Ski Heil: Skirennsport unterm NS-Regime

Ski Heil: Dokumentation beleuchtet die braune Periode im weißen Sport

Die braune Periode im weißen Sport

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Von Angelika Hager

Ein besonders talentierter Skischüler dürfte er nicht gewesen sein, der spätere Rüstungsminister und Hitlers oberster Bauherr Albert Speer. Aber richtig aufgehoben bei Karl Koller, dem für seine Verschwiegenheit bekannten Kitzbüheler Skilehrer. Die „Bonzen“, neben Speer auch der Postminister Wilhelm Ohnesorge, ließen sich gern von ihm im Stemmpflug unterrichten – noch vor dem Anschluss. Koller: „Man hat gewusst: Ich sag nichts weiter. Aber zuhören hat man oft schon müssen. Auch wenn’s einen überhaupt nicht interessiert hat. Was er jetzt denn nicht wieder alles für den Hitler bauen muss und kann, hat der Speer sehr gerne erzählt.“ Karl Koller, der in wenigen Wochen neunzig wird, ist einer von vier Skiveteranen, die in der auf der Diagonale erstmals ge­zeigten Dokumentation „Ski Heil – die zwei Bretter, die die Welt bedeuten“, dem Filmdebüt des in Berlin lebenden Salzburgers Richard Rossmann, Einblicke in die Pioniertage des Skirennsports in Österreich und dessen Vereinnahmung durch das NS-Regime gewähren.

Hitler selbst fuhr zwar nicht Ski, wurde aber durch die Sport-und Regiekanone Leni Riefenstahl auf den Geschmack gebracht. Erstmals erprobte er das propagandistische Potenzial der Skirennläufer bei den Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen, wo Slalom und Abfahrt erstmals als olympische Disziplinen eingesetzt wurden. Historisch betrachtet konnte Österreich den Wettlauf um den Status der Wiege des Skirennsports klar für sich entscheiden. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts zeichneten sich Ansätze des Skilaufs im Wettbewerbsformat im steirischen Mürzzuschlag ab, die Schweizer folgten erst 1902 mit dem „Gurten“-Rennen im Berner Oberland. Als Geburtsstunde des internationalen Rennsports gilt jedoch erst der 4. März 1928, an dem erstmals am Arlberg bei St. Anton die Disziplinen Abfahrt, Slalom und Riesentorlauf in der Kombinationswertung abgehalten wurden. Die Durchführung des ersten Hahnenkamm-Rennens fand erst drei Jahre später statt, im selben Jahr wurde auch die erste europäische Skimeisterschaft im schweizerischen Mürren abgehalten.

Zeitenunterschiede zwischen den Rängen von einer Viertelstunde waren am Arlberg beim ersten internationalen Kombinationsbewerb, der den Beinahmen Kandahar trug, keine Seltenheit. Die Britin Doreen Elliott konnte zwar damals den Riesentorlauf für sich entscheiden, alle anderen Medaillen blieben aber in österreichischer Hand.

Initiatoren des ersten Kandahar-Rennens waren der 1888 in Indien geborene Brite Arnold Lunn, ein echter Avantgardist in den Disziplinen Bergsteigen und Skilauf, der für Engländer alpine Reisen in die Schweiz organisierte, und sein kongenialer Partner Hannes Schneider, 1890 in Stuben am Arlberg als Sohn eines Arlbergtunnel-Bauarbeiters geboren und Begründer der ersten österreichischen Skischule in St. Anton im Jahr 1920. Der Begriff Kandahar-Rennen rührt von dem Briten Frederick Leigh Earl Robert of Kandahar, einem frühen Förderer des Schweizer Skisports und Mitbegründer des Skiclubs SC Kandahar im Berner Oberland, der als Mitveranstalter fungierte.

„Klostil“. Schneider, der nach dem Anschluss von den Nazis wegen seiner Aversion gegen das Regime sofort verhaftet wurde und später in die USA flüchtete, muss so etwas wie ein Popstar gewesen sein. Wenn die Skiveteranen in Rossmanns Dokumentation von Schneiders Verdiensten für die Entwicklung des Rennsports erzählen, geraten alle in respektgeladenes Schwärmen. Während damals vorrangig der in der norwegischen Landschaft Telemarken Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte gleichnamige richtungswechselnde Stoppschwung als State of the Art galt, lehrte Schneider in seiner St. Antoner Skischule bereits den Vorläufer des heutigen Parallelschwungs, den so genannten Stemmbogen in einer geschwindigkeitsbeschleunigten Form. Auch die „Arlberg-Hocke“, zur Zeit ihres Entstehens noch als „Klostil“ verhöhnt, ging auf seinen Erfindungsgeist zurück. Für Schneiders technische Pioniertaten war jedoch bereits nahezu 30 Jahre zuvor die von den damaligen Zeitgenossen heftig attackierte Vorarbeit geleistet worden: Der aus dem tschechischen Teil der Monarchie stammende Mathias Zdarsky hatte 1890 die stabile Lilienfelder Stahlsohlenbindung entwickelt, die im Gegensatz zur üblichen Riemenbindung das Befahren von Steilhängen ermöglichte. Zdarsky, der 1905 im niederösterreichischen Lilienfeld den ersten Torlauf der Skigeschichte, damals noch „Hindernislauf“ genannt, organisierte, wurde für seinen rasanten „Schlangenschwung“ heftig als subversives Element kritisiert. Obwohl der Lawinenüberlebende 1897 mit seinem Werk „Die Lilienfelder Skilauftechnik“ die Grundlage zum Skilauf als späterer Massensport legte, wurde er vom Österreichischen Skilehrerverband erst 1930 offiziell akzeptiert. In der Zeitschrift „Der Schnee“ schrieb der damals 74-jährige Alpinrebell: „Man muss ein Österreicher sein, um eines Tages zu erfahren, dass das Ministerium für Unterricht den Begründer des alpinen Skilaufs zum staatlich geprüften Skilehrer ernannt hat. Woher hat die Prüfungskommission ihr Wissen genommen, fragt sich der dennoch stets heiter gestimmte Zdarsky …“ Erleben durfte Zdarsky noch, dass die 1924 im französischen Chamonix gegründete FIS (Fédération Internationale de Ski) nach jahrelangem, vor allem von den skandinavischen Mitgliedern genährtem Widerstand den alpinen Skisport (Slalom und Abfahrt) ins Reglement aufnahm – bis dahin hatte sich die Vereinigung ausschließlich auf nordische Sportarten wie Skispringen und Langlauf beschränkt. Zwar ist die Erfindung der Ski norwegischen Ursprungs – in Telemarken wurden rudimentäre Bretter um 1860 als Fortbewegungsmittel entwickelt und in der Folge zum Skispringen verwendet –, doch die skandinavischen Staaten sahen die Publikumswirksamkeit ihrer Disziplinen durch den Skirennsport bedroht.

Filmglamour. Durch vehementen Einspruch der Engländer und die Drohung der Schweizer, auszutreten und eine ausschließlich dem Skirennsport verpflichtete Gegeninstitution zu gründen, kapitulierte das Komitee 1930 und fügte den Statuten bei einer Konferenz in Oslo einen einzigen, resignativen Satz bei: „Abfahrts- und Slalomrennen können ausgerichtet werden.“ Ein Satz, der eine kopernikanische Wende für die Geschichte des Wintersports einläuten sollte. Zur gleichen Zeit hatte die Glamourbranche des Films die Welt des Skisports als perfektes Transportmittel für Abenteuer, Romanze, Courage und atemberaubende Naturaufnahmen für sich entdeckt.

Der heute 98-jährige Tiroler Guzzi Lantschner beschreibt in der Dokumentation „Ski Heil“ die „weiße Rauschstimmung“, die Anfang der dreißiger Jahre rund um den Kreis des Arlberger Skipioniers Hannes Schneider herrschte. Das damals 21-jährige Ausnahmetalent aus dem angesehenen Innsbrucker Lantschner-Clan fiel dem deutschen Geologen und Filmpionier Arnold Fank sofort durch seinen eleganten und verwegenen Stil auf. Der kernige Typ mit den markanten Zügen erschien als ideale Ergänzung für das Protagonistenpaar im später kommerziell äußerst erfolgreichen Abenteuerstreifen „Der weiße Rausch“: Hannes Schneider, der zuvor für den Filmvisionär Fank schon in „Der große Sprung“ und „Das Wunder der Schneeschuhe“ gespielt hatte, agierte als schneidiger Skilehrer, der einer frechen „Winterfrischler“-Göre aus Berlin die Bretter nahebringen soll. Diesen Part gab Hitlers spätere Propagandafilmerin, die damals 29-jährige Leni Riefenstahl, die sich mit der Schauspielgage vom „Weißen Rausch“ die Produktion ihres ersten Spielfilms („Das blaue Licht“) ermöglichte. Im Zuge der heroischen Skifilme, denen Hitler-Liebling Riefenstahl nicht nur durch wagemutige Ski- und Bergakrobatik erotischen Pep verlieh, fing auch der spä­tere „Führer“ Feuer für den Skisport und erkannte dessen magische Massenwirksamkeit. „Wenn wir einmal an die Macht kommen“, hatte er ihr bereits 1932 erklärt, „dann werden Sie unsere Filme machen.“

Gustav „Guzzi“ Lantschner avancierte zum Protegé der vom Ehrgeiz getriebenen Schauspielerin, die sich längst für eine Karriere als Filmerin entschieden hatte. „Die Riefenstahl war sehr, sehr aufgeschlossen“, spielt Lantschner nicht ohne Schalk auf Riefenstahls Arbeitsbeziehungsreichtum an, „man ist mit ihr sehr leicht in Kontakt gekommen. Wir sind ja damals über die Dächer von drei Hütten hintereinander gesprungen. Das hat die schon alle sehr beeindruckt.“ Neben seiner Rennsportkarriere – Lantschner war 1932 der erste österreichische Abfahrtsweltmeister in Cortina D’Ampezzo – erlernte er unter Riefenstahls Fittichen das Filmhandwerk.

1934 war er einer ihrer Kameramänner für den NSDAP-Propagandastreifen „Triumph des Willens“; 1936 arbeitete er in der gleichen Position bei der monumentalen Inszenierung der Olympischen Sommerspiele in Berlin mit – die zwei Teile „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ (später auch „Götter des ­Stadions“) gingen in die Filmhistorie als Monumentalbeispiele für perfid-geniale Propagandaästhetik ein. Im Zuge seiner Karriere als Filmer der großdeutschen Wochenschau von 1939 bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs hatte Lantschner mehrfach hautnahen Kontakt zum Führer: „Ich bin mit ihm auf einer Reise durch Österreich im Auto mitgefahren. Politisch hab ich mir dabei nicht viel gedacht. Ich hab ihn gefilmt wie jeden anderen auch. Er erschien mir als äußerst tüchtiger und konsequenter Mensch. Frei gedacht war er ein hochinteressanter Mann, der weitaus tüchtiger als der Durchschnitt war. Und mit dem Volk sehr gut ­umgehen konnte.“ Dass Lantschner die Gräuel des NS-Regimes auch heute nicht mit kritischer Distanziertheit betrachtet, erklärt er selbst so: „Wir haben die schlechten Zeiten nicht so miterlebt. Und über die politischen Verhältnisse nicht so nachgedacht. Wir lebten in diesem Leben und in den ­Filmen.“

Startverbot. Im Gegensatz zu seinen österreichischen Kollegen durfte Lantschner bei den Olympischen Winterspielen unter Nazi-Flaggen in Garmisch-Partenkirchen 1936 teilnehmen. Der Tiroler, der als Riefenstahl-Schützling 1935 die reichsdeutsche Staatsbürgerschaft übernommen hatte, holte für das Dritte Reich die Silbermedaille in der Abfahrt. Richard Rossmann sen. und Eberhard Kneisl waren zwar als Mitglieder der österreichischen Olympiamannschaft nach Garmisch-Partenkirchen gereist, durften aber nach mehreren Trainingsläufen völlig überraschend nicht an den Start. Die offizielle Begründung: Die Österreicher wären keine Amateure im olympischen Sinn, weil sie sich ihren Lebensunterhalt als Skilehrer verdienten. „Der wahre Grund war“, so Rossmann sen., „dass die Deutschen gesehen haben, dass sie gegen uns nicht den Funken einer Chance gehabt hätten. Wir hätten alles gewonnen. Der Pfnür (Anm.: Franz) aus Berchtesgaden hat dann den Slalom gewonnen. Den Toni Seelos (Anm: aus dem Tiroler Seefeld, Begründer des Parallelschwungs) haben sie als Vorläufer noch eingeladen gehabt. Aber als er im ersten Durchgang sechs Sekunden schneller war als der Sieger, durfte er im zweiten gar nicht mehr antreten.“

Den Zuschlag für die Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen 1936 und im gleichen Jahr im August in Berlin hatte das IOC im Jahr 1931 dem in den Völkerbund eingetretenen Deutschland erteilt. Damals formulierten die in Opposition befindlichen Nationalsozialisten via „Völkischer Beobachter“ noch ihre Bedenken am „olympischen Internationalismus, der eine Begünstigung des bolschewistischen Kampfes gegen die deutsche Rasse“ verkörpere. Mit der Machtübernahme 1933 änderte sich der NS-Zugang zum olympischen Gedanken radikal.

Das Goebbels-Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung witterte die einmalige Chance, der Welt mittels der olympischen Inszenierungen ein prosperierendes, heroisches neues Deutschland zu zeigen. Hitler möge doch, so die Bitte des Propagandaministers, die Sportereignisse benutzen, um der „ausländischen Gräuelpropaganda“ außenwirksam entgegenzutreten und die internationale Isolierung zu durch­brechen.

Die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen 1936 dienten quasi nur als „Vorspiel“ für die Gigantomanie, die im Sommer in Berlin folgen sollte und der „Überlegenheit der deutschen Rasse“, so die Propagandadiktion, eine bisher nie da gewesene Schaubühne bot. Die Tatsache, dass in Berlin der schwarze Jesse Owens, Sohn eines Baumwollpflückers, vier Goldmedaillen erlief, wurde in der Berichterstattung weitgehend zur Nebensächlichkeit degradiert. Goebbels benutzte sowohl Garmisch-Partenkirchen als auch Berlin für gezielte Täuschungsmanöver gegenüber den ausländischen Gästen. Während der Olympischen Spiele mussten alle rassistischen Hetzplakate entfernt werden, und das Zentralorgan des Antisemitismus, „Der Stürmer“, wurde mit einem temporären Erscheinungsverbot belegt. Im „Völkischen Beobachter“ hingegen wurde auftragsgemäß Pazifismus simuliert und über die Völkerverbindung als Friedensstifter geschwärmt. Das IOC betrieb begleitende Vogel-Strauß-Politik. Vor der Eröffnung der Winterspiele ließ man 1936 in einer Presseaussendung verkünden: „Aus unserer Sicht gibt es in den olympischen ­Stätten weder Rassismus noch Verfolgung. Der Rest betrifft uns nicht.“

Das monumentale Tarnmanöver dürfte selbst ein perfides Kaliber wie Propagandaminister Joseph Goebbels mit fortschreitender Dauer erschöpft haben. Sowohl nach Ende der Winter- als auch der Sommerspiele notierte er in sein Tagebuch: „Heute endlich kein Sport. Das ist wunderbar.“
Für die Skigötter der Vorkriegszeit war das Sportlerleben nach dem Krieg alles andere als reibungslos.

Karl Koller, der zwei Jahre Mitglied des großdeutschen ­Skiteams gewesen war und seine frühere Faszination für das Dritte Reich nach brutalen Einsätzen an der Front erheblich bereute, erzählt von seinem ersten Hahnenkamm-Rennen 1946: „Tirol war ja damals von den Franzosen besetzt. Und die französische Nationalmannschaft hat uns damals regelrecht vom Übungshang verwiesen. Die haben uns richtig vertrieben. Antreten haben wir aber dann doch dürfen.“ Die Metallstatue eines unpassenden Marathonläufers, den er dann für den Sieg in der Kombination von der Besatzungsmacht er­halten hatte, besitzt deswegen einen ganz besonderen Platz in dem kleinen Holzhaus, in dem er seine Erinnerungsstücke ­aufbewahrt.

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Ski Heil der Film