Seltene Sichtungen

Islam. Herbert Lackner auf der Suche nach Burka-Trägerinnen in Österreich

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Der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari hält sie für "eine Gefährdung des sozialen Friedens", die Wiener ÖVP-Obfrau Christine Marek hat "immer so ein mulmiges Gefühl", wenn sie das Ding sieht, dem niederösterreichischen SPÖ-Vorsitzenden Josef Leitner ist die Linie seiner Partei in dieser Frage viel zu lasch, und der stellvertretende ÖVP-Klubobmann Werner Amon wähnt sich als Vorsitzender des "Stapo-Ausschusses" des Nationalrats besonders gefordert: Schließlich gehe es "vor allem um eine Sicherheitsfrage".

Die Rede ist von einem absurden Kleidungsstück, das die Trägerin wie ein Sack umhüllt - bloß für die Augen ist ein schmaler Schlitz ausgeschnitten, der vorsichtshalber mit einem Stoffgitter dicht zu machen ist, damit auch nicht das kleinste Stück Haut den Betrachter aufreize.

So wird die Burka in der Koran-Sure Numero 24 ("Das Licht") sinngemäß beschrieben.

Den meisten Mosleminnen ist das egal. Das unbequeme Ganzkörperkleid ist praktisch nur in den rückständigsten Ecken der islamischen Welt anzutreffen, vor allem im Arabien der Saudis und im talibanischen Afghanistan.

Und offenbar in Österreich. Denn kaum ein Thema eint die politischen Lager derart wie der Kampf gegen den vorsintflutlichen Umhang. Unermüdlich spielen H. C. Strache und seine Anti-Islam-Band das Lied vom Volkstod durch Zwangsislamisierung, dem zwei Symptome vorangehen: das Minarett und die Burka.

Auch die tollpatschige Wiener ÖVP versuchte im Wahlkampf durch besondere Tapferkeit im Kreuzzug gegen die Burka zu punkten. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) warf sich mit einem Conjunctivus irrealis ins Getümmel: Sollte die Burka in Österreich ein Problem werden, würde sie ein Verbot im öffentlichen Raum prüfen lassen. Da mochten selbst geeichte Grüne nicht nachstehen. Jene in Vorarlberg und der grüne Bundesrat Efgani Dönmez forderten entgegen der Parteilinie ein Anti-Burka-Gesetz, das der Nationalrat beschließen müsste. Schon zwei Landtage - in Vorarlberg und Tirol - haben ihre Landesregierungen aufgefordert, in dieser Sache beim Bund vorstellig zu werden. In Oberösterreich stellten die Freiheitlichen im Juni einen Dringlichkeitsantrag für ein Burka-Verbot. Inzwischen arbeitet die ÖVP an einem Vier-Parteien-Antrag. Klubobmann Thomas Stelzer ist zuversichtlich, ihn noch vor Weihnachten unter Dach und Fach zu haben.

Im Wiener Wahlkampf wurde in den Privat-TV-Diskussionen dem Burka-Problem mehr Sendezeit eingeräumt als den Themen Wohnen oder Umweltschutz.

Aber wo findet man diese Burka-tragenden Frauenbataillone, die in ihrer Gebärfreudigkeit die morschen Säulen des lendenlahmen Abendlandes unterminieren? Man müsste annehmen: dort, wo dessen Bewahrer am lautesten warnen, was uns zwangsläufig nach Klagenfurt führt. Hier kämpfte FPK-Obmann Uwe Scheuch schon gegen Burkas, als Christine Marek in Wien noch Kindergartenplätze zählte. Wimmelt es in der Lindwurmstadt also von Vermummten? "Ich habe eigentlich noch keine gesehen, muss ich ehrlich sagen", meint Veronika Meissnitzer, die Pressesprecherin der Stadt, aber sie werde sich erkundigen. Der Rückruf ergibt: Keine Burka gefunden, der Anteil türkischer Staatsbürger an der Gesamtbevölkerung betrage in Klagenfurt übrigens 0,16 Prozent.

Begegnet Uwe Scheuch die Burka-Gefahr also vielleicht in seiner schmucken Mölltaler Heimatgemeinde Mühldorf? Wohl auch nicht. Zwar beherbergt der 1000-Seelen-Ort laut Statistik Austria 70 Ausländer, die kommen aber fast durchwegs aus burkafreien Regionen wie Deutschland oder Ex-Jugoslawien. Wo sind sie dann, die Kärntner Burkas, gegen die der FPK-Chef prestissimo gesetzliche Vorkehrungen fordert? Scheuchs Sprecher Carl Ferrari-Brunnenfeld hat schon "eine oder zwei" gesehen. Er hat sogar ein Foto, dieses aber leider gerade nicht dabei. Wo es Burkas in rauen Mengen gibt, weiß er genau: "In Wien! Gehen Sie einmal in den 15. Bezirk oder in die Lugner-City, da werden Sie die Augen aufreißen."

Also auf in die Lugner-City.
Burka-Trägerinnen sind gerade keine da, und ein schwer verkühlter Richard Lugner kann sich auch nicht erinnern, hier schon einmal eine Burka gesehen zu haben. Ach ja, eine gab es: Er entsinnt sich jener stinkreichen Touristin, die jedes Jahr in einem Hotel in der Nähe seines Einkaufstempels abgestiegen und dann per Limousinenservice zum Power-Shoppen gekommen war. "Sonst hamma leider keine Burka, Herr Redakteur. Aber ein paar Inderinnen wären da?"

Lugners City liegt in Wien-Fünfhaus, dem Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil Österreichs. Im angrenzenden Ottakring sind viele zugewanderte Türken zuhause - was natürlich zwangsläufig die FPÖ auf den Plan ruft. Deren für den Bezirk zuständige Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jennewein deckte vergangenen Sommer einen "ungeheuren Akt der Inländerdiskriminierung" auf: Die Stadt Wien und die Caritas hatten im Brunnenmarkt-Grätzel - unerhört! - ein Beschäftigungsprojekt für langzeitarbeitslose Zuwanderer eröffnet. Ein "Schlag ins Gesicht" für alle echten Österreicher, befand Frau Belakowitsch-Jennewein und wies erschüttert darauf hin, dass sich am Brunnenmarkt "genügend Läden finden, wo auch die Burka käuflich erworben werden kann".

Anatolischer als in diesen Ottakringer Gassen ist Wien tatsächlich nirgendwo, wenngleich mancher Vermerk an türkischen Fleischerständen ("Echt bio vom Waldviertler Bauern") auf gewisse Integrationserfolge hindeutet. Und es gibt sie hier tatsächlich, diese kleinen Läden, die Frau Belakowitsch-Jennewein gemeint haben muss. In den Schaufenstern hängen mit Strass besetzte Festtagskleider, knöchellange Mäntel und Kopftücher in den gängigsten Farben. Im "Ibrahimoglu Asil Textil" trägt auch die Verkäuferin Kopftuch. "Bitte, was wünschen Sie?" - "Hätten Sie eine Burka?" - "Nein, gibt's nicht." - "Gibt es in anderen Geschäften Burkas?" - "Gibt's nicht hier."

Kopftuch tragen auch die beiden Verkäuferinnen im namenlosen Textilgeschäft neben dem "Ankara-Market". "Guten Tag. Ich hätte gern eine Burka." - "Eine Burka? Brauchen Sie die für Ihre Frau?" - "Nein, äh, eigentlich ?" - "Burkas gibt's bei uns nicht. Wenn Sie so etwas wollen, müssen Sie das irgendwo nähen lassen."

Wo hat Frau Belakowitsch-Jennewein die vielen Burka-Geschäfte gesehen? Vielleicht am Hannovermarkt in der Brigittenau, dem zweiten großen Türkendistrikt Wiens (5,2 Prozent der Gesamtbevölkerung). Der Besitzer des Kleiderhauses an der Ecke, ein Herr mit mächtigem Schnurrbart und gewaltigem Bauch, steht stolz vor der Tür seines Ladens. "Guten Tag. Haben Sie auch Burkas?" - "Nein, nix Burkas", dröhnt der dicke Türke. - "Warum nix Burkas?" - "Weil niemand kauft Burkas." Aha.

Aber es gibt noch eine Spur. Schließlich hatte die Medizinische Universität Graz erst im vergangenen September ausdrücklich ein Burka-Verbot erlassen, was auf große mediale Aufmerksamkeit stieß. Man stelle sich eine Ärztin mit Burka vor, schrieben die Zeitungen. Oder mit Burka bei der Abschlussprüfung - da ließe sich ja trefflich schummeln, wurde gewitzelt. Ausdrücklich lobte Wissenschaftsministerin Beatrix Karl "diese ausgezeichnete Lösung, die Vizerektor Gilbert Reibnegger da gefunden hat". Ehrgeizig zog die MedUni Innsbruck nach und beschloss innert weniger Tage eine analoge Regelung.

Der von seiner Ministerin ausdrücklich gelobte Grazer Vizerektor Reibnegger will "an diese Geschichte" heute nicht mehr erinnert werden. Erstens gebe es gar kein Burka-Verbot, und zweitens wisse er nicht, wie das alles in die Medien gekommen sei. In Wahrheit habe man schon vor einem halben Jahr intern darüber gesprochen, wie vorzugehen wäre, wenn sich dieses Problem einmal stellt. Irgendjemand habe das dann in schwer verfälschter Form der "Kleinen Zeitung" gesteckt. Und nein, er selbst habe an der MedUni noch nie eine Burka-Trägerin gesehen, sagt Vizerektor Reibnegger. Die Debatte sei damals nach einem Hinweis von Professor Josef Egger, Leiter der Universitätsklinik für Psychologie, erfolgt.

Professor Egger bestätigt das - mehr will er aber nicht mehr dazu sagen. "Das ist derart aufgebauscht worden, dass jedes Wort eines zu viel wäre."

Der niederösterreichische SPÖ-Vorsitzende Josef Leitner benötigt zum politischen Überleben in tiefschwarzem Biotop geschärfte Sinne. So verwundert es nicht, dass er schon zwei Tage nach dem FPÖ-Wahltriumph in Wien entschlossen Konsequenzen forderte: "Die SPÖ ist beim Ausländerthema zu wenig strikt. Ich bin für ein Burka-Verbot."

Wo hat Herr Leitner die vielen Burka-Trägerinnen gesichtet? Sind sie auch schon in Wieselburg eingesickert? Nein, in seiner Heimatgemeinde gebe es so etwas nicht, schmunzelt Leitner. "Dafür haben wir gutes Bier." Wo sind sie dann, die Burkas? "In Wien", meint Leitner, er habe dort selbst schon welche gesehen. Wo genau, wisse er nicht mehr.

Wenig später ist der SPÖ-Politiker noch einmal in der Leitung. Jetzt erinnere er sich wieder: Eine habe er auf der Mariahilfer Straße gesehen, eine bei IKEA.

Käme Leitner öfter zum Shopping nach Wien, würde er sicher noch der einen oder anderen Vermummten begegnen, vor allem im Geviert zwischen Kärntner Straße, Graben und Kohlmarkt, wo die teuersten Geschäfte der Stadt auf ihre Kunden warten. Die kommen meist aus Russland, Saudi-Arabien und den Golfstaaten - manchmal auch mit Burka, um sich Feines für untendrunter zu besorgen.

Zweimal täglich fliegen die Emirates Airlines im Sommer Touristen aus Arabien ein, freudig erwartet von Österreichs Handel und Hotellerie. Die Reisenden vom Golf geben etwa sechsmal so viel aus wie durchschnittliche Urlauber.

140.000 Ankömmlinge aus arabischen Ländern verzeichneten die Airports im Vorjahr. 9000 stiegen in Tirol ab, wo sogleich eine örtliche FPÖ-Größe zur Stelle war. Der Nationalratsabgeordnete Roman Haider, sinnigerweise Tourismussprecher seiner Partei, zeigt sich von den zahlungskräftigen Arabern wenig beeindruckt. Runter mit der Burka! Das müsse auch für Touristinnen gelten: "Es wird von keiner Moslemin verlangt, sich ein Dirndlkleid anzuziehen. Aber wenn es Bekleidungsvorschriften gibt, dann haben die für alle zu gelten", donnerte Haider vergangenen Jänner.

Wie viele der 9000 Touristen aus Arabien in Tirol tragen eigentlich Burka? "Ganz, ganz wenige. Ich habe überhaupt noch keine klassische Burka gesehen", meint Anita Horngacher, Sprecherin der Tirol Werbung. "Wir hatten auch noch nie Anrufe oder Beschwerden."

Dem Tiroler FPÖ-Obmann Gerald Hauser ist es im Landtag dennoch gelungen, für seinen Antrag, die Landesregierung möge die Bundesregierung zum Burka-Verbot auffordern, auch die Stimmen von ÖVP und SPÖ zu bekommen. Selbst gesehen hat er Burkas noch nicht, schon gar nicht in seiner Osttiroler Heimatgemeinde St. Jakob im Defereggen, aber Hauser ist sicher: "Es gibt sie, aber halt nicht in großer Anzahl."

Wie viele dieser so schwer aufzustöbernden Vermummten, die Bischöfe und Ministerinnen, Landtage und Klubobleute derart beunruhigen, tummeln sich nun wirklich zwischen Bregenz und Brunnenmarkt?

FPK-Chef Uwe Scheuch zitiert stets nicht näher benannte Experten, wonach sich 2000 Burka-Trägerinnen in Österreich niedergelassen haben. Im Büro der Wiener ÖVP-Chefin Christine Marek werden 100 genannt, auch der niederösterreichische SPÖ-Vorsitzende Leitner glaubt an "um die hundert Burkas".

Der Wiener SPÖ-Abgeordnete Omar Al-Rawi, geboren in Bagdad und Kontaktmann des Bürgermeisters zu den Moslems der Stadt, sagt, in Wien gebe es wohl keine einzige echte Burka. Man wisse von fünf Niqabs, einer Art Burka light ohne Netz vor dem Augenschlitz. Drei dieser Niqab-Trägerinnen seien zum Islam konvertierte Österreicherinnen.

Das ist sie also, die vermummte Gefahr, die "den sozialen Frieden gefährdet" (Bischof Kapellari), ein staatspolizeiliches Risiko darstellt (ÖVP-Abgeordneter Amon), die "Kernwerte unserer europäischen Gesellschaft" unterminiert (Uwe Scheuch), Landtage beschäftigt, Dringlichkeitsanträge provoziert und sich blendend als Gruselkulisse in Wahlkämpfen eignet, vor der die FPÖ höchst erfolgreich ihre Schauerstücke zur Aufführung bringt.

Ach ja, zuletzt rief dann auch noch das Büro der Wiener ÖVP-Obfrau Christine Marek zurück, die mit ihrer Verbotsforderung die Burka-Diskussion im Wahlkampf erst so richtig angeheizt hatte und die angesichts einer Burka "immer so ein mulmiges Gefühl" bekommt. Die Chefin habe einmal "eine vollverschleierte Frau" gesehen, beschied der Pressereferent auf Anfrage von profil. Der Schock muss tief sitzen.