'FPÖ agiert vor allem außerparlamentarisch'

Schriftsteller Köhlmeier im profil-Gespräch: 'FPÖ agiert vor allem außerparlamentarisch'

Schriftsteller Michael Köhlmeier im Interview

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profil: Haben Sie jemals gelogen?
Köhlmeier: Natürlich. Auch heute höchstwahrscheinlich schon.

profil: Es gibt Politikerinnen, die behaupten, noch nie die Unwahrheit gesagt zu haben.
Köhlmeier: Als die damalige Präsidentschaftskandidatin Benita Ferrero-Waldner in einem TV-Interview mit dieser Frage konfrontiert wurde und sie mit Nein antwortete, habe ich gewusst: Jetzt hat sie die Wahl verloren. Ich habe mir sogar eingebildet, dass man ihrem Gesicht den Gedanken ansieht: Könnte ich die vergangenen Sekunden doch nur zurückdrehen! Weil sie sofort wusste: Diese Aussage war ein dummer Fehler.

profil: SPÖ-Kanzlerkandidat Werner Faymann sagte kürzlich, er habe noch nie Dinge versprochen, die er nicht halten könne. Glauben Sie ihm?
Köhlmeier: Selbstverständlich nicht. Faymann weiß genau, dass eine solche Aussage als moralischer Befund über ein Leben blanker Unsinn ist. Zugleich erwartet der Wähler, dass Faymann den Anschein erweckt, daran zu glauben, obwohl alle wissen, dass die getroffene Beteuerung Blödsinn ist. Wenn Politiker öffentlich zugeben würden, dass sie lügen, dass sie mitunter unhaltbare Dinge versprechen, hielte man sie tatsächlich für ehrliche Zeitgenossen, aber zugleich hielte man diese Ehrlichkeit für Frechheit, und darauf steht eine höhere Strafe als auf Lüge.

profil: Aus Künstler- und Intellektuellenkreisen ist zur aktuellen politischen Lage kaum etwas zu hören. Wie lautet Ihre Erklärung für das kollektive Schweigen?
Köhlmeier: Es herrscht das Gefühl vor, dass alles gesagt ist. Die Protagonisten sind fast immer die gleichen, die Analysen gelangen zu denselben Ergebnissen. Ich resigniere vor der Tatsache, dass sich nichts ändert. Ein Beispiel: Es ist unglaublich, dass jemand wie der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider offenkundig Gesetze nicht einhält. All dies wurde x-mal festgestellt – er tut es aber trotzdem nicht. Irgendwann geht Gesetzesbruch in Gewohnheitsrecht über.

profil: Umfragen prognostizieren deutliche Zuwächse für die rechtsnationale FPÖ ­unter Heinz-Christian Strache. Von lang­jährigen politischen Widerrednern wie dem Schriftsteller Robert Menasse und SPÖ-Intimus André Heller ist dazu kein Wort zu vernehmen. Wären entsprechende Klarstellungen nicht längst vonnöten?
Köhlmeier: An wen würden sich die Appelle denn richten? In der Regel an jene, die ohnehin nicht überzeugt werden müssen. Die prognostizierten Zuwächse entstehen nicht dadurch, dass sich Wähler von dieser Partei etwas erhoffen: Jeder weiß angesichts der bislang erfolgten Performance, dass die FPÖ gänzlich unfähig ist, Politik zu machen. Niemand glaubt ernsthaft, dass FPÖ-Mandatare die besseren Parlamentarier und Regierungsmitglieder sind – man erwartet von diesen Leuten, dass sie außerparlamentarisch agieren, das Parlament nicht ernst nehmen, die Gesprächskultur in diesem Gebäude als tatenloses Daherreden desavouieren.

profil: Untergräbt die FPÖ Ihrer Meinung nach den Parlamentarismus?
Köhlmeier: Das Programm der FPÖ besteht darin, gegen das Parlament zu sein, und daraus besteht auch ihre Attraktivität. Dieser Trend ist viel gefährlicher, als er zunächst scheint. Wir müssen uns nicht um eine rechte Partei innerhalb des Parlaments Sorgen machen. Wir müssen uns vor Antiparlamentarismus fürchten, der sich auch hinter der Anti-Europa-Stimmung verbirgt. Diese Tendenz ist antidemokratischer, als die FPÖ allein von ihrem Programm her je sein könnte. Wir haben uns mittlerweile eine falsche Vorstellung davon angeeignet, was das Parlament ist. Das Abgeordnetenhaus ist eine Institution, in der diskutiert wird, in der Politik gemacht wird, mit dem Kopf und mit dem Mund – nicht mit Steinen auf der Straße, nicht mit Waffen, die man aufeinander richtet. Aber das ist die Alternative. Es entspricht einer tief verwurzelten Intellektuellenfeindlichkeit, wenn Parteien wie die FPÖ behaupten, im Parlament werde nur herumgeredet. In Vorarlberg gibt es den Begriff des „Schnoarawackli“. Das ist einer, der Konflikte durch Reden löst. Man kann sich vorstellen, dass dies kein Ehrentitel ist.

profil: Herbert Krejci, den langjährigen Generalsekretär der Industriellenvereinigung, überkam während einer innenpolitischen Nachrichtensendung einst das Verlangen, etwas in den Fernsehschirm hineinzuwerfen. Werden auch Sie bisweilen von Wutanfällen heimgesucht?
Köhlmeier: Ich wünsche mir inzwischen pragmatische Politiker, deren Visionen sich auf Greifbares erstrecken. Die große Zukunft ist genauso eine Ausflucht wie die große Moral – dass sich eine der stimmenschwächsten Parteien des Landes „Bündnis Zukunft Österreich“ nennt, ist typisch. Mich packt die Wut, wenn Dinge geschehen, die innerhalb der fast schon langweiligen Toleranzbreite der politischen Ereignisse kein größeres Aufsehen mehr erregen – wenn unbescholtene Ausländer etwa kriminalisiert und wahllos herumgeschickt werden, wie es Haider derzeit in Kärnten vorführt.

profil: ÖVP und SPÖ hüllen sich wegen der Ereignisse ebenfalls in Schweigen.
Köhlmeier: Es macht mich zornig, wenn Parteien davor zurückschrecken zu sagen, was Sache ist, und das aus einem einzigen Grund: weil sie Angst haben vor dem Volk, dem, so Heine, „großen Lümmel“. Menschen, die angesichts der illegalen Kärntner Abschiebungsaktion klammheimlich Freude empfinden und ihre Stimme im September Haider geben werden, können doch nicht wirklich glauben, dass sich jemand, der mit Menschen so umzugehen imstande ist, ihnen gegenüber im Fall der Fälle anders verhalten würde. Ein bestimmter Prozentsatz der Österreicher ist und bleibt, so scheint es, dumm wie Bohnenstroh.

profil: Sie leben seit Jahrzehnten in Vorarl­berg. Inwiefern prägt die so genannte Provinz Ihre Perspektive auf die Politik?
Köhlmeier: Der Blick ist aus einem pragmatischen Grund ein anderer. In Vorarlberg spielt die „Kronen Zeitung“ keine Rolle. Im Supermarkt um die Ecke, in dem sämtliche österreichischen Tageszeitungen aufliegen, sind abends alle Exemplare abverkauft – außer diejenigen der „Krone“. In Vorarlberg existiert durch die Dominanz der „Vorarlberger Nachrichten“ jedoch eine Zeitungslandschaft, die von demokratischen Verhältnissen ebenfalls weit entfernt ist.

profil: In der Novelle „Idylle mit ertrinkendem Hund“, Ihrer jüngsten schriftstellerischen Arbeit, äußert eine Figur, ein profunder Literaturkenner, den Satz: „Was nicht gut im Ohr klingt, ist auch inhaltlich mangelhaft.“ Wie tönt der SP-Wahlkampfslogan „Genug gestritten“ in Ihren Ohren?
Köhlmeier: Der Satz ist nicht schlecht, eben weil er parlamentarisch ist. Genug gestritten heißt, dass man sich auf die Spielregeln des Parlaments einlässt, die da heißen: Rede, Gegenrede, Kompromiss. Wir sind leider an dem Punkt angelangt, an dem diese Form des Gesprächs in Misskredit geraten ist, nur weil am Ende der verbalen Auseinandersetzung jeder etwas von seiner Position zurückzunehmen hat – und dann Umfaller, Verräter, Weichei gerügt wird. Der Parlamentarismus ist im Prinzip eine äußerst unattraktive Demokratieform: Lange Debatten führen zu kleinen Ergebnissen. Was mich gegen Faymann einnimmt, ist sein Brief an die „Krone“. Für ihn nimmt mich ein, dass er diesen fast schon langweiligen Pragmatismus verkörpert, die Einkehr parlamentarischer Normalität.

profil: Der Protagonist in „Idylle mit ertrinkendem Hund“, ein Schriftsteller, bemerkt an einer Stelle, dass er ohne Menschenkenntnis „den Laden dichtmachen“ müsste. Hat Ihnen die Demontage Alfred Gusenbauers als Bundeskanzler durch seine eigenen Parteifreunde zu denken gegeben?
Köhlmeier: Für ihn als Person war die Sache bitter und schmerzhaft. Es ist aber kein Regierungschef außerhalb eines demokratischen Rahmens vernichtet, abgesägt, gestürzt worden – im Gegensatz zu Haider, der mit seinem Personal seit je völlig willkürlich umspringt.

profil: Gusenbauer war Co-Autor jenes Briefs an „Krone“-Herausgeber Hans Dichand, in dem die SPÖ ihre neue EU-Linie darlegte.
Köhlmeier: Gusenbauers und Faymanns Kotau vor Dichand steht außerhalb jeder demokratischen Überlegung. Unser ältes­ter Sohn hat mich damals angerufen und mir die Neuigkeit mitgeteilt, und ich habe mir gedacht: Ich möchte, dass er lügt. Diesen Brief empfinde ich als einmaligen Vorgang, viel schlimmer, als wenn ein amtierender Bundeskanzler abtreten muss. Einen Schwenk in der Politik bekannt zu geben, indem man dem Herausgeber einer Zeitung eine Epistel schreibt, ist mehr als ungustiös.

profil: Die Gründe der SP-Kursänderung in Sachen EU können Sie nachvollziehen?
Köhlmeier: Ich kann verstehen, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen kann, wenn in Österreich so und so viele Prozent der Bevölkerung gegen die EU sind. Ich war bass erstaunt, dass sich ausgerechnet die Iren zur Anti-EU-Avantgarde aufgeschwungen haben, obwohl es kaum ein Land gibt, das von der Europäischen Gemeinschaft mehr profitierte. Sollte sich herausstellen, dass die SPÖ einen scharfen Anti-Unions-Kurs einschlägt, würde ich sie nicht mehr wählen können. Das sage ich schwersten Herzens. Elfriede Jelinek hat einmal bemerkt, sie würde die SPÖ wählen, auch wenn die Partei einen Pavian als Vorsitzenden hinstellte. Zähneknirschend hätte ich ihr da zugestimmt. Sollte die SPÖ-Politik allerdings in offene EU-Gegnerschaft münden, wär’s vorbei.

profil: Den „Filz von Politik und Medien“ nennt die „Neue Zürcher Zeitung“ den Brief an Dichand. Der nächste Bundeskanzler könnte Werner Faymann heißen. Wäre nicht langsam Vorsicht angebracht?
Köhlmeier: Alle Alarmglocken müssten schrillen. Wolfgang Schüssel kann man vieles nachsagen – vor der vorgeblichen Macht der „Krone“ hat er sich nicht erniedrigt, und er ist dennoch Regierungs­chef geworden. Es ist ein Irrtum zu glauben, Dichand mache oder verhindere Kanzlerkarrieren. Viele fallen jetzt öffentlich über Gusenbauer her, obwohl er der SPÖ 2006 wieder den Kanzler gebracht hat. Das muss ihm Faymann erst nachmachen.

profil: SPÖ und ÖVP beteuern unisono, mit der Strache-FPÖ nach der Wahl keine Koalition einzugehen. Glauben Sie den Großparteien?
Köhlmeier: Ja. Die ÖVP hat es ja probiert – und festgestellt: Es funktioniert nur, wenn diese Partei nicht existent ist. Die zweite Phase der Regierung Schüssel war ein ÖVP-Alleingang mit Anhängsel. ÖVP und SPÖ spüren, dass es sich bei der Strache-Partei um eine antiparlamentarische Bewegung handelt und nicht einfach um eine rechte Partei. Der Brandstifter möchte kein Zimmer beziehen im Haus des Biedermanns. Er will dessen Haus abbrennen. Fay­mann hat sich gegen die FPÖ ausgesprochen wie vor ihm nur Franz Vranitzky. Eine Koalition mit der FPÖ wäre der Untergang der Sozialdemokratie in Österreich.

profil: Der Mythos, wonach Schüssel durch die Koalition mit der FPÖ den Rechtspopulismus in Österreich entzaubert habe, entbehrt demnach jeder Grundlage?
Köhlmeier: Der so genannte Zauber der FPÖ hat doch nur darin bestanden, dass die Menschen glaubten, diese Partei mache eine bessere Politik, indem sie die Mächtigen ermahne, für sie zu sorgen. In Wahrheit wird von der FPÖ keine Politik erwartet, sondern Parlamentsfeindlichkeit. Es ist wie in der Geschichte mit dem Bauern, dem ein Engel erscheint. Der Himmelsbote sagt dem Landwirt: Brav machst du deine Arbeit, wünsch dir was. Und der Bauer fordert nichts für sich selbst, sondern er möchte, dass die Ziege des Nachbarn verreckt. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass von der FPÖ konstruktive Politik erhofft wird – ersehnt wird Destruktives. Entzaubert würde diese Partei, wenn deren Wähler feststellten: Wir haben gedacht, die Freiheitlichen garantieren einen besseren Parlamentarismus. Sie sind aber genauso schlimm wie all die anderen.

profil: Jörg Haider hat nach eigenen Worten noch nicht entschieden, ob er bei der Nationalratswahl als Spitzenkandidat des BZÖ antreten wird.
Köhlmeier: Haider wird dazu zu feig sein, weil er ahnt, dass er Strache unterliegen wird. Etwas Jämmerlicheres, als dass der Meister gegen den Lehrling in den Ring steigt und gegen ihn verliert, gibt es nicht, und das weiß Haider.

profil: Die ÖVP schlägt im Vorwahlkampf scharfe Töne an. Innenministerin Fekter fordert eine Absenkung der Strafmündigkeit von jugendlichen Straftätern und spricht sich für eine Ausweitung der Grenzsicherung aus.
Köhlmeier: Die ÖVP will ihre Klientel bedienen. Die Grundlage dieser Haltung lautet: Ich kann nichts für euch tun, aber ich kann wenigstens dafür sorgen, dass etwas gegen andere unternommen wird. Für euch ist nichts drin, aber ich kann auf andere einschlagen. Es verschafft unter Umständen mehr Befriedigung zu sehen, wie einer die Gosch’n zerschlagen bekommt, als selber geküsst zu werden.

profil: Die SPÖ agiert derzeit verhalten. Laboriert die Partei noch an all den gebrochenen Versprechen aus dem vergangenen Nationalratswahlkampf – von den Studiengebühren bis zu den Abfangjägern?
Köhlmeier: Diese Argumentation habe ich nie verstanden. Die SP hat sich damals sicher viel zu weit hinausgelehnt und ihre Positionen im Wahlkampf als unverrückbar bezeichnet. Es ist jedoch naiv zu glauben, wenn zwei gleich starke Parteien eine Koalition eingehen, dass sich dann alle Positionen durchsetzen lassen – letztlich entspricht diese Haltung einem Standpunkt, der die parlamentarischen Spielregeln als Unsinn betrachtet, nach dem Prinzip: Ich beteilige mich nicht an dem Spiel der Kräfte, ich halte lieber meine hehren Ideen aufrecht. In diesem Sinn agieren die Grünen. Das ist eine durchaus sympathische Einstellung, sich treu zu bleiben bis in den politischen Tod. Man nimmt nirgends teil, man stößt sich nirgendwo, man wird nicht schmutzig. Das parlamentarische Geschäft ist aber ein kompromisslerisches, langweiliges, diskursives.

profil: Geben Sie dem BZÖ Chancen auf einen neuerlichen Einzug ins Parlament?
Köhlmeier: Ja, durch das Grundmandat, das Haider in Kärnten erreichen wird. Ich bekräftige meine Aussage, für die mich der scheidende BZÖ-Obmann Peter Westenthaler bereits geklagt hat: Es müssen auch die Idioten im Parlament politisch vertreten sein.

profil: In „Idylle mit ertrinkendem Hund“ zitieren Sie ein Kleist-Wort, wonach der Mensch ein „farbwechselndes Ding“ sei. Haben Sie Ihre Entscheidung für September bereits getroffen?
Köhlmeier: Allzu knapp vor der Wahl werde ich mich nicht entscheiden. Aber ich gebe hier und jetzt nicht preis, wem ich meine Stimme geben werde. Ich erachte die geheime Wahl als wichtiges Grundprinzip. Nach dem Motto: Ich bin ja auch dagegen, dass man Persönlichkeitsrechte überprüft, dem Verfassungsschutz sage ich aber zugleich alles, was dieser wissen will, ich habe ja nichts zu verbergen.

Interview: Wolfgang Paterno