Peter Michael Lingens

„Skandale“ im Zeit-Vergleich

„Skandale“ im Zeit-Vergleich

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Dem „Club 2“ waren vergangenen Mittwoch die Vorgänge im Innenministerium Anlass zu der Frage, was faul ist im Staate Österreich. Vor allem die jüngeren Diskutanten, voran der Strafverteidiger Richard Soyer, sehen sie als Symptom einer politischen Korrumpierung der Strafverfolgungsbehörden von neuer, bestürzender Qualität. Vielleicht liegt es an meinem Alter, dass ich ständig dazwischenrufen wollte: Wieso neu? Wieso bestürzend? Ich kann mich an viel Schlimmeres erinnern. Bestürzend am Versagen der Polizei im Fall Kampusch ist sicher der Umstand, dass es die Entführte möglicherweise acht Jahre gekostet hat. Aber es lag doch nicht an politischer Korrumpierung, dass den Hinweisen eines Polizeihundeführers nicht nachgegangen wurde. Natürlich hätte ein so massives kriminalistisches Versagen untersucht ge­hört, aber wieder ist das schwerlich aus politischen Motiven unterblieben: Die schwarze Liese Prokop hatte sicher kein politisches Interesse, ein Versagen der Exekutive unter ihrem roten Vorgänger zu decken. Dieses Interesse hatten nur die befassten Dienststellen selbst: Natürlich wäre ein Beamter, der zu verantworten hat, dass Frau Kampusch acht Jahre nicht befreit worden ist, sofort abzulösen gewesen.

Aber nur, wenn sich herausstellen sollte, dass dieser Beamte ein ÖVP-Mann war und dass Liese Prokop und ihre Nachfolger deshalb auf eine Untersuchung verzichtet haben, läge ein „beispielloser ÖVP-Skandal“ (Alexander Van der Bellen) vor. Viel wahrscheinlicher ist freilich, dass der für jeden Apparat typische Corpsgeist dazu geführt hat, den Fall unterm Teppich zu halten. Auch Parteichefs, Konzernchefs oder Chefredakteure machen ein grobes Versagen „ihrer“ Mannschaft ungern öffentlich. Das ist nicht neu – das war hier­zulande seit jeher so.

Zweifellos liegt Machtmissbrauch vor, wenn VP-Mitarbeiter VP-Innenministern interne Unterlagen aus der Bawag-Untersuchung geliefert haben sollten bzw. wenn ­angeordnet wurde, allfällige Geldflüsse von der Bawag an die SPÖ mit besonderem Nachdruck zu verfolgen und entsprechende Informationen vorrangig der ÖVP zu übermitteln. Natürlich ist auch das ein „Skandal“, der dringend sowohl von der Staatsanwaltschaft wie parlamentarisch zu untersuchen wäre – aber unter den Skandalen, die ich in fünfzig Dienstjahren beobachten durfte, rangiert er höchstens unter „ferner liefen“. Vertrauliche Unterlagen behördlicher Erhebungen sind ständig an Medien gelangt – profil hat zeitweise davon gelebt –, und in den meisten Fällen hatte der involvierte Beamte ein politisches Motiv. (Manchmal freilich auch ein sehr anständiges – er wollte verhindern, dass ein brisantes, politisch unerwünschtes Untersuchungsergebnis auf dem weiteren Dienstweg umkonstruiert wird.)
Natürlich waren Parteizentralen über Ergebnisse, die in „ihren“ Ministerien anfielen und kritisch für ihre poli­ti­schen Gegner waren, fast durchwegs vorausinformiert, und nicht einmal das war nur düster: Es hat gesichert, dass solche Ergebnisse auch öffentlich wurden. Natürlich waren „Sekretäre“ öfter schillernd: Ohne Herrn Pusch wäre Fred Sinowatz kaum über die Waldheim-Affäre gestolpert.

Übertragen auf den Bawag-Skandal: Natürlich bestand ein massives Interesse der ÖVP, allfällige Geldflüsse an die SPÖ aufzudecken. Und es wäre – hätte es sie gegeben – sogar wünschenswert gewesen, wenn dies vor den Wahlen bekannt geworden wäre, denn die SPÖ wäre dann zu Recht für eine enge Bawag-Beziehung abgestraft worden. Nur wenn sich im Rahmen eines U-Ausschusses herausstellen sollte, dass geplant war, solche nicht existenten Geldflüsse durch Indiskretionen „wahrscheinlich“ erscheinen zu lassen oder gar zu konstruieren, würde ich von einem „unglaublichen Skandal“ sprechen.
Ansonsten halten sich die an Herrn Haidinger gerichteten Ersuchen im Rahmen des durch Jahrzehnte Üblichen. Ich möchte nicht wissen, woher Peter Pilz oder Jörg Haider immer wieder politisch durchaus nützliche interne Behör­den­informationen hatten.

Wobei ich – nicht um den aktuellen Fall zu verharmlosen, sondern bloß um seine Dimension ins richtige Verhältnis zu rücken – daran erinnern will, was in der Vergangenheit so passiert ist: Da wollte die Staatsanwaltschaft einen AKH-Skandal nicht weiter untersuchen, der dazu geführt hatte, dass dieses Spital etwa das Zehnfache des gleichwertigen Aachener Klinikums gekostet hat. Da wurde durch Jahre an der Steuerhinterziehung eines amtierenden Finanzministers vorbei untersucht. Da wurde im Fall Lucona ein sechsfacher Mord von Polizei wie Staatsanwaltschaft jahrelang negiert, obwohl die Beweise ungleich dichter als die Hinweise im Fall Kampusch waren. (Mit einem Dutzend weiterer Fälle kann ich jederzeit dienen.) Daran gemessen spielen die Bawag-Vorgänge im Innenministerium bei aller berechtigten Empörung in einer anderen Liga, denn sie stellen sich im schlimmsten Fall folgendermaßen dar: Die ÖVP wollte vor wichtigen Wahlen vor allen anderen von allfälligen Geldflüssen der Bawag an die SPÖ informiert sein. Herr Haidinger wies auf das Unerlaubte eines solchen Ansinnens hin, nachdem sein Dienstvertrag nicht verlängert worden war. All das gehört parlamentarisch wie strafrechtlich untersucht. Aber um von einem „unglaublichen Skandal“ zu sprechen, gab es schon glaubwürdigere Anlässe. Man kann es auch positiver formulieren: Der öffentliche Anspruch auf Sauberkeit ist gestiegen.