Sprache

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„Die Qualität der Sprache ist Medium und Botschaft zugleich“
Marshal McLuhan

In seiner Entwicklungs-Erzählung „Ich wollte schon immer nach Patagonien“ erwähnt Bruce Chatwin ein Buch, das ihm ein Nachbar geschenkt hatte. Das Buch selbst ist bizarr (es handelt von Sir Grenfells Missionstätigkeit in Labrador), aber die Widmung darin wirft um: „Für Bruce zum dritten Geburtstag vom Briefträger in Filey. Für wenn er groß ist.“

Nichts gibt dir einen Stich wie die ungeschickte Briefsprache oder Sprechsprache liebenswürdiger Menschen. Nichts wirkt so hoffnungslos im Sinne höherer, privater Chancen oder beruflicher Aufstiege. Das Aussehen ist nicht annähernd so wichtig wie die Sprache, auch Garderobe und Manieren sind es nicht. Thomas Mann und Hermann Hesse sahen aus wie Oberbuchhalter und gingen trotzdem als Künstler durch. Schweitzer und Einstein waren nachlässig gekleidet. Mozart und Schumpeter kannten gutes Benehmen nur, wenn’s unbedingt geboten schien.

Selbst Bildungslücken sind nicht so tragisch wie schlechte Sprache. Erstens bestehen wir alle aus einem dichten Gewebe von Lücken, die mit Wissens-Spinnweben verbunden sind. Außerdem kann Bildung aufgeholt werden. Sprachelend oder Sprachlosigkeit sind nur mit äußerster Anstrengung zu korrigieren. Dafür fehlen im Alltag des Erwachsenen meist Zeit und Kraft.

Nicht auszuschließen, dass bessere Sprache auch zu besserem Denken führt. Leider wissen wir verzweifelt wenig darüber, wie unser Gehirn funktioniert. Dieser Bio-Computer mit dem Brennraumvolumen eines Kleinwagenmotors (zirka 1,5 Liter, begrenzt durch die Beckengröße der Mütter) ist noch komplizierter als der größte Mammut-Mainframe von NEC in Yokohama, der als Welt-Simulator die nächsten Erdbeben vorhersagen soll.

Immerhin glaubt man vom Gehirn zu wissen, dass jede darin ablaufende Denkkette sprachinduziert ist, also zunächst durch eine Art stummes Sprechen angeworfen wird, dann rasend schnell abläuft, um erst gegen Ende wieder langsam auszulaufen und als Denkresultat wieder in Sprache übersetzbar zu sein. Besonders günstig entwickelt scheinen jene Menschen, die in Sprache und Bildern denken. Laborversuche zeigen, dass dann beide Gehirnhälften unter Strom stehen, die linke Vernunfthälfte und die rechte Gefühlshälfte.

Dieses Doppeldenken führt bei Managern und Wissenschaftern zu beruflichen Vorteilen. Ihre Denkergebnisse sind interessanter, weil plastischer. Sie werden von ihren Lesern oder Zuhörern auch besser gemerkt. Sie vermitteln griffige Assoziationsketten mit hoher Klebekraft. Für gute, motivierende Bildsprache ist beispielsweise der Unternehmer, Berater und Autor Klaus Woltron bekannt. Unter den Wissenschaftern wurde darin Professor Rupert Riedl auffällig, obwohl er sich als Brückenbauer von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft in komplizierten Sphären bewegt. Heute ist er mit seinem süchtig machenden Sprach-Sound eine Ausnahme. Früher wäre er eher die Regel gewesen, ehe Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ins Elend einer bornierten, sauren Wissenschaftssprache fiel.

Leider liest kaum jemand alte Originale wie „Wohlstand der Nationen“ (Smith), „Das Kapital“ (Marx) oder Schumpeters „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, in dem Sätze wie dieser stehen: „Untergang droht dem Unternehmer, wenn seine Kraft erlahmt ist, mindestens droht er aber seinen Erben, die mit der Beute nicht auch die Klauen geerbt haben.“

Ist gute Sprache lehrbar und erlernbar? Mit einiger Sicherheit ja, wenn auch vermutlich mit altmodischen Mitteln, die an den Schulen zu wenig Gewicht haben und viel zu früh abgebrochen werden: Aufsätze schreiben, lautes Lesen, auch Lesen mit verteilten Rollen und disziplinierte Streitgespräche. Dazu immer währendes Üben der passiven Sprachfähigkeiten: stummes Lesen bis zur Literaturgier und die Kunst des Zuhörens.

Für Erwachsene wie etwa Manager und Politiker haben Rhetorikkurse ihren Sinn. Sie reichen aber nicht aus. Sie befreien von gepresster Kopfstimme. Sie lehren, einen Text wirkungsvoll zu strukturieren. Ein Weg zu schöner Sprache sind sie noch nicht. Dazu muss man in dieser baden.

Tipp 1: Nützen Sie die jährlichen 70.000 Berufskilometer im Auto für Hörliteratur. Vorteil: gleichzeitiger Genuss hoher Schreibsprache und Sprechsprache. Tipp im Tipp: „Joseph Roth – Reportagen & Feuilletons“, gelesen von Elisabeth Orth und Cornelius Obonya, publiziert vom meines Erachtens besten Hör-Kultur-Verlag Österreichs: ORF-Ö1 (ORF-CD Nr. 685).

Tipp 2, spekulativ, noch nicht ausprobiert, vielleicht pervers: Kaufen Sie einen CD-Deutschkurs für Engländer. Könnte sein, dass man damit sein erstklassiges Englisch aufpoliert und die vernachlässigte Muttersprache deutlich verbessert.