers Tontechniker startet den Halbplayback-Track zur ersten Nummer: "Ich war nie ein Casanova“.

"Er beherrscht sein Handwerk einfach perfekt. Einen Saal mit 200, 300 Leuten hat er innerhalb von Sekunden im Griff, nach einer Viertelstunde geht die Post ab. Und weil das genau das ist, was die Leute von einem Mann wie ihm wollen, ist er so gut im Geschäft. Er braucht nicht die Aura oder das Charisma eines Superstars. Das ist gar nicht sein Geschäftsmodell.“ Der Drehbuchautor und Filmemacher Gregor Stadlober erzählt von seinem Jahr mit Marc Pircher, gemeinsam mit Marco Antoniazzi hat er den Schlagerstar für den Dokumentarfilm "Schlagerstar“ (Kinostart: 31. Mai) begleitet, bei Auftritten, Geschäftsterminen und Studiosessions gefilmt, beim erstaunlich zähen Vorgang des Schlagerkomponierens, beim Autofahren, Händeschütteln, Singen, Weiterfahren. Antoniazzi: "Die meisten Protagonisten der Schlagerbranche wollen sich nicht in die Karten sehen lassen. Bei Marc Pircher ist das anders. Er hat es nicht nötig, sein Image vor der Kamera zu kontrollieren. Weil er in seinem Selbstverständnis nichts zu verstecken hat. Er ist der seltene Fall eines autonomen Künstlers.“

Das liegt wiederum daran, dass es in Pirchers Leben, untypisch für einen Mann in seiner Position, keinen Manager gibt. Pircher steuert sich selbst. Wer unter Pirchers Büronummer anruft, bekommt Pircher an den Apparat. Wer Marc Pircher buchen will, bucht ihn bei Marc Pircher. Wer ihn besuchen will, besucht ihn. Man kann sogar bei ihm wohnen (Apartment "Marc Pircher“, buchbar bei: Marc Pircher). Der Mann ist greifbar und sich für keinen Handgriff zu schade. Und er hat alles im Griff, bis ins kleinste Detail.

Zum Beispiel den CD-Ständer im Dorfgreißler von Ried. Keine 20 Schritte entfernt steht das Pircher’sche Elternhaus (plus Frühstückspension und Skiverleih), im Greißler: gemischtes Angebot, Speck, Eier, Fußdeo, "Tiroler Tageszeitung“, Die Drei Zillertaler, Nik P. und "Après Ski Party People“, aber: kein Marc Pircher. Wie das? "Weißt, das ist halt eine andere Vertriebsfirma. Aber ich beobachte das genau, der Ständer ist immer gleich voll. Ich glaube, die verkaufen im Jahr drei CDs.“

Marc Pircher spricht die Sprache eines Bergtirolers, der öfter im deutschen Fernsehen auftritt, er sagt "weischt“, wenn er "weißt“ meint, er betont die Endvokale (gernE, machE), verschleift die CHs und spricht ansonsten, als schlage ihm das Herz auf der Zunge: schnell und viel und unterschiedslos. Größte Banalitäten bekommen den gleichen Klang und denselben Gesichtsausdruck wie erfrischende Geistesblitze, wobei das Verhältnis durchaus zu Pirchers Gunsten ausfällt. Der Schlagerstar muss nicht viel nachdenken, wenn er spricht, weil er sagen darf, was er denkt und die schnellste Antwort immer die beste ist. Das gilt für die Bühne wie fürs Leben, der Mensch Marc Pircher unterscheidet sich eben kaum vom Schlagerstar Marc Pircher. Dessen Geheimnis besteht auch darin, kein Geheimnis zu haben. Wer mit Marc Pircher zu tun hat, erlebt keine Fassade, sondern: Marc Pircher. Mit Marc Pircher ist man schnell per du. Das mögen die Leut’, und Marc Pircher wird den Teufel tun und sich ändern.

Er erzählt lieber, schnell und viel.

Vom Rumkriegen des Publikums:
"Du musst beim ersten Lied entscheiden, wie es weitergeht. Es gibt die Variante A, sie flippen sofort aus, oder die Variante B, wir holen sie später, langsam, mit Schunkeln und Witzen. Es gibt bei mir keine Setlist. Wir fangen immer mit dem gleichen Lied an und dann schaun wir weiter.“

Von erfolgreicheren Kollegen:
"Wenn in Buxtehude Zeltfest ist und da spielt irgendeine einheimische Partie, dann brauchen die einen Staract für zehn bis elf. Das hat der Gabalier die letzten drei Jahre ohne Ende gemacht. Jetzt macht er es nimmer. Dann rufen die Veranstalter halt stattdessen bei mir an oder bei der Antonia oder bei der Jazz Gitti. Wir profitieren alle davon.“

Von seinen besten Kunden:
"Wenn ich bei einem Zeltfest spiele, spiele ich oft erst um Mitternacht, da habe ich die Leute nach einer Minute am Tisch und die flippen aus, und das sind dann die Effektkäufer. Da verkaufen wir auf einem Zeltfest schon einmal 70 bis 100 CDs. In Summe verkaufe ich im Jahr allein von der Bühne herunter zwischen 5000 und 8000 CDs. Der ganze Handel in Österreich schafft auch nicht viel mehr als 10.000 - aber nur, wenn ich wirklich viel Zeit und Energie in die Promotion stecke.“

Vom Geld:
"Ich bin in der glücklichen Lage, nicht so viel Geld zu besitzen wie der Herr Hoeneß, dass ich nicht weiß, wo ich es verstecken soll.“

Von der Zukunft:
"Ich könnte morgen aufhören und übermorgen Musiklehrer werden, rein von meiner Ausbildung her. Das ist eine Riesengeschichte für später, eine Sicherheit, wenn du so willst. Mein gelernter Beruf ist Harmonikaspieler.“

Von den vielen Glücksfällen seiner Karriere:
"Ich schlaf nirgends besser als im Tourbus. Das ist ein Riesenvorteil.“ - "Früher hat es mich noch angezipft, dass ich nicht in einer Gruppe spiele sondern immer nur allein. Später bin ich dann draufgekommen, dass das mein größter Vorteil ist.“ - "Der größte Vorteil ist, dass ich die Harmonika von der Pike auf gelernt habe und nicht lange nachdenken muss, was ich da spiele. Da spiele ich meine Lieder und kann gleichzeitig darüber nachdenken, was ich morgen machen muss.“ - "Dass ich mein eigener Manager bin, hat natürlich einen Riesenvorteil: Ich kann machen, was ich will. Aber andererseits muss ich halt auch Sachen machen, wo’s gescheiter wäre, jemand anderen vorzuschicken, sprich: Gagenverhandlungen, Fernsehredakteure durchtelefonieren.“

Apropos Fernsehen:
Bei diesem Thema spricht Marc Pircher noch eine Spur schneller; immerhin geht es um die Zukunft seiner Branche. Volkmusik-Formate werden gekürzt oder gestrichen, sogar dem Hansi haben sie seine Show weggenommen, den "Grand Prix“ gibt es auch schon längst nicht mehr. "Ab und zu schießen die wirklich brutal aus der Hüfte. Und dann heißt es zur Rechtfertigung: die Quote. Ich habe beim, Grand Prix‘ über zehn Millionen Zuschauer gehabt. Also an der Quote kann’s nicht liegen. ARD und ZDF sagen, sie wollen jünger werden und deshalb die Volksmusik reduzieren. Also das ist doch der größte Krampf, den es gibt. Als 17-Jähriger schau ich doch nicht ARD. Da schau ich RTL. Wenn einer in der Schule erzählt, er schaut ARD, dann schlagen’s den doch her.“

Marc Pircher weiß, was seiner Branche blüht:
"Eine Riesenwende“ zeichne sich ab, die goldenen Zeiten seien vorbei: "In zehn Jahren werden wir wieder hier sitzen und uns denken, wie schön es damals war. Meiner Meinung nach werden nur die Guten und Fleißigen übrig bleiben. Die Fleißigen, die nichts können, können nicht übrig bleiben, und die, die etwas können und faul sind, werden auch nicht übrig bleiben. Du musst fleißig und gut sein. Darum konzentrier ich mich aufs Live-Geschäft. Du bewirkst in 30 Minuten, die du mit 10.000 Leuten hast, mehr als in drei Minuten im Fernsehen.“

Kurz vor 21.00 Uhr, Hotel Pachmair. Es wird klar, was Marc Pircher meint, wenn er von der Bedeutung seiner Live-Gigs spricht. Er bewirkt eindeutig etwas bei den Rentnern aus Sachsen und Thüringen. Er reißt sie in seinen Bann, er umgarnt sie mit einer leichtfüßigen Peteralexanderhaftigkeit, mit einer frivolen Burschikosität, die ein bisschen frech ausfällt und ein bisschen zotig, aber nur so weit, dass niemand sich fürchten muss, es werde gleich ernst. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der genauer mitkriegt, was bei seinem Publikum abgeht. Es sind zum Teil bizarre Details, die ihm da auffallen und auf die er spontan eingeht. Die Musik ist ihm oft nur Mittel zum Zweck“, analysiert "Schlagerstar“-Regisseur Gregor Stadlober. Er hat Recht: Anstatt brav seine Hits zum Halbplayback abzusingen, schäkert Pircher mit Kellnerin Anuk und Rentnerin Ruth ("The Ruth is on Fire!“), das Halbplayback läuft zu seinen Extempores stur weiter, was aber egal ist, weil alle schon die Hände schwenken und weil der Marc weiß, was sich gehört: "An solchen Abenden musst natürlich auch ein ‚Sierra Madre‘ spielen. Das ist für mich sicher nicht mehr der Oberkick, aber darauf warten die Leute. Man darf nicht den Fehler machen, zu denken, man spielt für sich selber. Man spielt für die Leut’. Zum Beispiel war ich kürzlich auf dem Konzert von der Shania Twain. Ja klar wart’ ich da auf die Hits. Oder bei der Céline Dion in Las Vegas, da wartest du natürlich auf ‚Titanic‘. Und wenn sie es nicht spielt, bleib ich sitzen. Das ist so. Die intelligenten Musiker wissen das.“

Und aus hundert Rentnerherzen / erklingt es wie ein Gebet / Sierra, Sierra Madre del Sur.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.