Stararchitekt Hollein im großen Interview

Stararchitekt Hollein im großen Interview: "Jede Woche das Denkmalamt alarmieren"

"Jede Woche das Denk- malamt alarmieren"

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Interview: Horst Christoph, Patricia Grzonka

profil: Herr Hollein, die sechziger Jahre, in denen Sie als Architekt begonnen haben, sind heute von Legenden und Mythen umrankt. Welche Themen haben angehende Architekten damals fasziniert?
Hollein: Da war natürlich die Raumfahrt. Ich habe damals die Behauptung aufgestellt, dass die perfekteste Behausung für den Menschen die Raumkapsel sei, weil darin alles zum Überleben konzentriert ist: von der Nahrungsaufnahme bis zur Fäkalienabfuhr. Wir haben uns Gedanken gemacht und Statements abgegeben, was Architektur sein könnte, über das gängige funktionale Bauen hinaus.

profil: Zum Beispiel?
Hollein: Ich habe die „Architekturpille“ erfunden. Es wurden damals Pharmazeutika entwickelt, welche die Klaustrophobie oder die Agoraphobie überwinden, die also Räume weniger bedrohlich erscheinen lassen, indem sie diese im Bewusstsein vergrößern oder verkleinern. Ich stellte mir vor, dass man mit Pillen vielleicht überhaupt Bilder von Architektur erzeugen könnte, und habe Pillen ausgestellt, die ich etwa „Hagia ­Sophia“, „Sydney Opera“ oder „Stone­henge“ nannte. Man hat den Begriff der Architektur in jede Richtung ausgedehnt, mein Satz „Alles ist Architektur“ verfolgt mich ja bis heute.

profil: Solche Schlagworte haben etwas sehr Rigides, so als wären sie verbale Monumente, die das Bauen ersetzen. Wollten Sie überhaupt bauen, oder begnügten Sie sich damit, Statements abzugeben, Konzepte zu formulieren und Ausstellungen zu gestalten?
Hollein: Ich wollte natürlich bauen. Ich habe, bevor ich meine Ziviltechnikerprüfung abgelegt habe, drei Jahre für die Planer des Gebäudes der Newag-Niogas gearbeitet. Ich wusste schon, wie man Gebäude entwickelt. Aber es ging um Alternativen zu den Bauvorgaben, und die waren nicht nur utopisch. Zur Erweiterung der Universität Wien zeichnete ich 1966 eine Steckdose und einen Fernseher: die Vorwegnahme der Tele-Uni.

profil: Von Ihrer damaligen Arbeit sind vor allem Collagen erhalten, etwa der „Flugzeugträger in der Landschaft“, die Überbauung von Städten mit Felsstrukturen oder diverse Wolkenkratzer: eine Faust, ein Penis, der Rolls-Royce-Grill oder eine Zündkerze als Wolkenkratzer.
Hollein: Dabei geht es, wie man in Amerika sagt, um das „Multiple Reading“, um Assoziationen. Der – asymmetrische – Flugzeugträger ist wie die Raumkapsel perfekte Überlebensarchitektur, von der wir lernen können. Er ist eine Stadt für 7000 Menschen, mit allen Einrichtungen bis zum Krankenhaus und dem Kühldepot für die Toten. Gegensatz dazu ist der Wolkenkratzer, die Manifestationsarchitektur. Wenn ich ein 600 Meter hohes Hochhaus in Dubai baue, und die letzten 20 Geschoße sind nicht viel größer als 20 Quadratmeter, dann zieht da jemand ein, nicht weil er eine schützende Behausung braucht, sondern weil er ein Statement abgeben will.

profil: Sind Ihre Collagenfantasien je in konkrete Bauten eingeflossen?
Hollein: Immer wieder etwas davon. Das Museum in Frankfurt ist ein Flugzeugträger, der Kopfbau der Monte-Laa-Porr-Türme setzt die Überbauungsvisionen um, der Öltankwagen war das „Goldene Kalb“ für die Kulturhauptstadt Genua.

profil: Wie wurde damals in Wien die eigene Tradition wahrgenommen?
Hollein: Es gab selbst auf der Akademie am Schillerplatz, wo ich bei Clemens Holzmeister studierte, maximal zwei Dutzend Leute, die wussten, wer die Architekten Adolf Loos oder Josef Hoffmann waren. Man konnte auch damals eine Klimt-Zeichnung für zehn Dollar kaufen.

profil: Hoffentlich haben Sie das getan?
Hollein: Ich hatte damals keine zehn Dollar. Aber ich habe in der Buchhandlung Prachner nach Adolf Loos gefragt. Man hat mir dann dessen Werke „Trotzdem“ und „Ins Leere gesprochen“ aus dem Lager ausgegraben. Die waren noch „druckfrisch“ aus dem Jahr 1934 und kosteten auch so viel wie 1934: acht Schilling.

profil: Alle haben sich nach den USA orientiert?
Hollein: Ich habe ein unwahrscheinlich großzügiges zweijähriges Stipendium einer amerikanischen Foundation ergattert. Ich hätte in Harvard studieren können, aber ich wollte Amerika kennen lernen. Ich war in Chicago, bin Frank Lloyd Wright in seinem „Taliesin“ begegnet und mit einem zur Verfügung gestellten Auto 100.000 Kilometer kreuz und quer durch die USA gefahren. Ich habe damit unter anderem Orte aufgesucht und fotografiert, die „Vienna“ heißen, ­Vienna, Illinois, beispielsweise.

profil: Mit welchem Auto waren Sie unterwegs? Autos waren ja damals auch Kultgeräte.
Hollein: Das war ein Chevrolet, und das Ziel der Reise war Kalifornien – wegen der Universität in Berkeley und ein bisschen auch wegen des Skifahrens. In Squaw Valley waren 1960 die Olympischen Winterspiele.

profil: Was war dann Ihr erster Bau?
Hollein: Das war, wieder zurück in Österreich, das Kerzengeschäft Retti am Wiener Kohlmarkt. Ganze 16 Quadratmeter groß, quasi ein gebautes Manifest, aber gleichzeitig ein präzise funktionierender Laden: Metall und Glas, aber kein Holz.

profil: Was sagen Sie zum heutigen Zustand des Retti-Geschäfts?
Hollein: Ja, das ist eine traurige Sache. Gerade kürzlich sind da an der Außenseite Schriften angebracht worden. Man müsste jede Woche das Denkmalamt alarmieren.

profil: Sie haben immer sehr bewusst die Grenzen zwischen Architektur und bildender Kunst verwischt. 1972, sieben Jahre nach dem Bau des Kerzengeschäfts, waren Sie, neben Oswald Oberhuber, Österreich-Teilnehmer der Kunstbiennale von Venedig, mit einer sehr rituellen Installation zwischen Architektur und Skulptur. Wie haben Sie Ihre Doppelrolle als Künstler und Architekt verstanden?
Hollein: Für mich sind die Übergänge von der Architektur zu anderen Disziplinen, eben zum Beispiel zur Skulptur, fließend. Das lag auch am Zeitgeist. In den sechziger Jahren gab es kein „Kastl-Denken“. Es gab in Wien maximal 30 Avantgardeleute, zwischen denen anfangs kaum Barrieren bestanden, da hat sich viel gemischt. Peter Kubelka stand zwischen bildender Kunst und Film, Friedrich Achleitner war Architekt, hat aber gedichtet und Kabarett gemacht, Gerhard Rühm war Dichter und Musiker. Ich selber wurde bereits als Kind von meiner Mutter in die von Franz Cizek begründete Jugendkunstklasse geschickt, in der die Durchlässigkeit der Kunstdisziplinen vertreten wurde. Cizek war von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte geprägt und sowohl in England als auch in den USA sehr anerkannt.

profil: Was gab den Ausschlag dafür, dass Sie schließlich Architekt wurden?
Hollein: Architektur hat mich interessiert, weil es eine sehr öffentliche Sache war.

profil: Trotzdem haben Sie sich immer wieder in die Kunstdebatte eingemischt, etwa als Auswahlkommissär für die österreichischen Teilnehmer der Kunstbiennale von Venedig.
Hollein: Das verdanke ich einem Heurigen mit dem damaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz, bei dem ich mich recht flapsig über die österreichischen Entsendungen aufgeregt habe, und da hat der Sinowatz gesagt: Wenn Sie’s besser können, dann machen Sie es.

profil: Wen nominierten Sie?
Hollein: Der Erste war Arnulf Rainer, von dem meine Vorgängerin meinte, er gehöre auf die Grafikbiennale nach Ljubljana. Als Nächste wählte ich Maria Lassnig und Valie Export aus.

profil: Valie Export, heuer selbst Venedig-Kommissärin, war damals ein Feindbild der „Kronen Zeitung“, die ihr Tierquälerei vorwarf, weil sie einen Vogel in Wachs gegossen haben soll.
Hollein: Damals habe ich die Qualitäten von Fred Sinowatz kennen gelernt, der als Kulturpolitiker nicht unterschätzt werden darf. Als er den Namen Export hörte, hat er gesagt: „Na servus, da wird die ,Krone‘ auf mich einprügeln, aber wir machen es trotzdem.“

profil: Sinowatz war international der erste Kulturpolitiker, der eine Ausstellung seines Landes in Venedig eröffnete. Inzwischen ist das selbstverständlich.
Hollein: Er ist im Schlafwagen von Wien angereist. Allein. Wir haben mit ihm am Markusplatz ein Glas Wein getrunken, er hat den Pavillon eröffnet, und wir haben ihn nach dem Festessen wieder zum Bahnhof gebracht.

profil: Es gibt eine Anekdote über einen Nachfolger von Sinowatz, bei der Sie eine Rolle gespielt haben, die Sie aber vielleicht gar nicht bewusst wahrgenommen haben.
Hollein: Erzählen Sie.

profil: Bei der Eröffnung der Architektur­biennale von Venedig 1992 drängte sich alles im französischen Kulturinstitut, wo der charismatische Kulturminister Jacques Lang Hof hielt. Er unterhielt sich länger mit einer älteren Dame, während unmittelbar vor ihm der österreichische Unterrichtsminister Rudolf Scholten ungeduldig darauf harrte, seinem Amtskollegen die Aufwartung machen zu dürfen. Endlich hatte Lang sein Gespräch mit einem Handkuss beendet und blickte auf. Scholten strahlte, Lang strahlte – aber über Scholten hinweg. Dort im Hintergrund standen Sie, und Jacques Lang winkte Ihnen zu und sagte fröhlich: „Hi Hans.“
Hollein: Das war eine Folge des Pritzker-Preises …

profil: … der als Nobelpreis der Architektur gilt.
Hollein: Ich werte die Bekanntheit und auch das Star-Etikett als Anerkennung der Architektur in der Gesellschaft.

profil: Ein Projekt, das Ihnen viel bedeutet hat und das international höchste Aufmerksamkeit erregte, das unterirdische Guggenheim-Museum für Salzburg, wurde nicht ­realisiert. Schmerzt Sie das?
Hollein: Ja, weil das Projekt auf einem guten Weg war. Eine Studie hatte es als machbar und finanzierbar erkannt, aber die damalige österreichische Politik wollte es nicht. Wolfgang Schüssel hat es letztlich verhindert.

profil: Sie hatten immer eine Affinität zu unterirdischem Bauen.
Hollein: Vielleicht deshalb, weil meine Vorfahren über viele Generationen hinweg Bergleute waren. Beim unterirdischen Bauen geht es um archaische Qualitäten. Unter der Erde ist der Architekt auch voll für das Licht verantwortlich. Unterirdische Bauten sind häufig Kulträume, was Museen ja sein sollen. Und in Salzburg war ganz einfach kein anderer vernünftiger Bauplatz mehr vorhanden.

profil: Mit dem Österreichischen Verkehrsbüro am Wiener Ring, das abgerissen wurde, weil es dem neuen Direktor nicht passte, wurden Sie international als Exponent der Postmoderne gefeiert.
Hollein: Ein Missverständnis. Was am Verkehrsbüro möglicherweise postmodern war, hatte mit der Aufgabe des Baus zu tun. Es ging darum, Assoziationen zum Reisen zu wecken: die Palmen, der Pavillon. Andere Bauten, etwa das Museum in Mönchengladbach, sind überhaupt nicht postmodern, obwohl das immer wieder behauptet wurde.

profil: Sie waren auch Architekturlehrer. Was hat Ihnen das bedeutet, was haben Ihnen Ihre Schüler bedeutet?
Hollein: Ich habe besonders die intensiven Auseinandersetzungen in kleinen Gruppen geschätzt, die erst gegen Mitternacht hin interessant wurden. Und es gab einige Studenten, die mir besonders wichtig waren, wie Thomas van den Valentyn, der heute in Deutschland ein ganz wichtiger Architekt ist.

profil: Haben es junge Architekten heute leichter oder schwerer als Ihre Generation?
Hollein: Sie haben mehr Anerkennung, da haben wir viel vorbereitet.

profil: Nehmen Sie die junge österreichische Architekturszene wahr? Wen schätzen Sie?
Hollein: Ich nehme das sehr genau wahr, ich schätze etwa Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs von the nextENTER­prise oder auch die Gruppe querkraft und andere.

profil: Ihre internationale Bautätigkeit macht Sie zum Vielflieger. Lieben Sie dieses Leben?
Hollein: Für das Projekt Interbank in Lima war ich 24-mal dort, durchschnittlich eine Woche pro Monat. Die Reise allein dauert 22 Stunden. Und dann sind da die neuen Sicherheitskontrollen, vor allem etwa in den USA. Mit 75 ist das doch manchmal anstrengend.

profil: Apropos, wie werden Sie Ihren 75. Geburtstag feiern?
Hollein: Den Tag selbst, den 30. März, mit meiner engeren Familie. Und am 31. März laden die Kunstministerin Claudia Schmied und der Wiener Entwicklungsstadtrat Rudolf Schicker zu einer überraschenden Gemeinschaftsaktion. In der so genannten Wolke auf dem Saturn-Tower – den ich entworfen habe – wird es ein „Fest für Hans Hollein“ geben.

Fotos: Peter Rigaud