Sprecht sie selig!

Sprecht sie selig!

Drucken

Schriftgröße

Es ist ein recht alter Brauch der katholischen Kirche, Leute für selig, heilig, verrückt, antichristlich, vom Teufel besessen, Ketzer oder Hexen zu erklären. Bei den letztgenannten Kategorien schritt der Klerus im Allgemeinen stets so hurtig an diese Geschöpfe heran, dass sie noch zu Lebzeiten ihrer angeblichen Verfehlungen wegen angeklagt bis hingerichtet wurden.

Die wohlwollenden Sanktionen hingegen bleiben bis heute auf Verblichene beschränkt. Das ist in einer kommunikativ aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr ganz begreiflich: Warum muss derer das Himmelreich sein, bis sich herausstellt, sie waren arm im Geiste genug, um für selig erkannt zu werden?

Dieses Jahrhundert ist doch wahrlich reich genug an großartigen, berühmten Persönlichkeiten, denen jeder eine sofortige Seligsprechung zubilligen würde. Es schillern in ihm Charaktere, die sich mit einigen der einschlägigsten der vergangenen Jahrhunderte weiß Gott messen können. Es ist unverständlich, dass der Vatikan nur eine hastige Habsburg-Weißwäscherei inszeniert; zum rechten Glauben haben sich noch ganz andere nationale Spitzen mit aufrichtigem Augenaufschlag bekannt – gute Menschen haben keine Lider.

Hat nicht die gewaltigste Macht der Erde einen Erlauchten hervorgebracht, der, solang der Tag lang ist, dem Bösen das Haxel stellen will? Einen, der nicht zaudert und zagt, allem den unerbittlichen Kampf anzusagen, was dem reinsten, dem säuberlichst puritanischen Glaubensverständnis widerspricht? Der die nette, in Europa etwas in Verruf geratene Idee der Blockwarte reanimiert hat? Einen Mann, der seine hellsichtigen Gedanken in Sätze zu kleiden vermag, die gar nicht mehr in Zeitungen nachgedruckt werden müssen, sodass ihn auch seine Millionen Analphabeten mühelos verstehen? Soll so einer, dem nur der Segen der gesamten Menschheit am Herzen der Waffenindustrie liegt, seines eigenen entbehren?

Aber es gibt auch geografisch uns näher stehende regierende Bullen, die einer gewogenen päpstlichen Bulle wohl würdig wären: Italien hat einen Principe, der die Meinungs- und Pressefreiheit zum Wohl des sonst unvorteilhaft informierten Volks sukzessiv auf einen geradezu Metternich’schen Status reduziert hat; in Deutschland herrscht ein roter Fürst, der beschlossen hat, die Wirtschaft des Landes dadurch anzukurbeln, dass er den Einwohnern die Möglichkeit raubt, Geld auszugeben.
Aber sollen wir überhaupt über unsere Staatsgrenzen schauen? Sind wir nicht die Heimat großer Söhne? An der Spitze der Regierung steht der Napoleon der österreichischen Politik; vom alten Franzosen sagen Historiker, er konnte drei Dinge gleichzeitig machen; von unserem Regenten sagen bloß Hysteriker, er könne dasselbe: a) schweigen; b) Klavier spielen; c) schweigen. Weiters sei er in die Macht und sich selbst verliebt – was aber nur eine Tautologie sei. Doch in Wahrheit besteht seine vortreffliche Staatskunst darin, dieses Land in einem geruhsamen Mittelmaß zwischen Monarchie und Anarchie gehalten zu haben: Er hat einerseits die nötige majestätische Mitleidlosigkeit demonstriert, anderseits hat er immerhin mit halben Mitteln und auf halben Wegen dem Karawanken-Kauderwelscher verwehrt, aus Österreich die Dritte Republik zu machen.

Dessen ursprünglicher Favorit als Haupt seiner Bewegung dürfte einer Seligsprechung auch nicht entgehen, denn mag auch die stille Größe nicht just seine hervorstechendste Eigenschaft sein, so ist ihm edle Einfalt nicht abzusprechen. Dazu kommt noch, dass er ein redlicher Mensch ist, der alles exakt so sagt, wie er denkt.

Der politische Widerpart dieser Herrschaften, der einem sozialdemokratischen Amateur-Sportverein vorsteht, ähnelt rührend einem übereifrigen, ein klein wenig unaufmerksamen Fußballspieler, der vor dem leeren gegnerischen Tor so lang vor sich hindribbelt, bis das Match abgepfiffen ist. Manchmal kommt er auch zu spät drauf, dass er mit der falschen Mannschaft zusammenspielt, und entpuppt sich dadurch immer wieder, immer wieder als Eigen-Tor – aber, was er alles auch nicht kann, meint er gut. Infolge der latenten Voreiligkeit seiner abrupten Äußerungen und der damit kongenialen Unschärfe seiner Analysen ist er ein Segen für jede christliche Regierung – daran sollte die katholische Kirche nicht achtlos vorbeischauen.

Die kleinere politische Opposition ist als parlamentarisches Gesamtkunstwerk selig zu sprechen. In einem Land, in dem (k)eine „Harmonisierung“ stattfinden konnte, in dem kranke Menschen nicht in den Krankenstand gehen, weil sie Angst um ihren Job haben, in dem von jener „Umvolkung“ gesprochen wird, die unsere Industrie dringend braucht, in dessen Städten immer mehr Grün durch ungebrochenes Zubetonieren verschwindet, in dem die Schwarzen Schulen schließen und die Roten sich „Elite-Universitäten“ wünschen – in diesem Land so gar nicht mehr als demokratische Kraft aufzufallen ist eine meisterliche Leistung.
Gebt allen Genannten den Segen – unseren haben sie schon.