Leitartikel: Sven Gächter

Sonst wo vorbei

Sonst wo vorbei

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Am besten nichts Neues. Vizekanzler Willi Molterer (ÖVP) will den Fehler eines roten Kanzlers korrigiert wissen. Frauenministerin Doris Bures (SPÖ) findet das erwartungsgemäß „ungeheuerlich“. Sportstaatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) träumt laut von Wahlen am 8. Juni, was Molterer von seinem Sprecher jedoch flugs zurückweisen lässt: Der 8. Juni sei „ein Sonntag wie jeder andere auch“. Bekanntlich findet ja jeden Sonntag eine EM in Österreich statt. Lopatka wiederum zuckt die Schultern: „Das eine ist Fußball, das andere Politik.“ Und weil das so ist, wird mit Sicherheit auch kein Politiker die Europameis­terschaft zu Selbstdarstellungszwecken nutzen. Großkoalitionärer Alltag in Österreich. Zur Zerstreuung deshalb ein kleines Gedankenexperiment, das leider keinen, aber auch gar keinen Unterhaltungswert birgt: Sollte die rot-schwarze Regierung etwas wagen, was hinreichend viele Menschen in diesem Land sich inzwischen wünschen – nämlich ihre leidenschaftlich gehässige Zusammenarbeit offiziell zu beenden –, dann wäre man von klaren Verhältnissen vermutlich immer noch so weit entfernt wie … nun, wie auch jetzt schon. Das muss zwar nicht automatisch gegen ein solches Szenario sprechen, doch sollte man sich davon alles andere als einen alles neu und konstruktiv ordnenden Befreiungsschlag erhoffen.

Es geht um Neuwahlen, und dass es darum in Wahrheit seit dem 1. Oktober 2006 geht, ist nur eine von vielen Varianten, das Dilemma der großen Koalition zu beschreiben. Sie wurde von niemandem gewollt – am allerwenigsten von den beteiligten Partnern, am ehesten noch vom ominösen Wähler, der aber gemeinhin nicht über Koalitionen, sondern über (Partei-)Kandidaten abzustimmen hat. Wenn er vor eineinhalb Jahren bereits außerstande war, die aktuelle Konstellation abzuwenden, warum sollte er ausgerechnet jetzt schaffen, wozu er schon aus strukturellen Gründen nicht befähigt ist? Und was lässt die Strategen der Großparteien glauben, ihre erbärmliche Performance in der Regierung würde bei einem vorgezogenen Wahlgang womöglich auch noch mit Zugewinnen honoriert? Das Gegenteil wäre der Fall, und zwar mit vollem Recht. Plausible Alternativen sind entweder aus arithmetischen oder aus politischen Erwägungen nicht in Sicht. Alle Zweierkombinationen dürften, bei der zu erwartenden Schwäche von SPÖ und ÖVP, an den fehlenden Mehrheiten scheitern – ganz unabhängig vorerst von der Tatsache, dass es für ­eine Regierungsbeteiligung der FPÖ (beziehungsweise des BZÖ) weder eine sachliche noch ­eine moralische Grundlage gibt; ganz unabhängig auch von der Tatsache, dass die Grünen in den vergangenen eineinhalb Jahren schlicht zu komatös wirkten, um ernsthaft auf mehr spekulieren zu können, als den Stimmenstand von 2006 zu halten, bestenfalls. Alle Ampelkoalitionen wiederum (welcher Couleurs auch immer) würden wohl die kons­tituierende Sitzung nicht überleben. Bliebe schließlich die Option einer Minderheitsregierung – mit der erfrischenden Perspektive, dass jederzeit gestürzt werden könnte, was dem Jahr 2008 immerhin den historischen Rekord zweimaliger Neuwahlen bescheren würde.

Steuert Österreich also unweigerlich auf italienische Verhältnisse zu? Keineswegs, denn die Mehrheitsverhältnisse für die große Koalition im Parlament könnten nicht komfortabler sein. Neuwahlen wären dann ein seriöses Thema, wenn SPÖ und ÖVP den Nachweis erbrächten, dass trotz ernsthafter Bemühungen eine den Prinzipien strikter Sachlichkeit verpflichtete Zusammenarbeit nicht möglich ist. Tatsächlich jedoch kann von Arbeit schon deshalb keine Rede sein, weil die beiden Koalitionspartner sämtliche Energien darauf verwenden, dem jeweils anderen die Bereitschaft dazu abzusprechen, also permanent Wahlkampf auf niedrigstem Niveau spielen. Darin liegt die Paradoxie der aktuellen Lage: Die große Koalition ist eine fortgesetzte Katastrophe, aber sie verfügt nicht über die Legitimation, diesen Zustand zu beenden, weil sie ihn willentlich und ohne Not herbeigeführt hat. Dafür gibt es zunächst einmal keine Entschuldigung, schon gar nicht die Befindlichkeiten der handelnden Personen. Schroffer formuliert: Es ist den Wählern vollkommen egal, ob die Herren Gusenbauer und Molterer oder die Herren Cap und Schüssel oder die Herren Kalina und Missethon oder irgendwelche anderen Herren (interessanterweise handelt es sich fast ausschließlich um Herren) miteinander können oder nicht. Es geht den Wählern auch sonst wo vorbei, ob der Vizekanzler sich am Rotkanzlerfehler stößt oder dieser umgekehrt in jedem Zwischenruf gleich eine Majestätsbeleidigung wittert. Die Wähler ­erwarten ein Mindestmaß an politischer Redlichkeit und Intelligenz, und wenn die ­zuständigen Protagonisten dieses weiterhin so fahrlässig verweigern, dann drohen tatsächlich bald italienische Verhältnisse.