Siemens-Affäre: Was wusste Wien?

Der Korruptionsskandal zieht weitere Kreise

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Ein Krimi wie vom Reißbrett: Manager, verstrickt in dunkle Machenschaften, Scheinfirmen um den halben Globus, Millionen auf Nummernkonten – und ein Konzern, der um seinen Ruf bangt. Die deutsche Siemens AG durchlebt eine der schwersten Krisen ihrer langen und an schweren Krisen nicht eben armen Geschichte. Seit Monaten ermitteln Behörden in Deutschland, Italien, der Schweiz und Liechtenstein gegen zwei Dutzend amtierende und ehemalige Führungskräfte. Die Verdachtsmomente wiegen schwer: Manager der Telekommunikationskonzern-Sparte „Communication“, kurz Com, sollen sich laut Staatsanwaltschaft München I „zu einer Bande zusammengeschlossen haben, um fortgesetzt Untreuehandlungen zum Nachteil der Firma Siemens durch Bildung schwarzer Kassen im Ausland zu begehen“. Dem verschworenen Kreis soll es gelungen sein, bei Siemens über Jahre zumindest 200 Millionen Euro umzuleiten, um mit Bestechungsgeldern Aufträge zu lukrieren.

In Österreich gilt Siemens über die Tochter Siemens AG Österreich nicht nur als einer der größten Arbeitgeber des Landes. Das Unternehmen und seine Manager pflegen einen tadellosen Ruf, haben traditionell einen nicht unwesentlichen Einfluss auf höchste Kreise der Politik. Und manchmal wird dort auch Personal rekrutiert. Den Vorsitz im Vorstand führt seit dem Rückzug von Langzeitkonzernchef Albert Hochleitner im Dezember 2005 die ehemalige SPÖ-Politikerin Brigitte Ederer. Zweiter Mann im Staate Siemens Österreich ist Finanzvorstand Harald Wasserburger, ehedem unter anderem für den „Com“-Bereich im Land verantwortlich. Alle haben sie bisher versichert, der heimische Teilkonzern habe mit der unschönen Affäre nichts zu tun.

Aussagen, die aufgrund von profil vorliegenden Einvernahmeprotokollen eines ehemaligen deutschen Siemens-Managers hinterfragt werden müssen. Verwicklungen von Siemens Österreich in den internationalen Korruptionsskandal stehen im Raum.

Am 20. November 2006 musste sich Reinhard Siekaczek, bis 2004 leitender Angestellter bei Siemens Deutschland, einer von mittlerweile mehreren Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft München I stellen. Der Mann gilt aufgrund seiner manifesten Auskunftsfreude mittlerweile als eine Art Kronzeuge. Was er an jenem Tag den Staatsanwälten ins Protokoll diktierte, dürfte auch hierzulande Wellen schlagen.

Wiener Bekannte. „Eines Tages, ich denke, es war 2000 oder 2001, besuchte ich mit Herrn Dr. N. (Name der Redaktion bekannt) diverse Personen in

Wien, namentlich bekannt ist mir noch Herr Dr. K., der offensichtlich zusammen mit einer Anwaltskanzlei eine so genannte Briefkastenfirma in Nikosia/Zypern als Geschäftsführer unterhält“, so Siekaczek. Und weiter: „Über diese Firmen wurden beziehungsweise werden offensichtlich Provisionszahlungen von Siemens Com Wien sowie von dem ehemaligen Bereich ICM (der Konzernbereich Information and Communication Mobile, Anm.) abgewickelt.“

Der Begriff „Provisionszahlungen“, das gilt für die Ermittler als erwiesen, war nichts anderes als die etwas euphemistische Umschreibung von Schmiergeld.

Die Aussagen des 56-Jährigen – er wird der Untreue verdächtigt – stehen allerdings in krassem Widerspruch zu den Erklärungen von Siemens-Österreich-Chefin Brigitte Ederer. „Österreich ist nicht betroffen“, sagte Ederer Mitte Dezember 2006 anlässlich ihrer ersten Bilanzpressekonferenz an der Siemens-Spitze. Ederers damaliger Sitznachbar: Harald Wasserburger. In den profil vorliegenden Justizakten nennt Siekaczek auch den Namen eines hochrangigen Siemens-Vertreters aus Österreich: Wasserburger.

Er war ab dem Jahr 2001 Bereichsleiter von Siemens ICM und deren Nachfolgesparte Com in Wien, also jener beiden Bereiche, die laut Siekaczek an der Einrichtung schwarzer Kassen beteiligt gewesen sein sollen. Wörtliches Zitat aus dem Einvernahmeprotokoll vom 20.11. 2006: „In diesen Prozess (der Provisionszahlungen, Anm.) sind mit Sicherheit involviert: Herr Dr. Wasserburger aus Wien …“

Weder Finanzvorstand Wasserburger noch Siemens-Chefin Brigitte Ederer wollten auf profil-Anfrage zu den Anschuldigungen Stellung nehmen. Konzernsprecher Harald Stockbauer weist im Namen von Siemens Österreich „den Vorwurf ungesetzlicher Handlungen schärfstens zurück“.

Für Wasserburger, gegen den strafrechtlich nichts vorliegt, gilt die Unschuldsvermutung. Aber er muss sich jetzt zumindest die Frage gefallen lassen, ob und wie viel er von den Machinationen wusste – wie auch Ederers Vorgänger an der Siemens-Österreich-Spitze, Albert Hochleitner, oder der frühere Finanzvorstand Peter Schönhofer.

Provision bei Privatisierung. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – diesen Leitsatz hatten die deutschen Manager über Jahre hinweg nibelungentreu befolgt. Und das Schweigen wurde belohnt. So soll etwa Reinhard Siekaczek nach seinem Ausscheiden bei Siemens, wo er den Rang eines Direktors bekleidet hatte, seit dem Jahr 2004 mit einem lukrativen Beratervertrag ausgestattet sein. Dabei soll er von Siemens deutlich mehr überwiesen bekommen haben als zuvor im Angestelltenverhältnis. Die Eingeweihten – mittlerweile ist der Kreis der Verdächtigen von zunächst vier auf rund 20 Personen ausgeweitet worden – hielten über eine lange Zeit auch gegenüber den Behörden dicht. Bereits 2003 war die Staatsanwaltschaft Bozen bei ihren Ermittlungen gegen einen gewissen Giuseppe P. über den Namen Siemens gestolpert. P. war bis in die neunziger Jahre im staatlichen italienischen Telekom-Sektor eine große Nummer. Nach Meinung des Bozener Staatsanwaltes Cuno Tarfusser hatte P. hohe Schmiergeldzahlungen von Siemens erhalten. Abgewickelt wurden diese über das Devisenkonto Nummer 227.959 bei der Raiffeisenlandesbank Tirol.

Das Konto wurde Anfang 2006 im Gefolge eines Rechtshilfeansuchens der Italiener auf Geheiß des Landesgerichts Innsbruck geöffnet. profil liegt ein Gerichtsakt aus Innsbruck vom Februar 2006 vor. Darin heißt es: „Die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Bozen ist mittlerweile zur Überzeugung gelangt, dass das Depositenkonto Nummer 227.959 bei der Raiffeisenlandesbank Tirol AG – Filiale Innsbruck – von der Siemens AG zum alleinigen Zweck des Verbergens von ihr gezahlter Schmiergelder eingerichtet wurde, um ein für die Siemens AG auf dem internationalen Telekommunikationsmarkt überlebenswichtiges strategisches Geschäft durchzuführen, das in der Zeit zwischen Ende 1992 bis 1999 … auch tatsächlich abgewickelt worden ist.“

Der italienische Provisionär P. erhielt – verschleiert durch mehrere zwischengeschaltete Briefkastengesellschaften – wenige Tage nachdem Siemens bei der Teilprivatisierung der italienischen Telekom-Tochtergesellschaft Italtel zum Zug gekommen war, zehn Millionen D-Mark, umgerechnet rund fünf Millionen Euro, von dem Innsbrucker Konto.

Zuvor schon waren Mitarbeiter des Raiffeisenverbandes Salzburg stutzig geworden. Über das vermeintlich unverdächtige Sparkonto mit der Nummer 835835, lautend auf „FRANZ“, waren zwischen 2000 und 2001 bemerkenswerte Transaktionen durchgeführt worden. Der Kontoinhaber, ein gewisser Wolfgang R., hatte die Gewohnheit, regelmäßig hohe Summen Bargeld aus dem Koffer bei der Salzburger Bank einzuzahlen. Wegen des Verdachts der Geldwäsche erkundigte sich die Raiffeisen bei Wolfgang R. nach der Herkunft der Millionen. Ein durchaus begründeter Verdacht, schließlich sollen nach Auskunft von Ermittlern pro Jahr etwa 50 Millionen Euro über die Salzburger Bankverbindung geflossen sein. Zuwendungen aus der schwarzen Kassa soll unter anderem der 1998 verstorbene nigerianische Despot Sani Abacha erhalten haben.

Geldwäscheverdacht. „Bei größeren Geldtransaktionen müssen Banken besonders vorsichtig agieren und im Rahmen ihrer Möglichkeiten prüfen, ob den über Bankkonten abgewickelten Transaktionen keine strafbaren Handlungen vorausgegangen sind“, sagt der Salzburger Raiffeisen-Sprecher Udo Steckholzer. „Dieser Verpflichtung sind wir nachgekommen.“ Man habe sich in diesem Punkt „abgesichert“, mehr zu sagen, erlaube das Bankgeheimnis jedoch nicht. Diese Absicherung dürfte in Form eines Schreibens aus der Siemens-Zentrale in München erfolgt sein. Laut Aussagen von Reinhard Siekaczek habe „die Bank seinerzeit verlangt, zu erklären, wer wirtschaftlich Berechtigter dieser enormen Summen ist“. Daraufhin soll ein hochrangiger deutscher Siemens-Manager einen „relativ kurzen Brief“ an das Institut verfasst haben. „Aus diesem Brief ergibt sich, dass die auf diesem Konto liegenden Gelder der Siemens AG gehören“, so Siekaczek. Damit war für die Bank die Herkunft geklärt, der Verdacht auf Geldwäsche ausgeräumt.

Seit die Ermittlungen gegen Siemens in Bozen ihren Ausgang genommen haben, hat sich die Dimension der Affäre drastisch ausgeweitet. Aus zunächst zehn Millionen D-Mark wurden 420 Millionen Euro. Diese Summe soll nach vorläufigen Erkenntnissen der Siemens-Revision für nicht nachvollziehbare Geschäfte in den vergangenen Jahren aufgewendet worden sein. Es könnten auch mehr werden. Am 15. November des Vorjahres konfiszierten Beamte bei Razzien in München, Erlangen und Wien umfangreiches Datenmaterial. Die Auswertung durch die Sonderkommission „Netzwerk“ des Landeskriminalamtes Bayern dürfte noch Monate in Anspruch nehmen.

Indes fördern aber auch konzerninterne Untersuchungen interessante Details zutage. So dürfte etwa eine profil namentlich bekannte Briefkastengesellschaft mit Sitz auf Zypern eine der finanziell am besten ausgestatteten Scheinfirmen überhaupt gewesen sein. Die Wirtschaftsprüfungskanzlei KPMG erstellte kürzlich im Auftrag der Siemens AG einen Bericht über alle verdächtigen Beraterverträge der Com-Sparte. Unter dem Verdacht von „Foreign Corruption Practices“, also Überweisungen mit unbekanntem Empfänger oder ohne ersichtliche Gegenleistung, stehen auch Zahlungen an jene Gesellschaft, deren Geschäftsführer Siekaczek in Wien getroffen haben will. „Den K. muss es in diesem Zusammenhang noch geben, er war sozusagen die Spinne im Netz“, so Siekaczek bei seiner Einvernahme.

Die Summe, die an die Gesellschaft des „Dr. K.“ ging, ist die höchste, die KPMG im Geschäftsjahr 2005/2006 als verdächtig einstuft: 29.394.913 Euro und 93 Cent.

Von Josef Redl