„Schub­umkehr“

Humor. Oberrabbiner Eisenberg über die Wurzeln des jüdischen Witzes

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Eine große Ausstellung mit dem Titel „Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor“ wird am 20. März im Jüdischen Museum in Wien eröffnet. Der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, 63, erzählt gern und gut jüdische Witze und ist für seine humorvollen Predigten bekannt. Neben seiner Funktion als Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde tritt er auch immer wieder als Sänger auf. Er brachte unter dem Titel „As der Rebbe lacht“ eine CD mit jiddischen Liedern und chassidischen Weisen und Erzählungen heraus. profil traf Eisenberg, sprach mit ihm über das Thema der Ausstellung und bat ihn, einige seiner Lieblingswitze zu erzählen.

profil: Herr Oberrabbiner, was ist eigentlich das Spezifische am jüdischen Humor und Witz?
Eisenberg: Was den jüdischen Humor ausmacht, ist so leicht nicht zu sagen. Sicher ist, dass das ein Humor ist, der weniger den andern heruntermacht als vielmehr Ausdruck von Selbstkritik ist. Er ist der Humor über sich selbst. Manchmal war er in der Geschichte dieses Volkes die einzige Waffe der sonst wehrlosen Menschen. Sehr oft aber verschwimmen die Grenzen zwischen jüdischem und antijüdischem Humor – vor allem dann, wenn gewisse Klischees, die über Juden herrschen, hineinverwoben sind.

profil: Klischees, die aber auch von Juden selbst in den Witzen auf die Schaufel genommen werden.
Eisenberg: Das stimmt. Aber da sind wir ein bisschen undemokratisch und sagen: Wir dürfen solche Witze erzählen, die anderen nicht.

profil: Hat der jüdische Humor auch religiöse Wurzeln?
Eisenberg: Im Talmud heißt es schon, dass man einen religiösen, ernsten Vortrag mit einem Witz beginnen soll, weil man damit die Aufmerksamkeit der Schüler an sich bindet. Ein Talmud-Vortrag, der nur aus Witzen besteht, ist allerdings kein guter Vortrag. Und schon bei der Geburt des zweiten unserer Stammväter, Isaak/Jitzchak, waren die Eltern Abraham und Sarah schon sehr alt – sie 90, er 100. Als man ihnen vorgesagt hatte, dass sie noch ein Kind haben werden, lachten beide – der Name Jitzchak bedeutet tatsächlich „(er wird) lachen“. Sarah wird kritisiert, weil sie ungläubig lachte; Abraham nicht – er lachte angeblich aus Freude. Da sehen wir: Lachen kann verschiedene Wurzeln haben.

profil: Die Juden waren bis ins 19. Jahrhundert bekannt dafür, schlagfertig zu sein; für besonders humorvoll wurden sie nicht gehalten. Diesen Ruf haben sie sich also erst vor nicht so langer Zeit erworben. Wie kommt das?
Eisenberg: Das liegt vor allem daran, dass in der Moderne die Nichtjuden erstmals am jüdischen Witz teilhaben konnten. Das war vorher nicht der Fall. Im 19., aber dann noch stärker im 20. Jahrhundert wurden Juden Kabarettisten, Showmen, Comedians, Filmemacher. Wir sind quasi vom traurigen zum fröhlichen Volk geworden …

profil: … das weltweit führend in der Witz- und Humorproduktion ist.
Eisenberg: Ja, da stellt sich eine Frage – bei Woody-Allen-Filmen sagt jeder: „Das ist jüdischer Witz.“ Bloß, wenn man genau hinsieht, haben vielleicht nur zehn Prozent der Handlung in seinen Filmen irgendetwas mit Judentum zu tun. Und dennoch empfindet man die restlichen 90 Prozent ebenfalls als jüdisch. Was steckt dahinter? Ich bin noch immer auf der Suche nach einer Antwort.

profil: Faktum ist, und das zeigt die Ausstellung so eindrucksvoll, dass der jüdische Humor einen Siegeszug in der ganzen Welt antrat. Vielleicht gelten noch die Briten als ähnlich witzbegabt. Sonst aber sind die Juden die Einzigen, denen man besonderen Witz nachsagt. Wie erklären Sie sich das?
Eisenberg: Ich sage es sehr ungern: Aber die Juden sind gut in fast allem, was sie tun. Als es vor dem Krieg an die 200.000 Juden in Wien gab, stellten sie überproportional viele Ärzte, Journalisten, Advokaten und Wissenschafter. Dafür werden sie auch bewundert. Diese Bewunderung birgt aber auch eine Art Philo-Antisemitismus in sich, den ich eigentlich nicht mag.

profil: Dürfen und können Nichtjuden jüdische Witze erzählen, und wenn ja, wie?
Eisenberg: Man darf schon, man soll aber schauen, ob der Witz verletzend ist. Da gilt es aufzupassen. Auch bei der Wortwahl. Manchmal glauben Nichtjuden, jiddisch zu sprechen, und verballhornen nur die deutsche Sprache. Das kann dann manchmal sehr unsympathisch werden. Das Jiddisch, das Nichtjuden verstehen, ist ja nicht das echte. Aber solch einen Jargon hat man im Wien der Zwischenkriegszeit tatsächlich gesprochen. In diesem Idiom erzählte etwa auch Fritz Muliar seine Witze. Und auch heute noch wird in den Kammerspielen vielleicht jedes dritte Stück mit jüdischem Humor und dieser Art Sprache unterlegt. Aber ich möchte schon noch sagen: Humor ist letzten Endes doch eine ernste Sache: Er bringt doch Befreiung aus einer Spannung. Ich habe das einmal Schubumkehr genannt, was in der Fliegerei sehr gefährlich ist. Man glaubt, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen, und merkt plötzlich, dass es ganz woanders hingeht. Das ist dann die Pointe.

Jüdische Witze
Der Rabbiner sitzt mit dem Pfarrer ­zusammen, der ein Schinkenbrot isst. Fragt der Pfarrer, der den Rabbi ein wenig pflanzen will: „Wann werden Sie endlich Ihre ­alten Speiseverbote aufgeben und einmal Schinken essen?“ Antwort: „Bei Ihrer ­Hochzeit, Hochwürden.“

Klagt ein Jude seinem Freund: „Ich kann die jüdischen Witze nicht mehr hören, kannst du mir nicht einen anderen erzählen?“ „Klar“, sagt der Freund: „Treffen sich zwei Chinesen und gehen in Peking spazieren. Da fragt der eine den andern: ,Wie war die Bar-Mizwa von deinem Sohn?‘“

Was ist der Unterschied zwischen einer ­italienischen Mamma und einer jüdischen Mamme? Die italienische Mamma sagt zum Kind: „Wenn du die Spaghetti nicht aufisst, bring ich dich um.“ Die jüdische Mamme: „Wenn du die Knödel nicht aufisst, dann bring ich mich um.“

Blau führt einen Prozess, hat aber nicht die Zeit, im Gerichtssaal zu bleiben. Er sagt seinem Anwalt: „Bleiben Sie da und berichten Sie mir dann.“ Blau bekommt ein Telegramm: „Die gerechte Sache hat gesiegt.“ Er schreibt zurück: „Sofort Einspruch erheben.“

Beklagt sich ein Jude bei Gott: „Herr, was soll ich tun? Mein Sohn will sich taufen lassen.“ Darauf Gott: „Mach es so wie ich. Schreib ein neues Testament.“

Die Schwiegermutter ist auf Besuch. Fragt der Schwiegersohn: „Wie lange wirst du diesmal bei uns bleiben?“ – „Solange ihr wollt.“ – „Aber auf einen Kaffee kannst du schon bleiben.“

Ich hatte ein bisschen mehr Grippe als notwendig. Ein Mitglied des Gemeindevorstands kommt mich besuchen und sagt: „Herr Rabbiner, wir hatten gestern eine Sitzung im Vorstand, und wir beschlossen mit sieben zu vier Stimmen, Ihnen gute Besserung zu wünschen.“ Da sagte ich: „Das ist sehr lieb von Ihnen. Ich hätte gern drei solche Mitglieder wie Sie in meiner Synagoge.“ Er war nicht gerade ein großer Freund von mir. Meine Worte waren ihm peinlich, und er sagte irritiert: „Herr Rabbiner, so gut sind wir ja auch wiederum nicht.“ Ich erwiderte: „Mir wären lieber nur drei solche Mitglieder wie Sie. Leider habe ich zumindest 30 solche.“

Georg Hoffmann-Ostenhof