SPÖ: Fluch der Verheißungen

Kanzler Gusenbauer in Bedrängnis

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Zwei Dutzend Jugendliche drängten sich Donnerstag vergangener Woche ehrfürchtig gespannt um den Minis­terratstisch. Eine Klasse der Hertha-Firnberg-Schule, eine Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe am Wienerberg, hatte einen Fragenkatalog vorbereitet. Doch der Kanzler kam und kam nicht. Ein Mitarbeiter des Bundespressedienstes mühte sich redlich, die Wartezeit mit his­torischen Anekdoten über den Ballhausplatz zu überbrücken. Als er schon etwas resigniert bei der Revolution von 1848 angekommen war, hörte man schwere Schritte. Jetzt war der Kanzler da, und alle standen artig auf.

So viel Respekt genießt Alfred Gusenbauer selten. Die Schüler wollten unter anderem wissen, wie er mit Kritik fertig werde, ob er seine Tochter statt ins Lycée in eine Gesamtschule geschickt hätte, wenn es eine gegeben hätte. Gusenbauer antwortete geduldig – anders als die Tage davor. Am Montag war er genervt vor Journalisten davongelaufen, als er zu Wahldebakel und billigem Business-Class-Flug nach Bangkok etwas sagen sollte. Für den Kanzler war’s eine schwarze Woche. Beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel war er ausgebuht – und hernach verhöhnt worden, weil er einen Anorak mit „Kronen Zeitung“-Logo trug. Auch beim Nachtslalom in Schladming wurde er ausgepfiffen.

Doch damit waren die Turbulenzen noch nicht beendet. Ende vergangener Woche wurde publik, dass der Kanzler nicht nur, wie von profil berichtet, beim Flug von Wien nach Bangkok ein kostenloses Upgrading von der billigeren Economy Class in die exklusive Business Class genossen hat, sondern auch beim Rückflug. Man habe ja nie behauptet, dass Gusenbauer auf dem Rückflug Economy ­geflogen sei, hieß es aus dem Bundeskanzleramt. Das freilich entspricht nicht ganz der Wahrheit. In den „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom Dienstag vergangener Woche war zu lesen: „Gusenbauer kündigte an, den Differenzbetrag für das einmalige Upgrading überweisen zu wollen. Den Rückflug habe man ohnehin in der Economy Class verbracht.“
Die Differenzbeträge für beide Flüge, heißt es nun am Ballhausplatz, seien bereits überwiesen worden.

Abrechnung. Nicht nur derlei Eskapaden zeitigen Folgen. Laut einer brandneuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Fessel-GfK würden nur noch 62 Prozent der Wähler, die bei der Nationalratswahl 2006 für die SPÖ gestimmt hatten, dies wieder tun. Und die Regierungszufriedenheit ist ernüchternd. 67 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit der Regierung „eher“ bzw. „sehr unzufrieden“. Zum Vergleich: Im Jänner 2006 waren es unter Schüssel 56 Prozent.

Die Enttäuschung über nicht erfüllte Wahlversprechen der SPÖ ist nicht verebbt. Sie hat sogar neue Nahrung bekommen. Die Einkommensschere klafft weiterhin auseinander; die gemeinsame Gesamtschule von Hauptschule und AHS gerät zum Flop, weil fast nur Hauptschulen teilnehmen; und in der Gesundheitspolitik wandelt Gusenbauer rhetorisch auf dem Pfad seiner konservativen Vorgänger: „Zu glauben, die Kassen kommen zur Regierung und die drückt ihnen einen Scheck in die Hand – so wird es nicht gehen“, richtete er den Gebietkrankenkassen patzig aus. „Das hat ihm großen Unmut an der Parteibasis eingebracht, besonders bei den Gewerkschaftern“, sagt der Wiener EU-Mandatar Hannes Swoboda. Im Grazer Wahlkampf beklagten sich ältere Menschen erbost bei SPÖ-Wahlhelfern, weil auf ihren neuen Pensionsbescheiden gerade ein paar Euro mehr waren.

Die Parole der Bundesparteizentrale, das Grazer Ergebnis sei einzig und allein hausgemacht, ist da wenig überzeugend. Gusenbauer, nach dem Gespräch mit den Jugendlichen milde gestimmt, zu profil: „Bei Sportveranstaltungen passiert es oft, dass Politiker nicht gerade freudig empfangen werden. Auch beim steirischen Landeshauptmann Franz Voves wurde gepfiffen.“ Und was die älteren Menschen angehe, wolle er nur daran erinnern, dass er für die Pensionserhöhung über der Inflationsrate gescholten wurde. Eine wesentlich verbesserte Hacklerregelung – nach 45 Versicherungsjahren ohne Abschlag in die Pension – habe man der ÖVP ebenfalls abgetrotzt, argumentierte er.
Das Volk murrt dennoch. Das ist der Fluch des vergangenen Wahlkampfs. Laut der Nachwahlanalyse des Meinungsforschungsinstituts SORA gewann die SPÖ die Nationalratswahlen 2006 wegen der von ihr getrommelten Themen soziale Gerechtigkeit, Bildung und Gesundheit. Die Versprechen, die Eurofighter abzubestellen und die Studiengebühren abzuschaffen, brachte ihr laut SORA sogar neue Wähler.

„Wir haben die hohen Erwartungshaltungen, die an uns gestellt wurden, unterschätzt“, gibt SPÖ-Geschäftsführer Josef Kalina zu. Die Unzufriedenheit schadet hauptsächlich dem Kanzler. Gusenbauers Beliebtheitswerte, die ohnehin nie lichte Höhen erreicht hatten, stehen derzeit bei 19 Prozent. Franz Vranitzky verzeichnete in guten Zeiten bis zu 70 Prozent.

Führungsschwäche. Aber auch das eigene Regierungsteam klagt. Wann immer es zu heiklen Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner kommt, lässt der Kanzler seine Minister alleine im Ring: So war Bildungsministerin Claudia Schmied wochenlang einem ÖVP-Trommelfeuer gegen die Gesamtschule ausgesetzt, bevor sich Gusenbauer am Nationalfeiertag vage für „Chancengleichheit“ im Bildungssys­tem aussprach. Sozialminister Erwin Buchinger fiel er mit der Amnestie für die 24-Stunden-Pflege („Schwamm drüber“) in den Rücken. In der Justizpolitik fuhr Gusenbauer Ministerin Maria Berger bereits zweimal in die Parade: In die gesetzlichen Vorbereitungen für den umstrittenen Asyl­gerichtshof war sie nicht eingebunden. Als es wegen eines Terrorvideos Unstimmigkeiten in der Vorgangsweise zwischen der Justizministerin und dem Innenminister gab, stellte er sich hinter den ÖVP-Mann.

Jeden Dienstag treffen sich der Kanzler und seine Mitarbeiter, die SPÖ-Regierungsmitglieder und die Bundesgeschäftsführer zur Lagebesprechung am Ballhausplatz, und da werde „völlig offen“ über alle Themen debattiert, „ohne Schrebergartendenken und ohne Hierarchie“, sagt ein Teilnehmer. „Wenn ein Minister ein Projekt unbedingt umsetzen wolle, dann bekommt er auch das Placet dafür. Nur: Ab da ist er allein verantwortlich, Gusenbauer hakt die Agenda innerlich ab.“

Mit Vizekanzler Wilhelm Molterer bespricht sich Gusenbauer wöchentlich im so genannten „Frühstück“ vor dem Minis­terrat. SPÖ-intern ist dieser Termin gefürchtet. Zu oft schon wurden dabei rote Standpunkte wie ein Kipferl im Kaffee aufgeweicht. Dort wurde etwa die Erbschaftssteuer abgeschafft, das Ausländerbeschäftigungsgesetz auf mehr Berufsgruppen erweitert, als Sozialpolitiker wünschten, und der Asylgerichtshof fixiert.

Konfliktscheu. Gusenbauer sei „zu nachgiebig“, meinen manche in der Partei. Doch die Strategie, wie man mit der ÖVP umgehen soll, fehlt bislang. Minister Werner Faymann zählt zu jenen, die gerne einen konsensualen Umgang mit der ÖVP einfordern, weil das Streiten nichts bringe. Andere hätten „nichts dagegen, öffentlich deutlicher um Positionen zu ringen“, wie etwa Frauenministerin Doris Bures. SP-Vize Michael Häupl sieht die Bundespartei gar „in der Harmonisierungsfalle“.
Doch auch abseits der Regierungsgeschäfte verliert der SPÖ-Chef an Boden. Der Parlamentsklub, der nach den Oppositionsjahren an Selbstbewusstsein gewonnen hat, fühlt sich zur Abstimmungsmaschinerie degradiert; und in den Gewerkschaften brodelt es: „Der Kanzler wäre gut beraten, sich mal wieder das Wahlprogramm der SPÖ durchzulesen“, rät der Chef der sozialdemokratischen Gewerkschafter, Wilhelm Haberzettl.
Die linke Vergangenheit des Kanzlers lag auch den Schülern auf dem Herzen. Auf dem vorbereiteten Spickzettel stand die Frage: „Sie waren doch in Ihrer Jugend überzeugter Linker. Wären Sie damals schon Kanzler gewesen, was hätten Sie anders gemacht?“ Gusenbauer ersparte sich die Antwort. Die Frage wurde aus Zeitgründen nicht gestellt.