Nationalratswahl: Um Kopf und Kanzler

SPÖ: Um Kopf und Kanzler - Schaffen die Roten die Rückkehr auf den Ballhausplatz?

Schafft es Gusenbauer 2006 ins Kanzleramt?

Drucken

Schriftgröße

Die Feststimmung auf der Gloriette hoch über dem Schloss Schönbrunn schien lauschig. Unter den Rokoko-Arkaden wurden Punsch und Glühwein gereicht, im Prunkraum selbst wartete ein üppiges Buffet. Antipasti, Ente mit Rotkraut, Sachertörtchen zum Dessert. Doch bevor es für die Mitarbeiter der Wiener Löwelstraße so richtig ans Weihnachtenfeiern ging, war noch der Vorsitzende am Wort. Überschwänglich dankte Alfred Gusenbauer der versammelten SPÖ-Mannschaft für ihren Einsatz im vergangenen Jahr und steckte die Ziele für 2006 ab: Die SPÖ müsse das Kanzleramt zurückerobern.

Die Stimmung in der Säulenhalle des Parlaments wenige Tage zuvor war von anderer Qualität. Ungeachtet potenzieller Zuhörer wusch ÖVP-Klubchef Wilhelm Molterer dem Generalsekretär seiner Partei den Kopf: Reinhold Lopatka habe die Wahl zum ORF-Publikumsrat gehörig vergeigt. Es sei Lopatkas Schuld, dass die ÖVP-Maschinerie nicht in Gang gekommen war, es sei sein Versagen, dass in der Folge alle sechs möglichen Mandate für den ORF-Publikumsrat an die SPÖ gingen. Die zum Greifen nahe ÖVP-Allmacht im Stiftungsrat, dem höchsten ORF-Gremium, ist damit dahin.

Rotes Hoch. Zwei Szenen aus dem Innenleben der beiden Großparteien: hier eine Kanzlerpartei ÖVP, deren Nerven nach einer Serie von Wahlniederlagen nun doch etwas strapaziert sind; dort eine Oppositionspartei SPÖ, die durch wachsende Wählerzustimmung neues Selbstvertrauen gewonnen hat.

Bei fast allen Urnengängen seit 2002 konnte die SPÖ stärker zulegen als die ÖVP, in zwei traditionell schwarz regierten Ländern – in Salzburg und in der Steiermark – stellt sie mittlerweile sogar den Landeshauptmann. In den Umfragen liegen die Roten seit der Angelobung des Kabinetts Schüssel II konstant vor den Schwarzen. Und in der Kanzlerfrage hat sich Alfred Gusenbauer im ablaufenden Jahr kontinuierlich an Wolfgang Schüssel herangearbeitet.

Schwindende Jobchancen, steigende Angst um den Arbeitsplatz, immer weniger Geld in der Kassa – die Österreicher arbeiten ihre Zukunftsängste an der Regierung ab. 93 Prozent der Österreicher, so belegt eine IMAS-Studie, haben Angst um ihr Einkommen und damit vor dem sozialen Abstieg. „Nur mehr eine Minderheit sagt, man müsse den Gürtel enger schnallen“, liest Ifes-Forscherin Imma Palme aus ihren Umfragedaten heraus. Der raue Wind der Globalisierung lässt die Österreicher, wie die Umfragen zeigen, lieber wieder unter der Kittelfalte der alten Tante SPÖ Schutz suchen.

„Gusenbauer hat hier an den Wahlerfolgen seiner Landespolitiker mitgenascht. Das hat keinerlei Bedeutung“, sagt ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka. Doch der Trend verfestigt sich, wie auch die jüngste OGM-Umfrage für profil belegt. 51 Prozent meinen laut OGM, die SPÖ werde nächstes Jahr stärkste Partei. Nur 18 Prozent trauen das der ÖVP zu. Selbst die Mehrheit der ÖVP-Wähler ist vom Sieg ihrer Partei nicht überzeugt (Details siehe Kasten).

„Es gibt Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik“, konzediert der Fessel-Demoskop Peter Ulram. Nur noch elf Prozent der Österreicher präferieren die derzeitige Regierungskonstellation. Ob all das schon für einen Wechsel an der Spitze reicht, bezweifelt Ulram aber. Mit Recht.

Protestpotenzial. Denn ein Problem der SPÖ ist mit der Wiener Landtagswahl virulent geworden, und das heißt Heinz-Christian Strache. Für enttäuschte Haider-Wähler, die sich im Nichtwähler-Lager gesammelt hatten, wird die FPÖ wieder interessant. Bei immerhin sieben Prozent liegen die Freiheitlichen unter Strache. Damit knabbern sie am Wählerkuchen der Großparteien. Wenn sich der Trend verstärkt, kommt vor allem der SPÖ ein wichtiges Wählerpotenzial abhanden.

Die SPÖ darf sich also nicht in Sicherheit wiegen. Auch zwischen 2000 und 2002 lag die SPÖ in der Sonntagsfrage konstant vor der ÖVP. Und doch ging die Volkspartei letztlich mit fulminanten Zugewinnen durchs Ziel – und das nicht nur aufgrund des Berstens der FPÖ und eines grandiosen Wahlkampfes. Die Grundstimmung in Österreich, das signalisierten damals auch die SPÖ-internen Daten, lief einfach gegen eine Rückkehr der Roten auf den Ballhausplatz.

Heute zeichnen die Feinanalysen ein anderes Bild. SORA-Forscher Günther Ogris: „Die Wechselstimmung ist deutlicher ausgeprägt. Sagten 2002 knapp 45 Prozent, die Regierung gehört abgelöst, sind es jetzt 55 bis 60 Prozent.“ In zwei der drei für einen erfolgreichen Kanzler unabdingbaren Eigenschaften – Durchsetzungskraft, Führungsstärke und Volksverbundenheit – ist Gusenbauer Schüssel gefährlich nahe gekommen: Auf die Frage, wer Österreich in die richtige Richtung führt, liegt Schüssel in der aktuellen OGM-Umfrage mit 37 Prozent nur knapp vor Gusenbauer mit 36 Prozent. Gusenbauer kenne die Sorgen der Menschen, meinen satte 61 Prozent, nur gut die Hälfte (35 Prozent) glaubt dies von Schüssel. Nur bei der Durchsetzungskraft hat Schüssel mit 60 Prozent noch weit die Nase vorne (Gusenbauer: 32 Prozent, siehe Grafik Seite 19).

Der SP-Chef hat sich mehr Respekt bei den Österreichern erarbeitet, seine Sympathiewerte sind aber nach wie vor nicht berauschend. Gusenbauers Vorteil: Sympathie ist auch Schüssels Domäne nicht.

Es ist auch Gusenbauers letzte Chance. Ein drittes Mal wird er nicht als Kanzlerkandidat der SPÖ ins Rennen gehen dürfen. „Im Vergleich zu 2002 wurde Gusenbauer trittsicherer, authentischer und offener in seiner Argumentation“, meint der Innsbrucker Politologe Fritz Plasser. Gusenbauers Atout ist freilich die neue, innere Geschlossenheit der Partei. Die Kritik an seinem Führungsstil ist verstummt, die Öffentlichkeitsarbeit nach dem Anheuern des PR-Profis Josef Kalina besser abgestimmt. „Gusenbauer hat eine positive Entwicklung genommen. Viele Fragen werden heute intern besser koordiniert“, sagt die einst kritische Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller.

Doch die Ifes-Politologin Palme warnt: „Dass die Leute Schüssel nicht mehr als Kanzler wollen, heißt nicht automatisch, dass sie sich Gusenbauer wünschen.“ Die roten Granden geben sich hoffnungsvoll: „Die Menschen greifen seine Argumente jetzt besser auf“, will der steirische Landeschef Franz Voves beobachten, und die Kärntner Parteivorsitzende Gabriele Schaunig-Kandut sieht bei Gusenbauers „Startklar“-Visiten „unter den Besuchern nicht mehr nur Funktionäre sitzen“.

Kanzlerkompetenz. Auf Du und Du mit dem Volk – ein Vorteil, den Gusenbauer als Oppositionschef nützen will. Schüssel als Kanzler könne sich derlei nicht leisten, meint Ulram: „Er würde seine Kompetenz als Regierungschef ramponieren.“ Und die kann der VP-Obmann im ersten Halbjahr 2006 nutzen: Die EU-Präsidentschaft bietet ihm Gelegenheit, sich als versierter Europapolitiker zu profilieren. Laut einer Market-Umfrage glauben 41 Prozent der Österreicher, dass die Präsidentschaft am ehesten der ÖVP nützt. Nur 15 Prozent sehen die SPÖ im Vorteil.

Der SPÖ-Vorsitzende wird eher als Randfigur in Erscheinung treten. Die SPÖ wird die Zeit nutzen, um den frei werdenden Raum mit innenpolitischen Themen – Arbeitsmarkt, Gesundheit, Bildung – zu bespielen. Die internen Daten beider Parteien belegen, dass der SP hier höhere Kompetenz eingeräumt wird. Auch wenn ihre Argumentation nicht immer stringent ist. „Man kann keine Verbesserung der breiten Allgemeinbildung fordern und gleichzeitig für Elite-Universitäten sein“, sagt die Politologin Sieglinde Rosenberger. Ähnliches der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer: „Es geht nicht zusammen, dass die SPÖ den Mittelstand steuerlich entlasten, aber für diese Einkommensgruppe die Höchstbeitragsgrundlage anheben will.“ SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos setzt auf das Verständnis der Wähler: „Solidarische Gesundheitspolitik ist ihnen das wert.“

Flip-Flopper, nannten die Republikaner den demokratischen Herausforderer von George W. Bush, John Kerry, im US-Wahlkampf 2004. Zickzackkurs nennt es analog die ÖVP. Sie müht sich, dies mit Flyern und einer eigenen Website, die zeitgleich mit Gusenbauers jüngster Plakatkampagne startete, unters Volk zu bringen. „Wir sind keineswegs nervös“, sagt VP-General Lopatka, „wir wollen nur aufklären.“ Im Hoch des roten Kanzlerkandidaten sieht er keinen Imagewandel: „Der Gusenbauer von 2002 unterscheidet sich vom heutigen Gusenbauer nur dadurch, dass er älter geworden ist. Und er wechselt nicht mehr so häufig seine Frisur – in diesem Punkt hat er sich gefunden.“

Von Josef Barth und Ulla Schmid