Spielwarenbranche: Kinderkram-Krise

Spielwaren: Kinderkram

Verluste bei klassischen Spielzeugherstellern

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Das Urteil fiel, gelinde gesagt, ernüchternd aus: „Unser Gespür für den Markt war schlecht, wir haben nicht verstanden, was vor sich geht, und unsere Trendvoraussagen haben auch nichts getaugt“, sagte Kjeld Kirk Kristiansen vor wenigen Wochen. Kristiansens Familie ist Eigentümerin der Lego Company, jenes dänischen Spielwarenherstellers, dessen bunte Bausteine seit nunmehr 82 Jahren zur Standardausstattung von Kinderzimmern gehören. Bis Ende Oktober hatte das 56-jährige Familienoberhaupt den Sessel des Vorstandsvorsitzenden inne und dabei, wie er nun selbst eingestand, offenbar auf ganzer Linie versagt. Vor sechs Jahren noch erwirtschaftete das Unternehmen bei einem Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro einen Gewinn von über 90 Millionen Euro. Heuer wird die Lego Company gerade noch gut eine Milliarde umsetzen und nach Prognosen des Managements einen Verlust von weit über 200 Millionen Euro schreiben.

Müder Markt. Lego ist das Paradebeispiel für die angespannte Situation einer ganzen Reihe klassischer Spielwarenhersteller. Die durch die Wirtschaftsflaute gedämpfte Kauflust, der Druck hoher Lohnkosten und, nicht zuletzt, grobe Managementfehler haben dazu geführt, dass einst hochprofitablen Vorzeigeunternehmen wie Lego oder Märklin, aber auch Mattel (Barbie, Hot Wheels, Fisher-Price) oder Hasbro (Trivial Pursuit, Monopoly) das Geschäft wegbricht. Auch die Erwartungen für das diesjährige Weihnachtsgeschäft sind gedämpft.

„Es werden einfach generell immer weniger Dinge über 50 Euro gekauft. Nur noch wenige sind heute bereit, Geschenke für mehr als 100 Euro unter den Christbaum zu legen“, sagt Lego-Europa-Chef Dirk Engehausen. Das ist allerdings nur die Hälfte der Wahrheit. Wenn diese Preisgrenze überschritten wird, macht heute in der Regel die Unterhaltungselektronik das Rennen. Spätestens ab einem Alter von etwa zehn Jahren geben die Kinder Handys, Computern oder Spielkonsolen den Vorzug. Zudem haben einige große Spielwarenhersteller gravierende strategische Fehlentscheidungen getroffen: Manche lieferten zuletzt nur noch Ladenhüter aus oder haben ihre Produkte schlicht am Markt vorbeientwickelt.

Lego hatte Ende der neunziger Jahre druckvoll versucht, seine Produktpalette mit High-Tech-Effekten aufzurüsten. Kräne und Autos waren plötzlich computergesteuert, anstelle großer, vielseitig einsetzbarer Bausteinkästen wurden nur noch Bausätze mit spezifischen Fertigteilen produziert, die, einmal zusammengebaut, in Kinderzimmerregalen Staub anzusetzen begannen. Bei all dem technischen Firlefanz hatte das Management offenbar übersehen, wo die wahren Stärken der eigenen Produkte lagen. Der neue Lego-Boss Vig Knudstorp: „Lego ist bisher sowohl den Kunden wie auch den Mitarbeitern gegenüber arrogant gewesen. Unser neuer Plan wird entscheiden, ob wir als selbstständiges Unternehmen überleben.“ Weg vom technischen Schnickschnack, zurück zum klassischen Baukastenprinzip, lautet die von Knudstorp ausgegebene Devise. Seit 20 Jahren wird erstmals wieder ein Einfamilienhaus als Bausatz ausgeliefert, bei dem auch das Dach, dem Lego-Motto folgend, Stein für Stein und nicht aus Fertigplatten gezimmert wird – ein Angebot, auf das Kunden und Handel schon lange gedrängt hätten, wie Haidemarie Heinz, Sprecherin des österreichischen Spielwarenhandels, erzählt.

Ungehörter Lok-Ruf. Ähnliche Fehler muss auch der deutsche Modellbahnhersteller Märklin einräumen. Das Unternehmen war über Jahrzehnte die unumstrittene Nummer eins in seinem Bereich, hat zuletzt aber merklich Terrain an billigere Anbieter aus Fernost verloren. Die mit viel Detailtreue großteils handgefertigten Lokomotiven sind aufgrund der hohen Standortkosten am Sitz im deutschen Göppingen kaum noch ökonomisch zu produzieren. Händlerin Heinz: „Die Leute haben zuletzt schon sehr gejammert über die hohen Preise. Vor allem die Einstiegspackungen, das klassische Geschenk für Weihnachten, waren einfach zu teuer.“

Die gedämpfte Kauflust schlug sich auch in den Bilanzen nieder. Nach kontinuierlich sinkenden Umsätzen konnten rote Zahlen im abgelaufenen Jahr nur durch eine dramatische Senkung der Investitionen verhindert werden. Vor wenigen Wochen zog Märklin-Chef Paul Adams die Notbremse: 361 von insgesamt 1081 Mitarbeitern im Stammwerk stehen vor der Kündigung. „Wir werden die Einstiegspackungen künftig notgedrungen im ungarischen Györ fertigen. Mit den Lohnkosten in den deutschen Fabriken geht das einfach nicht mehr.“ Um für die ausgerechnet knapp vor Weihnachten gekündigten Mitarbeiter wenigstens einen Sozialplan finanzieren zu können, wurde den verbliebenen Beschäftigten das Weihnachtsgeld gestrichen. Adams bei der Präsentation der Restrukturierungspläne: „Die Furcht vieler Menschen vor Einkommensverlusten sowie die schlechte Lage am Arbeitsmarkt haben die Verbraucherstimmung getrübt.“ Vor allem aber klagt Adams über „erhebliche Rabattschlachten“, die „durch aggressive Verkaufsmaßnahmen weniger hochwertiger Modelleisenbahnen“ ausgelöst worden seien. Doch Wehklagen nützt wenig, auch Märklin wird wohl oder übel mitziehen müs-sen – und sei es über Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer.

An der Preisschraube musste auch der Stofftierhersteller Steiff drehen. „Wir haben in den vergangenen Jahren einfach nicht mehr die adäquaten Produkte gemacht“, bekennt Steiff-Geschäftsführer Friedhelm Brandau. Das Unternehmen habe sich zu einseitig auf leidenschaftliche Sammler konzentriert und dabei das untere Preissegment vernachlässigt. Laut Brandau lag Steiff zuletzt bereits „100 bis 150 Prozent über den durchschnittlichen Marktpreisen“. Das diesjährige Weihnachtsgeschäft hofft das Unternehmen damit zu retten, dass seit vielen Jahren erstmals ein Billig-Teddy um 16 Euro in die Läden kommt.

Der Puppenhersteller Zapf Creation erlitt heuer einen Umsatzrückgang von knapp 17 Prozent. Die Unternehmensleitung hatte offenbar an den Kundenwünschen vorbeiproduziert und, wie Branchenkenner anmerken, veritable Ladenhüter in den Handel gebracht. Das Weihnachtsgeschäft ist wohl nicht mehr zu retten.

Die Konsumflaute hat mittlerweile auch die großen US-Konzerne Mattel und Hasbro erfasst. Die Umsätze von Mattels Bestseller Barbie etwa lagen zuletzt 13 Prozent unter jenen des Vorjahres. Konzernchef Robert A. Eckert: „Die Verbraucher reagieren auf die wirtschaftliche Unsicherheit. Deshalb zögern viele Einzelhändler, Inventarrisiken einzugehen.“ Im Klartext: Sie ordern weniger, um nicht auf der Ware sitzen zu bleiben.

Vernachlässigte Wünsche. Nicht viel besser erging es dem Konkurrenten Hasbro. Laut Vorstandschef Alfred J. Verrecchia ist neben „dem schwierigen Einzelhandelsumfeld“ auch eine zunehmende „Schwäche bei Spielzeugen für Buben“ dafür verantwortlich, dass das Unternehmen die für 2004 gesteckten Umsatzziele voraussichtlich nicht erreichen wird. Hasbro-Österreich-Marketingleiterin Evelyne Wilhelmseder konnte sich im Vergleich mit anderen Märkten noch ganz passabel schlagen. „Produkte, die wir stark pushen, verkaufen sich auch gut“, erklärt sie. „Ohne Werbung geht aber nichts.“ Die Umsätze werden deshalb heuer auch in Österreich das Vorjahresniveau nicht erreichen.

Offenbar haben viele Paradehersteller die Wünsche ihrer Kunden, also der Kinder beziehungsweise ihrer Eltern und Verwandten, zu lange vernachlässigt oder falsch eingeschätzt. Dass es auch anders geht, beweist der deutsche Hersteller Playmobil. Das Unternehmen profitiert von der Lego-Schwäche und konnte den Dänen namhafte Marktanteile abringen, nicht zuletzt durch gezielte Marktforschung an der Kundenbasis. Einmal pro Jahr wird aufgrund detaillierter Umfragen das komplette Sortiment durchforstet. „Wir forschen nach, was die Kinder etwa bei der Ritterburg vermissen. Mal ist es der Wassergraben, mal der Mauerdurchbruch. Und weil sie gern Guter-Ritter-böser-Ritter spielen, haben wir dieses Jahr eine Drachenfestung neu im Angebot“, so Playmobil-Geschäftsführerin Andrea Schauer. Schlauer Rat des österreichischen Playmobil-Importeurs Dieter Stadlbauer: „Man soll halt nicht immer nur die Marketingstrategen und Techniker fragen, sondern die Kunden selbst – also die Kinder.“