Steht Berlusconi vor Polit-Comeback?

Der auferstandene Medienmogul

Drucken

Schriftgröße

Der Cavaliere ist gekommen und betritt die Bühne. Erschöpft sieht er aus, das können selbst die zahlreichen Gesichtsliftings nicht kaschieren. Der Tod seiner geliebten Mamma Rosa vor wenigen Wochen hat ihm sichtlich zugesetzt. Dennoch gibt der alternde Star sein Bestes. Er schimpft, scherzt, fuchtelt theatralisch mit den Händen, mal in staatsmännischer Pose, dann wieder volksnah. „Ich sorge dafür, dass sich Italien wieder aufrichtet“, posaunt er und warnt: „Die Linke darf unser Land nicht weiter ruinieren.“ Rund 200 Anhänger haben sich an diesem kalten Vormittag auf einer von Betonmauern umgebenen Piazza versammelt, schwenken ihre Tricolore und rufen: „Bravo, bravo!“

Il Cavaliere – den Ritter – nennen seine Anhänger nur einen Mann: Silvio Berlusconi, Medientycoon, Multimilliardär und Oppositionsführer im Parlament in Rom. Noch einmal reitet er, der insgesamt schon sechs Jahre lang Italiens Ministerpräsident gewesen ist, und es ist wohl die letzte Schlacht des 72-Jährigen. Berlusconi ist heute in Corviale, einer heruntergekommenen Siebziger-Jahre-Wohnsiedlung am südwestlichen Stadtrand Roms. Es ist Wahlkampf im „bel paese“. Nach dem plötzlichen, aber nicht wirklich überraschenden Sturz der fragilen Mitte-links-Koalition von Romano Prodi im vergangenen Jänner steht am 13. und 14. April erneut eine Richtungswahl an. Und der von den meisten Medien seit seiner Niederlage vor zwei Jahren für politisch tot erklärte Berlusconi wittert seine Chance, ein drittes Mal an die Macht zu kommen.

In Corviale verspricht er den Menschen mehr Sicherheit, weniger Einwanderung, weniger Steuern, finanzielle Anreize für Unternehmer, höhere Pensionen und schließlich das Allerwichtigste: eine Erlösung von den Linken! Die seien schuld an allem Übel im Land: der schlechten wirtschaftlichen Lage im Süden, den Müllbergen vor Neapel, der gestiegenen Kriminalitätsrate. Der Cavaliere genießt das Gefecht. Nach einer Stunde tritt er mit einem triumphierenden Lächeln ab – fast so, als ob er den Wahlsieg schon in der Tasche hätte. Und tatsächlich scheint der reichste Politiker Italiens und drittreichste Mann des Landes vor seinem vielleicht größten Sieg zu stehen.
Im November 2007 gründete Berlusconi das Popolo della Libertá (Volk der Freiheit), eine Fusion aus seiner früheren Mitte-rechts-Partei Forza Italia und der postfaschistischen Alleanza Nazionale sowie jeder Menge rechter und rechtsextremer Kleinparteien. Als sein ewiger Widersacher Romano Prodi im Februar eine Vertrauensabstimmung im Senat verlor, verhinderte Berlusconi eine Übergangsregierung, die eine Reform des Verhältniswahlrechts durchsetzen hätte sollen. Neuwahlen waren unvermeidlich, und Berlusconi profitiert jetzt vom Frust über Italiens Linke, die anscheinend nicht fähig ist, eine funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen. Berlusconis Hauptgegner heißt diesmal Walter Veltroni, Ex-Kommunist, ehemaliger Bürgermeister von Rom und Chef der linksliberalen Demokratischen Partei (PD). Obwohl Veltroni das Image eines Newcomers hat und sich gern als Italiens Barack Obama titulieren lässt, liegt Berlusconi in den landesweiten Umfragen um sechs bis sieben Prozentpunkte voran.

Selbst wohlwollende Beobachter fragen sich nun: Spinnen die Italiener? Warum wollen sie wieder einen Mann wählen, dessen Strafregis­ter sich liest wie das eines international gesuchten Wirtschaftskriminellen? Einen Mann, über dessen dubiose Machenschaften schon viele Bücher verfasst wurden, die fast alle ein einstimmiges Urteil über ihn fällen: Berlusconi betreibt eine Politik, die in erster Linie seinem eigenen Imperium nützt. „Warum Berlusconi gehen muss“ titelte der britische „Economist“ vor den Wahlen 2005 und analysierte ausgiebig die Machenschaften des Cavaliere. Der Anti-Politiker. Über ein Dutzend Mal stand der Eigentümer von Italiens wich­tigsten privaten TV-Kanälen (Tele5, Italia Uno und Rete4) vor Gericht, musste sich wegen Steuerhinterziehung, Richterbe­stechung und Bilanzfälschung verantworten. Verurteilt wurde er bisher noch nicht – meist nur deshalb, weil die Anklagen wegen Verjährung oder Änderungen im Strafrecht fallen gelassen werden mussten. Verantwortlich für die Gesetzesänderungen: die Regierung Berlusconi. „Mit diesem Mann nähern wir uns einer Autokratie an, die mit Putins Russland vergleichbar ist“, sagt etwa der italienische Philosoph und Journalist Paolo Flores D’Arcais.

Wer sind also die Leute, die diesen Mann wählen? Sind es gemäß einem weit verbreiteten Vorurteil die Alten und Ungebildeten, die den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und Berlusconis Botschaften unhinterfragt annehmen? Nein. Tatsächlich halten auch viele Junge und Hochgebildete immer noch zu ihrem Cavaliere und sehen in Berlusconi den einzig wählbaren Politiker. Er schafft es trotz seiner mittlerweile 15-jährigen Karriere im Parlament, sich nach wie vor als Anti-Politiker zu inszenieren. Als einer, der in der Privatwirtschaft groß wurde und auch als Premierminister nicht wie ein Politiker, sondern wie der Vorstand eines Großkonzerns agierte. Viele Italiener, die traditionell im Staat eher einen Feind und Ausbeuter als einen Freund und Helfer sehen, mögen das. Und die zahlreichen Prozesse gegen Berlusconi? „Die haben die Linken zu verantworten“, sagen die meis­ten seiner Wähler. Damit bringen sie die nach wie vor vorhandene tiefe Kluft zwischen Rechten und Linken in Italien zum Ausdruck. profil hat mit sechs Berlusconi-Wählern unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft über ihre Gründe gesprochen, im April den Cavaliere zu wählen.

Von Gunther Müller, Rom