Schwindel mit der Schweinegrippe

Schwindel mit der Schweinegrippe: Ist die Aufregung ein Coup der Pharmaindustrie?

Ist die Aufregung ein Coup der Pharmaindustrie?

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Von Bert Ehgartner

Seit einer Woche werden in den Spitälern die Angehörigen der Gesundheitsberufe gegen die neue H1N1-Influenza geimpft. Ab nächster Woche ist die Normalbevölkerung an der Reihe. Doch die Vorbildwirkung der Ärzte ist nicht gerade enorm. Johann Machula, Betriebsarzt im Wiener AKH mit insgesamt knapp 9000 Beschäftigten, hatte für seine im ganzen Haus bekannt gegebenen Impftermine vergangene Woche zweimal nachmittags geöffnet. Und obwohl er wegen der Erkrankung seines Kollegen allein war, kam er mit dem Ansturm zurecht. „Es war bislang eine bedauernswert geringe Anzahl Impfwilliger hier“, sagt er. Seinen Vorrat von 2400 Impfdosen wird er „bestenfalls zur Hälfte“ verbrauchen können.

In Oberösterreich wollen sich nach einer Erhebung von Landessanitätsdirektor Stefan Meusburger nur 3000 von 55.000 Ärzten, Krankenschwestern, Apothekern und sonstigen Spitalsmitarbeitern impfen lassen. Auch in den anderen Bundesländern sieht es derzeit nicht so aus, als ob die 10-Prozent-Rate übertroffen werden könnte. „Viele Ärzte sehen sich als Versuchskaninchen“, sagt Wilhelm Sedlak, Impfreferent der österreichischen Ärztekammer. „Schuld daran ist die mangelnde Vorbildwirkung der Abteilungsvorstände.“

Tatsächlich ist in den Führungsetagen der Krankenhäuser die Skepsis groß, ob Margaret Chan, die Generaldirektorin der WHO, richtig gehandelt hat, als sie am 10. Juni die höchste Pandemie-Alarmstufe 6 verkündete und damit den Impfstoffproduzenten weltweit grünes Licht gab. Werner Aberer etwa, Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Dermatologie, war bislang erst ein einziges Mal bei der Influenza-Impfung – vor zwei Jahren, als die Grazer Klinikleitung jedem der 4000 Bediensteten, der zur Impfung kam, eine Autobahn-Vignette schenkte. „Da habe ich mich kaufen lassen“, gesteht Aberer. „Aber ansonsten sehe ich die Bedeutung nicht. Die WHO hat hier ordentlich übers Ziel geschossen.“

Ähnlich die Haltung des Wiener Gynäkologen Werner Grünberger. Er sieht die Pandemie eher als Ergebnis von heftigem Lobbying denn als medizinische Notwendigkeit. „Weder dem Fetus noch dem Embryo noch der Frau selbst entsteht im Normalfall ein Schaden, wenn eine Schwangere an Schweinegrippe erkrankt“, glaubt Grünberger. „Ich habe mich als Primar der Rudolfstiftung zweimal vorbildhaft impfen lassen“, erzählt er. „Danach war ich jedes Mal für Wochen krank. Nein danke, so was brauche ich nicht mehr.“ Eine Beobachtung, die auch Hellmut Samonigg, Vizerektor der Medizinischen Universitätsklinik Graz und Leiter der Abteilung für Onkologie, teilt. „In meinem Umfeld habe ich beobachtet, dass die Geimpften eher anfällig für Infekte sind“, erklärt Samonigg. „Ich habe mich nie gegen Influenza impfen lassen und werde das auch bei der neuen Grippe nicht tun.“

Hartmut Glossmann, Vorstand des Instituts für Biochemische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, rät seinem Umfeld statt zur Influenza-Impfung lieber zu Vitamin-D-Präparaten, um das Immunsystem zu stärken. „Denn die Influenza ist nur dann ein Problem, wenn die Abwehrkräfte wegen des winterlichen Mangels an Sonnenlicht darniederliegen.“ Sylvia Schwarz wiederum, Leiterin der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin im Krankenhaus Hietzing, ging zwar zur normalen Grippe­impfung. Die empfohlenen zwei Injektionen mit dem Pandemie-Impfstoff verweigert sie hingegen. „Ich finde die ganze Aktion für sehr übertrieben und halte es hier, so wie viele Kollegen, mit Wolfgang Graninger.“

Bärendienst. Bereits im September hatte der Leiter der Infektionsabteilung am Wiener AKH der Impfbewegung einen Bärendienst erwiesen, als er statt der Impfung die Viren selbst als „Wohltat für die Menschheit“ bezeichnete. Zumindest für jene, die keiner Risikogruppe angehören. „Wer sich mit der neuen Grippe ansteckt“, verkündete Graninger im Ö1-„Mittagsjournal“, „baut eine bessere Immunität gegen zukünftige und gefährlichere Formen der Grippe auf.“

Die Pandemie als eine Art heilsamer Lebendimpfung? Ingomar Mutz, Leiter des Impfausschusses im Obersten Sanitätsrat, zeigt sich erschüttert über diese und ähnliche ärztliche Stellungnahmen. „Da wird gesagt, sie halten die Impfung für unnötig, sie schützen sich mit Homöopathie, oder sie gehören nicht zur Risikogruppe“, schimpft Mutz. „Dass sie dadurch aber ihre Patienten gefährden, vergessen viele.“ Auch Heinz Ludwig, Vorstand der Onkologie am Wiener Wilhelminenspital, hält die Impfung, speziell für Mitarbeiter auf Krebsstationen, für ein Muss. Dass die Geimpften wegen der neuartigen Impfstoffe zu Versuchskaninchen werden, weist er zurück. „Je kleiner der Horizont, desto größer ist anscheinend die Angst vor Innovationen.“

Immer stärker thematisiert wird in den letzten Jahren die finanzielle Verflechtung vieler Impfexperten mit den Herstellern. Erstmals wurde im Pandemie-Beirat nun eine Erklärung von den 46 Mitgliedern verlangt, in der sie ihre finanziellen Beziehungen offenlegen mussten. „Etwa ein Drittel hat solche potenziellen Interessenkonflikte angegeben“, sagt Franz Leisch, der als Vertreter des Gesundheitsministers Alois Stöger an den Besprechungen teilnahm.

„Von vielen Experten der alten Schule wird so etwas aber überhaupt noch nicht als Problem gesehen“, sagt Franz Piribauer, Österreich-Sprecher der Anti-Korruptions-­Organisation transparency international. ­Ingomar Mutz finde etwa nichts dabei, als ehrenamtlicher Präsident des ÖGK zu fungieren, einer Organisation, die sich seit vielen Jahren als Vereinigung vehementer Impf-Lobbyisten versteht. Hinter dem ÖGK verbirgt sich der in Salzburg ansässige Verein Österreichisches Grünes Kreuz für Gesundheit. „Wir organisieren seit nunmehr 19 Jahren den Österreichischen Impftag in Salzburg“, sagt Ulrike Geosits, eine von vier ÖGK-Angestellten. Gleichzeitig betreibt der Verein eine kommerziell tätige GmbH gleichen Namens, die gewinnorientiert arbeitet und deren Auftraggeber vor allem Impfstoffhersteller sind. Konfrontiert mit diesem potenziellen Inter­essenkonflikt meint Mutz: „Ich bin kein Ideologe, mein Engagement für Impfungen kommt eben aus der langjährigen Erfahrung als Klinikarzt, wie schlimm es ungeimpften Kindern ergehen kann.“ Sicher, sagt Mutz, nehme er von allen Herstellern Honorare. Je nach Aufwand, den er für einen Vortrag betreiben müsse, liege das aber höchstens bei tausend Euro. „Und Einfluss auf das, was ich sage, hat der Sponsor nie.“ Piribauer hält dem entgegen, dass es bedenklich ist, „wenn ein Vorsitzender des Impfausschusses gleichzeitig einer Vereinigung wie dem Grünen Kreuz vorsteht“.

Impfmuffel. Der Graben zieht sich also tief durch die ärztliche Zunft. Ein Gutteil der Ärzte hält die Influenza für eine ziemlich risikolose, leichte Erkrankung. Die Impfung sei hingegen schlecht wirksam, dafür nebenwirkungsreich. Und demgemäß zögerlich geben sich die medizinischen Laien. Nur etwa jeder fünfte Österreicher erklärt in Meinungsumfragen die Absicht, „wahrscheinlich“ oder „sicher“ zur Impfung zu gehen. Und das trotz tausender von Menschen, die laut Sozialmediziner Michael Kunze und anderen Impfexperten jährlich in der kalten Jahreszeit der Influenza zum Opfer fallen.

Doch auch diese Zahlen sind heftig umstritten. Stefan Breyer, Infektionsexperte am Wiener AKH, kann sich trotz mehr als drei Jahrzehnten Berufserfahrung an keinen Patienten erinnern, der an der Influenza gestorben wäre. „Ich habe auch auf Kongressen und Tagungen gefragt, ob vielleicht einer der Kollegen so einen Fall hatte“, erzählt Breyer. „Bislang habe ich keinen getroffen.“ Das Problematische an den Influenza-Viren sei, dass sie bei geschwächten Personen den Boden für bakterielle Nachfolgeinfektionen bereiten. „Das machen aber auch etliche andere Viren“, sagt Breyer.

Lebensgefährliche Verläufe wie bei dem elfjährigen Mädchen aus Südtirol, das in Innsbruck wegen Lungenversagen behandelt werden musste, geschehen durch eine unvorhergesehen heftige Reaktion des Immunsystems auf die Infektion. Die Hintergründe dieser Fehlreaktion werden bis heute nicht hinreichend verstanden. Klaus Connert aus Köstendorf bei Salzburg ist als erfahrener Sprengelarzt für die Impfung der niedergelassenen Kollegen zuständig. Und auch er sah in seiner langen Karriere noch nie einen Grippetoten, obwohl er als Landarzt viel mit Sterbenden befasst ist. „Diese alten Menschen wissen, dass sie problemlos übers Jahr kommen, wenn sie eine bestimmte Kälteperiode im Jänner oder Februar überstehen“, erzählt Connert. „Ob jetzt gerade eine Grippewelle durchs Land zieht oder andere Viren umgehen, spielt dabei gar keine Rolle.“ Die Sterbezahlen seien jedes Jahr ähnlich.

Allzu hoch dürfte der Effekt der Grip­pe­impfung tatsächlich nicht sein. So bringt eine Analyse der gesamten Sterblichkeit in den USA über die letzten beiden Jahrzehnte nicht das geringste Indiz dafür, dass die Influenza-Impfung auch nur einen kleinen günstigen Einfluss auf das Sterberisiko hat. Obwohl sich die älteren Menschen heute viel öfter impfen lassen und die Impfrate von 15 Prozent im Jahr 1980 auf zuletzt mehr als 65 Prozent gestiegen ist, ergab sich kein Rückgang bei den influenzabedingten Sterbefällen. Im Gegenteil – die Zahl nahm sogar leicht zu. Wie viel die Impfung bringt, sei schon bei der normalen Grippe ein Rätsel, noch viel mehr gelte das für den Pandemie-­Impfstoff. „Ob die Impfung wirkt, ist leider bis heute eine Glaubensfrage geblieben“, sagt die Wiener Sozialmedizinerin Claudia Wild, „es gibt dafür wenig Belege.“ Der Verdacht liege nahe, meint zumindest Wild, dass die Pandemie vor allem als Konjunkturbelebungsprogramm für die Impfstoff­industrie inszeniert wurde.

Schwachsinn. Angesichts von Malaria, Tuberkulose und Durchfallkrankheiten, die vor allem in den Entwicklungsländern Abermillionen an Todesfällen verursachen, wundern sich viele Experten über die enorme Bedeutung, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO vergleichsweise harmlosen Erregern wie den Influenza-Viren zumisst. Immer wieder wird hier zur Rechtfertigung der Gefahr die katastrophale Pandemie des Nachkriegswinters 1918/19 zitiert. „Das ist allerdings ein ziemlich schwachsinniger Vergleich“, sagt Infektionsexperte Breyer. „Damals herrschte in weiten Teilen der Welt Hungersnot, es gab keine Intensivtherapie nach heutigem Standard, und die Antibiotika waren noch gar nicht erfunden.“

Den Zeitgeist der letzten Jahre bestimmten dennoch Experten wie das „Influenza-Mastermind“ Michael T. Osterholm vom Zentrum für Infektionskrankheiten der Universität Minnesota, der im Jahr 2005 im „New England Journal of Medicine“ prophezeite: „Sogar in einer milden Pandemie wird der Verlust an Menschenleben gewaltig sein, und die Weltwirtschaft wird für viele Jahre in Scherben liegen.“ Ähnliche Kassandrarufe kamen weltweit in beeindruckender Regelmäßigkeit. Und auch die WHO definierte eine Pandemie viele Jahre lang als Ausbruch einer neuen Krankheit, „die eine enorme Anzahl von Kranken und Toten fordert“. Nur einen Monat bevor die Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan, die höchste Pandemie-Warnstufe verkündete, verschwand diese Definition jedoch plötzlich von der Website der WHO. Nun galt als Pandemie nur noch die Voraussetzung einer „breiten räumlichen Ausdehnung einer neuen Infektionskrankheit“.

Doch nicht einmal das Kriterium einer neuen Virenmutation scheint wirklich erfüllt. Weltweit zeigt sich, dass ältere Menschen zu einem hohen Anteil immun gegen die Schweinegrippe sind, diesen Viren also in der Vergangenheit schon begegnet sind. In Österreich kam es nach der Statistik des Gesundheitsministeriums bisher erst zu sechs Erkrankungsfällen bei Personen im Alter von über 60 Jahren. Peter Pachner, der seit 1980 als Public-Health-Experte in verschiedenen Dienststellen der WHO von Genf bis Jakarta tätig war, glaubt nicht an einen Zufall. „Wir haben eine fatale Wechselwirkung von Pharmaindustrie und Profilierungssucht, alles unterstützt von Medien, die den nahen Weltuntergang prophezeien.“ Anstatt sich weltweit für Fairness in der Gesundheitsversorgung einzusetzen, sei der Weg immer mehr in Richtung Aktionismus gegangen. „Politik braucht eben spektakuläre Ereignisse, und die Ausrottung der Pocken war diesbezüglich wesentlich eindrucksvoller als die mühsamen Investitionen in medizinische Versorgung.“

Spätestens nach dem Ende der Ära von Gro Harlem Brundtland als WHO-Chefin im Jahr 2003 seien Konzepte zur langfristigen systematischen Verbesserung der Gesundheitslage in den Mitgliedsstaaten verloren gegangen, klagt Pachner. „Wir haben nun in vielen Ländern Seuchenkontrolle mit militärischen Szenarien, gespickt mit permanenten Anschuldigungen, dass nicht genug kontrolliert wird.“ Eindrucksvoll bestätigt wurde dieses Bild bei einem Frankreich-Besuch der WHO-Chefin Margaret Chan. Der Versuch, sie auf die Wange zu küssen, kam bei ihr gar nicht gut an. Gegenüber TV France sagte sie verärgert, dass diese Eigenheit der französischen Kultur vollständig ihrer Vorstellung von Seuchenkontrolle widerspreche.

Lobbyismus. Durch die Etablierung von Partnerschaften wuchs der Anteil der ­„gespendeten“ finanziellen Mittel am WHO-Haushalt im letzten Jahrzehnt überpro­portional. War das Verhältnis 1998 von 842 Millionen US Dollar regulärem ­Haushalt zu 804 Spendermillionen noch halbwegs ausgeglichen, so betrugen die ­privaten Zuwendungen bereits 2004 mehr als das Doppelte des regulären Haushalts. Und damit standen den Vertretern der Industrie Tür und Tor offen. Bei allen Besprechungen zur Pandemie waren – wie selbstverständlich – auch die Impfstoffhersteller geladen.

Während in Europa zumindest noch keine Rede von einer Impfpflicht ist, preschen die Amerikaner hier stark vor. Im Bundesstaat New York wurde vergangenen August ein Gesetz erlassen, das die Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen zwingt, sich sowohl gegen Schweinegrippe als auch die normale Influenza impfen zu lassen. Andernfalls droht ihnen die Entlassung. Im September gingen die Ärzte, Schwestern und Pfleger wütend auf die Straße und demonstrierten gegen diese Zwangsmaßnahmen. Dass das Gesetz zurückgenommen wird, glaubt jedoch niemand. Im Gegenteil: Auch einige größere Kliniken in anderen Bundesstaaten haben ihren Mitarbeitern bereits mitgeteilt, dass eine Verweigerung der Grippeimpfung als Entlassungsgrund gewertet wird. Von den Gesundheitsbehörden wird derzeit offen darüber nachgedacht, diese Maßnahme als Bundesgesetz für die gesamten USA zu übernehmen.

Wie verträglich nun die drei derzeit in Europa im Eilverfahren zugelassenen Impfstoffe sind, ist im Detail nicht bekannt. Die Zulassungsstudien waren kurz und hatten zu wenige Teilnehmer, um seltene oder später auftretende Nebenwirkungen erfassen zu können. Heftige Empörung kam in Deutschland auf, als bekannt wurde, dass für die Mitglieder von Heer und Bundesregierung der Baxter-Impfstoff Celvapan bestellt wurde, für die „Normalbevölkerung“ hingegen mit Pandemrix des Konzerns Glaxo­SmithKline und Focetria von Novartis andere Impfstoffe eingekauft wurden. Beide Impfstoffe enthalten das quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal. Damit erlebt im Zuge der Pandemie eine problematische Substanz ihr Comeback, die vor beinahe zehn Jahren aus den üblichen Impfstoffen verbannt worden ist.

Das im Vergleich wie ein Bio-Impfstoff anmutende Celvapan beruht auf einer Technik, die erstmals bei einem am Markt erhältlichen Influenza-Impfstoff angewendet wurde. „Im Gegensatz zu den beiden anderen Impfstoffen, die auf bebrüteten Hühnereiern gezüchtet werden, stellen wir Celvapan durch eine neuartige Zellkulturtechnologie her“, erklärt Hartmut Ehrlich, Vorstand der Baxter AG. Damit sei endlich auch das Problem vermieden, dass Menschen mit Allergien gegen Hühnereiweiß nicht geimpft werden können.

Nebenwirkungen. Im tschechischen Baxter-Werk in Bohumil wachsen die Viren auf Zellkulturen in riesigen Fermentern heran. Diese aus den Nieren der afrikanischen Grünen Meerkatze gewonnene Zelllinie ist theoretisch unsterblich und wächst, solange sie bei richtiger Temperatur gefüttert wird. Bei einem ersten saisonalen Grippeimpfstoff, der vor einigen Jahren mithilfe dieser Technik entwickelt wurde, zeigte sich in den Zulassungsstudien eine erhöhte Fieberrate bei den Teilnehmern, und er kam daraufhin nicht auf den Markt. Diese „Kinderkrankheit“ der Verozell-Technologie ist mittlerweile jedoch behoben.

In den aktuellen Studien zeigt sich – nach einer Auswertung aller Nebenwirkungen bis zu drei Wochen nach dem Impftermin keine Häufung im Vergleich zu saisonalen Impfstoffen. 11,6 Prozent der Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren berichten über Kopfschmerzen. Bei den Kindern kommt es manchmal zu Übelkeit. Fieberreaktionen über 38 Grad gab es bei den 52 Kindern überhaupt nicht. „Ich war wirklich erstaunt, wie verträglich Celvapan ist“, erklärt der Wiener Impfexperte Wolfgang Maurer. „Ich habe mich gestern impfen lassen, und bereits heute spüre ich die Einstichstelle nicht mehr.“

Das fehlende Konservierungsmittel in Celvapan kann hingegen zu logistischen Schwierigkeiten führen, weil das Mittel kostensparend in 10-Dosen-Behältern bestellt wurde. Diese müssen binnen drei Stunden nach dem Öffnen verbraucht werden. Gelingt dies nicht, ist der Impfstoff laut Anweisung sofort zu entsorgen. „Ich hoffe sehr, dass sich die Ärzte hier nicht als Sparmeister hervortun und den Impfstoff über Nacht in den Kühlschrank stellen“, sagt Maurer. „Sonst könnte es zu problematischen Kontaminationen mit Bakterien kommen.“

Baxters Celvapan ist im Gegensatz zu den beiden anderen in Europa zugelassenen Spaltvirus-Impfstoffen ein Ganzvirus-Vakzin. Dadurch bleibt die Virusoberfläche erhalten und erzielt eine bessere Immunantwort. „Celvapan kommt deshalb im Gegensatz zu den beiden anderen Impfstoffen ohne Immunverstärker aus“, sagt Ehrlich. Die langfristigen Wirkungen dieser Hilfsstoffe auf das Immunsystem sind bislang kaum bekannt. Man weiß lediglich, dass sie etwa doppelt so viele lokale Nebenwirkungen auslösen wie Impfstoffe ohne Wirkverstärker. Erste praktische Erfahrungen dazu ­liegen nun aus Schweden vor. Dort wurde bereits vor drei Wochen mit der H1N1-Impfkampagne begonnen. Etwa 500.000 Impfungen mit dem auch in Deutschland verwendeten Impfstoff Pandemrix von ­GlaxoSmithKline wurden bisher durchgeführt. In nahem zeitlichem Zusammenhang zum Impftermin traten rund 200 Nebenwirkungen und fünf Todesfälle auf.

Das liege im Bereich des Üblichen, teilten die schwedischen Gesundheitsbehörden mit. Die Todesopfer waren zwischen 53 und 90 Jahre alt und bereits vorher schwer krank. Dass die Impfung die Todesfälle ausgelöst habe, sei unwahrscheinlich. Kritiker wenden ein, dass dieses Argument jedoch genauso auf die angeblichen Opfer der Schweine­grippe anwendbar sei. Und hier wurden in Schweden erst zwei gezählt – also nicht mal halb so viele Todesfälle wie nach der Impfung.