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Schmäh von gestern

Schmäh von gestern

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Ein recht herzliches Grüßgott, meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen bei …“ irgendwas Herr-lichem, denn um die Frauen kümmerte Robert Seeger sich nur nebensätzlich. Gut aufgelegt klang die alte Platte bei ihm immer, beinah unzählbare Monate hindurch, in denen er mit der Inbrunst eines Südtiroler Herrgottschnitzers zunächst hektisch, haspelnd, halbidiomatisch versuchte, aus Götzen Götter zu machen, um sie uns nach deren vollbrachter Leistung pathetisch, preziös, präsemantisch als Menschen näher zu bringen.

Die Südtiroler liebt der Mann fast genauso innig wie „zünftige Pullover“ mit Norwegermuster, denn die Skifahrer dieser Region waren die ersten, die sich leicht eingemeinden ließen. Er unterscheidet, wie am Anfang der eben vergangenen Saison, recht trefflich zwischen ihnen und „den Läufern, die unter der italienischen Fahne fahren“, denn im weißen Rausch gibt es keine Grenzen. Als sich, wohl zu seinem höchsten Ungemach, beim dreistesten Willen kein Franzose und kein Skandinavier unter den Nagel reißen ließ, kam er dahinter, dass hastige Einwohner anderer Länder durchaus in seine Zunft aufgenommen werden konnten, da sie, wie die Deutschen und lange Zeit auch die Schweizer, immerhin österreichische Trainer besaßen. So konnte das wichtige, im Grunde genommen alles bestimmende Wir-Gefühl viel weiter gesteckt werden, die Landkarte großzügiger ausgeflaggt, als engstirnige Politiker dies einst ausgeheckt hatten; zu dieser reichen Beute gesellten sich noch US-amerikanische und kanadische Glückspilze, deren „fast schon Wahlheimat Österreich ist“.

Inländern, die behänd bergab bebten, galt es natürlich „alle unsere Daumen zu halten“, denn, so sein Schmäh von gestern, dies „ist kein billiger Chauvinismus, sondern gesunder Patriotismus“ – und mit treuherzigerem Gschau und gewiss nicht vielfältigerem Gemüt kann das keiner deklamieren wie Onkel Seeger.

Ewig schad, dass es den Herren Pariasek, Prüller und Sykora vorbehalten blieb, die „Speed Queen“ Renate Götschl feiern zu dürfen, und er nur mit dem „Mister Super-G“ Hermann Maier kontern konnte (Stephan Eberharter ist wohl „der Abfahrtskönig“, steht aber ob seiner souverän klugen Gelassenheit dem verschwitzten Volkstribun nicht just wesensnah).

Wie nah die Fabelhaften – gut fünfzehn sind einen Atemzug voneinander entfernt, drei durchmessen einen Lidschlag – ihren Fans wirklich sind in einer Sportart, deren unterschiedliche Beherrschung menschlich nicht mehr wahrnehmbar ist, ist unerforscht. Wir Adoranten glauben einmal daran, dass sie alle gute Menschen sein müssen, denn letztendlich fahren sie alle ausschließlich um Punkte. Nie hören wir, dass der Sieg auf den Brettern, die das Geld bedeuten, etwas mit finanziellen Verhältnissen zu tun hätte; wenn eine Ikone „die Marke wechselt“, tut sie es bloß, um anderjahrs zu unserem Ergötzen noch schneller zu sein. Und die Leute, die derlei Marken herstellen, sind wohl astralleiben und singulär spirituell beseelt, weshalb ihre Erzeugnisse, von verbalen Einfädlern abgesehen, auch nie namentlich genannt werden. Sport, der auf unschuldigem Weiß ausgeübt wird, ist über, in wahrstem Wortsinn, schnelles Geld erhaben – anders als die vervettelte Vollgasbranche und sogar der honette König Fußball, der seinen Stars Fersengeld gibt.

Angesichts der Lohengrin’schen Lauterkeit dieser Lichtgestalten schwant uns verzückt Fiebernden, dass kein Superlativ zu hoch gegriffen ist für diese Selbstlosen. Unsere Sinne bringen wir als Opfer dar, unseren Odem geben wir für die Oligarchie der Olympischen.

In unseren schönsten Träumen, die wir uns als immer während ersehnen, schallt es beglückend aus keuchender Kehle: „Einszwoundvierzig, einsdreiundvierzig, einsvierundvierzig, jawoll, Bestzeit!!!“, und uns durchrieselt mutterschößig warm das allumfassende, allbetäubende Wissen: Wir haben gewonnen!

Ist es da vermessen, den Vollbringern solchen Glücksgefühls auch fürderhin alles nur erdenklich Beste zu wünschen? Können wir, Hand aufs Hirn, andres tun, als sie anzubeten? Wenn da „jetzt Stimmung aufkommt“, ist es kein Zufall, wenn da „alle im Zielraum jubeln“, geschieht es von Rechts wegen.

Dass die Amazonen und Gladiatoren über allen irdischen Gütern stehen, dass nichts als Ehre drin ist, wo Ehre hineingesprochen wird, erhebt sie eben über uns knickrige Krämerseelen. Nur Tadel verpflichtet: „I woaß nit, wo i die zwoa Zehntel g’lossn hob“, und ist für die erlauchten Ensemblemitglieder des „Ski-Zirkus“ Ansporn genug, beim nächsten Rennen wieder alle noch heilen Glieder zu riskieren.

Einzig der unerhörte Armin Assinger feixt frech über die Fantastischen: „Waun ma si do ollzu einilahnt, dann veigelt’s an“, äußert Missmut über manche Strecken: „De Reibn is a Luada“, bemängelt Linienführung: „Do hot’s g’staabt“ und sieht nicht sakrales Sausen, sondern: „Do pfeifen die Komantschn.“

Hoffentlich wird er bis zum Herbst von Ehrfurcht erleuchtet.