SPÖ-Führung. Es kann nur einen geben

Alfred Gusenbauer rettet seinen Kanzlerjob

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Vergangenen Freitag in Brüssel, bei einer Veranstaltung im Kreise der Parteiführer der Europäischen Sozialdemokraten, blickte so mancher etwas mitleidig auf den österreichischen Kanzler. Und Alfred Gusenbauer, der sonst aufblüht, wenn ihm ein großes Podium zur Verfügung steht, wirkte seltsam abwesend. Der Coup, den er lanciert hatte, um seinen Sitz im Kanzleramt zu retten, erweist sich mehr und mehr als Pyrrhussieg. Sein neuer Kompagnon Werner Fay­mann, dem er vergangene Woche handstreichartig die Führung der Partei über-antwortet hatte, war derweil in Kärnten und Graz unterwegs. Seine Mission: die Basis vom Sinn der Rochade zu über­zeugen.

Seit Montag vergangener Woche gilt der 48-jährige Infrastrukturminister inoffiziell als neuer Parteivorsitzender der SPÖ. Abgestimmt wurde weder im Parteipräsidium noch im Parteivorstand. Und welche Funktion in der Hierarchie Faymann derzeit genau einnimmt, kann auch das Par­teistatut nicht klären. Wahrscheinlich ist Faymann bloß einfaches Parteimitglied, designiert zum Chef. Als „geschäftsführender Parteiobmann“ wurde er vergangenen Montag in der Sonder-„ZiB“ des ORF vorgestellt. Die im SPÖ-Klubsitzungssaal des Parlaments versammelten Mitglieder des Parteivorstands starrten fassungslos auf den Fernsehschirm. „Es herrschte eine Stimmung wie nach dem Ende aller Hoffnungen“, erzählte ein Vorstandsmitglied. Es war ausgerechnet die ÖVP, die tags darauf mit ihrer Neuwahldrohung die SPÖ vorübergehend aus der Agonie holte und alle wieder zusammenrücken ließ. Denn die von Alfred Gusenbauer in der Präsidiumssitzung überraschend angekündigte und statutenwidrige Ämtertrennung – er bleibt Kanzler, Faymann übernimmt die Partei – erwischte die Genossen am falschen Fuß. Und sie richtete den größtmöglichen Schaden an. Was als „Bündelung der Kräfte“ (Gusenbauer) verkauft wurde, stürzt die SPÖ in die schwerste Krise seit Jahrzehnten.

„Jetzt sind alle beschädigt“, fasst ein Minister bitter die neuen Machtverhältnisse zusammen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der Gusenbauer im Laufe des Sommers zum freiwilligen Rücktritt bewegen wollte, hat als starker Mann in der SPÖ ausgedient. Faymann hat eine Nichtfunktion ohne Bewegungsspielraum. Gusenbauer festigt seinen Ruf, „Haupt­sache Kanzler“ sein zu wollen, wenn auch inzwischen nur mehr auf Abruf. Und ­Doris Bures muss ihr Ministeramt verlassen und als Bundesgeschäftsführerin die Scherben wegräumen.

Zurück in die Achtziger. In gewisser Weise ist damit die Rollenverteilung in der Sozialistischen Jugend (SJ) der achtziger Jahre wiederhergestellt. Die Zahnarzttechnikerin Bures war Troubleshooterin, die Anweisungen der politisierenden Jungmännergarde organisatorisch umsetzen musste. Sie hielt Josef Cap und Alfred Gusenbauer den Rücken frei. Faymann war schon damals der charmante Handwerker der Macht, der vor seinem Marsch durch die Wiener Institutionen im Präsidentenjob der Mietervereinigung eine Machtposition erkannte, die er konsequent ausbaute. Bures und Faymann sind bis heute auf verschiedenen Ebenen vernetzt: Sie ist Taufpatin seiner ältesten Tochter – und Frauenvorsitzende in Wien-Liesing, dem Bezirk, dem Faymann als Parteichef aktiv vorsteht. Ihr Lebensgefährte Wolfgang Jansky wiederum war jahrelang dessen Pressesprecher, ehe er gemeinsam mit Eva Dichand lukrative Medienprojekte startete, etwa die Gratiszeitung „Heute“. Doch jene, die seit Jahren damit rechnen, dass Faymann sein Glück zum richtigen Zeitpunkt beim Schopf packen wird, fragen sich nun: Warum tut er sich das an? Warum begnügt er sich mit der undankbaren Position des Parteichefs, ohne den Regierungschef zu übernehmen? Und warum düpiert er Michael Häupl?

Gusenbauers ehemalige Freunde aus der SJ haben dafür folgende Erklärung: Faymann konnte sich der Unterstützung Häupls keinesfalls sicher sein. Das starke Länderchef-Quartett Häupl (Wien), Gabi Burgstaller (Salzburg), Franz Voves (Steiermark) und Erich Haider (Oberösterreich) hatte an einer Alternative für den Ballhausplatz gebastelt: Die eine hieß Faymann, die andere Siemens-Chefin Brigitte Ederer, die als Neustart verkauft hätte werden können. Bestmöglicher Zeitpunkt: die zweitägige Präsidiumssitzung im August, in angemessenem Respektabstand zum Parteitag im Oktober.
In den vergangenen Wochen seien schon Boten zu Ederer ausgeschickt worden. Sie wäre in mehrerlei Hinsicht ein Anti-Gusenbauer gewesen: Sie hat sich beim Aufstieg in die Wirtschaftselite kei­nerlei Attitüden zugelegt. Als ehemalige Europa-Staatssekretärin, SPÖ-Bundesgeschäftsführerin und Wiener Finanzstadträtin bringt sie ausreichend Stallgeruch mit – und zugleich das Atout, die Welt außerhalb der Parteigremien zu kennen. Wenn Ederer, wie vergangenen Dienstag in der SPÖ-Leopoldstadt, ein Plädoyer für eine neue Bildungspolitik hält, ist das ein Kontrastprogramm zu Gusenbauers technokratischer Funktionärsrhetorik. Ederer selbst kann über die Gerüchte nur scherzen: „Ich bin seit 30 Jahren eine Zukunftshoffnung der SPÖ.“

Lange Vorbereitung. Schon einmal hatte Faymann Ederer gegenüber den Kürzeren gezogen: Als Rudolf Edlinger 1997 Finanzminister wurde, wäre ihm Faymann gerne als Wiener Finanzstadtrat gefolgt. Doch Häupl entschied sich für Ederer. Jetzt stellte sich Faymann also hinter Gusenbauer, um eine drohende Konkurrenz zu verhindern. Schon zwei Wochen lang, zuletzt am Sonntag vor dem Parteipräsidium, hatte das Quartett Gusenbauer/Faymann/­ ­Darabos/Bures im Wiener Gartenhotel Altmannsdorf Strategien gewälzt, wie der drohende Putsch der Länderchefs aus ­Wien, Oberösterreich und der Steiermark abgewehrt werden könnte. Mehrere Varianten wurden durchgespielt, in keiner war jedoch ein Rückzug Gusenbauers aus dem Kanzleramt vorgesehen. Gusenbauer hatte ohnehin nur eine Möglichkeit: den Parteivorsitz abzugeben, um den Kanzlersitz zu retten, in der Hoffnung, dem Land und der Partei noch einmal zeigen zu können, dass er doch der Bessere sei. Denn seit Jänner befindet sich die SPÖ im freien Fall. In den von OGM im Auftrag des profil durchgeführten Umfragen sprachen sich damals noch 37 Prozent für die SPÖ aus. Laut jüngster Umfrage sind es nur noch 33 Prozent, damit liegen SPÖ und ÖVP gleichauf. Und mit nur 13 Prozent Zustimmung bei der Kanzler-Direktwahlfrage verbucht Gusenbauer die schlechtesten Werte, die ein Regierungschef je hatte.

Mit der Strategie, sich im Kreis seiner Getreuen einzubunkern, hat Gusenbauer seit dem Jahr 2001 zahlreiche Obmanndebatten ausgesessen. Zimperlich ist er dabei nicht: Josef Kalina, bis vergangenen Montag SPÖ-Bundesgeschäftsführer, erfuhr während der Präsidiumssitzung, dass in Gusenbauers Planspiel für ihn kein Platz mehr vorgesehen ist.
Er könnte nicht der letzte Veteran der alten SJ-Partie gewesen sein, den Gusenbauer opfert: Auch der Sessel von Klubchef Josef Cap wackelt. Bures nimmt ein Parlamentsmandat an – und wird im Klub argwöhnisch darauf achten, dass das Eigenleben, das die Abgeordneten entwickelt haben, wieder in geordneten Bahnen verläuft. Kanzlermacht braucht Kontrolle.

Klubkontrolle. Seit Jahresbeginn stoßen im Klub immer mehr Gesetzesvorhaben auf Widerstand. Dabei spielen wohl viele Faktoren mit: Während etwa Franz Vranitzky kaum eine Klubsitzung ausließ, fand sich Gusenbauer dort nur in Ausnahmefällen ein. Gestärkt durch die steigende Unzufriedenheit ihrer Landesparteichefs spüren die Mandatare Rückenwind: Das Vorhaben, Stiftungen rückwirkend Geld zurückzuzahlen, wurde einhellig abgewiesen. Auch die Gesundheitsreform wollen die Abgeordneten nicht durchwinken. Im Kanzleramt wird dies Cap angelastet. Doch im Grunde beschäftigt die SPÖ derzeit nur jene Frage, die Christian Cap, Medienmanager und Bruder des Klub­obmanns, am Freitag in der Tageszeitung „Der Standard“ stellte: Wann wird Gusenbauer freiwillig aufgeben? Die gedemütigten SPÖ-Granden setzen beim SPÖ-Präsidium am 7. Juli auf eine neue Chance, den Kanzler zum Rückzug zu drängen. „Was sollen wir denn tun? Gegen den eigenen Kanzler im Parlament einen Miss­trauensantrag beschließen?“, ärgert sich ein roter Landeshauptmann über die eigene Hilflosigkeit.

Kalt überrumpelt. Gusenbauers Kritiker waren vergangene Woche im Präsidium kalt überrumpelt worden. Nach einem Referat von Hannes Gschwendtner über das Wahldesaster in Tirol hatte der Kanzler das Wort ergriffen und vorgeschlagen, dass Faymann die Partei übernehmen solle. Er selbst bleibe Kanzler. Häupl und Erich Haider wechselten einen Blick, dann sagte Häupl: „Das kommt nicht infrage.“ Steiermarks Landeschef Franz Voves wurde sogar überdeutlich: „Für acht von zehn Funktionären heißt das Problem Gusenbauer“, warf er in die Debatte. Der Angegriffene konterte scharf: „Willst, dass ich mich ganz schleiche?“ Daraufhin herrschte Schweigen.

Plötzlich stand Faymann auf und sagte: „Ich nehme das an.“ Nationalratspräsidentin Barbara Prammer schlug vor, eine kleine Gruppe einzusetzen, die ein arbeitsfähiges Personalpaket erarbeiten sollte. Die Wiener versuchten, die Entscheidung bis Juli zu vertagen, die Gewerkschafter verlangten eine Sitzungsunterbrechung. Doch Gusenbauer hatte die Zügel bereits wieder fest in der Hand: „Wenn es keine Wortmeldungen mehr gibt, schließe ich die Rednerliste.“ Abgestimmt wurde nicht, Gegenrede gab es auch keine mehr. Wenig später präsentierte sich Gusenbauer vor Journalisten als der Spitzenkandidat für die nächste Wahl. Und Faymann nickte dazu freundlich.

„Über den Spitzenkandidaten entscheidet der Parteirat“, mucken nun die überrumpelten Parteifreunde auf – wohl auch, um den Schaden zu begrenzen. Im obers­ten Wiener Parteigremium wurde am vergangenen Mittwoch die Wortmeldung von Landtagspräsident Johann Hatzl – mit Gusenbauer sei keine Wahl mehr zu gewinnen, und wenn Faymann nicht auch beschädigt werden wolle, müsse er Flagge zeigen – mit tosendem Applaus quittiert. Selbst die vorsichtige Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sagte auf die Frage, wer Spitzenkandidat der SPÖ werden soll: „Das kann ich heute nicht beantworten. Das kommt auch darauf an, wann gewählt wird.“ Wilhelm Haberzettl, Chef der roten Gewerkschafter, erklärt die Ämtertrennung ebenfalls zur Übergangslösung: „Das ist ein Weg aus der Krise, sie kann aber nicht die gesamte Legislaturperiode halten. Auf dem Parteitag müssen wir eine klare Nummer eins küren – einen Kanzler, der auch Parteiobmann ist.“ Ob diese ­Entscheidung für Faymann ausfallen wird, lässt Haberzettl dezidiert offen.

Bewährungsprobe. Denn Faymann ist zwar ein Charmebolzen, die Parteibasis hätte aber lieber einen grundsatztreuen Rambo an der Spitze: einen, der es der ÖVP richtig zeigt und SPÖ-Forderungen durchsetzt. Die erste Prüfung hat er jedenfalls bestanden. Vergangenen Freitag gab sich die ÖVP in Sachen Pensionsautomatik plötzlich kompromissbereit. Auch sie sei nun damit einverstanden, Pensionsalter und ­-erhöhung nicht dem Computer, sondern dem Hauptausschuss des Parlaments zu überlassen. Faymann lehnte das Angebot umgehend ab: Die Pensionscausa müsse auf alle Fälle im Plenum des Nationalrats debattiert werden. So lautet schließlich der Beschluss des SPÖ-Präsidiums. Die erste Klippe hat Faymann damit elegant umschifft – auch wenn sie ihn in raueres Gewässer führt.

Von Eva Linsinger, Ulla Schmid und Christa Zöchling