St. Pölten: Der lange Rücktritt

Die delikaten Protokolle der Seminaristen

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Die Verwirrung war echt und groß. Kurt Krenn, scheidender Diözesanbischof von St. Pölten, hat es allen noch einmal gegeben. Den Journalisten, seinen kircheninternen Gegnern, der Öffentlichkeit. Als er am Freitag der vorvergangenen Woche aus Rom zurückgekehrt war, dementierte er nichts von den zahlreichen Spekulationen, die in vielen Medien angestellt worden waren: Krenn sei im Vatikan der Rücktritt nahe gelegt worden. Krenn habe ein Rücktrittsgesuch bereits unterschrieben. Der Papst habe ein bereits unterschriebenes Rücktrittsgesuch Krenns noch am selben Tag angenommen. Das tägliche Bulletin der Pressestelle des Vatikan werde den Rücktritt „Samstag oder Sonntag“ vermelden.

Die Tatsache, dass das Bulletin an diesen und den folgenden Tagen nichts über Krenn enthielt, sorgte für „Unverständnis“. Die nächste Spekulation war fällig: Der Vatikan lasse sich aus Überheblichkeit Zeit, um nicht den Eindruck zu erwecken, sich von den Medien unter Druck setzen zu lassen. Am Donnerstag der vergangenen Woche ließ Krenn-Sprecher Michael Dinhobel dann die Katze aus dem Sack: „Bischof Krenn hat kein Rücktrittsgesuch eingereicht.“

Jetzt war die Verwirrung perfekt, auch gute Kirchenkenner ratlos. Hatte Kurt Krenn doch noch eine funktionierende „Seilschaft“ ganz nahe am Papst, die sein Ende abzuwenden wusste? Oder hatte man „die psychische Situation von Bischof Krenn unterschätzt“ (der Sprecher eines anderen österreichischen Bischofs), der sich jetzt auch noch gegen den Vatikan auflehne und deshalb „versetzt“ oder „enthoben“ werden müsse – was aber wegen der Notwendigkeit, die entsprechenden Formalitäten einzuhalten, noch längere Zeit in Anspruch nehmen könnte? Besonders groß war die Verunsicherung in der Diözese St. Pölten selbst, wo es für so manchen um die berufliche Existenz geht: Geht Krenn, dann müssen einige seiner engsten Mitarbeiter mit ihm gehen. Bleibt der Bischof, dann trifft es wohl einige seiner Gegner.

Um Rücktritt ersucht. Faktum ist jedoch, dass Kardinal Giovanni Battista Re, der Vorsitzende der Bischofskongregation, Kurt Krenn am Donnerstag, dem 9. September, ersucht hat, einen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen in Erwägung zu ziehen.

Was ist seither also wirklich passiert? Erst einen Tag vor dem Termin, am Dienstag, dem 8. September, erreichte Krenn die „Einladung“, er möge tags darauf bei Kardinal Re in Rom erscheinen. Dort weigerte sich Krenn dann entschieden, das von ihm geforderte zu tun: Er wolle nicht „aus gesundheitlichen Gründen“ zurücktreten, weil er sich nach eigener Darstellung nicht krank fühle und es in Wahrheit auch nicht um seine Gesundheit gehe, ließ er Kardinal Re wissen. Er trete nur dann zurück, wenn der Papst persönlich das verlange, sagte Krenn und verließ das Besprechungszimmer des Kardinals.

Kurt Krenn hatte sich damit tatsächlich mit der vatikanischen Kurie angelegt, die der verlängerte behördliche Arm des Papstes ist und deren Entscheidungen immer als „Entscheidungen des Heiligen Vaters“ gelten.

Kardinal Re begab sich folglich zum Papst, um dem Wunsch Krenns zu entsprechen. Tags darauf, es war Freitag früh, rief Re den St. Pöltener Bischof im Hotel an und bestellte ihn zu einem zweiten Treffen zu sich. Bei diesem kürzeren Gespräch bekam Krenn dann zu hören, was er vermutlich gehofft hatte, vermeiden zu können: Der Papst persönlich wünsche eine Veränderung an der Spitze der St. Pöltener Diözese, ließ ihn Kardinal Re unmissverständlich wissen. Re schrieb dem St. Pöltener Bischof weder einen Zeitrahmen noch eine Vorgangsweise vor. Und schon gar nicht legte er Kurt Krenn ein „fertiges Rücktrittsgesuch“ vor, denn so ein Formular gibt es im Vatikan gar nicht. Krenn wurde einfach nur höflich ersucht, seinen „Rücktritt zu erwägen“. Punkt.

Und genau das tut er nun. Kurt Krenn hat einige Tage Bedenkzeit genommen, die ihm der Vatikan auch einräumt. Krenn hat sich seit seiner Rückkehr aus Rom aus seiner Funktion als Bischof praktisch zurückgezogen. Sein 13-jähriges Dienstjubiläum beging er am Mittwoch der Vorwoche in einer kleinen Kapelle abseits der Öffentlichkeit. Sein formelles Rücktrittsgesuch wird, was nun auch in Krenns unmittelbarer Nähe bestätigt wird, in den kommenden Tagen folgen. Offen ist bloß noch, wie seine Begründung lauten wird, da er sich ja geweigert hat, gesundheitliche Gründe vorzuschieben.

Unterdessen hat in der Diözese St. Pölten bereits die Zeit nach Krenn begonnen. Auf internen Mitteilungen wird Krenn schon als „Ex-Bischof“ bezeichnet, Visitator Klaus Küng bereits als „Administrator“. Viele gehen davon aus, dass Küng zumindest bis Jahresende in St. Pölten bleibt, um die Nachfolge für Krenn zu organisieren. Immer öfter wird Küng selbst auch als möglicher St. Pöltener Bischof gehandelt. Er sei der einzige der genannten Kandidaten, der auch wirklich Krisenmanager genug sei, um eine „Problemdiözese“ wie St. Pölten wieder in geordnete Bahnen lenken zu können.

Wer nimmt den Hut? Einer in der Diözese kursierenden Aktennotiz ist zu entnehmen, welche Personen – abgesehen von Kurt Krenn – in nächster Zeit wohl ebenfalls den Hut werden nehmen müssen: Da ist von einer Weisung durch Kardinal Josef Ratzinger die Rede, den derzeitigen Regens des geschlossenen Priesterseminars, Werner Schmid, wieder abzuberufen. Da wird die Schließung des „Privatseminars“ von Kurt Krenn in Kleinhain erwartet. Ein Berufsverbot für den zurückgetretenen Regens Ulrich Küchl und dessen ebenfalls zurückgetretenen Stellvertreter Wolfgang Rothe sei „sicher“. Auch Küng erwarte das. Und ab November müssten sich die beiden in Rom bei einem Kirchengerichtsverfahren verantworten. Ebenso müsse der Spiritual des Hauses, Josef K., gehen, weil er gegenüber dem Visitator beteuert habe, von homosexuellen Umtrieben nichts gewusst zu haben, was nachweislich nicht der Wahrheit entspreche.

Diese Rücktritte dürften sich freilich etwas weniger kompliziert gestalten als jener des Bischofs: „Dafür benötigt man nämlich nicht den persönlichen Wunsch des Papstes“, merkte ein St. Pöltener Geistlicher an.