Wahlen 2006: Schwarzes Pflegma

Schwarzes Pflegma

W. Schüssel zeigt sich unerwartet fehleranfällig

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Für eine Goldmedaille reichte es nicht, aber immerhin: Theresia Kiesl gewann 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta die Bronzemedaille im 1500-Meter-Lauf. Mittwoch vergangener Woche stellte die frühere Weltklasseathletin – mittlerweile ÖVP-Landtagsabgeordnete in Linz – ihr Know-how in den Dienst der schwarzen Sache. Vor dem Lusthaus im Wiener Prater gab Kiesl den Startschuss für die „Österreich Erfolgsstaffel“ des Personenkomitees „Wir für Schüssel“, und neun junge Damen und Herren setzten sich in Trab, um symbolisch Unterstützungserklärungen für Wolfgang Schüssel zu sammeln. Dem geladenen, rot-weiß-rot geschmückten Publikum gefiel’s, und auch Claus Raidl, Leiter des Kanzler-Fanclubs, freute sich über die gelungene Auftaktveranstaltung. In seiner kurzen Begrüßungsrede richtete der Chef des Stahlherstellers Böhler-Uddeholm dennoch eine Warnung an die Schüssel-Unterstützer: „Man darf in einem Wahlkampf nie zufrieden sein.“

In den schwarzen Kommandozentralen in Kanzleramt (Wolfgang Schüssel), Parteizentrale (Reinhold Lopatka) und Parlamentsklub (Wilhelm Molterer) dürfte sich die Zufriedenheit derzeit auch ohne Raidls Rat in Grenzen halten. Die Volkspartei hat ein paar äußerst unerfreuliche Wochen hinter sich. Nachdem es noch im Hochsommer so ausgesehen hatte, als würde die Nationalratswahl zum reinen Formalakt auf dem Weg zu Wolfgang Schüssels dritter Amtsperiode als Bundeskanzler, ist es nun vorbei mit der Gemütlichkeit. Aus einem sicher geglaubten Wahlsieg wird eine Zitterpartie.

Dabei waren es keineswegs die genialen Schachzüge der politischen Opposition, die den Stimmungsumschwung in Gang setzten. Schuld ist hauptsächlich die ÖVP selbst. Ihre Strategen, allen voran der Bundeskanzler, haben ein paar Fehler zu viel begangen.
Die Serie der Irrtümer begann bei der Debatte um ausländische Altenpfleger in Österreich. Wolfgang Schüssel, offensichtlich in der eigenen Partei daran gewöhnt, unangenehme Themen durch ein Machtwort zu beenden, erklärte lapidar: „Es gibt keinen Pflegenotstand.“ Damit sollte die Debatte vorbei sein – fing solcherart aber erst richtig an. Kurz nach Schüssels vermeintlichem Schlusswort wurde nämlich bekannt, dass die – im Vorjahr verstorbene – Schwiegermutter des Kanzlers ebenfalls von slowakischen Pflegerinnen betreut worden war. Stundenlohn: zwei bis drei Euro. Rechtsstatus: illegal. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass auch in den Familien von Bundespräsident Heinz Fischer, VP-Staatssekretär Helmut Kukacka und SP-Abgeordnetem Caspar Einem auf billiges ausländisches Personal zurückgegriffen wurde. Der Pflegenotstand ist also bis in höchste Politikerkreise virulent.

Ein noch größeres Debakel war die Wahl des neuen ORF-Generaldirektors am 17. August. Bis zuletzt hatte die Volkspartei versucht, den Koalitionspartner BZÖ zur Wiederwahl von Monika Lindner zu bewegen. Doch die orangen Stiftungsräte blieben hart und erkoren – gemeinsam mit den Vertretern von SPÖ, Grünen und FPÖ – den der SPÖ nahe stehenden Alexander Wrabetz zum neuen Generaldirektor. Die Niederlage wäre wahrscheinlich vermeidbar gewesen, wenn VP-Mediensprecher Wilhelm Molterer rechtzeitig auf einen anderen, auch für das BZÖ wählbaren Kandidaten umgeschwenkt wäre. Schon Monate vor der ORF-Wahl hatten manche in der Partei davor gewarnt, mit Lindner und dem umstrittenen Chefredakteur Werner Mück in die Abstimmung zu gehen. Aber die Gemengelage war kompliziert, wie ein schwarzer Nationalratsabgeordneter verärgert berichtet: „Die Niederösterreicher und Raiffeisen wollten unbedingt an Lindner festhalten, die anderen an Werner Mück. Als kleinster gemeinsamer Nenner sind wir dann mit beiden angetreten, und das musste schief gehen.“

Disziplin. Die VP-Schlappe im ORF bewegt die österreichischen Journalisten wahrscheinlich mehr als das Wahlvolk. Doch auch wer sich nicht für die Personalien auf dem Küniglberg interessiert, hat die atmosphärischen Störungen mitbekommen. „Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist weg“, seufzt ein schwarzer Funktionär.
Unter Parteiobmann Wolfgang Schüssel sind die Schwarzen viel zu diszipliniert, um so kurz vor der Wahl eine öffentliche Debatte über die eigenen Unzulänglichkeiten anzuzetteln. Aber ein paar grantige Wortmeldungen gab es doch. „Diejenigen, die die Fehler gemacht haben, hoffe ich, merken das auch“, meinte etwa der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll in einem Interview mit der Illustrierten „News“. VP-Nationalrat Ferdinand Maier fasste die Leistungen seiner Kollegen in der Causa ORF gegenüber profil ebenfalls nicht sehr freundlich zusammen: „Die Geschäftsführung eines Würstelstandes beim Wiener Stadtfest wird professioneller vorbereitet.“
BZÖ-Chef Peter Westenthaler ist dagegen mächtig stolz auf die Niederlage, die seine Stiftungsräte dem mächtigen Koalitionspartner beigebracht haben. „Wir sind ein starker Faktor in der österreichischen Innenpolitik“, behauptete Westenthaler selbstbewusst. „Mut gewinnt“ steht auf den BZÖ-Werbeplakaten – ein Slogan, mit dem sich die Partei bis vor Kurzem wohl nicht unter die Leute getraut hätte.

Westenthalers krawalliger Auftritt im ORF-„Sommergespräch“ samt seinen Attacken gegen Noch-Rundfunkchefin Monika Lindner haben ihn in der Volkspartei zur Persona non grata gemacht. „Wenn man an der 4-Prozent-Grenze herumtanzt, dann fängt man eben an herumzuschlagen“, sagt der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer. Die Ironie der Geschichte: Noch Anfang August hatte Wolfgang Schüssel den BZÖ-Chef gleichsam als Chevalier mit Eignung für hohe Ämter charakterisiert. Schüssel in den „Salzburger Nachrichten“: „Selbstverständlich ist Peter Westenthaler qualifiziert für eine Aufgabe, ob als Klubobmann, als Parteivorsitzender oder als Regierungsmitglied.“
Doch Westenthaler hat nun Blut geleckt. Er gefällt sich in der Rolle des Koalitionsrevoluzzers. Als die ÖVP jüngst eine Legalisierung der illegal in Österreich arbeitenden Pflegekräfte vorschlug, wollte der BZÖ-Obmann nicht einmal darüber diskutieren. „Abgelehnt“, beschied er der ÖVP – eine virtuelle Verweigerung, denn der politische Einfluss des BZÖ wird nach den Wahlen wohl erheblich kleiner.

Barriere. In den Planspielen der ÖVP dient das BZÖ derzeit nicht als potenzieller Koalitionspartner, sondern als arithmetische Barriere gegen eine rot-grüne Koalition. Je mehr Parteien im Parlament vertreten sind, desto eher wird die ÖVP weiterregieren, sollte sie wieder Erste werden. Das Worst-Case-Szenario aus schwarzer Sicht: BZÖ und die Liste Hans-Peter Martin verpassen den Einzug ins Parlament. Liegt die SPÖ nur knapp hinter der Volkspartei, die Grünen aber deutlicher vor der FPÖ, könnte es zum ersten Mal seit Bruno Kreiskys SPÖ-Alleinregierung wieder eine Mehrheit links der Mitte geben. Rund 46 Prozent der Stimmen würden für eine – wenn auch knappe – Mandatsmehrheit reichen. Derzeit liegt Rot-Grün laut aktueller profil-Umfrage genau bei diesem Wert. Die SPÖ kommt auf 35, die Grünen auf elf Prozent. Die ÖVP-Werte haben mit 39 Prozent leicht nachgegeben.
Später als die Konkurrenz wird die ÖVP erst am kommenden Samstag ihren Intensivwahlkampf starten – und dabei voll auf den Kanzlerbonus setzen. Wolfgang Schüssel soll den Wählern als Seelsorger für alle Probleme präsentiert werden. Vielleicht sitzen schon bald sechs Parteien im Parlament, und in diesen unübersichtlichen Zeiten stehe nur der Regierungschef für Stabilität und Kontinuität. Am Freitag vergangener Woche präsentierte Werbeleiter Reinhold Lopatka zwei Plakate. „Österreich. Bleibt besser“, heißt es auf einem. Auf dem zweiten posiert Schüssel für den Slogan „Sicher. Österreich“.
Auf die Bawag-Affäre allein kann sich die Volkspartei im Wahlkampf nicht mehr verlassen. Das Thema ist aus den Schlagzeilen weitgehend verschwunden. Eventuelle weitere Enthüllungen hängen jetzt hauptsächlich von der Staatsanwaltschaft ab. Aus ÖVP-Sicht wäre es sehr vorteilhaft, wenn der Skandal noch einmal richtig hochkocht, meint der Politologe Fritz Plasser: „Aber die Volkspartei kann das nicht steuern.“

Sollten keine neuen brisanten Bawag-Details auftauchen, müsste sich die ÖVP doch noch ein Sachthema für den Wahlkampf suchen, empfiehlt der Experte. In der Pflegedebatte sei nichts mehr zu gewinnen. „Das gehört nicht zu den Kompetenzfeldern der ÖVP“, meint Plasser.
Trotz des verpatzten Vorwahlkampfs ist die Ausgangslage der Schwarzen noch kein Grund zur Verzweiflung. In sämtlichen Meinungsumfragen liegt die ÖVP – mehr oder weniger komfortabel – vor der SPÖ. Und das, obwohl die Volkspartei noch gar nicht angefangen hat, ihre Kampagnenmaschinerie in Gang zu setzen. Außerdem könnten die jüngsten Dämpfer zu einem Motivationsschub für die Funktionäre werden. Auf dem Höhepunkt der Bawag-Krise hatte das eigene Personal bereits deutliche Anzeichen von Übermut gezeigt. Jetzt wurden alle daran erinnert, dass auch eine Pole-Position nicht vor bösen Überraschungen schützt.

Die jüngsten Stimmungsdämpfer sollen mit dem Wahlkampfauftakt am Samstag in Graz überwunden werden. Statt Schwarz wird dort Rot-Weiß-Rot dominieren. Nach der Rede von Spitzenkandidat Wolfgang Schüssel plant die Partei in der Herrengasse ein Österreich-Fest mit „steirischen Schmankerln“. Witzbolde in der ÖVP glauben angesichts des Programms an die vorgezogene Präsentation eines schwarzen Überraschungskandidaten. Der Stargast des Abends laut offizieller Einladung: Toni Polster.

Von Gernot Bauer und Rosemarie Schwaiger