Sozialdemokratie: Rotenstarre

Partei in der Krise: SPÖ steht sich selbst im Weg

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Montagabend vergangener Woche war SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sofort startklar, als ihn Wolfgang Schüssel zu einer Unterredung ins Kanzleramt bat. Der Kanzler legte dem Oppositionschef den Vorschlag zum Finanzausgleich vor: mehr Geld für die Länder, dafür höhere Rezeptgebühren, Krankenversicherungsbeiträge und Tagsätze in den Spitälern, teurere Zigaretten.

Gusenbauer blieb vorsichtig: Er wolle keine Zusagen machen, sondern sich erst mit der Partei beraten.

Tags darauf gingen in der SPÖ die Emotionen hoch: Die roten Landeshauptleute von Salzburg und Wien bezeichneten die Einigung als „tragbaren Kompromiss“; die Landesparteichefs von Niederösterreich, Oberösterreich und dem Burgenland sowie der steirische Soziallandesrat lehnten die „neue Belastungswelle“ ab.
Der Parteivorsitzende schwieg.

Wieder einmal steckt Alfred Gusenbauer in der Klemme. Im September der Fehlstart des Wirtschaftsprogramms, im Oktober die Dissonanzen in der Türkei-Frage und nun, noch bevor der November beginnt, der Zoff um den Finanzausgleich. Und das mitten in seiner „Startklar“-Kampagne, die der SPÖ-Chef durch ganz Österreich unternimmt, um gegen die „Belastungspolitik“ der Regierung aufzutreten.

Die SPÖ kommt nicht recht vom Fleck, obwohl sie in den vergangenen zwei Jahren bei jeder Wahl stets ein paar Prozentpunkte zulegen und in Salzburg und Oberösterreich sogar spektakulär gewinnen konnte, ebenso bei der Bundespräsidentenwahl. Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten Umfrage glaubt nur ein Fünftel aller Österreicher, dass die SPÖ nach den nächsten Wahlen den Kanzler stellen wird. Von den deklarierten SPÖ-Sympathisanten ist nicht einmal jeder Zweite davon überzeugt.

Drei Prozentpunkte liegen die Sozialdemokraten nach Schätzung der Meinungsforscher derzeit vor der Kanzlerpartei – doch das kann sich schnell umdrehen.

Den Parteichef allein oder die leidigen Kommunikationsprobleme für die Misere verantwortlich zu machen greift zu kurz. Schuld sind auch die starren Strukturen der internen Organisation, die Kirchturm-Perspektive mancher roter Landespolitiker und die historisch gewachsenen Bequemlichkeiten, an denen sich der gehobene Mittelbau der Partei schadlos hält.

Der Parteiapparat ist konservativ. Der Lebensstandard von Funktionären ist oft an den Besitz eines Mandats gebunden. Über 500 Bürgermeister, 175 Landtagsabgeordnete, 31 Landesräte, 42 Bundesräte und 69 Nationalratsabgeordnete stellt die SPÖ. Da geht man nicht gern ein Risiko ein.

Orientierungslos. Dazu kommen ideologische Fragen. Im Regierungsalltag betrieb die SPÖ stets nüchtern-pragmatische Politik, in ihren Programmen und Festtagsreden dagegen beschwor sie die sozialistische Utopie. Jetzt ist die Macht weg, aber auch der Traum von einer besseren Welt – ein Schicksal, das die SPÖ mit anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa teilt.

Solange die SPÖ den Kanzler stellte, die Macht in der verstaatlichten Industrie fest in Händen hielt und die Sozialversicherungen und Gebietskrankenkassen auf den Genossen Sozialminister bauen konnten, ahnte niemand das Ausmaß der Orientierungskrise. In der Opposition zeigt sich nun das Dilemma. Die Sektionslokale sind leer, die verstaatlichten Betriebe privatisiert, immer mehr freie Selbstständige und Teilzeitbeschäftigte sind für die roten Betriebsräte nicht mehr erreichbar. Und jetzt macht sich die Koalition auch noch daran, die letzten roten Bastionen bei Bahn und Krankenkassen zu zerschlagen.

Mit der Macht schrumpft auch die Basis. 342.000 zahlende Mitglieder hatte die SPÖ 2001 – aktuellere Zahlen veröffentlichte sie nicht. 1983, im letzten Jahr der Regierung Kreisky, lag der Mitgliederstand noch bei 700.000.

Der Soziologe und Unternehmensberater Harald Katzmair würde einer Firma in einer solchen Krise dazu raten, alle relevanten Gruppen einzubinden, Kritik ernst zu nehmen und eine innerbetriebliche Kommunikationsoffensive zu starten. Eine hierarchisch strukturierte Partei wie die SPÖ, in der Loyalität und personelle Abhängigkeit immer noch hochgehalten werden, ist dafür offenbar nicht gerüstet. Im Projekt „Netzwerk Innovation“, das nach der Wende gestartet wurde, engagierten sich anfangs zahlreiche Experten und Intellektuelle. Am Ende waren nur noch wenige dabei. Ihre Ideen und Vorschläge, so einer der Mitdenker, seien ohnehin nicht ernst genommen worden. Die Versuche von Ex-Kanzler Franz Vranitzky, dem neuen SPÖ-Chef Manager aus der Banken-und Industriewelt zuzuführen, scheiterten an dessen Instinktlosigkeit. An jenem Abend, als die Runde zusammentrat, entschuldigte sich Gusenbauer nach seinem Referat: Er habe Theaterkarten.

Auch ist völlig unklar, ob die SPÖ eine angriffig-populistische oder eine verantwortungsvolle Oppositionspartei sein will.
Karl Duffek, Direktor des Renner-Instituts, rät seiner Partei zu Letzterem.

Zwar sei es eine undankbare Aufgabe, den Menschen zu vermitteln, „dass wir zwar auch für eine Pensionsreform sind, aber für eine sozial gerechtere Reform als jene der Regierung“. Diese differenzierte Argumentation sei ihm aber lieber als das bloße Aufsagen von Überschriften.

Staatstragend. Das sehen nicht alle so. „Wenn ich Hausbesuche mache und beobachte, dass die Leute nur mit Mühe über die Runden kommen, dann frage ich mich, wie ich die mit einem ausgefeilten Wirtschaftsprogramm begeistern soll“, kritisiert ein niederösterreichischer Abgeordneter.

Gerade an der so genannten Basis fühlen sich die Genossen allzu sehr in die staatstragende Pflicht genommen. Selbst Ex-Kanzler Fred Sinowatz merkte am Rande des burgenländischen SP-Parteitags vergangene Woche kritisch an, dass wir „eine sehr staatstragende Partei geworden sind, und zugleich treten wir auf wie die FPÖ und sind gegen die Türken“.

Einmal populistisch, einmal seriös, hier pro Elite-Unis, dort gegen die Abschaffung der Studiengebühren. „Das geht nicht ganz zusammen“, sagt der Salzburger SPÖ-Geschäftsführer Martin Appeltauer, „das sollte man in den Gremien diskutieren.“

Doch auch diese sind von Einzelinteressen dominiert: Die sozialdemokratischen Landeshauptleute, die mit dem Finanzminister ein Belastungspaket schnürten, sind ein Musterbeispiel dafür.

Bei der Pensionsreform gingen die Bruchlinien quer durch die SPÖ. Zuerst wurde Gusenbauers Modell von den wahlkämpfenden Oberösterreichern bekrittelt, dann war es bald kein Thema mehr. „Allzu laut wollten wir unser Konzept nicht herausbringen, weil auch unsere Basis Einbußen hätte hinnehmen müssen“, sagt Abgeordneter Caspar Einem. Die Gewerkschaft war vom SPÖ-Modell sowieso nie begeistert gewesen.

Später bei der Harmonisierung gab es hitzige Gefechte innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaften: Gemeindebedienstete gegen Vertreter der Arbeiter und Angestellten. Zuletzt legte der ÖGB der SPÖ-Spitze auch noch nahe, Schüssels Entwurf, in dem alle über 50-Jährigen geschont werden, doch etwas näher zu treten.

ÖVP-Strategen gehen aufgrund parteiinterner Langzeitstudien davon aus, dass die SPÖ außer Gemeindebediensteten, Pensionisten und Modernisierungsverlierern immer weniger soziale Gruppen ansprechen und zu einer 30-Prozent-Partei schrumpfen werde – ein Katastrophenszenario, das heute auch in SPÖ-Zirkeln nicht mehr für unrealistisch gehalten wird, wenn sich nicht bald etwas ändert.

Die SPÖ wäre dann keine klassische Volkspartei mehr. Diese, so der deutsche Politikwissenschafter Franz Walter, leben von den Resten der alten Ideale, gemixt mit neuen Ideen von außerhalb und farbigen, authentischen Mitstreitern. Aber wo sind die Visionen, wo die frischen Ideen, wo die schillernden Figuren?

Alte Herren. Bei den Vorarlberger Landtagswahlen etwa wären für die SPÖ mehr als drei Prozentpunkte Gewinn möglich gewesen, meint der Politologe Peter Filzmaier. Immerhin hatten es die roten Gewerkschafter wenige Wochen zuvor geschafft, die Mehrheitsverhältnisse in der Arbeiterkammer zugunsten der SPÖ umzudrehen. „Jeder zweite Vorarlberger ist AK-Mitglied, die können doch wohl nicht so rasch ihre Meinung geändert haben“, sagt Filzmaier. Zwar wurde mit der Gynäkologin Elke Sader eine moderne Spitzenkandidatin ins Rennen geschickt, doch „hinter ihr waren alte Herren, die damit beschäftigt sind, Posten unter sich auszumachen“, klagt eine Vorarlberger Funktionärin.

Es geht auch anders. Die SPÖ Salzburg traf eine riskante, aber langfristig kluge Personalentscheidung, als sie 1994 die junge Arbeiterkammerfunktionärin Gabi Burgstaller mit der Führung des Klubs betraute. Burgstallers Nachfolger David Brenner ist 33 Jahre alt.

Die Salzburger Partei ist traditionell schwach, der Parteiapparat klein. Die SPÖ Salzburg beschäftigt nur 20 Mitarbeiter – Teilzeitkräfte eingeschlossen. „Es hat einen gewissen Vorteil, dass wir nie eine rote Hochburg waren“, sagt Partei-Geschäftsführer Appeltauer, „so waren wir immer gezwungen, uns dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen und zeitgemäße Methoden zu entwickeln.“ Kommunikation statt Mitgliederverwaltung, Karaoke-Abende statt langer politischer Referate. Ein Wohlfühlprogramm, bei dem am Ende aber öfter politisch diskutiert wird als bei herkömmlichen Parteiversammlungen.

Die burgenländische SPÖ hat den Wellness-Faktor zuletzt auf geradezu rührende Weise berücksichtigt. Ihr Parteitag wurde von Josef Broukal moderiert, der selbst leidige Formalitäten im Show-Stil absolvierte. Mit dem Mikro tänzelnd fragte der Ex-ORF-Anchorman von der Bühne herab, ob der Parteitag wohl auch beschlussfähig sei. Ebenso launig flötete die stellvertretende Parteivorsitzende Verena Dunst zurück: „Ja, natürlich.“

Weiterhin ungelöst ist das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsflügel und SPÖ. Das Strategiepapier aus Gusenbauers Anfangszeit, in dem eine Abkoppelung der Partei vom ÖGB empfohlen wurde, ist längst in den Schubladen verschwunden. In Kärnten preschen die Gewerkschafter wieder vor und verlangen von dem ohnehin umstrittenen Parteivorsitzenden Peter Ambrozy mehr Einfluss in der Landespolitik. Unkonventionelle Neue sehen die Gewerkschafter in der Partei nicht allzu gern.

Nur Oberösterreichs Landesparteichef Erich Haider schaffte nach fünfjähriger Umbauarbeit das Kunststück, junge Quereinsteiger zu etablieren, ohne die Gewerkschafter zu vergrämen. „Ich habe zeitgerecht alle Gruppen eingebunden“, sagt Haider.

Die Jugendorganisationen dagegen haben auf Bundesebene nichts mehr zu melden. Die roten Studenten, die vor zwei Jahren erstmals gemeinsam mit den Grünen die bürgerliche Mehrheit an den Unis brechen konnten, wurden in der aktuellen Debatte um die ausgehungerten Unis nicht gefragt. Mit der Idee der Elite-Unis wird ihnen sogar noch der Argumentationsboden entzogen.

Auch andere große Vorfeldorganisationen – mit Ausnahme des Pensionistenverbandes – werken unbeachtet vor sich hin. Wer nutzt deren Erfahrung? Die Volkshilfe, die Kindergärten betreibt, Asylwerber berät und Altenheime führt, weiß, wo die Leute der Schuh drückt. Der Samariterbund kennt die Versorgungsengpässe im Gesundheitswesen. Sie alle geben Mitgliederzeitungen heraus, die als Werbeträger verwendet werden könnten. Die Parteizentrale verfügt nicht einmal über deren Adressen.

Mit dem Belastungspaket im Rahmen des Finanzausgleichs hat der Wiener Bürgermeister Michael Häupl den Parteichef wieder einmal vorgeführt. Man verstehe nicht, dass Gusenbauer behaupte, nicht eingebunden gewesen zu sein, heißt es aus dem Wiener Rathaus.

Durststrecke. Viele Funktionäre in der SPÖ stellen sich heute schon auf ein weiteres Dezennium in der Opposition ein. Der Parteichef gilt als bemühter und kluger Politiker mit einem fatalen Geschick für falsche Themen. Selbst seinen Unterstützern fällt als größtes Lob immer nur ein, dass es „keine Alternative“ zu ihm gebe. Die nächste große Hürde wird für ihn der Bundesparteitag am 30. November. Auf die Frage, ob er umstritten sei, antwortete Gusenbauer vergangenen Samstag im ORF-„Mittagsjournal“ mit gepresster Stimme: „Das wird der Parteitag zeigen.“

Imposante 99,6 Prozent hatte Gusenbauer beim Parteitag 2002 bekommen. Jedes deutlich schlechtere Ergebnis würde seine politische Zukunft infrage stellen.