Interview: „Ich bin keine Schauspielerin“

Schmied: „Ich bin keine Schauspielerin“

Kultur- und Bildungsmi- nisterin Claudia Schmied

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profil: Sie blicken auf Ihre ersten hundert Arbeitstage als Kunst- und Bildungsministerin zurück. Fühlen Sie sich, als kulturelle Quereinsteigerin, inzwischen eingearbeitet?
Schmied: Ich bin sehr gut angekommen. Unglaublich ist die Intensität dieses Hauses. Was hier in hundert Tagen passiert, geschieht anderswo in einem Jahr. Tempo und Emotionalität sind hoch, und die Herausforderung ist gewaltig, intellektuell wie fachlich.
profil: Genügen hundert Tage zur Vorbereitung auf ein so großes Ressort?
Schmied: Sicher nicht. Aber es ist ein guter Einstieg. Ich habe ein großartiges Team aufgebaut und in kürzester Zeit ein praktikables Doppelbudget erarbeitet.
profil: Vergangene Woche lief die Ausschreibung für die Nachfolge von Ioan Holender als Staatsoperndirektor aus. Irritiert es Sie nicht, dass Sie nur eine Hand voll Bewerbungen erhalten haben?
Schmied: Nein. Es ist international bei Bestellungen dieses Formats üblich, dass man Persönlichkeiten direkt ansprechen muss. Daher auch der Fristenverlauf, den wir gewählt haben: Nach Ende der Ausschreibung nehme ich mir nun einen guten Monat Zeit für Gespräche nicht nur mit den Bewerbern, sondern auch mit anderen möglichen Kandidaten.
profil: Die Ausschreibung sei eine „Farce“ und „idiotisch“, polterte Holender unlängst bei einer Pressekonferenz.
Schmied: Ich bin es gewohnt, Personalentscheidungen ohne öffentliche Kommentare vorzunehmen – daher kommentiere ich auch Aussagen anderer nicht.
profil: Ist die Ausschreibung überhaupt ein adäquates Instrumentarium, um ein Haus wie die Staatsoper zu besetzen?
Schmied: Ich sehe das Gesetz positiv, weil die Branche durch die Ausschreibung breit darüber informiert wird, dass eine Stelle neu besetzt wird. Wenn sich dabei jemand meldet, an den nicht unmittelbar gedacht wurde, erweitert dies den Kreis. Es ist im Gesetz aber auch festgehalten, dass sich Personen nicht bewerben müssen, um ernannt werden zu können.
profil: Für Alfred Gusenbauer steht der neue Staatsoperndirektor angeblich fest. Es ist kein Geheimnis, dass er den Tenor Neil Shicoff favorisiert. Finden Sie das Engagement des Kanzlers für Shicoff akzeptabel?
Schmied: Dieser Punkt wurde in den Medien ohnehin schon sehr breitgetreten. Das reicht. Aber es ist klar, dass in diesem Bereich viele Namen kursieren. Das ist eine Renommee-Geschichte, gerade bei einem Haus wie der Staatsoper. Das ist okay.
profil: Insider berichten, Sie würden Shicoff keinesfalls favorisieren, vielmehr versuchen, dem Sänger einen Profi zur Seite zu stellen, um eine tragfähige Lösung zu finden.
Schmied: Ich bin mitten in der Vorbereitung, deshalb keine Details dazu.
profil: Sie mussten sich nach einem Fernsehauftritt Gusenbauers öffentlich gegen seine Einflussnahme in dieser Causa verwehren: Haben Sie das Gefühl, dass es Ihnen in Ihrer Partei an politischem Gewicht fehlt?
Schmied: Diesen Eindruck habe ich nicht. Wenn ich mir die Maßnahmen ansehe, die gerade im Bildungsbereich umgesetzt werden, sind das große Schritte mit breiter Zustimmung.
profil: War es von Gusenbauer nicht schon vermessen, Ihnen nur wenige Stunden Zeit zu geben, um sich für oder gegen das Ministeramt zu entscheiden?
Schmied: Das klingt jetzt vielleicht ein wenig überraschend, aber so unverhofft kam das für mich nicht. Ich bin mit Alfred Gusenbauer seit über zehn Jahren bekannt, habe mich vielfältig politisch engagiert und war für verschiedene Positionen bereits im Gespräch. Es war daher keine schwere Entscheidung. Ich dachte, das ist eine große Chance, und wenn ich sie jetzt nicht nütze, werde ich mir vielleicht jahrelang vorhalten, mir das nicht zugetraut zu haben.
profil: Sie sind als Bankerin ins Kulturministerium gewechselt: Was bedeutet Ihnen Kunst persönlich?
Schmied: Ich fühle mich besonders im Theater zu Hause. Ein Schwerpunkt im letzten Jahr war aber auch die literarische Behandlung wirtschaftlicher Themen: Was passiert etwa mit einem Familienunternehmen, das Thomas Mann in seinen „Buddenbrooks“ skizziert, wenn neue Generationen heranwachsen? Ich habe Rolf Hochhuths „McKinsey kommt“, Urs Widmers „Top Dogs“ und Kathrin Rögglas „Wir schlafen nicht“ gelesen. Solche Dinge interessieren mich sehr: Wie gehen Dichter, Dichterinnen mit dem Themenkomplex Wirtschaft um? Was passiert da gesellschaftlich?
profil: Das mögen Sie? Wirtschaftsmanager tauchen in Romanen doch meist bloß als skrupellose Finanzhaie auf.
Schmied: Gerade das finde ich spannend: wie Akteure aus anderen Feldern beurteilt werden, welche Vorurteile dabei zutage treten. Gerade die kritische Außensicht ist eine Erweiterung der Wahrnehmung, auch im Sinne eines Korrektivs.
profil: Hatte Ihre Lektüre denn Konsequenzen auf Ihr Selbstverständnis als Bankerin?
Schmied: Vielleicht, ja. Immerhin hab ich ja schnell entschlossen das Spielfeld gewechselt.
profil: Gemessen an den marginalen Kulturbudgeterhöhungen, die Sie durchgesetzt haben, gehört das Österreichische Filminstitut vergleichsweise zu den Gewinnern. Haben Sie einen besonderen Bezug zum Kino?
Schmied: Vor allem zu Dokumentarfilmen. Michael Glawoggers „Megacities“ oder „Workingman’s Death“ halte ich für brillante Filme, auch Egon Humers „Schlöglmühl“-Studie, weil diese Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Spielfilm und Dokumentarischem stattfinden. Ich will übrigens dafür sorgen, dass derartige Filme vermehrt im Unterricht eingesetzt werden, weil die Wirksamkeit so groß ist. Man verlässt betroffen das Kino.
profil: Haben Sie überhaupt noch Zeit, ins Theater oder ins Kino zu gehen?
Schmied: Zumindest ins Theater komme ich regelmäßig, hier fallen Pflicht und Kür zusammen. Früher habe ich meine Urlaubsplanung stark nach dem Festspielkalender ausgerichtet – jetzt muss ich ja fast hinfahren. Bereichernd und fantastisch sind die Begegnungen mit Kunstschaffenden. Ich weiß schon, dass dabei nicht ich als Person gemeint bin, dass es um die Position der Kulturministerin geht, aber es ist einfach großartig, mit vielen Menschen direkt zu sprechen, die man früher nur aus der Ferne wahrgenommen hat: dass man sich mit einem Tobias Moretti unterhalten kann, dass man eine Anna Netrebko nach ihrer Premiere trifft und dass man interessante Gespräche mit engagierten Vertretern von Kunst- und Kulturinitiativen führt. Ich möchte durch Einladungen an die Kulturschaffenden das Palais, in dem das Kulturministerium untergebracht ist, zum Schwingen bringen und als magischen Ort gestalten, in dem Neues gedacht wird.
profil: Künstlerfeste im Ministerium?
Schmied: Zum Beispiel.
profil: Wo dann auch geraucht werden darf.
Schmied: Ich fürchte nein, da gäbe es Schwierigkeiten mit dem Denkmalschutz.
profil: Sie laden gerne ein: Im Zuge einer Dienstreise haben Sie unlängst auch eine Gruppe südkoreanischer Studenten nach Linz eingeladen. Diese sollen, wie Sie sagen, 2009 in der Kulturhauptstadt „Programm machen“. Greift das nicht in die Kompetenzen des Intendanten ein?
Schmied: Das habe ich gemeinsam mit Airan Berg, dem Theaterchef für Linz 2009, beschlossen. Wir hatten in Südkorea einen Termin mit dem Kulturminister, einem ehemaligen Filmschauspieler, der unsere Idee übrigens auch gleich wertvoll fand.
profil: Schauspieler, die zu Politikern werden, sind in Österreichs Kulturszene ja gegenwärtig nicht mehr so gefragt, oder?
Schmied: Ich weiß nicht. Ich kann nur sagen: Ich bin keine Schauspielerin.
profil: Sie strahlen unentwegt einen – angesichts der Verhältnisse durchaus überraschenden – Optimismus aus. Sind Sie die Ministerin der Harmonie?
Schmied: Ich möchte tatsächlich Leidenschaft ausstrahlen, ich bin neugierig und will Interesse wecken. Und ich will lösungsorientiert arbeiten. Das geht aber kaum mit Verordnungen und Richtlinien, sondern vor allem mit persönlicher Ermutigung und Aktivität.
profil: Die meisten Menschen, die Sie treffen, wollen von Ihnen nur eines: Geld. Das Burgtheater wird die laufende Saison mit einem Jahresfehlbetrag von 2,4 Millionen Euro abschließen, auch Staats- und Volksoper bilanzieren negativ: Wie wollen Sie diese Probleme lösen?
Schmied: Wir haben nach langen Jahren ohne Budgeterhöhung wieder eine Steigerung der Basisabgeltung sowohl für die Bundestheater als auch für die Bundesmuseen vorgesehen. Das ist ein erster notwendiger Schritt, der für den laufenden Betrieb ausreichen wird. Es ist aber klar, dass das nur ein Anfang sein kann. Ab 2009 brauchen wir Regelungen, die vergleichbar sind mit dem Universitätengesetz: Es muss zu einer Valorisierung der Personalkosten kommen.
profil: Bei aller Hoffnung auf Künftiges: Theatergewerkschafter haben bereits mit Streik gedroht. Sie wären die erste Kunstministerin, in deren Amtszeit der Vorhang geschlossen bliebe.
Schmied: Das werden wir sehen. Ich setze auf die Verhandlungen der Bundestheater-Holding, deren Aufgabe es nun ist, diese Gespräche zu führen. Man muss sich den Gesamtfinanzhaushalt der Bundestheater ansehen.
profil: Laut einer Studie im Auftrag des Finanzministeriums verfügt die Staatsoper über genügend Rücklagen für alle drei Häuser: Sollen diese umverteilt werden?
Schmied: Da greife ich den Berechnungen und Verhandlungen der Holding für 2007/08 sicher nicht vor.
profil: Wolfgang Schüssel hat der Holding eine solche Umverteilung mittels schriftlicher Weisung untersagt. Gilt diese noch?
Schmied: Neues Spiel, neues Glück: Mit der Verabschiedung der Budgetbegleitgesetze tritt das Bundestheaterorganisationsgesetz in novellierter Form in Kraft. Dieses enthält auch den Passus, dass die Holding in Absprache mit den einzelnen Häusern die entsprechenden Finanzierungsgrundlagen auszuarbeiten hat.
profil: Sie übertragen der Holding also mehr finanzielle Eigenverantwortung. Burgchef Klaus Bachler warf Ihnen deshalb bereits „Neoliberalismus“ vor.
Schmied: Mir geht es im Kulturbereich um ein Höchstmaß an Effektivität. Die maximale künstlerische Entfaltung braucht eine gute wirtschaftliche Basis. In diesem Sinn ist für mich die Stärkung der Holding, die über die einzelnen Opern- und Theaterhäuser gesetzt ist, ein gutes Steuerungs- und Clearing-Instrument.
profil: Sie lagern das schwelende Finanzierungsproblem politisch in die Holding aus?
Schmied: Nein. Entscheidend ist, dass die Holding eine GesmbH ist. Ich bin als Ministerin deren Eigentümervertreterin, also immer in der Verantwortung. Ich könnte jederzeit per Weisung eingreifen. Ich persönlich erlebe die Holding als hochwirksam.
profil: Über das von Ihnen verhandelte Kulturbudget herrscht in der Branche verhaltene Enttäuschung, Sie betonen selbst, der große Wurf stehe noch aus. Woran sind Sie in den Budgetverhandlungen mit Finanzminister Molterer denn gescheitert?
Schmied: Es waren im Koalitionsprogramm keine Mittel vorweg gesichert oder abgestimmt. Insofern haben die Verhandlungen wie in vielen anderen Bereichen begonnen: mit einer vorgegebenen Kürzung des Budgets um vier Prozent. Nach hartem Ringen waren wir schon froh, am Ende plus vier Prozent zu erzielen. Zudem haben wir im Zuge der Budgetverhandlungen vereinbart, neue Ertragsquellen für die Kultur zu erschließen. Aber ich kann es gar nicht oft genug sagen: In der Kultur ist genug nicht genug.
profil: Sie wollten transparenter als Ihr Vorgänger Franz Morak agieren. Aber genau wie unter seiner Ägide warten nun wieder hunderte kleine Kulturinitiativen auf verbindliche Zu- oder Absagen ihrer Subventionsgesuche für 2007 – wie Ihnen der Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl, letzthin vorgeworfen hat.
Schmied: Wir haben an die 5000 Kunstschaffende, die Jahr für Jahr Projekte zur Förderung einreichen. Rund 300 Kulturinitiativen, die mit enthusiastischem Einsatz arbeiten, werden unterstützt.
profil: Warum haben so viele dann noch immer keine Benachrichtigung über die heurige Subvention?
Schmied: Die Künstler bekommen ja laufend Benachrichtigungen. Durch das Budgetprovisorium können wir aber die Gesamtbeträge noch nicht zusagen. Es sind jedoch schon hunderte solcher Briefe aus dem Ressort verschickt worden. Sobald das Gesamtbudget steht, werden auch die restlichen Summen verfügbar sein. Das ist voll im Gange. Ich möchte die Förderabwicklung aber in der Tat mit noch mehr Transparenz versehen und die Kommunikation mit den Antragstellern verbessern. Da haben wir viel vor. Kulturpolitik ist selbstverständlich an Geld zu messen, aber sie ist auch viel mehr: Wie gehen wir mit Kunstschaffenden um, wie führen wir Gespräche, wie wickeln wir Förderungen ab, wie sieht eine Kulturpolitik der Zukunft aus?
profil: Haben Sie für eine umfassende Neudefinition von Kulturpolitik überhaupt den notwendigen Gestaltungsraum? Drei Viertel des Budgets sind fix gebunden.
Schmied: Die Statistiken zeigen, dass tatsächlich sehr viel Geld in die traditionellen Bereiche und großen Institutionen geht. Aber mir ist es auch wichtig, dass sich die Theater und Museen in die Kunstvermittlung einbringen, vor allem in den Schulen. Da erwarte ich mir neue Initiativen und Programme.
profil: Nicht nur den Bundestheatern, auch den Bundesmuseen drohen negative Bilanzen. Wird Österreichs Kultur „kaputtgespart“, wie Holender unlängst kritisierte – oder ist das bloß Propaganda der Intendanten?
Schmied: Man muss sich jeden Einzelfall ansehen, um sich ein Urteil bilden zu können. Die Frage, was man sich wünscht und was dann tatsächlich machbar ist, gibt es immer. International wird Österreich stark mit Kultur assoziiert. Diese Identifikation findet sich dann aber nicht in dieser Stärke wieder, wenn man sich ansieht, wie hoch die Kunst- und Kulturausgaben im Bundeshaushalt insgesamt sind. Wenn es uns an den Schulen gelingt, Kultur gut zu positionieren, dann wird sich dies auch auf die Erwachsenen und den sozialen Stellenwert der Kunst positiv auswirken.
profil: Die Bildungsreform sollte, so hat Gusenbauer versprochen, ein Herzstück der Regierung sein. Sie haben dafür aber kaum Budget. Die Gelder, die sie 2007 und 2008 zusätzlich erhalten, gehen für die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl und für höhere Lehrergehälter drauf. Wo bleibt die Bildungsreform?
Schmied: Die Bildungsreform findet statt. Und die Budgets sprechen gerade im Bildungsbereich für sich. Die Senkung der Schülerzahlen ist ein Kern der Reform, ein erster großer Schritt. Er bedeutet konkret mehr Zuwendung für die Schülerinnen und Schüler in den Klassen. Nach sieben Jahren, in denen Stunden gekürzt wurden, Lehrerplanstellen gestrichen wurden, wird jetzt massiv investiert, haben neue Lehrer die Chance, an den Schulen tätig zu werden. Da erwarte ich mir einen großen Motivationsschub.
profil: Österreichs Bildungssystem ist stark an sozialen Schichten orientiert: Kinder von Akademikern werden Akademiker, Arbeiterkinder werden Arbeiter. Wie wollen Sie diese Klassentrennung aufweichen?
Schmied: Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit ist zentral. Ich werde noch vor dem Sommer eine kleine Expertengruppe einsetzen und verschiedene Modellschulen ausprobieren: die gemeinsame Schule der Vielfalt, wo es darum geht, Begabungen zu entdecken und zu fördern, gleichzeitig aber auch achtsam mit Schwächen umzugehen. Ist es klug, dass für Kinder mit neuneinhalb Jahren de facto schon Richtungsentscheidungen getroffen werden müssen; wäre es nicht besser, länger eine gemeinsame Ausbildung zu haben, die aber im Inneren differenziert und individualisiert ist?
profil: Es gibt schon seit den siebziger Jahren Gesamtschulen als Modellprojekte. Nun kündigen Sie weitere Versuche an. Warum sind Sie in dieser Frage so zaghaft?
Schmied: Zaghaft ist das nicht. Wir wollen Gesamtschulprojekte in einzelnen Bundesländern in die Welt bringen, aber auch durchleuchten. Eine Änderung des Bildungssystems gelingt nur, wenn sie von breiten Teilen der Bevölkerung als positiv erlebt wird.
profil: Wovon waren Sie in den ersten hundert Tagen Ihrer Arbeit am meisten überrascht?
Schmied: Ich bin nicht mit vorgefertigten Bildern hierhergekommen. Es wurde Tag für Tag der Radius erweitert und Neues entdeckt. Es gab weder Täuschungen noch Enttäuschungen.

Interview: Stefan Grissemann,
Peter Schneeberger