Sport: Ringdichter - Literatur und Boxen

Sport: Ringdichter

Was fasziniert Schrift- steller am Faustkampf?

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Bereits das Spektakel vor dem finalen Showdown war großes Welttheater. Im Februar 1964 bekam Cassius Clay, der später unter dem Namen Muhammad Ali legendäre Kämpfe bestreiten und seine Possen treiben sollte, die Chance seines Lebens: Clay, damals 22, wurde ein Weltmeisterschaftskampf gegen den als unschlagbar geltenden Sonny Liston zugesprochen. Als Liston mit seiner Entourage in Miami zum Training eintraf, war Clay bereits zur Stelle. „Doofkopf! Großer hässlicher Bär! Ich hau dich gleich jetzt!“, lärmte der Herausforderer dem amtierenden Boxkönig schon auf dem Rollfeld entgegen. Ein andermal parkte Clay seinen Tourbus, auf dessen Dach angeberisch der Schriftzug „Cassius Clay Enterprises“ prangte, vor Listons Haus. Der von einem Reporter der „New York Times“ bereits zu diesem frühen Zeitpunkt als „Maulheld aus Louisville“ apostrophierte Jungboxer pflanzte einen Schilderwald in den Garten des Schwergewichts-Champs. „Bärenjagd!“ und „Wir alle lieben Cassius Clay!“ konnte der Weltmeister von seinem Fenster aus lesen. Als der Aufschneider schließlich die Boxarena betrat, stampfte er mit einem afrikanischen Gehstock auf den Boden und brüllte rhythmisch „Float like a butterfly! Sting like a bee!“ – Schwebe wie ein Schmetterling! Stich wie eine Biene!

„König der Welt!“ Als Liston am Abend des 25. Februar 1964, ermattet und vom Herausforderer weich geprügelt, am Beginn der siebten Runde in seiner Ecke sitzen blieb, legte sich Clay in die Seile, schrie und grölte: „Ich bin der König! Ich bin der König! König der Welt! Der allmächtige Gott war mit mir! Jeder soll Zeugnis ablegen. Ich bin der Größte!“ Und in Richtung jener Reporter, die ihn zuvor verhöhnt hatten: „Nehmt das zurück! Eat your words! Nehmt das zurück!“ Die Bilder des Boxers mit weit aufgerissenen Augen und Mund gingen um die Welt.

„Ich versuche, die Nasenspitze meines Gegners zu treffen. Ich will ihm das Nasenbein ins Gehirn treiben.“ So pflegte Mike Tyson, die Prügelmaschine aus Brooklyn, New York, seine anstehenden Kämpfe zu kommentieren. Tyson, der sich 1986 zum jüngsten Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten boxte, tingelt inzwischen mit seiner „Mike Tyson’s World Tour“ von Jahrmarkt zu Jahrmarkt. In der Show absolviert „Iron Mike“ Sparringkämpfe über vier Runden, auch mit Frauen.

„Boxen ist mit Tyson wieder zurückgekehrt zu dem, was es einmal war. Die Tysons gab es immer, und es wird sie immer geben“, sagt der Schriftsteller Wolf Wondratschek, einer der letzten deutschsprachigen Autoren, die regelmäßig literarische Texte und Reportagen zum Thema Boxen publizieren (siehe auch den Kommentar auf Seite 96). „Tyson war ein Glücksfall für das Boxen als Geschäft. Ali war ein Glücksfall für Boxen als Kunst.“

Ali war zudem ein Glücksfall für das Boxen als Faustkampfpoesie: Davon zeugt ein dieser Tage erscheinender Band, der die besten Vierzeiler und Verbalattacken („This guy must be done. / I’ll stop him in one.“ – „Den Kerl mach ich alle. / Schon in Runde eins.“) des legendären Großmauls versammelt.

Boxen und Literatur sind nur auf den ersten Blick ein ungleiches Paar. Keine andere Sportart hat so viele Schriftsteller fasziniert wie die planvolle Prügelei, und das über Jahrhunderte hinweg. „Wo Sieger feiern, sind Schriftsteller Partygäste“, schrieb Wondratschek einst in einer seiner Seilgeviert-Reportagen. „Wenn Sieger fallen, beginnt ihr Job. Und doch ist der Schriftsteller der einzige Bruder des Boxers, der Verbündete seiner Einsamkeit.“

Bluthochzeit. Bereits der griechische Dichter Homer verfasste in der „Ilias“, der ältesten Dichtung des Abendlandes, eine Eloge auf den Pugilismus: „Beide Männer, in Riemen, schritten zum Ring und stürzten Fuß bei Fuß aufeinander los, schwere Schläge austeilend. Mächtige Fäuste wirbelten ineinander, während sie sich unter dem grimmigen Klang mahlender Kiefer dicht bedrängten.“ Robert Musil, Ödon von Horváth, Joachim Ringelnatz, George Bernhard Shaw, Vladimir Nabokov, Jack London („The Game“), William Faulkner, Leonard Gardner („Fat City“), Lord Byron sowie Charles Bukowski frönten in ihren Büchern, die mitunter zu veritablen Faustschriften gerieten, auf unterschiedliche Art ihrer Boxleidenschaft. In Musils unvollendetem Romantorso „Der Mann ohne Eigenschaften“ kommt das Boxen dem Helden gar einer „Art von Theologie“ gleich. Der Roman „Tag, Fremder“ (1953) des US-Autors Robert Lowry (1919–1994) wurde inspiriert durch einen Jahrhundertkampf: 1951 holte sich Sugar Ray Robinson, der spätere Mittelgewichtsweltmeister, gegen Jake LaMotta erstmals den Titel – in einer Ringschlacht, die als „Bluthochzeit von Chicago“ in die Sportannalen einging. (US-Regisseur Martin Scorsese verfilmte LaMottas Leben 1980 unter dem Titel „Raging Bull“.) Der Kampfsportfanatiker Bertolt Brecht ließ in der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ einen Chor folgende Worte singen: „Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen. Zweitens kommt der Liebesakt. Drittens das Boxen nicht vergessen.“

„Weicher Riese“. „Die US-Autorin Joyce Carol Oates schrieb in ihrem berühmten Essay ‚Über Boxen‘, das Boxen sei eine Metapher für das Leben. Ein überstrapaziertes Bild. Boxen macht den menschlichen Existenzkampf auf einfache Art sinnlich“, formuliert der Kabarettist Werner Schneyder. In seinen eben erschienenen Erinnerungen „Ich, Werner Schneyder“ (Amalthea, 408 S., 22,90 Euro) schreibt der langjährige Boxkommentator: „Boxen hat mich einmal fasziniert. Heute fasziniert mich, dass es mich einmal faszinierte.“ Die Comeback-Versuche von Henry „Gentleman“ Maske, der nach zehn Jahren Kampfpause 43-jährig nun nochmals gegen jenen Boxer in den Ring steigen will, der ihm seine einzige Niederlage seiner Profikarriere bescherte, sowie von Axel „Weicher Riese“ Schulz, der am 25. November seine Rückkehr in den Boxzirkus versuchen wird, erklärt sich Schneyder mit Suchtverhalten. „Berufsboxen ist der Extremfall des Extrems. Hier verlässt der Sport seine äußersten Grenzen“, schrieb Schneyder bereits vor über zwanzig Jahren in einem seiner Bücher. „Schriftsteller sind von dieser dramatischen Urform fasziniert: Zwei Menschen betreten eine genau begrenzte Fläche und verabreden, sich freiwillig zu schlagen.“

Einige Schriftsteller übten das Boxhandwerk auch in der Praxis aus. „Ich habe geboxt, und noch bis vor Kurzem habe ich überall, wo ich gelebt habe, jeden Morgen ein wenig am Punchingball trainiert“, bekannte etwa Maigret-Schöpfer Georges Simenon. Hemingway erteilte Marlene Dietrich Kampfunterricht – die wenig später den Schauspieler Jean Gabin in einen Schneehaufen boxte. Der Japaner Yukio Mishima nahm Boxstunden, um sich auf seine Selbsttötung vorzubereiten. „Um es kurz zu machen, mir fehlten einfach die nötigen Muskeln für einen dramatischen Tod“, schrieb der Schriftsteller, der Jahre später rituellen Selbstmord beging.

Gut gegen Böse. Sigi Bergmann, Jahrgang 1938, war über dreißig Jahre lang Sportredakteur des ORF. „Für die Literatur ist Boxen fast schon eine aufgelegte Sache. Die Heldengeschichten und Tragödien im Ring nehmen den Dichtern viel Arbeit ab. Boxen ist großes Drama, ist Blut, Schweiß, Tränen, der ewige Kampf Gut gegen Böse“, sagt der promovierte Historiker und gelernte Opernsänger, der von 1968 bis 2004 mehr als 3000 Boxkämpfe mit hoher Kennerschaft und unbändiger Leidenschaft für die Sache kommentierte. Bergmann hat auch Ali, einen der „goschertsten Typen überhaupt“, interviewt.

In der Berufsboxerwelt der Walujews und Klitschkos dagegen existieren Sprachwitz und Maulheldentum so gut wie nicht mehr. Der 2,13-Meter-Riese Nikolai Walujew, der gegenwärtige Schwergewichts-Weltmeister des Boxverbandes WBA, glänzt in seinen Statements durch Wortkargheit. Der in 44 Kämpfen bislang ungeschlagene Boxer versprüht bei Siegerinterviews verlässlich den Charme eines Schweißbäche absondernden Tresors. Wladimir Klitschko, der Jüngere der ukrainisch-deutschen Boxer-Brüder, wird am 11. November seinen IBF/IBO Schwergewichtstitel gegen Calvin Brock, „The Boxing Banker“, verteidigen; der US-Boxer Brock arbeitete einst einige Monate für die Bank of America. Klitschko ist für seine glasklar-verrätselten Analysen bekannt. Seine Niederlage gegen den Südafrikaner Corrie Sanders erklärte sich Klitschko etwa mit einem „Lucky Punch“. Als er gegen den Schläger Lemon Brewster die meiste Zeit der Auseinandersetzung wie ein Kleinkind im Ring krabbelte und schließlich am Ende der fünften Runde k. o. ging, machte er dafür die „Box- und Wettmafia“ verantwortlich, die während des Gefechts das Wasser in seinen Trinkflaschen vergiftet hätte.

Box-Rap. Muhammad Ali, 1999 zum „Sportler des Jahrhunderts“ gewählt, ist durch seine Parkinson-Erkrankung seit einigen Jahren in einen Kokon des Schweigens gehüllt. Es gibt nur mehr wenige Uraltkämpfer der Branche, die den von Ali initiierten Box-Rap, das überkandidelte Drauflosreden und planmäßige Flunkern, noch beherrschen. Edip Sekowitsch etwa, Österreichs bislang erster und einziger Boxweltmeister (1988) mit dem Nom de Guerre „Der Stier aus Serbien“, hat vor einigen Jahren in Wien das Gürtellokal „Ring frei!“ aufgesperrt. Während er Fleischröllchen grillt und verhackte Zwiebel auf Teller türmt, betätigt er sich gern als Boxphilosoph: „Wenn ich wieder auf die Welt komme, möchte ich noch einmal Boxer werden. Hoffentlich kann der liebe Gott das so einrichten. Man hat mir gesagt, er kann alles. Na, dann soll er sich halt ein bisschen bemühen.“

Sigi Bergmann erinnert sich an eine Begegnung mit Fight-Promotor Don King in Salzburg. Der Mann mit den zu Berge stehenden, inzwischen ergrauten Haaren, der aus dem internationalen Boxgeschäft nicht mehr wegzudenken ist, weilte in der Stadt, um seinen damaligen Schützling Mike Tyson international bekannt zu machen. Einer „Rose am Rande einer Kloake“ sei die boxerische Urgewalt vergleichbar, schwärmte der Manager von seinem damals erfolgreichsten Faustkämpfer. Er besuche die österreichische Stadt natürlich auch deshalb, fuhr King fort, weil er Mozart und dessen Musik über alles liebe. „Ich bin mir sicher“, sagt Bergmann heute, „dass er den Namen Mozart bei seiner Ankunft in Salzburg zum ersten Mal gehört hatte.“

Von Wolfgang Paterno