Sinn und Unsinn einer Transaktionssteuer

Sinn und Unsinn einer Transaktionssteuer

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Nein, sie sind keine Globalisierungsgegner. Nicht der Präsident der deutschen Sparkassen Heinrich Haasis, nicht der Chef der britischen Finanzaufsicht Adair Turner, nicht der französische Präsident Nicolas Sarkozy, nicht der österreichische Vizekanzler Josef Pröll und auch nicht die soeben wiedergewählte deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Trotzdem fordern sie genau das ein, was jahrelang Globalisierungskritiker wie Attac gefordert haben: eine Finanztransaktionssteuer.

Verkehrte Welt? Gerade unter konservativen Politikern wurde die Idee einer solchen Steuer jahrelang als realitätsfern abgetan. Nun ist sie salonfähig geworden. Die Vorstellungen darüber gehen allerdings weit auseinander: Sollen 0,01 oder 0,1 Prozent aufgeschlagen werden – ja, und auf was überhaupt? Nur auf Aktien und Devisengeschäfte oder auch auf Anleihen oder gar Derviate? Die Diskussion steckt noch in den Kinderschuhen. Und so manche wollen sich den Schuh gar nicht erst anziehen: Das Thema hat es weder auf die offizielle Agenda der G-20 in Pittsburgh noch auf die des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Istanbul geschafft, doch das Europäische Parlament bekannte sich vergangene Woche in einem Beschluss mit großer Mehrheit dazu, sich für die Steuer einzusetzen. „Wir werden dafür sorgen, dass das Thema international weiter verfolgt wird“, sagte ÖVP-Europaparlamentarier Othmar Karas. Und SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder frohlockt: „Die Chance, dass eine solche Steuer kommt, war noch nie so groß wie jetzt.“

Doch auch die Mythenbildung um sie war noch nie so groß. Die Gegner behaupten, die Einhebung einer allgemeinen Transaktionssteuer sei technisch kaum möglich und böte zu viele Schlupflöcher. Die glühenden Befürworter erwarten sich von ihr eine „Zähmung des Monsters“, indem Sand ins Getriebe der Finanzmärkte gestreut wird, wie es einst der Ideengeber und Nobelpreisträger James Tobin formuliert hat. Es ist ein Ammenmärchen, dass eine Finanztransaktionssteuer nicht umsetzbar ist – aber die Wunderwaffe im Kampf gegen kommende Finanzkrisen ist sie sicherlich auch nicht. Es geht vielmehr um etwas ganz anderes: um Gerechtigkeit.

Machbarkeit. „Die ersten elektronischen Geldtransaktionen an Computern versprachen eine enorme Steigerung der Zahl von Transaktionen. Ich wollte diesen Prozess verlangsamen, damit weniger spekuliert wird“, erklärte James Tobin den Gedanken hinter seiner Devisentransaktionssteuer. In den siebziger Jahren wurde ihm vorgeworfen, dass die Transaktionen gar nicht alle erfassbar wären. Ein Argument, dass sich bis heute gehalten hat. Doch ausgerechnet die Computerisierung, die Tobin damals gefürchtet hat, ist heute dafür verantwortlich, dass die Steuer sehr leicht zu erheben wäre. „Es kostet mich nur einen Knopfdruck am Computer, um auf den Cent genau festzustellen, welchen Umsatz wir mit allen Transaktionen gemacht haben“, sagt der Vorstand einer europäischen Investmentbank. Selbst wenn längst nicht alle dieser Transaktionen zentral bei einer Börse zusammenlaufen, wäre es ein Leichtes für den Staat, von den Banken zu verlangen, dass sie eine Steuererklärung machen.

Ausweichmanöver. Viel geringer als von den Gegnern der Steuer angeführt ist auch der Ausweichspielraum der Finanzmarktakteure. London ist unangefochten der größte Finanzplatz Europas – und einer der wenigen, die seit Jahren eine Börsenumsatzsteuer – wenn auch eine mit vielen Ausnahmeregelungen – einheben. 4,1 Milliarden Euro jährlich streift der britische Fiskus auf diesem Wege ein. Und trotzdem bleiben die Banker London treu. Die gute Infrastruktur und die Rechtssicherheit der britischen Metropole verhindern, dass die Akteure auf Steueroasen abwandern. Gerade wenn es nur um geringfügige steuerliche Anreize geht, sind Banken nicht bereit, ihr Land zu verlassen. „Sonst wären wir doch schon längst in Bratislava“, kommentiert ein österreichischer Banker. Im Alleingang könnte ein kleines Land wie Österreich die Finanztransaktionssteuer dennoch nicht durchdrücken. Als Schweden 1984 eine Börsenumsatzsteuer einführte, ging der Schuss nach hinten los: Nach zwei Jahren hatte sich über die Hälfte des gehandelten Volumens ins europäische Ausland verlagert – statt den geplanten 1500 Millionen Kronen brachte die Steuer nur schlappe 50 Millionen ein. 1991 wurde die Steuer wieder abgeschafft. Doch wenn sich die europäischen Länder einigen, haben sie eine kritische Größe erreicht, glaubt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Banker bestätigen, dass sie den EU-Raum wegen der Steuer nicht verlassen würden, um etwa nach New York zu übersiedeln. „Wir haben bis jetzt die amerikanische Jurisdiktion gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. Daran würde diese Steuer wenig ändern“, so ein Branchenvertreter. Eine Einigung in Europa ist keineswegs unrealistisch: Frankreich lädt Ende Oktober zum Transaktionssteuer-Gipfel und hat bereits Deutschland auf seiner Seite, den beiden größten europäischen Volkswirtschaften pflichten auch Österreich und Belgien öffentlich bei.

Krisenprävention. Wenig ändern würde die Steuer allerdings auch im Hinblick auf zukünftige Krisen. Natürlich gibt es Geschäfte, die pro Transaktion nur einen Cent bringen, aber in Milliardentranchen blitzschnell Gewinn einspülen – und keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen bringen. Ein Teil der Spekulationsgeschäfte wird mit einer neuen Steuer vermutlich unrentabel. Doch der weitaus größte Teil wirft mehr Gewinn ab und wird deswegen nach wie vor ablaufen – mit dem einzigen Effekt, dass man damit weniger verdienen kann. Die Gegner der Idee glauben, dass die Steuer sogar kontraproduktiv ist, weil sie dazu betragen kann, dass die Kurse über- oder unterschießen. Die Argumentation: Je weniger Transaktionen in einem Markt stattfinden, desto mehr Einfluss hat der Einzelne auf die Kursbewegung. Die Kurse könnten also noch mehr schwanken als zuvor. Soll man diesen Effekt in Kauf nehmen? Der Chefberater von US-Präsident Barack Obama, Harvard-Wissenschafter Lawrence Summers, wägt ab: „Die Vorteile einer Reduzierung der Spekulation dürften die Nachteile einer geringeren Liquidität und steigender Kosten der Kapitalbeschaffung wettmachen.“

Kursschwankungen hin oder her: Zur Krisenprävention gibt es vermutlich bessere Methoden: Die Mehrheit der Ökonomen fordert eine höhere Eigenkapitalunterlegung bei Finanzgeschäften. Denn wer mit eigenem Geld haftet, überlegt sich besser, ob er zockt. Auch eine gut ausgeklügelte Regulierung und eine effektive Aufsicht können Spekulationsblasen entgegenwirken.

Gerechtigkeit. Nicht nur Österreich bekommt einen blauen Brief aus Brüssel. Auch acht weitere EU-Länder werden von der Kommission gerügt, weil sie ihren Haushalt mit Schulden überfrachtet haben. Manche Finanzminister wollen schon kommendes Jahr ihre Löcher stopfen, andere lieber bis 2011 warten. Doch spätestens dann weht ein eisiger Wind durch Europa: Wer zahlt letztendlich für die Krise? An den Ausgaben zu sparen wird nicht ausreichen. Und welcher Politiker will dann gern erklären, dass wir leider alle drei Jahre länger arbeiten oder noch höhere Umsatzsteuern auf Lebensmittel zahlen müssen?

Eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) schätzt das Aufkommen der Transaktionssteuer je nach Steuersatz auf zwischen 300 Millionen und 2,2 Milliarden Euro, für die EU zwischen 89 und 630 Milliarden Euro.

Doch wie viel Geld letztendlich hereinkommt, ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass die Steuer unserem Gerechtigkeitsempfinden entspricht. Nicht nur, weil Güterproduktion oder Arbeitsleistung bisher ungleich höher besteuert werden als Spekulationsgewinne. Seit die Banken durch massive Hilfspakete gestützt wurden und das Versagen der Märkte auch die Realwirtschaft nach unten gezogen hat, stehen sie in der Schuld der Gesellschaft. „Wer Hilfe erhalten hat, ist auch verpflichtet, seinerseits einen Beitrag zu leisten“, sagt Sighard Neckel, Soziologieprofessor an der Universität Wien. Tun sie es nicht, werde der implizite Gesellschaftsvertrag von Geben und Nehmen gebrochen. Nicht nur die Finanzwelt verliert dann ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch die Politik, deren Aufgabe es ist, die Rahmenbedingungen so abzustecken, dass jede gesellschaftliche Gruppe in die Pflicht genommen wird. Neckel: „Aus der Finanzkrise ist eine Wirtschaftskrise geworden. Wir müssen verhindern, dass daraus eine Demokratiekrise wird.“