Leitartikel: Sven Gächter

Spiegelverkehr

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Was lange gärt, wird endlich Wut. Über Wochen hinweg hatte Jörg Haider sich dekorativ geziert, um am Ende doch seinem kämpferischen Ehrgeiz zu erliegen. Er werde als Spitzenkandidat des BZÖ antreten, erklärte Kärntens Landeshauptmann vergangenen Donnerstag und hieb auch gleich kräftig auf seine prospektiven Hauptgegner ein – SPÖ und ÖVP: „Mir tut die österreichische Bevölkerung leid, dass sie mit so einer dilettantischen Regierung konfrontiert ist.“ Wie leid ihm die österreichische Bevölkerung in den Jahren 2000 bis 2006 tat, als sie den von seinen Gnaden dilettierenden blau-orangen Kabinettsmitgliedern ausgeliefert war, ließ Haider leider offen – aber warum sollte sein Langzeitgedächtnis auch besser funktionieren als etwa jenes von Wilhelm Molterer, der ohne jeden ironischen Zungenschlag neuerdings für sich in Anspruch nimmt, „über Nacht klüger“ geworden zu sein?

Es spricht für Haiders selbstbewussten Fatalismus, dass er als Wahlziel für das BZÖ vorgibt, „stärker zu werden“ – nach oben gebe es „keine Begrenzung“, was wiederum ­einem Euphemismus gleichkommt: Tatsächlich gibt es für die orange Splitterpartei nach unten keinerlei Spielraum mehr. Für kabarettistische Lesarten der Kärntner Spitzenkandidatur ist fürs Erste somit gesorgt. Weniger erheiternden Impact birgt allerdings der nachdrückliche Verweis auf die „patriotische Verpflichtung“, der Haider sich zu stellen anschickt, denn wenn Politiker seines Schlages die patria (lat. Vaterland) beschwören, dann hat Österreich anno 2008 nichts zu lachen.

Der allmählich heißer laufende Wahlkampf ist von der Besonderheit geprägt, dass gleich drei Parteien sich offen und erbittert wie nie um das Stimmenpotenzial am rechten Rand balgen. Patriotismus – vulgo: Ausländerfeindlichkeit – wird die Kampagnen von FPÖ und BZÖ, aber auch der ÖVP in einer Weise bestimmen, die für das binnenpolitische Klima das Schlimmste befürchten lässt. Mit ihrer Kampfansage an „Kulturdelikte“ hat die neue Innenministerin Maria Fekter bereits klargemacht, dass die ÖVP ganz im Geiste der verstorbenen bayrischen CSU-Legende Franz Josef Strauß den Raum rechts neben sich den einschlä­gigen Mitbewerbern FPÖ und BZÖ mehr als entschlossen streitig machen will – ein nicht ganz widerspruchsfreies Kalkül für die nach dem jähen EU-Schwenk der SPÖ trotziger denn je bekennende ­Europa-Partei. Aber die schwarzen Spin-Doktoren werden alles daransetzen, Europa als das darzustellen, was an Gedeihlichem übrig bleibt, wenn Österreich sich der „Ausländerproblematik“ erfolgreich entledigt hat.
Das Problem ist nur: Warum sollte der xenophobe Block die ÖVP wählen, wo ihm doch die Herren Strache und Haider eine ungleich verlässlichere Gefühlsheimat bieten? Der Kampf zwischen Blau und Orange wiederum verspricht schon deshalb ausnehmend brutal zu werden, weil die Beteiligten offiziell beharrlich leugnen, ihn überhaupt ausfechten zu wollen. Jörg Haiders Bemerkung, der Wähler werde sehr wohl zwischen „Original und Kopie“ zu unterscheiden wissen, zielt bei aller legitimen Süffisanz an der politischen Realität vorbei: Dem infrage kommenden Wähler ist es nämlich vollkommen egal, wie viel Haider in Strache stecken mag, solange er bei Strache das Gefühl haben kann, die Kopie sei allemal zukunftsträchtiger als das Original.

Die ostentative Verachtung von Haider und Strache füreinander verweist auf ein archaisches Muster: Nichts hasst ein Leithammel so sehr wie einen anderen, in jeder Hinsicht gleich gestrickten Leithammel, der sein angestammtes Revier von innen aufmischt. Wären die Um­-
stände weniger ernst, könnte man dem Showdown der Spiegelbilder einen gewissen ästhetischen Reiz abgewinnen, bis hin zur frivolen Hoffnung, dass am Ende beide zu Bruch gehen. Doch die Umstände sind leider anders gelagert; die Zeichen stehen auf Eskalation, wobei es für den einen nur ums schiere Überleben geht, für den anderen jedoch um ­einen handfesten Machtanspruch, der das ohnehin labile ­innenpolitische Gleichgewicht endgültig zu sprengen droht.

Wären solche Befürchtungen überzogen, hätte die FPÖ vergangene Woche das Wahlkampf-Fairnessabkommen nicht zum Scheitern gebracht und sich damit vorsorglich für alle denkbaren Untergriffe freigespielt. Die anderen Parteien werden deshalb keinen Grund sehen, ihrerseits vornehme Zurückhaltung zu üben. Dass Haider und Strache sich in ungewohnter Eintracht denselben Gegner vorgeknöpft haben, nämlich die großkoalitionären Auslauf-Dinos SPÖ und ÖVP, ist in Wahrheit ein Ablenkungsmanöver: Ihre schlimmsten Feinde sind nicht Rote und Schwarze, es sind auch nicht chronisch integrationsunwillige, habituell gewaltbereite Ausländer – ihr schlimmster Feind ist jeweils ein anderer Inländer, aus demselben Holz geschnitzt, von derselben Weltanschauung beseelt und durchdrungen von demselben Egozentrismus. „Packen wir’s an, und legen wir los“, sagte Haider vergangenen Donnerstag. Es klang wie eine gefährliche Drohung.