Schund und Bühne

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Die Renaissance der Löwinger-Bühne kommt für die meisten Beobachter völlig überraschend. Man hatte sich eigentlich längst damit abgefunden, dass die heiteren Intrigen- und derben Verwechslungsschwänke des traditionsreichen Volkstheaters nicht mehr ganz dicht am Puls der Zeit waren. Doch in einem Akt ausgleichender Fröhlichkeit sorgte das gut eingespielte, nie um eine drollige Volte verlegene FPÖ-Ensemble vergangene Woche für die Wiederbelebung der altehrwürdigen Kunstform der Groteske – nicht als Kultur-, sondern als Politspektakel.

In der Hauptrolle: der langjährige Publikumsliebling Jörg Haider, der es auch diesmal nicht schaffte, sich, wie vielfach angedroht, aus dem Geschehen herauszuhalten. „Ich habe keine Ambitionen, und in der Regel passiert das, was ich will“, erklärte der Intendant, Dramaturg und Selbstdarsteller in Personalunion und hatte damit die ersten Lacher auf seiner Seite. Zwei Tage später kündigte Haiders in vielen Wechselfällen erprobter Sidekick Dieter Böhmdorfer seinen Rückzug an; seit der Königskobra Joan Collins im unvergessenen „Denver Clan“ hat niemand mehr so schmallippig beteuert, keinesfalls beleidigt zu sein. Den Bock aber schoss kurz danach der allseits beliebte und belächelte Chef-Schani Herbert Haupt ab: Von einem Mittelsmann mit Haiders Aussage konfrontiert, auch er, Haupt, werde demnächst abtreten, murmelte dieser tonlos, er wolle seinem Hauptmann nicht widersprechen. Ätsch!, quäkte Haider aus dem Off: alles nur ein Missverständnis!
Großes Gelächter im Parkett. Vorhang. Das Publikum freute sich auf die Fortsetzung, denn es wusste: Das ist erst die Pause!

Zugegeben: Selbst nach den wenig hochklassigen Löwinger-Maßstäben würde dieser Stoff höchstens für drittklassiges Amüsement reichen. Nun befinden wir uns aber in der Welt der Realpolitik, wo das Humorlevel in der Regel zwar noch niedriger angesetzt ist – und dennoch niemand herzhaft lachen mag. Unter annähernd rationalen Umständen würde man ein solches Schmierentheater nicht einmal ignorieren. Es sind dies allerdings österreichische Umstände, und mit denen ist bekanntlich nicht zu spaßen.

Nur zur Erinnerung: Die FPÖ sitzt seit über vier Jahren in der Regierung. Die FPÖ war der Grund dafür, dass die EU unmittelbar nach der schwarz-blauen Wende im Februar 2000 Sanktionen über Österreich verhängte. Die FPÖ sprengte im Sommer 2002 das Kabinett Schüssel I ohne Not in die Luft, wurde dafür bei den Neuwahlen im November schmerzhaft bestraft und von Wolfgang Schüssel mit einer Verlängerung der Partnerschaft belohnt. Die FPÖ ist bei so gut wie allen Wahlgängen seither (Ausnahme: Kärnten) ins Bodenlose abgestürzt, zuletzt vorvergangenen Sonntag bei den EU-Wahlen auf 6,3 Prozent. 6,3 Prozent: Das entspricht nach landläufiger politischer Arithmetik dem Potenzial einer Splitterpartei. Die Splitterpartei FPÖ sitzt immer noch in der österreichischen Regierung und gebärdet sich, als hätte sie überhaupt nichts zu verlieren, was schon deshalb absurd erscheint, weil die FPÖ ohnehin längst alles verloren hat – bis auf das Regierungsticket.

Der Kanzler schwieg dazu wie üblich. Diesmal hatte er allerdings sogar ein hieb- und stichfestes Alibi: Er war in Brüssel in europäischen Belangen zugange und hoffte wohl umso inständiger auf seine Kür zum neuen EU-Kommissionspräsidenten, als ihm dann wenigstens der provinztheatralische Knatsch zu Hause erspart bliebe.
Exkulpieren kann man Wolfgang Schüssel trotzdem nicht. Denn er – nicht Jörg Haider – trägt die Hauptschuld an der desaströsen Verfassung der österreichischen Regierung: weil er sie schulterzuckend hinnimmt. Als er sich mit Haider ins Koalitionsbett legte, wusste er genau um die manische Disposition des Kärntners. Er nahm sie aus Machtkalkül billigend in Kauf und tut es in Wahrheit bis heute. Wenn es ihm nur darum ging, anschaulich zu demonstrieren, wie man eine Partei durch die Taktik der Umarmung erdrückt, dann muss er sich jetzt zumindest die Frage gefallen lassen, warum er die FPÖ immer noch so innig umarmt, wo sie klinisch doch so gut wie tot scheint.

Die Freiheitlichen erregen mit ihren zusehends grotesken Selbstzerfleischungsmanövern nur deshalb noch Aufmerksamkeit, weil sie eine der beiden Regierungsparteien stellen. Diesen anhaltend widersinnigen Status verdanken sie Wolfgang Schüssel. Dass dieser als EU-Kommissionspräsident überhaupt infrage kommen konnte, ist ein Treppenwitz der jüngeren europäischen Geschichte. Frankreichs Präsident Jacques Chirac, beileibe kein sozialistisches Urgestein, hat dem Österreicher dessen Pakt mit Haider bis heute nicht verziehen. Aber vielleicht konnte sich Schüssel gerade durch seine innenpolitischen Erfahrungen seit 2000 prinzipiell für höhere EU-Weihen qualifizieren, frei nach Frank Sinatras „New York, New York“-Resümee: „And if I can make it there, I’m gonna make it anywhere.“ Zu Deutsch: Wer Haider schafft, der schafft sie alle. Vorhang.