Moderner Sklaven- Handel in Österreich

Sklaven-Handel

Der Handel geht brutal mit seinem Personal um

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Welch verlockende Angebote: Sie versprechen nichts weniger als das Jobparadies auf Erden – familiäre Atmosphäre, flexible Arbeitszeiten, gutes Geld und glänzende Karrierechancen.
„Mit Sonne im Herzen gemeinsam zur Nr. 1 – das ist die Philosophie, die wir unseren Kunden und Mitarbeitern entgegenbringen“, wirbt die XXXLutz GmbH um Möbelverkäufer und Einrichtungsberater.
„Unsere Mitarbeiter sind der wichtigste Erfolgsfaktor unseres Unternehmens“, versichert die Hornbach Baumarkt GmbH Interessenten für offene Stellen.
„Eigenverantwortliches Arbeiten“ verspricht die Rewe Austria AG potenziellen Billa-Kassiererinnen: „Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!“
Dass die wohlgesetzten Worte der jeweiligen Personalabteilung mit der Realität oft nicht viel zu tun haben, müssen tausende Handelsangestellte Tag für Tag am eigenen Leib erfahren.
Ob Billa oder Hornbach, XXXLutz oder Schlecker, Zielpunkt oder Hofer – täglich melden sich dutzende Beschwerdeführer bei Arbeiterkammer und Gewerkschaft, um ihr Leid zu klagen.
Der Befund ist klar: Kaum ein Wirtschaftszweig springt derart mit seinem Personal um wie der Handel. Karl Proyer, Leiter der zuständigen Sektion in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA): „Die Branche ist seit vielen Jahren unser größtes Sorgenkind.“
Die Arbeitszufriedenheit ist niedrig, die Fluktuation hoch. Jedes Jahr wechselt ein Drittel der Angestellten den Job – vielfach im Unfrieden mit dem Dienstgeber. Laut Gewerkschaft betrifft rund die Hälfte aller derzeit in Österreich anhängigen Arbeitsrechtsverfahren Fälle aus dem Handel.
Dass sich die Prozesse in jüngster Zeit häufen, hat auch mit den geänderten Rahmenbedingungen in der Branche zu tun: Die Öffnungszeiten wurden sukzessive ausgeweitet, der Preiskampf der großen Ketten ist deutlich härter geworden.

Harte Bandagen. Dabei kommt vor allem das Personal unter Druck. Die Ausgaben für die Belegschaft sind im Handel eine der größten Kostenpositionen. Vor allem aber eine, die auch beeinflussbar ist. Mitarbeiter sind aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation leicht zu haben – und ebenso leicht zu ersetzen, wenn sie sich den Bedingungen der Handelsketten nicht beugen.
Und die sind in der Tat hart. Da wird etwa vielfach vorausgesetzt, dass Angestellte eine halbe Stunde vor Ladenöffnung das Geschäftslokal auf Hochglanz bringen und nach Kassenschluss die Abrechnung machen. Ohne dafür auch nur einen Cent bezahlt zu bekommen, versteht sich.

Vorgeschriebene Arbeitspausen werden vom Arbeitgeber zwar oftmals nicht gewährt, sehr wohl aber vom Lohn abgezogen. Verkäuferinnen müssen sich nach einem niedrigeren Gehaltsschema einstufen lassen, als ihnen eigentlich zustehen würde. Vielfach werden Dienstnehmern Berufsjahre, die für die Bemessung ihres Lohnanspruchs ausschlaggebend wären, einfach nicht angerechnet.
Teilzeitkräfte – die rund 30 Prozent der Handelsangestellten ausmachen – warten zu Hause vor dem Telefon, um bei Bedarf auf Abruf stundenweise beschäftigt zu werden. Warum von früh bis spät eine komplette Kaufhausmannschaft bezahlen, wenn man die Leute doch nur zu gewissen Stoßzeiten wie kurz vor Ladenschluss oder am Samstag braucht?

Selbst vor Kündigungen während eines Krankenstandes – laut Gesetz definitiv unzulässig – schrecken manche Dienstgeber nicht zurück: Den Arbeiterkammern flattern immer wieder diesbezügliche Beschwerden ins Haus.
Zudem werden immer häufiger Detektive auf die Belegschaft angesetzt – nicht nur, um Diebstählen vorzubeugen, sondern auch, um sicherzustellen, dass sie sich beim Kassieren keine Fehler leisten. In einer Bipa-Drogerie nahe Wien entdeckte die Filialleiterin kürzlich gleich drei Videokameras, die ein Detektiv im Auftrag der Geschäftsleitung versteckt hatte. Eine davon hatte gar den Personalumkleideraum im Visier.

Häufigster Streitpunkt ist und bleibt aber das Thema Arbeitszeit. Vergangene Woche wurden schwere Vorwürfe gegen die Rewe-Gruppe laut, zu der neben Billa auch die Handelsketten Merkur, Mondo/Penny, Emma und Bipa gehören: Der Konzern habe Mitarbeiter teilweise auf Basis so genannter „Aushilfslöhne“ bezahlt – eine in Österreich nicht legale Praxis.

Offiziell nur für zehn Stunden angestellt und versichert, tatsächlich aber vierzig Stunden und mehr im Geschäft – so soll vor allem in Emma-Läden die Realität aussehen, weiß Karl-Heinz Garo, ehemaliger Prokurist der Emma Otto GmbH. Der Lohn für die Überstunden sei am Finanzminister vorbeigeschmuggelt, die Krankenkasse um Sozialabgaben geprellt worden, behaupten Ex-Mitarbeiter. Mit entsprechenden Einbußen bei Pensionen, Urlaubs- und Weihnachtsgeldern. Wer nicht mitmachen wollte, habe mit dem Rauswurf rechnen müssen.
Für den GPA-Gewerkschafter Florian Czech gehören derartige Vorwürfe gegen den Rewe-Konzern beinahe schon zur täglichen Routine: „Wir haben alleine in den ersten Monaten dieses Jahres über 400 arbeitsrechtliche Anfragen und Beschwerden von Rewe-Mitarbeitern registriert.“ GPA und AK haben deshalb inzwischen eine eigene Task Force gegründet, die sich nur mit Rewe beschäftigt.

Sonderprüfung. Die Vorwürfe der AK seien „einfach unvorstellbar“, sagt Rewe-Sprecher Wolfram Schmuck. Freilich: „Bei 1700 Geschäften kann man solche Missstände nie ganz ausschließen.“ Sollte es sie tatsächlich geben, könne die Verantwortung dafür beispielsweise bei Filialleitern liegen, die ihre Personalkosten nicht unter Kontrolle hätten.

Inzwischen läuft nicht nur eine „interne Untersuchung, damit das aufgeklärt wird“ (Schmuck), auch das örtlich zuständige Finanzamt und die niederösterreichische Gebietskrankenkasse nehmen Rewe nun im Rahmen einer Sonderprüfung unter die Lupe. Sollten sie dabei fündig werden, drohen dem Konzern saftige Fiskal- und Beitragsnachzahlungen.

Bei den Untersuchungen geht es vor allem um die so genannten geringfügig Beschäftigten, die nicht mehr als 316,19 Euro brutto im Monat verdienen und vom Arbeitgeber weder kranken- noch pensionsversichert werden müssen. Für den kargen Lohn dürften sie laut Kollektivvertrag eigentlich nur zwischen sieben und elf Stunden pro Woche im Einsatz sein. Tatsächlich sind es im Regelfall deutlich mehr. Laut einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Ifes im Auftrag der AK durchgeführt hat (siehe Grafik), arbeiten 36 Prozent der „Geringfügigen“ zwischen zehn und 20, acht Prozent sogar mehr als 20 Stunden wöchentlich. Das heißt: Der Arbeitgeber bezahlt sie entweder schwarz – oder am Gesetzgeber vorbei überwiegend auf Überstundenbasis.

Geringfügig vollbeschäftigt. GPA-Funktionär Proyer ist mittlerweile der Überzeugung, dass „ein Drittel bis die Hälfte aller Geringfügig-Beschäftigten-Verhältnisse im Handel nichts anderes sind als Umgehungsverträge“.
Während es bei Rewe wenigstens noch ein bescheidenes offizielles Grundgehalt gibt, herrschte bei der Textilkette Peek & Cloppenburg in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Tagelöhnertum. Mitarbeiter mussten sich auf Abruf bereithalten und wurden je nach Bedarf stundenweise beschäftigt. Der ehemalige Betriebsrat Roderick Szavai: „Lieblinge der Geschäftsleitung konnten schon einmal ihre Wünsche äußern. Wer aber in Ungnade fiel, musste bangen, überhaupt arbeiten zu dürfen.“

Nachdem Szavai die AK über diese Praxis informiert hatte, wurde er im Unternehmen kaum noch gebraucht: „Zuletzt habe ich gerade einmal 200 Euro im Monat verdient.“ P&C hat die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen, erklärte sich vor kurzem aber dennoch bereit, das System etwas mitarbeiterfreundlicher zu gestalten. Zahlreiche P&C-Mitarbeiter prozessieren freilich immer noch um ihr Geld.
Auch beim XXXLutz will die AK Missstände ausgemacht haben. Dort würden, so die Vorwürfe, etwa in der Filiale Krems Teilzeitkräfte vor jedem Arbeitstag bei der Krankenkasse an- und danach gleich wieder abgemeldet – ein prinzipiell durchaus legales Vorgehen. Allerdings, so die AK, seien den Dienstnehmern vom Unternehmen dabei immer wieder die anteiligen Urlaubs- und Weihnachtsgelder vorenthalten worden.

„Wir haben immer wieder Beschwerden in diese Richtung. Wenn wir einschreiten, zahlt XXXLutz sofort brav nach“, sagt AK-Bezirksstellenleiterin Doris Schartner. „Aber kaum ist der Fall abgeschlossen, kommt schon der nächste. Da dürfte System dahinter stecken.“
Was das Unternehmen strikt zurückweist: „Sollte es derartige Probleme in Einzelfällen gegeben haben, dann waren sie so gering, dass sie nicht einmal bis zur Geschäftsleitung vorgedrungen sind“, heißt es in der Zentrale in Wels. „Ein System gibt es mit Sicherheit nicht.“

Doch nicht nur Teilzeitkräfte, auch Handelsangestellte mit Vollzeitvertrag beschweren sich vielfach über die rauen Sitten. Vor allem wenn es um die Abgeltung von Überstunden geht, nehmen es manche Unternehmen nicht sehr genau.
„Um sechs anfangen, ab sieben bezahlt werden. Um acht heimgehen, aber nur bis sieben Geld bekommen“: So beschreibt Brigitte Bauer*), Leiterin einer Salzburger Hofer-Filiale, ihren Arbeitsalltag. In nur vier Monaten habe sie auf diese Art und Weise 80 unbezahlte Überstunden geleistet – das Geld dafür wird sie nie mehr bekommen. AK-Jurist Hans Trenner kennt Fälle, „in denen Stechuhren so eingestellt werden, dass sie Mitarbeiter nach einer bestimmten Stundenanzahl automatisch als nicht mehr anwesend ausweisen. Egal, ob diese noch im Haus sind oder nicht. Die Handelsbranche hat leider generell ein Problem mit den Überstunden.“

Fallen im Kleingedruckten. Bei ihrem einvernehmlichen Abgang übersah Hofer-Angestellte Bauer zudem eine klein gedruckte Vertragsklausel, mit der sie auf jede nachträgliche Gehaltsforderung verzichtet hat – im Übrigen auch bei anderen Unternehmen eine gängige Praxis. Kommentar von Hofer: „Da uns keine Beschwerde vorliegt, können wir dazu keine Stellungnahme abgeben.“
Ähnlich lautende Vorwürfe gibt es auch gegen die Drogeriekette Schlecker, die wie Rewe so etwas wie ein Stammgast bei den Arbeits- und Sozialgerichten ist. Michaela Mathis, ehemalige Filialchefin in Höchst (Vorarlberg): „Die Regionalleitung hat uns eine Obergrenze von maximal 80 Überstunden pro Geschäft und Woche gesetzt. Was darüber hinausging, und das war erheblich, wurde einfach nicht bezahlt.“ Schlecker wollte dazu gegenüber profil keine Stellungnahme abgeben.
Ein Fall für den Betriebsrat? Eigentlich schon – wenn es ihn gibt. Gerade Schlecker versuchte in den vergangenen Monaten, dahin gehende Bestrebungen im Keim zu ersticken. Eine Angestellte, die mit einer unabhängigen Liste als Arbeitnehmervertreterin antreten wollte, wurde gekündigt. Ihre Mitstreiter gewannen die Wahl auch ohne die ursprüngliche Spitzenkandidatin – sahen sich in der Folge nach eigenen Angaben aber mit schwerem Mobbing seitens ihrer Vorgesetzten konfrontiert.

Ähnliches spielte sich bei der Baumarktkette Hornbach ab: Weil „die Geschäftsleitung per Videokamera sogar überprüft, ob wir nicht zu oft aufs Klo gehen“, wollte Thomas Gehl, Filialangestellter in Hohenems (Vorarlberg) dort einen Betriebsrat gründen. Wenig später stand er auf der Straße: „Man hat mich mit zwei Leuten aus dem Geschäft geworfen. Ich habe sogar Hausverbot bekommen.“
Stefan Goldschwendt, Chef von Hornbach Österreich, bestreitet jeden Zusammenhang: „Für die Kündigung waren unternehmensinterne Gründe ausschlaggebend.“ Gehl klagte auf 10.000 Euro Wiedergutmachung oder Wiedereinstellung. Das Verfahren ist bis heute am Landesgericht Feldkirch anhängig.

Fälle, die an die Öffentlichkeit kommen, gibt es zuhauf. Dennoch: Sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. „Was das betrifft, ist die Dunkelziffer immer noch sehr hoch“, sagt AK-Expertin Doris Schartner. „Viele wagen es aus Angst um ihren Job nicht, sich gegen die Arbeitsbedingungen zu wehren.“

Frustrierte Mitarbeiter. Wohl deshalb wagte sich auch eine Gruppe von Handelsangestellten, die sich als Billa-Mitarbeiter bezeichnen, nicht aus der Anonymität. In einem Brief, der vergangene Woche bei der AK Wien einlangte, schreiben sie: „Wir möchten Sie informieren, dass die Geschäftsführung der Firma Billa Redeverbot über den von den Medien bekannten Vorfall verhängt hat.“ Und weiter: „Wir können bestätigen, dass von Mitarbeitern Überstunden geleistet werden, die aber nicht immer bezahlt werden. Werden nicht bezahlte Überstunden unsererseits nicht gemacht, wird von der Rayonleitung gedroht, diese Mitarbeiter auszutauschen.“

Gezeichnet: „Mit freundlichen Grüßen, sehr frustrierte Mitarbeiter“.