Schröpft Omas und Häuslbauer

Schröpft Omas und Häuslbauer: Experten empfehlen Vermögensteuern, die alle treffen

Experten empfehlen Vermögensteuern

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Von Rosemarie Schwaiger
Mitarbeit: Martina Lettner

5131 Euro: Das ist ein Anfang, immerhin. 5131 Euro sind bisher auf das von den Wiener Grünen eingerichtete Volksbank-Konto mit der Nummer 40684361005 überwiesen worden. Empfänger ist der Verein für eine freiwillige Vermögenssteuer, und die Aktion soll beweisen, dass Österreichs Reiche durchaus willens wären, von ihrem Wohlstand etwas abzugeben. David Ellensohn, grüner Gemeinderat in Wien und Urheber der Aktion, bleibt ­realistisch: „Ich glaube nicht, dass Fiona Swarovski und Julius Meinl etwas einzahlen werden. Aber bei anderen ist die Bereitschaft da.“ Ellensohn hat nun aufmunternde Briefe an amtsbekannte heimische Geldsäcke geschickt und hofft auf mindestens 50.000 Euro Einnahmen. Das Geld soll für Sozialprojekte gespendet werden.

Man kann der Aktion nur viel Erfolg wünschen. Ein paar Spenden-Euros mehr sind in Zeiten wie diesen auf jeden Fall zu begrüßen. Und vielleicht wirkt die Aktion auf die Teilnehmer angstlösend: Wer schon einmal freiwillig Vermögensteuer bezahlt hat, schreckt sich nicht mehr so vor der Perspektive, es eines Tages unfreiwillig tun zu müssen. Geht es nach weiten Teilen der SPÖ und nach den Grünen, ist dieser Tag nicht fern. Ausgelöst vom steirischen Landeshauptmann Franz Voves, läuft derzeit eine angeregte Debatte über die Reichen und deren Beitrag zur Krisenbewältigung. Wer genau als reich zu gelten hat, wurde bisher nicht näher definiert. Dafür gibt es konkrete Vorschläge für Zeitpunkt und Art des Aderlasses. Die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller will eine Vermögenszuwachssteuer bis spätestens 2011. Ihr steirischer Kollege Voves möchte früher loslegen: „Wenn man bereit ist, sofort die Steuerreformkommission einzusetzen, könnte man bereits im Spätherbst eine politische Diskussion mit dem Ziel führen, die Reform mit 1.1.2010 wirksam werden zu lassen“, findet er. Die Wiener SPÖ beschloss vergangene Woche einen Antrag an die Regierung, so bald wie möglich eine Finanztransaktions- und eine Vermögenszuwachssteuer einzuführen.

Die ÖVP betrachtet das Treiben mit Argwohn und verweigert die Kooperation. Ausgerechnet jetzt von neuen Steuern zu reden sei ein „Quatsch-Signal“, befand Finanzminister Josef Pröll. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der in einem Interview leichte Sympathien für Steuererhöhungen zu erkennen gegeben hatte, musste auf Druck der Parteiführung umgehend abschwören. „Wir brauchen in der Krise keine neuen Steuern, weil das für die wirtschaftliche Entwicklung kontraproduktiv wäre“, sagt er im profil-Gespräch (Seite 22). Doch ganz einheitlich ist auch die Linie der Volkspartei nicht. Einige Landesorganisationen des Arbeitnehmerbundes ÖAAB finden sich nur schwer mit dem Veto ihrer Partei ab und würden viel lieber mit den Genossen gemeinsam an Rechenmodellen tüfteln.

Die Bevölkerung wäre für neue Taxen durchaus zu erwärmen, ergaben Umfragen der Meinungsforschungsinstitute market und Gallup. Über 70 Prozent der Österreicher sprechen sich für eine höhere Besteuerung von Vermögen aus. Deklarierte ÖVP-Wähler sind laut Gallup zu immerhin 59 Prozent dafür. Verwunderlich sind diese Ergebnisse nicht: So, wie die politische Diskussion derzeit läuft, muss die Mehrheit das Gefühl haben, von allfälligen Steuererhöhungen keinesfalls betroffen zu sein. Das Haus vom Papa, die Sparbücher der Oma mütterlicherseits und der Schrebergarten von Tante Erika fallen natürlich nicht unter den Begriff Vermögen. „Die Frage der Steuergerechtigkeit ist offen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann vor ein paar Tagen, „aber nicht so offen, dass sich Häuslbauer oder Sparer betroffen fühlen sollen.“ Reich sind die anderen – und die kann man ruhig schröpfen.

Ungerechtes System. Im aktuellen Politstreit ist auf allen Seiten mehr Populismus als echte Besorgnis um das Staatsganze im Spiel. Auch die gute alte Klientelpolitik lässt sich wieder einmal sehr schön besichtigen. Wolfgang Katzian etwa, Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten, gab im „ZiB 2“-Interview offen zu, dass seine Definition von Wohlstand direkt mit den Vermögensverhältnissen seiner Mitglieder korreliert. „Es wird ja hoffentlich niemand glauben, dass wir uns selber ins Knie schießen und gegen die eigenen Leute vorgehen.“

Auf einer etwas seriöseren Ebene gäbe es Gründe genug, über die Verteilung der Steuerlast in Österreich zu reden – und sie grundlegend zu verändern. Von Gerechtigkeit ist im geltenden System nämlich keine Spur. Und es sind keineswegs nur die Meinls, Flicks und Turnauers, die von den Ungerechtigkeiten profitieren. Natürlich entfacht es den Volkszorn, wenn Julius Meinl V. innerhalb einer Stunde die sagenhafte Summe von 100 Millionen Euro als Gerichtskaution lockermachen kann. Es ist mit rationalen Argumenten nicht zu erklären, dass die ­Badener Anwaltsfamilie Fries beim Verkauf ihres Aktienpakets am Edelstahlkonzern Böhler-Uddeholm rund 600 Millionen Euro verdiente und dafür so gut wie keine Steuern zahlen musste. Es kann den kleinen Mann nicht neidlos freuen, wenn er in den „Seitenblicken“ die neueste Segelyacht oder Strandvilla der Wörthersee-Erbschickeria vorgeführt bekommt oder ihm die Na­tionalbank vorrechnet, dass ein Prozent ­Superreiche nicht weniger als 20 Prozent des gesamten Geldvermögens besitzen.

Aber die Fehler im System liegen viel tiefer: Gerecht ist nämlich auch nicht, dass ein Häuslbauer für jeden Ziegelstein Steuer bezahlen muss, während der Häuslerbe dieselbe Wohnqualität nunmehr komplett steuerfrei bekommt. „Warum soll man sein Leben lang eine Art Sozialhilfe kassieren, nur weil man der richtigen Gebärmutter entschlüpft ist?“, fragte der amerikanische Multimilliardär Warren Buffett, bevor er begann, sein Vermögen zu verschenken. Die drei Kinder werden nicht leer ausgehen, aber vom Großteil des Geldes sehen sie nichts. In einem viel kleineren Maßstab gilt Buffetts Analyse für jede heimische Wohnstraße.

Fast gratis. Österreich ist ein reiches Land, in dem eine Menge Besitz angehäuft wurde. Laut einer Studie der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz liegt alleine der Verkehrswert aller privaten Wohnimmobilien bei fast 980 Milliarden Euro. Dazu kommen noch 143 Milliarden an Sparein­lagen. Doch im Steuersystem finden diese erfreulichen Ergebnisse heimischer Geschäftstüchtigkeit keinen Niederschlag. Die klassische Vermögensteuer wurde 1994 abgeschafft, die Erbschafts- und Schenkungssteuer im Vorjahr. Gewinne mit Aktien sind unter Einhaltung der einjährigen Spekulationsfrist steuerfrei. Für ganz Reiche gibt es Privatstiftungen, und die Bemessungsgrundlage zur Besteuerung von Immobilien, die so genannten Einheitswerte, wurde seit ­Jahrzehnten nicht erhöht. Entsprechend niedrig sind die Einnahmen des Staates aus vermögensbezogenen Taxen: Im Vorjahr kassierte der Finanzminister rund 600 Millionen Euro Grundsteuer, die Kapitalver­kehrssteuer brachte nicht ganz 89, die Grunderwerbssteuer 652, die (mittlerweile abgeschaffte) Erbschafts- und Schenkungssteuer 143 Millionen. Zusammen ergab das 1,5 Milliarden Euro – nur 1,4 Prozent der gesamten Steuerleistung und etwa gleich viel, wie durch die Tabaksteuer ins Budget floss. Die bösen Raucher tun dem Staat also unterm Strich genauso viel Gutes wie die Schloss-, Haus-, Wald- und Aktienbesitzer.

Mit 0,6 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind die Vermögensteuern in Österreich deutlich niedriger als im OECD-Schnitt, der bei zwei Prozent liegt. Während Einnahmen aus diesem Titel innerhalb der EU-15 seit 1980 gestiegen sind, sanken sie in Österreich zum Teil kräftig. Wenn Vermögen, wie Politiker gerne sagen, ein scheues Reh ist, hat das liebe Tier in Österreich ganzjährig Schonzeit. Gnadenlos bejagt wird dafür jeder, der sein Geld mit Arbeit verdienen muss. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) kritisiert dieses Ungleichgewicht in schöner Regelmäßigkeit. „Die Abschaffung der Erbschaftssteuer sowie anderer vermögensbezogener Steuern wie der Schenkungssteuer sollten noch einmal überdacht werden“, heißt es im aktuellen, noch nicht veröffentlichten OECD-Bericht. Im Gegenzug müssten die Arbeitskosten gesenkt werden (siehe Kasten Seite 20). Den Ökonomen geht es dabei weniger um Gerechtigkeit als um volkswirtschaftliche Effekte: Wo die Arbeit bestraft und saturiertes Nichtstun belohnt wird, leidet die Leistungsbereitschaft. Warum soll man sich anstrengen, wenn der Staat fast die Hälfte des Einkommens beansprucht und es so viel preiswerter ist, auf den Herzinfarkt des Erbonkels zu spekulieren?

Eine Milliarde mehr. Die jüngste Steuerreform hätte Gelegenheit geboten, wenigstens ein paar Fehler im System zu beheben. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) präsentierte im Vorjahr ein Konzept, das eine Entlastung des Faktors Arbeit um 5,7 Milliarden Euro vorsah. Im Gegenzug empfahlen die Ökonomen unter anderem, die Grundsteuer zu erhöhen sowie die Erbschafts- und Schenkungssteuer wieder einzuführen. Allein durch die Anhebung der Einheitswerte für Immobilien ließe sich nach Wifo-Schätzung rund eine Milliarde Euro zusätzlich generieren. „Wir wollen die Abgabenquote insgesamt nicht erhöhen. Es geht um eine Strukturreform“, sagt Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller, Co-Autorin der Studie.

Die Regierung entschied sich gegen die Vorschläge, und Schratzenstaller wird derzeit von der „Kronen Zeitung“ als linke „Sektiererin“ verunglimpft. „Krone“-Eigentümer Hans Dichand und seine Familie sind aus nachvollziehbaren privaten Gründen gegen höhere Vermögensteuern – was auch Kanzler Faymann irgendwie den Spaß verdirbt. Während die SPÖ in den Ländern das fröhliche Reichen-Abschießen zelebriert, bremst die Bundespartei merklich. Nun wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die Vorschläge für eine Steuerreform erarbeiten soll. Es eilt aber nicht: Ergebnisse werden erst im Herbst 2010 erwartet. Günther Kräuter, SP-Bundesgeschäftsführer und einer der Leiter des gemütlichen Nachdenkkränzchens, verspricht schon jetzt, dass bis dahin Diskretion herrschen wird. „So eine Diskussion kann man nicht im grellen Scheinwerferlicht führen.“

Dabei müsste die heimische Politik nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Ein Blick nach Deutschland würde schon helfen. Dort wurde – von einer großen Koalition unter konservativer Führung – einiges bereits umgesetzt, was in Österreich derzeit Stoff für Klassenkampf-Rhetorik liefert. Deutsche Aktionäre müssen seit Anfang des Jahres 25 Prozent ihrer Gewinne an den Fiskus abliefern. Eine Spekulationsfrist gibt es nicht, dafür auch keine Umgehungsmöglichkeiten: Die Steuer wird dem Anleger sofort abgezogen, wenn er seinen Gewinn realisiert. Das System funktioniert wie jenes der heimischen Kapitalertragsteuer auf Sparbücher; entsprechende Expertise wäre also vorhanden. Ebenso wie in Österreich war auch in Deutschland die Erbschaftssteuer vom Verfassungsgerichtshof beeinsprucht worden. Doch anders als die Österreicher reparierten die Deutschen diese Abgabe, anstatt sie einfach abzuschaffen.

Über Erbschafts- und Schenkungssteuern wird von den Regierungsparteien hierzulande nicht einmal mehr nachgedacht. Vor zwei Jahren hatte die SPÖ unter dem damaligen Kanzler Alfred Gusenbauer den Kampf nach kurzer Gegenwehr beendet und der ÖVP den Sieg überlassen. Heute betonen Vertreter beider Parteien, dass ein Revival sinnlos wäre. Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), liefert dafür das passende Argument: „Das würde nichts bringen. Es gibt in Österreich 3200 Stiftungen, die Bemessungsgrundlage ist also fast weg“, analysiert er. Pläne der Politik, am 1994 in Kraft getretenen Privatstiftungsrecht zu feilen, sind nicht aktenkundig und wären schon aus Gründen des Vertrauensschutzes auch nicht umsetzbar, glaubt Felderer. „So ein langfristiges Konzept kann man nicht einfach ändern.“ Am ehesten anfreunden würde sich der konservative Ökonom mit Adaptionen bei der Grundsteuer. „Aber das ist eine politische Entscheidung“, weiß Felderer. „Franz Vranitzky hat das schon in den neunziger Jahren probiert und ist damit nicht durchgekommen.“

Einer der wenigen ÖVP-Politiker, die es je wagten, sich für höhere Steuern auf Grund und Boden einzusetzen, war der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol. In einem profil-Interview vor eineinhalb Jahren sagte er aber gleich dazu, warum der Rest seiner Partei damit ein solches Problem hat: „75 Prozent der Österreicher leben in den eigenen vier Wänden. All diese Menschen betrachten das als einen Anschlag auf sie. Außerdem betrifft die Grundsteuer ja auch die Landwirtschaft.“

30 Jahre sparen. So schwappt die Debatte seit Jahrzehnten ergebnislos zwischen den Lagern hin und her. Die SPÖ freut sich über jeden Anlass, den Reichen mit Hammer und Sichel zu drohen, die ÖVP gefällt sich als Beschützerin von Bauern und Familiendynastien. Vertreter beider Parteien bekommen feuchte Augen vor Rührung, wenn sie das Loblied auf den kleinen Hausbesitzer anstimmen, dem unter gar keinen Umständen etwas weggenommen werden darf.

Währenddessen wird ganz normale Arbeit immer mehr zu einem vernachlässigbaren Detail bei der finanziellen Lebensplanung. Der geldwerte Vorteil eines geerbten Einfamilienhauses etwa lässt sich in einem normalen Arbeitsleben nicht aufholen. Ein neues Eigenheim ohne Schnickschnack in durchschnittlicher Lage ist unter 300.000 Euro kaum zu haben. Wer es mit dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines österreichischen Haushalts von etwa 28.000 Euro (und ohne geerbtes Geld) selbst bauen muss, kann sich auf mindestens dreißig entbehrungsreiche Jahre einstellen. Warum die Erben nicht wenigstens einen kleinen Teil ihres immensen Startvorsprungs an die Allgemeinheit abliefern sollen, ist eigentlich nicht zu begründen. Auch Unterschiede im Verwandtschaftsgrad, die das frühere Gesetz machte, sind unlogisch: Für den Begünstigten spielt es keine Rolle, ob er seine sorgenfreie Zukunft der Mama oder dem Schwippschwager verdankt.

Markus Beyrer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, will über all das gar nicht nachdenken. Jede neue Steuer wäre ihm zu viel: „Österreich ist schon ein extrem umverteiltes Hochsteuerland.“ Das stimmt, aber eben nur für Einkünfte aus Lohnarbeit. Das Joanneum Research hat vor Kurzem drei fiktive Familien mit je zwei Kindern und zwei arbeitenden Elternteilen verglichen. Ergebnis: Die Familie mit dem niedrigsten Bruttobezug von 950 Euro bringt es dank üppiger Sozialleistungen auf ein Haushaltseinkommen von 2800 Euro – und damit auf nur 440 Euro weniger als die bestverdienende Familie mit 3800 Euro Monatslohn. Allfällige Erbschaften würden das Bild unter Umständen noch mehr verzerren. Doch die Studie konnte das nicht berücksichtigen, weil über vererbtes Vermögen keine Zahlen existieren. „Das lässt sich seriöserweise nicht einmal schätzen“, bedauert Studienautor Franz Prettenthaler. Für die meisten Transferleistungen gibt es keinerlei Vermögensvorbehalt. Dem Staat ist egal, wie viel jemand besitzt, solange er nur wenig genug verdient.

Möglicherweise wird ausgerechnet die herrschende Wirtschaftskrise für ein klein wenig mehr Gerechtigkeit auf dem heimischen Steuermarkt sorgen. Selbst wenn die optimistischen Konjunkturannahmen stimmen, auf denen Finanzminister Josef Pröll sein Doppelbudget berechnen ließ, werden die Schulden des Staates schon in zwei Jahren einen Rekordstand erreichen. Erhöhungen bei den Lohnsteuern und Sozialabgaben sind kaum mehr möglich, also wird sich die Politik etwas anderes einfallen lassen müssen.
Treffen wird das dann nicht bloß die Reichen.