Society: Flohmarkt der Eitelkeiten

Doppelausstellung zele-briert Kult der Superstars

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„Schönheit ist das einfachste Mittel, um Leute anzulocken. Danach sollte ein Star möglichst den Mund halten, um seine Aura nicht zu zerstören.“
Josef von Sternberg

„Blubb.“
Verona Feldbusch

Sommer 1962, New York City. Russland ist im Begriff, Atomraketen nach Kuba zu verschiffen, der Kalte Krieg steuert auf einen Höhepunkt zu. 2000 Kilometer weiter nördlich, in einem Loft in Manhattan, malt ein Werbegrafiker aus Pittsburgh Bilder – Bilder eines Teenie-Idols, wie es nur die sechziger Jahre hervorbringen konnten: Troy Donahue, Filmstar, blond, Fönfrisur, Typ schwiegermuttertauglicher Surferboy. Es folgen Bilder von Elvis, von Marilyn Monroe. Schon bald beginnt der Werbegrafiker, statt Filmstars, Hollywoodschönheiten oder Popmusikern einfach seine Assistenten und Freunde zu porträtieren – und auch sie als „Superstars“ zu bezeichnen. Jeder könne in Zukunft zum Star werden, und sei es nur für fünfzehn Minuten, meint der Grafiker. Sein Name: Andy Warhol.

Etwas mehr als vierzig Jahre später verrät eine weltberühmte Hotelierstochter das Geheimnis ihres Erfolgs: „Wenn es eines gibt, das ich gelernt habe, ist es Folgendes: Die Menschen wollen glauben, dass dein Leben besser ist als ihres.“ Und sie glauben es gern. „Lächle hübsch, lächle groß, lächle selbstsicher, und jeder glaubt, dass du alle möglichen Geheimnisse hast. Und das bringt sie dazu, mehr zu wollen. Und wenn sie mehr wollen, bist du automatisch interessant.“ Der Name der Hotelierstochter: Paris Hilton, meistfotografierte Frau der Gegenwart, ein klassischer Superstar, wie man meinen könnte.

Mit den Superstars der goldenen Hollywoodära – Garbo, Dietrich, Monroe – hat Paris Hilton jedoch nur wenig gemeinsam, genau genommen: nichts. Andy Warhols Traum ist längst Realität. Im Showgeschäft herrscht Demokratie: Jeder kann ein Star werden. Echte Superstars sind damit aber so selten geworden wie Pickel in Paris Hiltons Gesicht.

Inszenierungen. Dennoch widmen die Kunsthalle Wien und das BA-CA Kunstforum den „Superstars“ demnächst eine große Doppelausstellung: Von Warhols Starinszenierungen wird da der Spur gefolgt, die Superstars und ihre Verehrer in der jüngeren Kunstgeschichte gezogen haben (siehe Kasten Seite 114). Im profanen Leben freilich, jenem der Klatschspalten, Societyseiten und Boulevardmagazine, ist vom Starkult früherer Prägung, von der viel zitierten Aura großer Persönlichkeiten keine Rede mehr. Es gibt zwar noch ein paar Hand voll lupenreiner Stars, von Madonna bis Nicole Kidman, von Robbie Williams bis Brad Pitt, doch die Konkurrenz wächst stetig – wenn auch nicht auf qualitativer Ebene. Eine Liga tiefer hat sich im Zuge der Proliferation neuer Fernsehformate eine neue Spezies etabliert: die B- und C-Stars. Wo erstere immerhin noch außermediale Sprungbretter (vorzugsweise halblustige Kabarettprogramme) vorweisen können, sind letztere reine Mediengeschöpfe, gezüchtet in Containershows und Talentwettbewerben. In dieser Welt der Eltons und Daniel Küblböcks regiert die geheimnisfreie Trivialität. Der Star ist endgültig ins Zeitalter seiner medialen Reproduzierbarkeit eingetreten. Der Star von heute, er heißt „Promi“.

Der Unterschied könnte nicht eklatanter sein: Stand der Star für irgendeine Eigenleistung, steht der Promi nur mehr für sich selbst. Den Star definierte immerhin eine halbwegs interessante Geschichte, der Promi führt die Geschichtslosigkeit zu neuen Untiefen. Der Star war ungreifbar, der Promi ist nicht mehr loszuwerden. Statt im Filmstudio oder auf der Konzertbühne wildert er ausschließlich in den Jagdgebieten des Boulevards. Seine einzige Daseinsberechtigung besteht darin, die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen – egal welcher Medien, egal wie.

„In Wahrheit ist diese Rolle eine ungeheure Überforderung. Man wird sowohl von den Menschen als auch von seinen eigenen Emotionen getrennt“, meint der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit (siehe Interview Seite 113). Und nicht nur das: „Ein Promi zu sein ist harte, harte Arbeit“, sagt Maureen Orth, Starreporterin von „Vanity Fair“, dem US-Zentralorgan der gehobenen Prominentenberichterstattung. „Es gibt nichts Ermüdenderes, als jeden Morgen aufzuwachen und sich überlegen zu müssen, was man heute tun muss, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“

Erfolgsrezept. Mehrere Strategien bieten sich an. Verona Pooth, vormals Feldbusch, etwa brachte es binnen weniger Jahre vom Dorfdisco-Starlet zur Kaiserin des deutschsprachigen Boulevards: Sie breitete die intimen Details einer verkrachten Ehe mit Dieter Bohlen öffentlich aus, verwechselte werbewirksam Dativ und Akkusativ und zog nach smart vermarkteter Babypause als Hochzeits-Sisi in den Stephansdom ein. „Das Einzige, was es braucht, ist der Wille, einen Narren aus sich zu machen“, rät Promi-Expertin Maureen Orth. „Kein wie auch immer geartetes Schamgefühl zu haben. Sich nicht darum zu kümmern, wofür man berühmt ist.“ Das ist die konstitutive Tautologie moderner Prominenz: berühmt dafür zu sein, berühmt zu sein.

Der Wiener Ökonom Georg Franck vergleicht den Mechanismus der Popularität in seinem Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ mit dem Funktionieren der Geldwirtschaft: Ist einmal ein gewisses Startkapital angehäuft (etwa über die Teilnahme an einer Containershow oder durch hartnäckiges Herumlungern auf Premierenpartys und Charityevents), verzinst sich dieses Kapital bei vernünftiger Geschäftsgebarung praktisch von selbst: Wer erst einmal bekannt ist, wird weiter wahrgenommen. Natürlich steht derlei Reichtum auf wackligen Beinen. Der Offenbarungseid ist jederzeit möglich. „Ein gut lancierter Hinweis auf die Nacktheit der Person kann sie recht schnell wieder ohne Kleider dastehen lassen“, schreibt Franck im Katalog zur Ausstellung. „Prominent wird in der Mediengesellschaft, wen die Medien dazu machen. Die Medien sind freilich keine Wohlfahrtsindustrie.“

Im Gegenteil. Sie sind – abgesehen von ihrer uneingeschränkten Bereitschaft, Aufmerksamkeit zu generieren – vollkommen indifferent gegenüber dem Schicksal „ihrer“ Stars. Deren Schlagzeilenträchtigkeit erweist sich sowohl im Positiven als auch im Negativen. Die Kokain-Affäre um das britische Supermodel Kate Moss bewies kürzlich drastisch, wie schmal der Grat zwischen Adoration und Denunziation ist.

Die Medien sind zugleich Urheber, Nutznießer und Opfer der ruinösen Dynamik im zeitgenössischen Promi-Business. Immer mehr Societyformate – im Fernsehen, im Internet, im Printbereich – wollen mit Inhalten gefüllt werden: exklusiven News, die es zu beschaffen, notfalls zu erzeugen gilt, vorzugsweise mithilfe von „Persönlichkeiten“. In den neunziger Jahren, die ausgerechnet von „Vanity Fair“ despektierlich als „Tabloid Decade“ bezeichnet wurden, brach der Boulevard aus seinen angestammten Nischen aus und erreichte zunächst das Kulturfeuilleton, um bald schon auch Politik- und Wirtschaftsberichterstattung zu infiltrieren. Wie unerschöpflich der Bedarf an Bildern von öffentlich ausgelebter Intimität selbst im politischen Bereich ist, war zuletzt am Beispiel des österreichischen Finanzministers sehr augenfällig zu studieren.

Scheinwelt. Die Grenze zwischen Nachricht und Fiktion wird damit freilich durchlässig. Die Scheinwelt der Prominenz, in der seit jeher auch gern mit Gerüchten jongliert wird, beginnt die seriöse Berichterstattung zu überdecken. Fakten werden sentimentalisiert, die Liebesgeschichte mischt in der Budgetpolitik mit, das öffentliche Interesse wird gefesselt von Pseudoereignissen, wie sie der amerikanische Historiker Daniel Boorstin schon 1961 voraussah: „Wir müssen keine Theologen sein, um zu erkennen, dass nicht mehr Gott dafür zuständig ist, die Welt interessant zu gestalten, sondern der Zeitungsmacher.“

Anfang Oktober machte ein Wiener Innenstadtjuwelier Schlagzeilen, da er zu PR-Zwecken angeblich den First-Class-Superstar Madonna hatte einfliegen lassen. Wie sich später herausstellte, hatte es sich um ein Double gehandelt, noch dazu kein besonders originalgetreues. Die Adabeis, die den Madonna-Coup zunächst ausführlich gefeiert hatten, machten ihrer Empörung unverhohlen Luft, unterschlugen dabei jedoch, dass sie einer Illusion erlegen waren, die sonst die Basis für ihre Berichterstattung bildet.

Wer die Beziehung zu Stars zu ernst nimmt, dem droht, was die US-Psychologen Lynn McCutcheon und James Houran „Celebrity Worship Syndrome“ (Prominentenanbetungssyndrom) nennen: eine Bindung an Prominente, die über das psychologisch unbedenkliche Maß hinausgeht. Eine von der britischen University of Leicester durchgeführte und im „Journal of Nervous and Mental Disease“ publizierte Studie ergab, dass 36 Prozent der untersuchten Personen Symptome der besagten Krankheit zeigten. Zwei Prozent waren überhaupt davon überzeugt, dass der von ihnen angehimmelte Star ihre Gefühle erwidere und durch die Medien mit ihnen kommuniziere.

Die Societymedien wiederum haben das „Celebrity Worship Syndrome“ gleichsam zur Geschäftsgrundlage erhoben, weshalb sie keinen Spaß verstehen, wenn ihnen – siehe Fake-Madonna – ein falscher Star untergeschoben wird. Prominenz ist bei aller Oberflächlichkeit ein zu ernstes Business, um es Nobodys zu überlassen. Und wer ein Nobody ist, bestimmen immer die anderen.

Prominente, so eine wenig tief schürfende, aber immer noch gültige These, bieten dem gemeinen Publikum Identifikationsanreize: Sie leben so, wie man selbst gern leben würde. Indem sie ihr Innenleben preisgeben (so banal es in Wahrheit auch sein mag), stellen sie eine emotionale Nähe zu den Nicht-Prominenten her. Das Mitleid mit einem gefallenen Star kaschiert auch die Erleichterung darüber, nicht selbst eine so existenzielle Krise erfahren zu müssen. Gehört der Prominente jedoch zur B- oder gar C-Liga, wird Mitleid rasch zu Schadenfreude.

Psychohygiene. Es ist kein Zufall, dass schon der erste große Starboom in eine Zeit der Krise fiel: die große Depression der dreißiger Jahre. Damals träumte man sich mithilfe der Stars für ein paar Momente aus der tristen Realität weg. Diese psychohygienische Grundfunktion kommt Promis auch heute noch zu. Nach der schleichenden Abdankung traditionell sinnstiftender Institutionen (Kirche, Moral, Sozialstaat) markieren sie emotionale Anker im Ödland der „neuen Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas). Gleichzeitig herrscht Spaß- und Selbstverwirklichungszwang sowie eine rigorose Erfolgspflicht: Was im amerikanischen Traum ein Versprechen war (jeder kann es schaffen), ist mittlerweile zur Verpflichtung geworden (jeder muss es schaffen).

Diesem Erfolgszwang sind Promis geradezu exemplarisch ausgesetzt: Ihr stetes Ringen um Blitzlichtplatz und Kamerapräsenz ist nichts anderes als das etwas glamourösere Pendant zu dem Existenzkampf, den Millionen von Ich-AGs täglich zu bestreiten haben. Dass die Stars der Gegenwart mehrheitlich von talentfreien Durchschnittsmenschen gespielt werden, entspricht dieser Logik. „Der Gegenstand der Anbetung wird nicht in der Vertikalen gesucht, sondern auf gleicher Höhe vis-à-vis gefunden“, konstatierte der Philosoph Peter Sloterdijk. Promis sind wie wir. Wir sind die Promis. Andy Warhol hatte Recht.

Von Sebastian Hofer