„Sie war nie aufdringlich“

„Sie war nie aufdringlich“ Mary McCartney im Interview

Fotografie. Mary McCartney über ihre Kindheit unter Rockstars und ein Essen mit Prinz Harry

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Interview: Sebastian Hofer

profil: Das Fotoarchiv Ihrer Mutter Linda besteht aus gut 200.000 Arbeiten. Nun haben Sie daraus – zusammen mit Ihrem Vater und Ihrer Schwester Stella – ein Buch mit 300 Seiten gemacht. Eine Höllenarbeit?
McCartney: Es war natürlich ein langer Prozess, aber wir waren so begeistert von dem Projekt, dass es letztlich auch sehr reibungslos ablief. Die Idee zu dem Buch entstand, als Stella bei einem Abendessen neben Benedikt Taschen saß und mit ihm über die Arbeit meiner Mutter sprach. Er wollte -darüber ein großes Buch machen, was uns natürlich sehr -interessiert hat. Danach haben Stella, mein Vater und ich uns ins Archiv gestürzt.

profil: Wie darf man sich das vorstellen? Die McCartneys wühlen gemeinsam in alten Fotokisten?
McCartney: Nicht ganz. Wir trafen uns regelmäßig im Büro meines Vaters, besprachen die Bildauswahl und verschiedene Varianten. Einiges haben wir auch per E-Mail oder Post -abgewickelt. Wir hatten alle eine bestimmte Vorstellung, was wichtig wäre. Mein Vater hatte sehr viel mit meiner Mutter über ihre Arbeiten gesprochen und war auch dabei, als ein Großteil davon entstand. Stella hat ein großartiges visuelles Gespür, und ich habe mit meiner Mutter früher viel im -Archiv gearbeitet und deshalb einen guten Überblick.

profil: Im Buch stehen Familienporträts gleichberechtigt -neben Bildern von weltberühmten Rockstars. Eine seltsame Mischung.
McCartney: Sie entspricht der Arbeitsweise meiner Mutter. Ihre Karriere bestand aus zwei Phasen: Mit Anfang zwanzig kam sie, nach einer ziemlich orientierungslosen Phase, zur Fotografie und erkannte, dass das ihre Berufung war. Die -Fotografie eröffnete ihr eine ganz neue Welt.

profil: Die Welt der Rockmusik.
McCartney: Sie war in der Nähe von New York aufgewachsen und hatte immer schon sehr viel Rock ’n’ Roll und Doo Wop gehört, die Stylistics zum Beispiel, Otis Redding oder Jimi Hendrix. Als Magazinfotografin verbrachte sie dann viel Zeit mit diesen Musikern, wurde immer wieder eingeladen, Fotos von ihnen zu machen, weil sie ihre entspannte Art so mochten. So verdiente sie ihr Geld.

profil: Wann begann die zweite Phase?
McCartney: Nachdem sie meinen Vater kennen gelernt und eine Familie gegründet hatte, entfremdete sich meine Mutter immer mehr von der Musikindustrie – auch weil sich diese so verändert hatte. Früher hatte Jimi Hendrix einfach angerufen und sie gefragt, ob sie ins Studio kommen könnte, um ein paar Fotos zu machen. Später übernahmen die PR-Leute das Kommando. Sie begann in der Folge, künstlerisch zu fotografieren, und nahm kaum noch Magazinaufträge an. Danach entstanden vor -allem Familienbilder, aber auch Landschaftsaufnahmen. Sie fotografierte, wie andere Leute -Tagebuch führen.

profil: Hatte sie ihre Kamera immer dabei?
McCartney: Ja, wir wuchsen mit einer Mutter auf, die ständig ihre 35-Millimeter-Nikon um den Hals hängen hatte. Das war ihre Art zu -fotografieren: Sie streunte herum, ging auf Leute zu und machte Schnappschüsse von allem, was sie interessierte. Sie hat nie etwas inszeniert, sie hat ihre Fotos gefunden. Im Grunde war sie auf der Suche nach dem Abenteuer – sie wollte nie im Vorhinein wissen, was passieren würde.

profil: Fühlten Sie sich als Kind denn nie belästigt von der dauernden Knipserei?
McCartney: Nein, weil meine Mutter sehr sensibel war. Sie war nie aufdringlich, streckte den Leuten nie ihre Kamera einfach ins Gesicht. Sie hatte ihre Kamera zwar immer dabei, aber sie fotografierte auch nicht andauernd. Eigentlich war sie sogar sehr zurückhaltend damit. Sie machte nicht Hunderte Fotos, sondern nur zwei oder drei, von Dingen, die sie visuell wirklich interessierten. Eigentlich war es sogar sehr schmeichelhaft, wenn sie einen fotografierte. Dann wusste man, dass sie etwas Interessantes an einem gesehen hatte.

profil: Gab es Fotos im Archiv, die zu persönlich waren, um sie zu veröffentlichen?
McCartney: Definitiv. Ihre Bilder waren alle sehr intim, nicht nur in den Familienporträts. Aber die Familienbilder einfach wegzulassen hätte ihr Gesamtwerk beschnitten. Schließlich waren wir eine Zeit lang ihre wichtigsten Motive.

profil: Welche Bilder schätzen Sie am meisten?
McCartney: Die Familienfotos haben für mich natürlich eine doppelte Qualität: Sie sind schön, und sie wecken Erinnerungen. Aber eines der Rockstar-Fotos liebe ich ganz besonders. Einmal saß ich mit meiner Mutter in einem indischen Restaurant und erzählte ihr, wie eifersüchtig ich auf ihr Bild vom gähnenden Jimi Hendrix war. Wir mussten sehr viel lachen an diesem Tag. Das Bild erinnert mich immer an dieses -Gespräch mit meiner Mutter. Außerdem zeigt es, wie entspannt die Leute waren, wenn sie mit ihr arbeiteten. Was wir auf dem Bild sehen, ist ein entspanntes Gähnen, kein gelangweiltes.

profil: Apropos: Haben Sie je davon geträumt, in einer total langweiligen Familie aufzuwachsen?
McCartney: Natürlich hat es manchmal auch Vorteile, anonym zu sein. Als Kind habe ich mir hin und wieder gewünscht, ganz normal mit meiner Familie auf die Straße zu gehen, ohne angestarrt zu werden. Andererseits war es auch kein großes Thema. Wir waren es gewohnt.

profil: Nach der Geburt Ihrer jüngeren Schwester Stella gründeten Ihre Eltern die Band Wings. Wie war das Tourleben als Kleinkind?
McCartney: Eigentlich sehr lustig. Damals war ich noch sehr jung, sechs oder sieben Jahre alt. Es war eine unschuldige Zeit, Stella und ich haben auch gar nicht so mitbekommen, dass wir mit Mama und Papa auf einer Welttournee waren. Wir dachten, das sei so eine Art Familienurlaub.

profil: Sie wollten ursprünglich Krankenschwester werden. Heute arbeiten Sie als Fotografin. Hat Ihre Mutter Sie -umgestimmt?
McCartney: So ernst war das nicht, wohl eher der romantische Berufswunsch einer Achtjährigen. Ich habe auch ein bisschen Schiss vor Blut und kam später darauf, dass ich als Krankenschwester wohl keinen großen Spaß haben würde.

profil: Aber war Ihre Mutter dennoch ein berufliches Vorbild?
McCartney: Ganz bestimmt. Wir sprachen viel über Foto-grafie, sie sammelte Fotos und Bildbände und machte uns Kinder mit dieser Kunstform vertraut. Ich bin sicher von ihr beeinflusst, und in meinem Archiv befinden sich viele Fotos, die an den Stil meiner Mutter erinnern. Mich interessiert vor allem die Intimität, die sie in ihren Bildern erzeugen konnte.

profil: Läuft Musik während Ihrer Shootings?
McCartney: Kommt darauf an, wen ich fotografiere. Bei einem Shooting mit Kate Hudson spielte ich stundenlang „Creep“ von Radiohead, weil wir beide den Song so mochten. Meistens läuft aber eher klassisches Zeug wie Johnny Cash, Curtis Mayfield, Aretha Franklin.

profil: Mussten Sie als Modefotografin jemals ein Model mit Pelzmantel fotografieren?
McCartney: Zum Glück nicht. Genau aus diesem Grund -mache ich auch nur noch wenig Modefotografie. Ich bin für die Auftraggeber ein wenig problematisch in dieser Hinsicht …

profil: … weil Sie sich wie Ihre Mutter als Tierrechtsaktivistin engagieren. Was halten Sie vom aktuellen Trend zum Vegetarismus? Ist das mehr als nur eine Modeerscheinung?
McCartney: Es wäre natürlich schön, wenn die Dinge sich dauerhaft änderten. Wir bewerben gerade mit einer Internet-Kampagne den fleischfreien Montag – für Menschen, die nicht ganz auf Fleisch verzichten wollen. Und vielleicht gehen sie dann ja auch noch ein Stück weiter.

profil: War Tierschutz in Ihrer Familie ein großes Thema?
McCartney: Wir wuchsen als Vegetarier auf und sind Vegetarier geblieben. Als ich von daheim auszog, habe ich viel darüber nachgedacht: Will ich Vegetarier sein? Ich kam zu dem Schluss, dass ich den Geschmack von Fleisch zwar mag, es aber moralisch nicht rechtfertigen kann, Tiere zu essen.

profil: Themenwechsel: Werden Sie an der Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton teilnehmen?
McCartney: Ich kenne die beiden nicht persönlich und werde nicht dabei sein. Aber alle scheinen sehr aufgeregt zu sein, -jedenfalls hier in England.

profil: Sie nicht?
McCartney: Nun, das ist jedenfalls nichts, worüber ich sehr viel nachdenke.

profil: Ihr Vater hat einmal erzählt, dass Prinz Harry in Sie verliebt war.
McCartney: Das hat er gesagt, stimmt. Ich habe Harry aber nur einmal bei einem Mittagessen getroffen. Da war er fünf oder so. Wir haben uns ganz nett unterhalten.

profil: Keine Liebesbriefe?
McCartney: Keine Liebesbriefe. Nur dieses gemeinsame Mittagessen.

profil: Die Prinzenhochzeit ist auch ein Fest der Boulevardpresse. Fühlen Sie sich im Alltag von Paparazzi bedroht?
McCartney: Nein, aber ich werde auch nicht so bedrängt wie Kate Moss oder Sienna Miller. So viel sind Fotos von mir nicht wert. Aber ich bin doch beunruhigt, welche Ausmaße dieses Business angenommen hat. Gut, es gilt die Pressefreiheit. Aber ich kann es nicht mit meinem Rechtsverständnis vereinbaren, wenn sich Fotografen in Büschen verstecken und Leute abschießen dürfen. Es geht schließlich nur um Klatsch. Ich kenne Menschen, die aus London weggezogen sind, weil sie sich nicht dagegen wehren konnten.

profil: Ihren Vater stört das nicht?
McCartney: Er muss natürlich darauf achten, wo er sich -bewegt. In bestimmte Restaurants kann er einfach nicht gehen. Aber wenn man berühmt ist, passiert das eben. Es ist ein Geben und Nehmen.