Schulstreit

Schulstreit: Klassenkampf

Klassenkampf

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Die Wiener Stadtschulrätin Susanne Brandsteidl eilt von Schule zu Schule, stellt sich weinenden Kindern, empörten Eltern und verzweifelten Lehrern und ist „froh, wenigstens den normalen Unterricht aufrechtzuerhalten“.

Einige Schulen sind schwarz beflaggt, weil Zusatzangebote wie Eislaufen, Ausdrucksmalen oder Projektwochen von einem Tag auf den anderen gestrichen wurden. Elternvertreter bieten an, die Lieblingslehrer ihrer Kinder aus eigener Tasche zu bezahlen.

Am vergangenen Montag räumten über tausend Lehrer ihre Zimmer und verabschiedeten sich in die Pension. Viele andere wechselten an eine fremde Schule, um dort entstandene Lücken zu schließen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl droht, die Republik zu klagen, und bedauert, nicht schon „viel früher geschrien“ zu haben.Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer kalmiert und will die Situation „nicht überdramatisieren.“ Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der die Gelder für die Landeslehrer in Wien überprüft, genehmigt und auszahlt – oder auch nicht, weil sie seiner Auslegung des Finanzausgleichplans nach zu hoch sind –, schweigt vornehm.

Währenddessen sind die Schuldirektoren damit beschäftigt, die Auswirkungen des Lehrerschwunds in erträglichen Grenzen zu halten. Helmut Rauch leitet die Hauptschule in der Herzgasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Vergangenen Montag musste er fünf seiner erfahrensten Lehrer an eine andere Hauptschule ziehen lassen, wo sich auf einen Schlag acht Lehrer in die Frühpension verabschiedet hatten. Nun stand Rauch vor der „schmerzlichen Aufgabe, sich von einigem trennen zu müssen“: So waren die insgesamt 21 Klassen – Ausländeranteil: 90 Prozent – in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik bisher von zwei Lehrern unterrichtet worden. Künftig wird das die Ausnahme sein. Sprachlich schwächere Kinder und Minderbegabte werden es, „ganz allgemein gesprochen, schwerer haben, dem Unterricht zu folgen“, fürchtet Rauch.

Schuld daran ist zunächst eine Gesetzeslücke. Eine Bestimmung aus dem Jahr 1998 ermöglicht es Lehrern, im Alter von 55 bis 60 um Frühpensionierung anzusuchen. Die im vergangenen Sommer beschlossene Pensionsreform, die künftigen Rentnern erhebliche Nachteile bringt, löste eine regelrechte Lawine aus: Bis zum Stichtag 1. Dezember entschlossen sich österreichweit mehr als 3000 Lehrer, noch schnell nach den alten Regeln in Pension zu gehen. Allein in Wien verabschiedeten sich 1075 Unterrichtende.

Unterrichtsministerin Gehrer zog sich aus der Affäre, indem sie von den Landesschulräten einen Persilschein verlangte, dass der Genehmigung zum Vorruhestand keine dienstrechtlichen Bedenken gegenüberstünden. Im Wiener Stadtschulrat war man jedoch davon ausgegangen, dass alle frei werdenden Posten nachbesetzt werden können. Nun heißt es seitens der Regierung, Wien sei in den vergangenen Jahren beim Abbau der Dienstposten, wie er im Finanzausgleich im Jahr 2000 in einem Dreistufenplan festgeschrieben wurde, säumig gewesen und beschäftige mehr Lehrer, als der Finanzausgleich vorsehe. Für Gastarbeiterkinder, Deutschförderkurse, Ganztagsschulen und Behindertenintegration erhalte Wien zudem ohnedies eine Sonderfinanzierung für rund 600 zusätzliche Lehrer. „Wir haben keinen einzigen Dienstposten gestrichen“, verteidigt sich Unterrichtsministerin Gehrer und beruft sich dabei auf die Zahlen des Finanzministeriums.

Zahlenspiele. Und genau die sind umstritten. Wiens Bürgermeister Michael Häupl interpretiert den Finanzausgleichsplan nämlich völlig anders. Häupl argumentiert, dass Grasser den Vertrag mit den Ländern, wie viele Lehrer bezahlt werden, im vergangenen Jahr einseitig geändert habe. „Die zusätzlichen Lehrer, die wir in Wien angestellt haben“, sagt Häupl, „bezahlen wir aus unserem Sozialbudget.“ Aber das seien nicht 700, wie Grasser behauptet, sondern höchstens 70. Und im Übrigen, so der Wiener Bürgermeister, hätten auch andere Bundesländer Scherereien mit dem Finanzminister. Der Konflikt betreffe nicht nur Wien. Er melde sich nur am lautesten zu Wort.

Es ist ein Novum, dass Finanzbeamte mit Landesschulräten über Lehrerposten verhandeln. Bis vor einem Jahr war dies stets die Sache des Unterrichtsministeriums gewesen. Jetzt muss der Personalstand an den Schulen Karl-Heinz Grasser gemeldet werden. Und der genehmigt – oder auch nicht.
So kann sich Unterrichtsministerin Gehrer aus dem aktuellen Streit bequem heraushalten. Zum Vorwurf Häupls, der Finanzminister würde Sonder- und Bildungsurlaube in die Dienstpostenzahl zu Unrecht einrechnen – und so auf 700 Lehrer über Plan kommen –, sagt die Ministerin: „Was den Ländern als Dienstposten anzurechnen ist, steht im Finanzausgleich. Ich bin bei diesen Verhandlungen nicht dabei. Das muss Häupl schon mit Grasser ausdiskutieren.“ Wenn Wien darüber hinaus Lehrer beschäftigt, müsse die Stadt sie auch selbst bezahlen.

Mitschuld. Auch nach Ansicht der grünen Wiener Gemeinderätin Susanne Jerusalem treffe die Wiener SP zumindest eine „Mitschuld“. Häupl habe den Finanzausgleich 2000, der bereits einen Stellenabbau vorsah, unterschrieben und entsprechende Warnungen in den Wind geschlagen. „Wien hat nicht so viel eingespart wie ausgemacht und überdies mit den nun vom Finanzministerium ausbleibenden Geldern fix gerechnet, statt Alarm zu schlagen“, so Jerusalem.

Häupl kontert, er habe den Finanzausgleich des Jahres 2000 bloß mit Vorbehalt unterschrieben, also bereits frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass es bei den Lehrern zu Problemen kommen wird.

Eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht. Häupl will die Causa jedenfalls ausfechten: „Wenn es Schwierigkeiten bei der Auslegung des Finanzausgleichsgesetzes gibt, sehen wir uns beim Obersten Gericht wieder.“