Skandalkultur: Schund und Sühne

Unterschwelliger Tenor: Tod durch Lasterhaftigkeit

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Trauerarbeit, wie von Ken Russell inszeniert: Am vergangenen Samstag nahm der Münchner Bussi-Bussi-Tross von einem seiner liebsten Maskottchen Abschied. Rudolph Moshammer hätte den exzessiven Pomp genossen: Der Mahagonisarg bedeckt mit einem Meer von „Mosis“ Lieblingsblumen (rote Nelken, weiße Lilien), die Aufhebung des Hundeverbots zugunsten des betagten Schoßhündchens Daisy im Gottessaal, Videowalls für das schaulustige Volk vor der Allerheiligen-Kirche neben der Münchner Residenz, die über Jahrhunderte den Wittelsbachern als Gebetshaus gedient hatte.

Der tragischste und skandalträchtigste Repräsentant der bayrischen Königsdynastie war das lebenslange Idol des vorvergangene Woche im Alter von 64 Jahren ermordeten Modeschöpfers.

Mosi verspürte zum „Kini“, wie man Ludwig II. in Bayern mit perfider Zärtlichkeit nennt, eine tiefe Affinität, die sich nicht nur in der taftlastigen Nachempfindung der Märchenkönig-Haartracht manifestierte. Wie der Wittelsbacher, der seinerzeit gern inkognito durch die Biergärten streunte, um Bauernburschen für seine Schwanenritterspiele zu rekrutieren, musste auch sein glühender Fan einsam „in der glitschigen Nacht“ nach „Liebe suchen“, wie die „Bild“-Zeitung gewohnt metaphernsicher vermerkte.

„Lady Di light“, meinte ein Schaulustiger angesichts der Plüschtier- und Blumenmeere, die sich vor dem Moshammer-Laden in der Münchner Maximilianstraße ergossen. Doch der Dianaisierung des Ermordeten steht, trotz eines staatsaktähnlichen Begräbnisses und offizieller Tränen, nur eines im Weg: Moshammers homosexuelle Identität, die nun von den Medien genussvoll zur eigentlichen Todesursache hochstilisiert wird.

Dampfender Boulevard. Die Nachricht vom Mord hatte am 14. Jänner zwar eine kurze Pietätsstarre zur Folge, doch dann dampfte der Boulevard. Eine Tragödie mit so massivem Voyeurismus-Impact hatte es in Deutschland schließlich schon lange nicht mehr gegeben. Im Licht der täglichen Enthüllungen zum Fall Moshammer muten Michel Friedmans Koks- und Nutten-Abenteuer vor zweieinhalb Jahren wie ein harmloser Lausbubenstreich an, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil sich Friedmans Frivolitäten im lupenreinen Heterosexuellenmilieu abgespielt hatten.

Zu den Ingredienzen der Moshammer’schen Soap noir zählen hemmungslos zur Schau gestellter Reichtum, pathologische Geltungssucht, ein als konsequente Hardcore-Operette inszeniertes Leben und vor allem eine öffentlich unterdrückte sexuelle Identität, deren Backstage-Erfüllung zu zwielichtigen Handelspartnerschaften in den Schattenzonen der Gesellschaft führte.

Vor allem das deutsche Massenblatt „Bild“ instrumentalisiert die Enttarnung von „Mosis“ sexuellen Einkaufstouren in den Münchner Strichergefilden für moralphilosophische Entrüstungstiraden. Der „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner macht seinem Selbstverständnis als „Gossen-Hemingway“ alle Ehre, wenn er anmerkt, dass „der Beweinte ein lasterhafter Satyr war“, der starb wie eine „Nippes-Figur“, mit dem feinen Unterschied, dass er sich selbst „heruntergestoßen hat und in tausend Scherben zerbrochen ist“. Der unter dem Pseudonym David Blieswood agierende „Bild“-Kollege greift noch zwei Schubladen tiefer, wenn er vom Mordopfer als „einem Schmierenkönig in der Gosse der Gefühle“ spricht, „der mit gemeißeltem Grinsen und modrigem Atem jüngere Männer in die Backe knipst und an den Beinen tätschelt“. Prosa dieser untergriffigen Tonart hatte man zuletzt nach dem Mord am einstigen Vorzeige-Bayern Walter Sedlmayr 1990 zu lesen bekommen. Im Zuge der Ermittlungen schrumpfte der Fall jedoch von einem Tötungsdelikt im schwulen Lack-und-Leder-Milieu zu einer vergleichsweise langweiligen Bluttat aus Habgier.

Bigotterie. Das Massenblatt „Bild“ markiert nur die Spitze der bigotten Reaktion. Von der Münchner „Abendzeitung“ über die „Bunte“ bis hin zu den Boulevardmagazinen der Privat-Fernsehstationen wurde Moshammers „schwitziges“ Paralleluniversum detailreich zerpflückt. Da kamen dessen einstige Liebesdiener aus der Bahnhofsgegend zu Wort, durften B- und C-Prominente Analysen zu „Rudis“ einsamkeitsdominiertem Gefühlshaushalt absondern, erklärten frühere Leibwächter und Chauffeure, dass sie immer schon von dunklen Ahnungen bezüglich „Herrn Moshammers“ Spätabendgestaltung geplagt wurden.

Gleichzeitig brachten die Medien – sozusagen als pädagogischen Mehrwert – grelles Licht ins Zwielicht, indem sie ihr Publikum mit atmosphärischen Schilderungen und Begriffserläuterungen aus einem durch und durch verruchten Terrain versorgten: dem „homosexuellen Milieu“ („Süddeutsche Zeitung“). Wenige Tage nach dem Verbrechen wusste jeder heterosexuelle Saubermensch in Deutschland, was „Cruising-Areas“ und „Klappensex“ sind, dass man in „einschlägigen Kreisen“ durch ein links getragenes Tuch signalisiere, „dass man im Liebesspiel den aktiven Part übernehmen möchte“, und die Farbe Gelb ein Faible für Dicke symbolisiere.

Die einhellig festgestellte Todesursache lautet also: Lasterhaftigkeit. Denn der kollektive Subtext der Berichterstattung suggeriert, dass das Mordopfer an seinem gewaltsamen Ende nicht unschuldig sei und das Schicksal eben durch „sein bizarres Doppelleben“, so die „Bunte“, quasi herausgefordert habe. Derlei unterschwellige Moralideologie erinnert fatal an jene Stammtischmentalität, die für Vergewaltigungsopfer nur bedingt Mitleid empfinden mag, da diese durch erotisch stimulierende Kleidung die Täter geradezu herausfordern. Selber schuld sozusagen. Hatte nicht auch „Mosi“ seine potenziellen Lustknaben mit den Insignien obszönen Wohlstands – Rolls-Royce, dicke Klunker, aus „Lamaschamhaaren“ („Stern“) gewobenes Tuch – provoziert?

Aus dem Schrank. „Your closet can be your coffin“ (Dein Schrank kann dein Sarg sein), hatte der 1994 verstorbene britische Filmemacher Derek Jarman am Höhepunkt der Bekenntnis-Kultur Mitte der Achtziger gesagt. Die Metapher „Coming out of the closet“ symbolisierte das Ende des Versteckenspielens, das „die sexuell gleichgeschlechtlich Orientierten“, so der Terminus aus der Political-Correctness-Ära, jahrhundertelang in eine Ghetto-Kultur gezwungen hatte. Einen Wendepunkt markierte das tragische Schicksal des Pyjama-Casanovas Rock Hudson, der 1985 mit seinem Aidssterben zugleich seine Homosexualität öffentlich gemacht hatte.

Leidensgeschichte. Während im antiken Griechenland die Beziehung eines jungen Mannes zu einem erwachsenen Liebhaber noch als zwingende Voraussetzung für den Eintritt in die „gute Gesellschaft“ galt, begründete die römische Weltherrschaft die Ausgrenzungs- und Leidensgeschichte der Homosexualität. Cato verwarf sie als „griechische Dekadenzerscheinung“, Kaiser Augustus stellte sie unter Todesstrafe, die jedoch in der Regel nicht exekutiert wurde. Unter dem christlichen Kaiser Justinian herrschten noch strengere Sitten: „Widernatürlichkeiten“ wurden ansatzlos mit dem Verlust des Lebens geahndet. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde erstmals programmatisch über die Befreiung von Zwängen und eine Rebellion gegen den gesellschaftlichen Normenkanon nachgedacht.

Der Wiener Psychiater Richard Krafft-Ebing forderte in seinem 1886 erschienenen Hauptwerk „Psychopathia sexualis“ vehement Straffreiheit für Homosexuelle, „insofern sie sich innerhalb der Schranken bewegen, die überhaupt der Betätigung des Sexualtriebs gezogen werden“.

Als Pionier der modernen Schwulenbewegung gilt der deutsche Arzt Magnus Hirschfeld, der 1897 mit dem „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“ die erste Schwulenorganisation der Welt begründete.

Ein Jahr zuvor hatte die Tragödie des irischen Dandys und Dichters Oscar Wilde im viktorianischen England europaweit Aufsehen erregt. Der verheiratete Familienvater Wilde, der ebenfalls jahrelang seine Homosexualität heimlich hatte ausleben müssen, bezahlte für seine Liaison mit einem jungen Aristokraten einen vernichtend hohen Preis: zwei Jahre Zuchthaus inklusive Zwangsarbeit und totale gesellschaftliche Ächtung. Der Skandal hatte immerhin die Nebenwirkung, dass erstmals öffentlich über „die namenlose Liebe“ diskutiert wurde.

Der sachte einsetzenden Liberalisierung nach Hirschfeld setzte das NS-Regime wieder ein jähes Ende. Homosexualität rangierte unter der Definition „boshafter Trieb der Judenseele“; den Nazi-Vernichtungsprogrammen fielen schätzungsweise 10.000 homosexuelle Männer zum Opfer.

Im Zuge der sexuellen Revolution in den sechziger und siebziger Jahren durchlief die Schwulenbewegung einen ähnlichen Entwicklungsprozess wie der Feminismus. Gleichberechtigungstiraden wurden skandiert, das Recht des Orgasmus für alle gefordert, doch die gesellschaftliche Praxis hinkte den Befreiungstheorien noch lange hinterher.

Künstler wie der italienische Filmemacher und Autor Pier Paolo Pasolini, der sich von gepflegten Diners mit dem Satz „Viel Vergnügen, aber ich gehe jetzt auf den Strich!“ zu verabschieden pflegte und wie der Ex-Stricher und französische Skandalautor Jean Genet nie ein Hehl aus seiner Faszination für proletarische Knaben machte, zählten da zu Ausnahmeerscheinungen. Pasolini wurde 1975 von einem jungen Römer mit einer Holzlatte erschlagen (siehe Kasten Seite 98).

Gesetzeszwänge. In Österreich wurde die strafrechtliche Verfolgung gleichgeschlechtlicher Liebe erst 1971 aufgehoben; die Legalisierung homosexueller Prostitution trat erst 1989 in Kraft; der heftig umstrittene Strafgesetzparagraf 209, der für homosexuelle Beziehungen ein Schutzalter von 18 Jahren vorschrieb, wurde erst vor zwei Jahren den einschlägigen Regelungen für Heterosexuelle angeglichen.

Dass Rudolph Moshammer, dessen Lebensstil eine – wenn auch operettenhafte – Rebellion gegen die Norm war, sich ein Leben als „Klemmschwester“, so der Jargon-Begriff für Nichtbekenner, verordnete und seine sexuelle Orientierung ängstlich leugnete, erstaunt bei näherer Betrachtung nicht. Als in Deutschland 1968 die Liebe unter Männern in die Straffreiheit überführt wurde, war Moshammer 27 Jahre alt. Einen stattlichen Anteil seiner späteren Stammklientel rekrutierte der Modemacher Mosi laut „Stern“ unter „homophoben Scheichs“.

Als berühmte Kollegen wie Giorgio Armani oder der 1997 von einem Callboy erschossene Gianni Versace sich in Interviews unaufgeregt zu ihrer sexuellen Identität äußerten, hatte Moshammer längst den Zenit seiner Karriere überschritten und sich in seiner grotesken Panik vor dem eigenen Verfall der Lächerlichkeit preisgegeben. „Man muss seine Träume leben – egal, um welchen Tarif“, sagte er einmal in einem Interview. Er hat seine Träume um den Tarif der Selbstverleugnung ausgelebt. Das Jarman-Diktum „Your closet can be your coffin“ ist durch den Fall Moshammer beklemmend wörtlich bestätigt worden.