„Ich werde politischer“

Sommergespräch. TV-Talkerin Vera Russwurm über Fernsehen, Kirche und ÖVP-Angebote

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Interview: Herbert Lackner

profil: Frau Russwurm, Sie machen zwar viele Interviews, im Archiv habe ich aber nur ganz wenige gefunden, die Sie selbst gegeben haben. Geben Sie nicht gern etwas aus Ihrem Leben preis?
Russwurm: Nein. Ich bin eher interessiert, von anderen etwas zu erfahren. Mein Leben kenn ich sowieso.

profil: Wäre es Ihnen unangenehm, wenn ich versuchen würde, so weit in Ihr Privatleben einzudringen, wie Sie das in Ihrer Sendung tun müssen, die ja so angelegt ist?
Russwurm: Meine Sendung ist gar nicht so angelegt. Aber fragen Sie ruhig. Ich werde mir dann überlegen, wie weit ich mit meinen Antworten geh.

profil: Ich erinnere nur an den Wirbel mit der angeblichen „männlichen Jungfrau“, die gar keine war.
Russwurm: Das haben nachher einige Zeitungen, wie profil, behauptet. Aber hätte es tatsächlich nicht gestimmt, hätte das seine Partnerin, die ihn ja ins Studio begleitet hat, sofort dementiert. Ich nehme an, dass den beiden nach Ausstrahlung der Sendung jemand gesagt hat: „Ihr könnt doch nicht in der Öffentlichkeit sagen, dass ihr noch nie Sex hattet.“ Und dann haben sie es eben dementiert.

profil: Einmal hatten Sie einen russischen Wunderheiler in der Sendung. Danach hat die FPÖ die Absetzung von „Vera“ wegen Scharlatanerie gefordert. Gehen Sie manchmal zu weit?
Russwurm: Nein, weil es niemandem wehtut. Erst vor Kurzem ist ausgerechnet ein Trafikant auf mich zugestürzt und hat sich überschwänglich bedankt, weil er sich dank der Sendung mit dem Wunderheiler das Rauchen ¬abgewöhnt hat – und das, obwohl die viele Jahre zurückliegt. Niemals würde ich einem so genannten „Wunderheiler“ eine Plattform zum „Heilen“ schwerer Erkrankungen bieten.

profil: Und dann hatten Sie noch die Eltern des Briefbombers Franz Fuchs und das Briefbomben-Opfer Maria Loley ...
Russwurm: ... und das war für die beiden ein sehr befreiendes und glückhaftes Erlebnis, als sie die Opfer umarmen konnten. Dafür nehme ich Medienschelte gerne in Kauf. Der „Kurier“ hat damals von einer „Sternstunde des Fernsehens“ geschrieben.

profil: In manchen TV-Talkshows äußern die Gäste unglaubliche Intimitäten. Gibt es eine neue Schamlosigkeit, oder geht es den Leuten um fünf Minuten Berühmtheit?
Russwurm: Möglicherweise. Warum ziehen sich Hunderte Menschen für einen Fotografen nackt aus, obwohl der nichts bezahlt und man nur Teil eines „Kunstwerks“ ist? Es gibt offenbar ein hohes Maß an Exhibitionismus.

profil: Sie haben ein Medizinstudium abgeschlossen. Warum sind Sie eigentlich nicht Ärztin geworden?
Russwurm: Als ich mit dem Studium begonnen habe, war ich schon im Fernsehen, habe das Fernsehen aber nicht als Beruf gesehen. Ich war damals mit einem anderen Medizinstudenten befreundet, und wir hatten den Traum von der Arztpraxis am Land. Der Traum ist ebenso zerbrochen wie diese Beziehung. Dann kam Ö3, und 1984 hat mir Hans Dichand die Mitarbeit in der „Krone“ angeboten. Da ist einfach ein Berufsbild zusammengewachsen. Aber weil ich schon die schwerste Prüfung, die Pathologie, hinter mir hatte, habe ich das Studium abgeschlossen – schon im Wissen, dass ich den Beruf nicht ausüben werde. Meine Mutter ist selbst Ärztin, und es hätte ihr gefallen, wenn ich die Praxis übernehme. Aber das war’s dann halt nicht.

profil: Was fällt Ihnen eigentlich ein, wenn Sie den Namen Ernst Strasser hören?
Russwurm: Eine unglaubliche Doppelmoral.

profil: Er hat als Mitglied des ORF-Kuratoriums das Ende Ihrer Sendung gefordert.
Russwurm: Ja, er hat mich immer aktiv verfolgt und meine Sendung als unmoralisch bezeichnet. Ich bin sonst nicht schadenfroh, aber wenn jemand den Ober-Moralapostel spielt und es ihn dann so aufstellt wie Strasser, dann denk ich mir schon: Es gibt so was wie Gerechtigkeit.

profil: Sie wären fast mit ihm in einer Regierung gesessen. Im Ministerrat wär’s lustig geworden.
Russwurm: Vizekanzler Molterer hat mir 2007 das Angebot gemacht, das Gesundheitsministerium zu übernehmen, ich habe es aber abgelehnt. Aber da war Strasser gar nicht mehr in der Regierung.

profil: Vorher hat Ihnen schon Wolfgang Schüssel ein Angebot gemacht.
Russwurm: Ja, da ging es um ein Nationalratsmandat.

profil: Hat Ihnen Schüssel nicht zweimal ein Angebot gemacht?
Russwurm: Das stimmt. Einmal hatte ich das Angebot, die Wiener ÖVP zu übernehmen.

profil: Das Angebot, Ministerin zu werden, ist ja ehrenvoll. Haben Sie nicht überlegt, es anzunehmen?
Russwurm: Doch, es war intensivstes Nachdenken, und ich hatte dafür nur 48 Stunden Zeit. Wie Sie merken, habe ich mich dagegen entschieden. Meine jüngste Tochter war damals erst acht, und Politik auf Bundesebene lässt einem ja wohl am allerwenigsten Zeit. Das war auch Teil meines TV-Talks mit Claudia Bandion-Ortner. Während ihrer Zeit als Justizministerin war ihr Sohn noch wesentlich jünger als acht. Manchmal frag ich mich, ob sie heute diese verlorene Zeit mit ihrem Kind nicht sehr vermisst.

profil: Wären Sie eine gute Politikerin?
Russwurm: Das ist schwer zu sagen, weil sich das ja nur in der Praxis zeigen kann. Einige Voraussetzungen hätte ich wohl mitgebracht, aber vieles hätte ich nachlernen müssen. Die Frage ist eher, wie das Umfeld auf eine Quereinsteigerin reagiert hätte. Ich bin ja kein Parteimitglied und wäre altgedienten Funktionären vorgezogen worden. Zugetraut hätte ich mir die Politik schon, aber es war einfach der falsche Zeitpunkt in meinem Leben.

profil: Gibt es einen Politiker oder eine Politikerin, die Ihnen besonders gefällt?
Russwurm: Ja, unter anderem Maria Fekter.

profil: Weil sie so schön herb ist?
Russwurm: Nein, weil sie nicht ständig den Wählern nach dem Mund redet, sondern sagt, was Sache ist. Man hat nie das Gefühl, dass sie sich anbiedert oder anschleimt. Was mich übrigens sehr aufgeregt hat, war vor einigen Wochen die Debatte in der ÖVP über das Pensionsalter. Der steirische ÖVP-Obmann Hermann Schützenhöfer hat eine Anhebung auf 67 gefordert, und der ÖVP-Seniorenobmann Andreas Khol hat ihn daraufhin als „Salzamt“ bezeichnet, das ja sprichwörtlich nichts zu reden hat.

profil: Und auf wessen Seite stehen Sie?
Russwurm: Khol ist ein sehr erfahrener Politiker. Aber das Pensionsalter muss ganz einfach angehoben werden. Man lügt sich doch in den Sack, wenn man sagt, dass sich das ausgehen wird – da hat Schützenhöfer Recht. Die Mehrheit der Menschen arbeitet doch heute nicht mehr körperlich schwer, und deshalb muss, bis auf die Schwerarbeiterberufe, das Pensionsalter sukzessive angehoben werden, alles andere ist gesellschaftspolitischer Wahnsinn für die nächsten Generationen.

profil: Meinen Sie das gesetzliche oder das tatsächliche Pensionsalter?
Russwurm: Sowohl als auch. Wenn man das gesetzliche Pensionsalter anhebt, wird auch das tatsächliche Antrittsalter steigen. Kinder, die heute geboren werden, werden laut Zukunftsprognosen das 100. Lebensjahr erreichen. Wenn die Ausbildung bei vielen bis 25 dauert und man mit durchschnittlich 58 in Pension geht, kann man sich leicht ausrechnen, was das bedeutet. Es muss einfach länger gearbeitet werden.

profil: Eine Linke sind Sie sicher nicht, sonst wäre die ÖVP ja nicht auf Sie gekommen. Würden Sie sich selbst als „bürgerlich“ bezeichnen?
Russwurm: Ich sehe mich als wertkonservativ-liberal, aber nicht im klassischen Sinn „bürgerlich“. Meine Meinung deckt sich auch nicht immer mit der ÖVP-Linie.

profil: Zum Beispiel?
Russwurm: Zum Beispiel das Adoptionsrecht für homosexuelle und lesbische Paare. Es gibt so viele liebevolle gleichgeschlechtliche Paare. Warum soll nicht ein Frauenpaar oder ein Männerpaar das Recht haben, ein Kind aufzuziehen? Das Kernthema ist doch: Wie viel Liebe bekommt ein Kind? Darauf kommt es an. Allerdings sollten meiner Meinung nach heterosexuelle Paare, die kein Kind bekommen können und eines adoptieren wollen, bei der Reihung den Vorzug haben.

profil: Bei der Fristenregelung soll es bleiben?
Russwurm: Ja. Das enorme Risiko, das Frauen eingegangen sind, die früher bei den „Engelmachern“ im Hinterzimmer abgetrieben haben, ist ja allgemein bekannt. Jede Frau soll die Möglichkeit haben, in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft zu entscheiden, ob sie das Kind will oder nicht.

profil: Die Kirche ist da anderer Meinung.
Russwurm: Die sollte überhaupt vieles überdenken.

profil: Was zum Beispiel?
Russwurm: Sie geht in so vielen Bereichen an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Die Kommunionsverweigerung für wiederverheiratete Geschiedene oder der Zölibat. Jesus hat ihn nie verlangt, der ist von Menschen in späterer Zeit erdacht worden, also kann er auch von Menschen abgeschafft werden.

profil: Sollten Frauen Priesterinnen werden dürfen?
Russwurm: Natürlich! Der Priester ist Mittler zu Gott, warum soll das eine Frau nicht sein dürfen? Ich habe noch kein einziges sinnvolles Argument gehört, das gegen Frauen im Priesterberuf spricht.

profil: Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Russwurm: Ich bin ein gläubiger Mensch, und ich werde auch sicher nicht aus der Kirche austreten – und wenn ich die letzte Kirchenbeitragszahlerin bin. Sie ist eine Säule in meinem Leben und ein Teil meiner selbst, weil ich so aufgewachsen bin. Meine von mir innig geliebte Oma war ein tiefgläubiger Mensch, und es war ihr sehr wichtig, dass die Familie dem katholischen Glauben treu bleibt. Das hat für mich also auch eine persönliche Wertigkeit.

profil: Gehen Sie regelmäßig in die Kirche?
Russwurm: Nein, wir gehen immer wieder, aber keineswegs jeden Sonntag.

profil: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Russwurm: Nicht in dem Sinn, dass wir beide uns dann auf einer Wolke oder im Himmel wiedertreffen. Ich glaube, dass die Energie eines Menschen nicht verloren geht. Religion ist für mich ein Instrument der Lebenshilfe und des Trostes. Sie befähigt manche von uns, Antworten zu finden auf die ewig gleichen Fragen: warum wir da sind und warum wir machen, was wir machen. Daraus leiten sich letztlich auch viele moralische und ethische Grundsätze ab.

profil: Führen Sie ein „christliches Leben“?
Russwurm: Vermutlich nicht so ganz nach den Dogmen der katholischen Kirche. Mein Weltbild hat sich im Laufe des Lebens durch Erfahrungen und Gespräche immer wieder verändert. Ich werde immer eine Suchende sein.

profil: Werden Sie im Lauf der Jahre liberaler oder konservativer?
Russwurm: Ich werde politischer. Ich bin sehr unpolitisch aufgewachsen. Politik war in meinem Elternhaus kein Thema.

profil: Ihre Produktionsfirma heißt „Hof-Power“ nach Ihrem Mann Peter Hofbauer. Warum heißt sie nicht Russwurm, Sie sind ja der Star des Unternehmens?

Russwurm: Weil wir Hofbauer heißen und wir auch andere Sendungen und Werbung machen, nicht nur „Vera exklusiv“. Den Namen „Hof-Power“ hat übrigens mein Bruder erfunden.
profil: Sie wissen, worauf ich hinauswill.

Russwurm: Ich ahne es.
profil: Sind Sie eine Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen?

Russwurm: Ich werde durch meine Töchter immer mehr dazu gemacht. Sie korrigieren mich auch sofort, wenn ich etwa ein Wort nicht „gendere“. Ich hab die Gleichberechtigung eigentlich immer gelebt, ohne viel darüber zu reden. Es sollte alles für alle möglich sein – und das ist es ja in immer mehr Bereichen. Ich werde mir jetzt vielleicht nicht viele Freunde machen, wenn ich sage, dass ich das auch umgekehrt haben will: Männer und Frauen sollten die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten haben. Es wäre nur fair, wenn nach der Einführung eines Berufsheers – was ich für sehr sinnvoll halte – Burschen wie Mädchen einen sechsmonatigen Sozialdienst absolvieren.

profil: Sind Sie für Frauenquoten?
Russwurm: Nur bedingt. Einerseits ist es notwendig, Männerdomänen aufzuknacken – und Schritt für Schritt geschieht das durch die Frauenerwerbstätigkeit auch via facti. Aber von heute auf morgen Quoten zu erzwingen ist – wie die Praxis zeigt – problematisch. Außerdem mag ich es nicht, wenn es zu viele Verordnungen, Regulative und Erlässe gibt.

profil: Glauben Sie, dass eine Sendung wie „Vera exklusiv“ in 20 Jahren noch existieren kann, oder wird Fernsehen dann ganz anders sein?
Russwurm: Fernsehen entwickelt sich rasend schnell weiter. TV als verbindendes Medium, wie es das jetzt vielleicht noch bei der „ZiB 1“ der Fall ist, wird es dann nicht mehr geben. In den fünfziger Jahren sind die Leute bei bestimmten Sendungen um das Radio versammelt gewesen. In den sechziger und siebziger Jahren war das so beim Fernsehen. Als ich in den achtziger Jahren begonnen habe, hat das Fernsehen immer noch einen riesigen Stellenwert gehabt. Der ist durch die Vielfalt der Medien heute nicht mehr gegeben. Die Sendungsformate werden schon überdauern: Es wird immer Nachrichtensendungen, Quizsendungen oder Talkshows geben – aber in erster Linie werden diese dann zu individuellen Zeiten im Internet abgerufen. Was zum Teil ja auch schon heute passiert.

profil: Würden Sie Ihren Töchtern empfehlen, Fernsehjournalistinnen zu werden?
Russwurm: Nein, das würde ich nicht empfehlen. Dort, wo einer aus der Familie schon ist, ist es immer schwierig für die anderen. Und sie wollen bestimmt nicht als „die Töchter von ...“ herumlaufen.

profil: Und Sie selbst? Würden Sie noch einmal diesen Beruf wählen?
Russwurm: Sofort! Wie Sie merken, bin ich davon immer noch total fasziniert.

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