Leitartikel: Sven Gächter

Sorry, guys!

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Die Pressemitteilung des Vatikan am Donnerstag vergangener Woche ließ an Prägnanz nichts zu wünschen übrig: „Heute um 16.15 Uhr ist der Heilige Vater in einer Kapelle der Apostolischen Nuntiatur in Washington, D. C., mit einer kleinen Gruppe von Personen zusammengetroffen, die von Mitgliedern des Klerus sexuell missbraucht wurden.“ Ein Höflichkeitsbesuch des Pontifex maximus auf einer Gartenschau mit abschließender Segnung der gott­gefälligsten Blumenarrangements hätte nicht unaufgeregter vermeldet werden können. Doch die vatikanischen PR-­Profis legten offenkundig keinen Wert darauf, allzu viel Aufhebens um ein Ereignis zu machen, das in Wahrheit ­einer Sensation gleichkommt: Der Papst persönlich entschuldigt sich bei den Opfern eines der größten Skandale in der Geschichte der katholischen Kirche. Eine knappe halbe Stunde dauerte das Treffen von Benedikt XVI. mit einigen (inzwischen erwachsenen) Misshandelten. Sie beteten gemeinsam, anschließend hörte sich der Papst ihre persönliche Geschichte an und ließ ihnen, so die Pressemitteilung weiter, „Worte der Ermutigung und Hoffnung zuteilwerden“. Wenige Stunden zuvor hatte Benedikt im Baseball-Stadion von Washington vor 46.000 Gläubigen erklärt: „Keines meiner Worte kann den Schmerz und den Schaden beschreiben, den solcher Missbrauch bringt.“

Mit derart klaren Aussagen hatte im Vorfeld des päpstlichen USA-Besuchs niemand gerechnet – im Gegenteil: Die Diözese Boston etwa fand keinen Platz in der apos­tolischen Reiseroute. Dort nämlich hatte die Skandalwelle 2002 ihren Ausgang genommen, als bekannt wurde, dass ein Priester sich über 35 Jahre hinweg an mehr als 130 Minderjährigen vergangen hatte und von der Bistumsleitung dafür nie zur Rechenschaft gezogen worden war. Nach und nach kam die ganze Wahrheit ans Licht: Zwischen 1950 und 2002 sollen landesweit über 5000 Priester ins­gesamt 13.000 Jugendliche sexuell missbraucht haben. Die Kirche zahlte in der Folge rund zwei Milliarden Dollar Entschädigung, fünf Diözesen mussten deshalb Bankrott anmelden.
Es gab somit auch einen durchaus profanen Grund für die öffentliche Reue des Papstes: Der Druck auf die katholische Kirche in den USA war in den vergangenen Jahren zu groß geworden, als dass Benedikt ihn anlässlich seiner ersten Pastoralreise durch „God’s own country“ einfach hätte ignorieren können. Immerhin jeder zehnte erwachsene Amerikaner bezeichnet sich heute mit Verweis auf die Missbrauchsskandale als ehemaliger Katholik. Auch wenn die Protestanten mit mehr als 50 Prozent traditionell die religiöse Mehrheit im Land stellen, ist der Katholizismus mit etwa 23 Prozent für den Vatikan trotzdem alles andere als eine vernachlässigbare Größe. Hätte der Pontifex zum brisantesten Thema der vergangenen Jahre hartnäckig geschwiegen, wäre ihm dies – abgesehen von der tiefen Kränkung der unmittelbar Betroffenen – zu Recht als PR-Debakel ausgelegt worden. Andererseits: Die römisch-katholische Kirche hat sich um professionelle PR in eigener Sache bekanntlich noch nie geschert, was ihre anhaltende Krise zumindest in der nördlichen Hemisphäre wohl nicht ausgelöst, mit Sicherheit aber auch nicht entschärft hat. Es gab schon vor Benedikts USA-Besuch zahllose Gelegenheiten, die Missbrauchsproblematik ex cathedra mit den richtigen Worten zu kommentieren. Sie wurden nie genutzt, weder von Johannes Paul II. noch – bis vor Kurzem – von dessen Nachfolger. Es gab ­eine solche Gelegenheit beispielsweise im Vorjahr, anlässlich des Papstbesuchs in Österreich, einem Land, das aufgrund seiner jüngeren Kirchengeschichte symbolisch nicht weniger prädestiniert für höchstklerikale Entschuldigungen gewesen wäre. Schließlich bildete die Groer-Affäre 1995 den Auftakt zu einer längst überfälligen öffentlichen Auseinandersetzung mit einem schwerwiegenden Systemfehler in der katholischen Kirche.

Denn um einen solchen handelt es sich in Wahrheit, und Benedikts stellvertretendes Schuldbekenntnis wird daran nichts ändern. Dies nämlich würde auch eine offizielle Hinterfragung der vom Vatikan bis heute unbeirrbar verfochtenen Sexualmoral und all ihrer prinzipiellen und anachronistischen Implikationen erfordern. Wer die Grundlagen und Mechanismen der menschlichen Sexualität so hartnäckig ausblendet, kann auch zu keinem konstruktiven Umgang damit finden, wenn er plötzlich mit deren Abgründen konfrontiert wird. Papst Benedikt hat – spät genug – einen massiven Missstand in seinem irdischen Verantwortungsbereich thematisiert. Er hat sein aufrichtiges Mitgefühl mit den Opfern bekundet, über die Täter jedoch keine weiteren Worte verloren, weil er nur zu genau weiß, dass man über die Täter nicht sprechen kann, ohne zugleich das Umfeld zu würdigen, von dem sie bestimmt werden. Dieses Umfeld ist die katholische Kirche, und wenn sie von ihrem Selbstverständnis in zentralen Fragen nicht abrückt, wird sie noch viele weitere Opfer produzieren.