Projekt Rubik

Schwarzgeld. Steueroasen wie die Schweiz – und Österreich – sollen zur völligen Offenlegung gezwungen werden

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Im Frühjahr 2009 herrschte zwischen Genfer und Bodensee steifer Gegenwind. Nach empörenden Fällen von gigantischer Steuerhinterziehung attackierten EU und USA die Schweiz und deren Bankgeheimnis mit noch nie gesehener Heftigkeit. Laut „Neuer Zürcher Zeitung“ plagte einige Genfer Bankiers damals sogar die Angst, im Urlaub an der Côte d’Azur verhaftet zu werden. Da hatte Alfredo Gysi, Chef der Banca Svizzera Italiana und Präsident des Verbands der Auslandsbanken in der Schweiz, eine Königsidee, die bald von der eidgenössischen Regierung übernommen wurde: Um das Bankgeheimnis zu retten, sollten Schweizer Banken von ihren internationalen Kunden eine Abgeltungssteuer einheben und – unter Wahrung der Anonymität – an ausländische Finanzbehörden abführen. Der Name des Projekts im offiziösen Sprachgebrauch: „Rubik“.

Im Februar 2012 klauten Werner Faymann, Michael Spindelegger und Maria Fekter Gysis mittlerweile zur Serienreife entwickelte Idee für das großkoalitionäre Projekt „Sparpaket“: Eine Abgeltungssteuer auf österreichisches Schwarzgeld in der Schweiz soll 2013 pauschal eine Milliarde Euro rückwirkend und danach jährlich 50 Millionen Euro in die klamme Staatskasse spülen.

So einfach, so lukrativ, so naheliegend – und so problematisch: Denn der Staatsplan vom leicht verdienten Geld wird nicht so einfach funktionieren. Einerseits haben ihn die Schweizer noch gar nicht abgenickt, andererseits gibt es auf EU-Ebene massiven Widerstand – vor allem bei den Sozialdemokraten.

Aus Gründen der Steuergerechtigkeit: Laut Regierungskonzept soll der Satz für die einmalige Abgeltung bei 19 bis 34 Prozent liegen. Wer sein Einkommen in Österreich legal versteuert, führt dagegen bis zu 50 Prozent ab. In der Praxis würden die Schweizer Banken für ihre Kunden die Abgaben überweisen, die Steuerhinterzieher bleiben somit anonym. Wer sich anlässlich der neuen Abgabe gegenüber der österreichischen Finanz outet, kann – wie im Falle einer Selbstanzeige – mit Strafbefreiung rechnen.
Der Plan für das Steuersünder-Abkommen mit der Schweiz entstand während der Sparpaketsverhandlungen eher zufällig. Der ursprüngliche Vorschlag stammt von einer To-do-Liste, die Beamte des Finanzministeriums schon Monate zuvor erstellt hatten. Vorbild waren die bereits ausverhandelten „Rubik“-Steuerabkommen der Schweiz mit Großbritannien und Deutschland.

Finanzministerin Fekter (ÖVP) und ihr SPÖ-Staatssekretär Andreas Schieder diskutierten den Vorschlag mit einiger Skepsis: Entspricht die angedachte Regel den EU-Gesetzen? Ist es ethisch vertretbar, Steuerhinterzieher und Schwarzgeldbesitzer zu amnestieren? „Ich hatte mit dem Vorschlag durchaus moralische Probleme“, gibt Staatssekretär Schieder gegenüber profil offen zu. Aber: „Was wäre die Alternative – das Geld unversteuert in der Schweiz liegen zu lassen?“ So sieht es auch Klaus Hübner, Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder: „Es ist eine Abwägung: Will ich Steuergerechtigkeit oder lieber Staatseinnahmen, um zum Beispiel die Pensionen zu sichern?“

Ein zusätzliches Kalkül: Durch die dann laufende Besteuerung der Kapitalerträge verliert die Veranlagung in der Schweiz ihren Rendite-Reiz. Ein Teil des bei Privatbanken zwischen Zürich und Genf und in so genannten Domizilgesellschaften deponierten österreichischen Vermögens könnte daher repatriiert werden.

Laut Schätzungen bunkern österreichische Staatsbürger mindestens zwölf Milliarden Euro in der Schweiz. Großvermögen im Ausmaß von 100 Millionen Euro und darüber dürften dabei Ausnahmefälle sein. In der Mehrzahl belaufen sich die Veranlagungen zwischen 500.000 und mehreren Millionen Euro. Teils handelt es sich um Vermögen, die bereits bald nach Kriegsende in der Schweiz veranlagt wurden, da Österreich als zu unsicher galt. Im Regelfall sind es laufende Einkommen, die zur Steuervermeidung in die Schweiz transferiert werden, teils bar im „kleinen Grenzverkehr“.

Ob aus den geschätzten zwölf Milliarden Euro Schwarzgeld tatsächlich 2013 eine Milliarde Schwarzgeldsteuer lukriert werden kann, wird selbst in Regierungskreisen bezweifelt. Die potenziellen Einnahmen wurden auf Basis der deutschen Schätzungen hochgerechnet: Sie wurden einfach durch zehn dividiert. Da es in Deutschland freilich nie eine so rigide Sparbuch-Anonymität wie in Österreich bis 2002 gab, dürften im Verhältnis deutlich weniger Österreicher als Deutsche ihr Vermögen in die Schweizer Finanzfestung verlagert haben. Ein weiterer Knackpunkt: Laut ausverhandeltem Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz kassiert die Bundesrepublik vorab zwei Milliarden Franken von Schweizer Banken. Das zehnmal kleinere und mit zehnmal geringerer Verhandlungsmacht ausgestattete Österreich beansprucht also mit einer Milliarde Euro (1,2 Milliarden Franken) mehr als die Hälfte der deutschen Akontozahlung – ein Ansinnen mit geringer Realisierungswahrscheinlichkeit.

Die EU-Kommission lehnt die „Rubik“-Abkommen der Schweiz mit Großbritannien und Deutschland ebenso ab wie die aktuellen österreichischen Pläne zur Schwarzgeldsteuer. Die Strategie der Eidgenossen, mittels bilateraler Verträge die EU auszutricksen, soll unterlaufen werden. „Wir können nicht akzeptieren, dass unsere hohen Standards beim Kampf gegen Steuerhinterziehung kompromittiert werden“, legt sich EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta gegenüber profil fest.

Eine ähnliche „Fluchtgeld-Amnestie“, wie Österreich sie anstrebt, hatte Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi in großer Geldnot schon 2009 erlassen. Für die Steuerflüchtlinge war sie eine echte Mezzie: Zu einem Strafsteuer-Zinssatz von sagenhaften fünf Prozent legalisierten denn auch Tausende reiche Italiener ihr im Ausland deponiertes Schwarzgeld. Allein 60 der insgesamt 85 so kostengünstig weißgewaschenen Milliarden lagen auf Schweizer Konten, in Luxemburg waren 7,3 Milliarden, in Monaco 4,1 Milliarden geparkt. Weil alle Brünnlein so hurtig flossen, wurde die Amnestie sogar um ein halbes Jahr verlängert, der Zinssatz lag da allerding bei „gestrengen“ sieben Prozent. Der römische Fiskus nahm auf diese Weise etwa fünf Milliarden Euro ein – regulär wäre etwa das Achtfache zu entrichten gewesen.

Auch der österreichische EU-Abgeordnete Hannes Swoboda, seit einem Monat Fraktionsvorsitzender der sozialdemokratischen Parteien im Europaparlament, hält die geplante Regelung für einen „Rückschritt“: „Das hilft der Schweiz, Schwarzgeld schonend zu behandeln“. Stattdessen müsste der Druck auf die Schweiz und andere Steuer­oasen erhöht werden, Schwarzgeldkonten auf ihren Banken offenzulegen. Fernziel ist der automatische Informationsaustausch über internationale Geldflüsse.

Die Summen, die den nationalen Steuerbehörden und Sozialversicherungen entzogen werden und als Schwarzgeld auf Konten in Steuerparadiesen landen, sind gewaltig. Laut „Weltreichtumsbericht“ der jeglichen Linksabweichlertums unverdächtigen Investmenthäuser Merrill Lynch und Cap Gemini beläuft sich das Gesamtvermögen der weltweiten Dollarmillionäre auf rund 40 Billionen US-Dollar. Ein Drittel davon sei „Offshore“ versteckt, also etwa 13 Billionen. Allein der Kapitalertrag würde laut Annahme der Merrill-Lynch-Daten mehr als eine halbe Billion US-Dollar betragen.

Mit dessen Besteuerung ließen sich einige Probleme auf der Welt lösen, argumentiert die gegen Bankgeheimnis und für internationale Steuergerechtigkeit kämpfende Organisation Attac. Deren Sprecher David Walch: „Das alles ist nicht nur ungerecht, sondern ganz einfach moralisch verwerflich.“
Den Entwicklungsländern entgehen durch illegalen Abfluss von Vermögen und Steuerbetrug durch Konzerne im Jahr rund 900 Milliarden Dollar, schätzte die „Global Integrity"-Studie 2009. Die globale Entwicklungshilfe macht gerade ein Zehntel dieser Summe aus.
Im Kampf gegen Steuerhäfen und Geldwäsche befindet sich Österreich in einer skurrilen Zwitterrolle. Als EU-Mitglied muss es die Linie der Staatengemeinschaft mittragen. Gleichzeitig hat das Land eine lange Tradition, internationale Bemühungen im Kampf gegen Steuerhinterziehung zu unterlaufen. Das Tax Justice Network reiht Österreich aufgrund seines strengen Bankgeheimnisses unter die intransparentesten Finanzplätze der Welt. Und wie die Schweiz wurde auch Österreich vor drei Jahren von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) auf der so genannten „grauen Liste“ der Steueroasen angeprangert.

Schon seit Ende der neunziger Jahre drängt die EU darauf, dass die Mitgliedsstaaten einander über Geldflüsse zwischen ihren Banken informieren. Nach zähen Verhandlungen wurde im Jahr 2003 eine Einigung über länderübergreifende Zinsbesteuerung beschlossen. Seither melden EU-Staaten automatisch Namen und Daten von Sparbuchbesitzern an deren Heimat-Finanzämter. Nur Österreich und ­Luxemburg machen nicht mit. Der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser ertrotzte eine Ausnahme und jubelte damals: „Das österreichische Bankgeheimnis ist auf ewig gewahrt.“ Davon profitierte, wie man heute weiß, nicht zuletzt KHG persönlich …

Doch auch Grassers Vorgänger und Nachfolger im Finanzministerium verteidigten Österreichs Sonderrolle mit Zähnen und Klauen. Wilhelm Molterer zog sich den Zorn der EU-Kollegen zu, als er sich gegen den Ankauf einer CD mit Daten mutmaßlicher Steuerhinterzieher aussprach. Und Josef Pröll blockierte über Monate eine Reform der Zinsbesteuerung auf EU-Ebene.

Aus historischer Sicht waren das Bankgeheimnis und die Anonymität der Sparbücher bei ihrem Beschluss im Jahr 1945 durchaus sinnvoll. Die Banken benötigten zur Finanzierung des Wiederaufbaus Geld – das aber horteten die leidgeprüften Österreicher lieber zu Hause. Auch die Einkünfte aus dem Schwarzhandel sollten „nicht unter der Bettdecke, sondern zumindest bei Banken aufbewahrt“ werden, erzählt der Finanzrechtler Werner Doralt. Das Versprechen, ihr Kontostand werde absolut geheim gehalten, sollte die Besitzer von Geldvermögen in die Filialen locken.
Die breite Mehrheit der Österreicher profitiert vom Bankgeheimnis, das die Kreditinstitute außer bei Strafverfahren zur Verschwiegenheit gegenüber Behörden verpflichtet, ohnehin nicht. Die Gehälter der unselbstständig Erwerbstätigen sind den Finanzämtern bis auf den letzten Euro bekannt. Klassischer Nutznießer des österreichischen Bankwesengesetzes ist etwa ein Münchner Zahnarzt, der seine schwarzen Einkünfte in Salzburg oder Tirol parkt.

Rund 50 Milliarden Euro fließen jährlich aus Deutschland über die Grenze nach Österreich, kalkulieren deutsche Experten. Die Finanzminister in Berlin bringt der Geldtransfer regelmäßig in Rage. Der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück verglich Österreich im Jahr 2009 mit Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, was ihm nicht nur in Wien, sondern auch in Afrika verübelt wurde.

Den deutschen Finanzbehörden sind vor allem die kleine Tiroler Gemeinde Jungholz im Bezirk Reutte und das Kleinwalsertal in Vorarlberg ein Dorn im Auge – zwei ländliche Flecken, die nur von Bayern aus erreichbar und seit Langem Parkplatz für Schwarzgeld aus Deutschland sind. Der „Stern“ recherchierte vor zwei Jahren, wie ungeniert etwa die Hypo Vorarlberg, immerhin die Bank des Landes, um deutsches Schwarzgeld für ihre Kleinwalsertaler Filiale wirbt. In einem eigens für Steuerflüchtlinge aus Deutschland gestalteten Informationsblatt der Hypo wird auf die für Steuerhinterzieher äußerst kulante Reform des Bankwesengesetzes aus dem Jahr 2009 verwiesen. „Am automatischen Informationsaustausch innerhalb der Finanzbehörden in der EU wird sich Österreich weiterhin nicht beteiligen“, heißt es da vielversprechend.

Ewig wird Österreich seinen Sonder­status nicht halten können. Auf Druck der G20-Staaten und der EU wurde 2010 unter Finanzminister Josef Pröll das Bankgeheimnis für Ausländer gelockert. Bis dahin durften Banken nur über richterliche Anweisung für ein Strafverfahren Auskünfte über Kontodaten erteilen. Seither reicht ein gut dokumentierter, begründeter Verdacht. Die Verschärfung ist freilich mehr kosmetischer Natur: Denn wie etwa die deutsche Finanz dokumentieren soll, dass jemand Schwarzgeld in Österreich geparkt hat, bevor sie aus Österreich Infos über die Konten bekommt, bleibt eine ungelöste Henne-Ei-Frage.

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble drängt hartnäckig darauf, das Bankgeheimnis in Österreich und der Schweiz abzuschaffen: „Ich sage voraus, dass wir das Bankgeheimnis in der EU abschaffen werden, und die Schweiz wird sich dieser Entwicklung nicht entziehen können.“
Aufgrund des Widerstands der EU-Kommission wegen Verstößen gegen EU-Recht liegt das „Rubik“-Abkommen der Schweiz mit Deutschland trotz Ratifizierung derzeit auf Eis. Anfang Februar forderte der neue Schweizer Außenminister Didier Burkhalter die Kommission auf, den Vertrag zu „deblockieren“. Neben Brüssel geben sich auch die SPD-regierten Bundesländer bockig und wollen das Abkommen im Bundesrat, der Länderkammer, noch verhindern. Laut einem Bericht des Züricher „Tagesanzeiger“ soll die Schweizer Regierung bereits befürchten, „die bilateralen Steuerabkommen könnten einen langsamen Tod erleiden“.
Dass damit auch das Sparpaket in der Alpenrepublik nebenan wackelt, dürfte das geringste Problem der Schweiz sein.

Mitarbeit: Otmar Lahodynsky