Steiermark: Eine kleine Schlachtmusik

Estag: Waltraud Klasnic in heftiger Bedrängnis

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Am Karsamstag hält der gläubige Katholik Einkehr. Er gedenkt der Leiden Jesu, fastet und betet. Nachmittags besucht er den Gottesdienst, wo er das Fleisch für den Festschmaus am Sonntag weihen lässt. Weltliche Aktivitäten sollten an diesem Tag der Besinnung im Hintergrund stehen.

Doch ausgerechnet die Landtagsabgeordneten in der tiefreligiösen Steiermark müssen dieses Osterritual heuer brechen. Statt in der Kirche werden sie sich am Karsamstag im Sitzungssaal treffen. Schuld daran sind nicht etwa die vergleichsweise gottlosen Sozialdemokraten, sondern ausgerechnet die Vertreter der bibelfesten Volkspartei. Für den 10. April wurde ein Sonderlandtag einberufen, auf der Tagesordnung steht die Angelobung des neuen VP-Wirtschaftslandesrats. Der bisherige Amtsinhaber, Wirtschafts- und Finanzlandesrat Herbert Paierl, ist am vergangenen Montag zurückgetreten; laut Landesverfassung muss der Nachfolger spätestens fünf Tage danach bestellt werden.

Österliche Andacht wird es also nicht geben bei den steirischen Schwarzen, aber immerhin so etwas wie die Hoffnung auf eine Auferstehung. In den vergangenen Monaten war die einst erfolgsverwöhnte Partei in ein schweres Tief geraten, mit neuem Personal soll es jetzt wieder besser laufen. Herbert Paierl habe ein großes Opfer gebracht, erklärte Klasnic nach dessen – nicht ganz freiwilligem – Rücktritt. „Es ist eine Verneigung vor dem Land und vor der Verantwortung für die Menschen.“

Dem zuletzt laut gewordenen Vorwurf der Führungsschwäche begegnete Klasnic auf ihre Art: Paierls Nachfolge regelte sie im Alleingang. Neuer Wirtschaftslandesrat wird der 60-jährige Grazer Universitätsprofessor Gerald Schöpfer, ein angesehener Wissenschafter und Obmann des Josef-Krainer-Gedenkwerkes. Sein größtes Atout: Schöpfer ist an der Estag bisher nicht einmal angestreift – und wird das auch in Zukunft nicht müssen. Die Rolle des Eigentümervertreters möchte Klasnic nämlich selbst übernehmen.

Hilflosigkeit. Es darf bezweifelt werden, dass diese Aktion die tiefen Gräben in der Partei planieren und Klasnics Image als gütige, aber entschlussfreudige Landesmutter wiederherstellen kann. Zu lange ist der Öffentlichkeit ein Bild umfassender Hilflosigkeit präsentiert worden.

Begonnen haben die Schwierigkeiten vor einem Jahr, als Gerhard Hirschmann, langjähriger VP-Landesrat für Kultur, Sport und Tourismus, in den Vorstand des Landesenergieversorgers Estag wechselte. Knapp zwei Monate nach seinem Amtsantritt wies er in Zeitungsinterviews auf diverse Missstände bei seinem neuen Arbeitgeber hin: zu hohe Vorstandsgehälter, eine seltsame Beteiligungspolitik und die überteuerte Renovierung der Konzernzentrale.

Was folgte, war nicht etwa eine sachliche Debatte über die Geschäftspolitik der Estag, sondern eine „griechische Tragödie“ (ein VP-Funktionär), die nicht nur Herbert Paierl und Gerhard Hirschmann den Job gekostet, sondern auch Waltraud Klasnic und ihre Partei nachhaltig beschädigt hat. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes SORA glauben 43 Prozent der Steirer, dass die Frau Landeshauptmann in der Causa Estag schon früher für Ordnung hätte sorgen müssen. Die Umfragewerte der steirischen Volkspartei sind in den vergangenen Monaten schlechter geworden, die der SPÖ deutlich besser (siehe Grafik).

Angelastet wird Klasnic vor allem, dass sie monatelang nicht imstande war, die rund um die Estag ausgebrochene Schlammschlacht zwischen zwei ihrer einst wichtigsten Mitstreiter zu stoppen. Gerhard Hirschmann, Aufdecker der Missstände, und Herbert Paierl, als Finanzlandesrat Eigentümervertreter bei der Estag, lieferten einander einen Rosenkrieg, wie er sonst nur vor Bezirksgerichten stattfindet. „Wer die handelnden Personen kennt, der weiß, dass sie eine sehr starke Meinung haben“, rechtfertigt Klasnic ihr Unvermögen, den Streit früher zu beenden (siehe Interview).

Es wirkt fast rührend, wenn sich Andreas Schnider, Landesgeschäftsführer der VP-Steiermark, nun bemüht, den Krieg zwischen Paierl und Hirschmann als eine neue Form des politischen Diskurses hinzustellen. Die Gesprächskultur habe sich in allen Bereichen der Gesellschaft geändert, meint Schnider: „Ich glaube, wir werden uns in Zukunft auf andere Umgangsformen einstellen müssen.“

Brutale Freunde. Aber als Fallbeispiel taugt die Steiermark nur insofern, als dort anschaulich vorgeführt worden ist, wie brutal Politik sein kann, wenn ausnahmsweise einmal nicht die Vertreter gegnerischer Lager aufeinander losgehen, sondern zwei alte Parteifreunde. Vor Monaten sei es bei einem zwecks Versöhnung initiierten Treffen beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden gekommen, berichtet ein Augenzeuge. Und Hirschmann behauptet, Paierl habe gebrüllt: „Du Trottel, du Arschloch, du kannst ja nicht einmal eine Bilanz lesen“, als er ihm von seinen Entdeckungen in der Estag erzählte.

Wie es der Estag wirklich geht, ist seit kurzem klar: Eine Prüfung durch den Rechnungshof ergab tatsächlich schwere Mängel. Kritisiert werden im Rohbericht unter anderem das Fehlen einer Konzernstrategie, der Erwerb von Beteiligungen zu oft weit überhöhten Preisen und die üppige Prachtentfaltung in der Konzernzentrale – wie etwa Perserteppiche zum Stückpreis von 30.000 Euro.

Abseits dieser Zahlen und Fakten blieben aber bis heute sehr viele Fragen unbeantwortet und einige Rätsel ungelöst, die es der ÖVP noch schwer machen werden, die Affäre einfach abzuhaken.

Seit 1. April beschäftigt sich ein vom Landtag eingesetzter Untersuchungsausschuss mit der politischen Verantwortung für die Estag. Der Rücktritt Herbert Paierls habe die Gewichtung verschoben, meinte der Grüne Peter Hagenauer, Vorsitzender des Ausschusses. „Landeshauptfrau Klasnic steht nicht mehr im zweiten Glied, sondern auf der Bühne.“ Es werde zu klären sein, ab welchem Zeitpunkt sie wirklich über die Schwierigkeiten in der Estag informiert war.

Mit ein wenig Pech für Klasnic könnte sich die Tätigkeit des Gremiums bis zum Landtagswahljahr 2005 hinziehen. Die SPÖ zeigt jedenfalls keine Eile: „Uns ist wichtig, dass es eine volle Aufklärung gibt“, sagt SP-Chef Franz Voves. Sollte sich dabei auch eine Mitverantwortung seiner Partei herausstellen, wäre das kein Beinbruch. „Ich bin erst seit 2002 im Amt und so gesehen in einer komfortablen Position.“ Voves lässt keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er im schwarz-schwarzen Konflikt steht. In Zeitungsinseraten ließ er sich gemeinsam mit Gerhard Hirschmann abbilden, darunter der Text: „Eigentlich wundert es mich, dass ein so verdienstvoller Mann von der ÖVP einfach fallen gelassen wird.“

Warum alle drei? Tatsächlich konnte die ÖVP bisher nicht plausibel machen, warum Hirschmann, der mit seinen Vorwürfen offenbar Recht hatte, ebenso entlassen wurde wie seine Estag-Co-Vorstände Hubert Jeneral und Werner Heinzl – die noch dazu üppige Abfertigungen erhielten. Hirschmann hat gegen seine Abberufung geklagt, Ende Mai soll die erste Gerichtssitzung stattfinden.

Nicht zuletzt ist in der Öffentlichkeit auch der Eindruck entstanden, die Steiermark werde weniger von Politikern als von rivalisierenden Banden regiert. Beide Kontrahenten warfen einander vor, Handlanger geheimnisvoller Männerbünde zu sein. Hirschmann ortete eine stattliche Zahl von Freimaurern in den Estag-Spitzenpositionen („Ich hab dem Paierl gesagt, er soll von diesen Leuten die Finger lassen“). Paierl wiederum beklagte sich in einer Pressekonferenz vor zwei Wochen über die Freunde seines Kontrahenten: „Ich weiß nun, dass es in diesem Land Netzwerke gibt, vor denen man sich wirklich fürchten muss. Die Freimaurer sind ein Mädchenpensionat dagegen.“

Comeback? Unbestritten ist, dass sowohl Herbert Paierl als auch Gerhard Hirschmann über umfangreiche Fanclubs verfügen, die es kaum freuen wird, dass nun beide Herrschaften ihre Jobs los sind. Hinter Paierl stehen der Wirtschaftsbund und einflussreiche Unternehmer wie Magna-Chef Frank Stronach, der sich sogar höchstselbst um die Versöhnung der Streithähne bemüht hatte. Hirschmann gilt als ÖAAB-Mann und erfreut sich großer Sympathien bei der Parteibasis.

Niemand in der Steiermark wagt auszuschließen, dass Hirschmann jetzt Lust verspüren könnte, in die Politik zurückzukehren. „Bei ihm weiß man nie, er ist voller Einfälle“, sagt etwa Bernd Schilcher, Vordenker der steirischen Volkspartei, durchaus wohlwollend. SP-Klubobmann Walter Kröpfl denkt ähnlich: „Dem Hirschmann ist alles zuzutrauen.“ Gerhard Hirschmann selbst gibt zwar launig zu Protokoll, dass „meine Erfahrungen mit der steirischen Volkspartei für drei Leben reichen“, ein ultimatives Nein zum Comeback lässt er sich aber auch nicht entlocken. Dies sei nur denkbar, „wenn man mich dazu zwingen würde“.

„Entglitten“. Der wortgewaltige Oststeirer ist bekannt als unsteter Geist. Als er sich vor einem Jahr entschloss, von der Politik in die vergleichsweise langweilige Energiewirtschaft zu wechseln, zeigten sich Freund und Feind verwundert. „Ich glaube, dass Klasnic ihn da hingeschickt hat, um aufzuräumen“, spricht der Grüne Peter Hagenauer ein in der Steiermark kursierendes Gerücht aus. „Aber dann sind ihr die Dinge entglitten, weil Hirschmann es auf ein Duell mit Paierl angelegt hat.“

In der Tat rechtfertigt die Performance der Estag nicht den nun entbrannten Skandal. Landesenergieversorger wirtschaften auch in anderen Bundesländern nicht übertrieben sparsam. Und dass sie gelegentlich als Werkzeug in der Strukturpolitik eingesetzt werden – wie die Estag mit ihrer Beteiligung an der Therme Ottendorf –, ist keineswegs ein rein steirisches Phänomen. Völlig eskaliert ist die Causa nur, weil Hirschmann und Paierl einander offenbar schon länger nicht mehr riechen können.

In ihren politischen Anfangsjahren waren die beiden eng befreundet gewesen, zwei liberale Konservative, die sich oft gemeinsam über die Spießigkeit ihrer Partei lustig machten. Als Paierl 1995 in die Landesregierung kam, soll Hirschmann darüber noch sehr begeistert gewesen sein. Doch im Lauf der Jahre wurde aus der Freundschaft erbitterte Rivalität. „Wenn der eine ein Interview gegeben hat, in dem er auf die Bundes-ÖVP hingehaut hat, musste der andere noch eines drauflegen“, erzählt ein Weggefährte. „Und wenn einer der beiden eine neue Freundin hatte, konnte man sicher sein, dass der andere auch bald eine haben würde.“

Nach dem Wahlerfolg von Waltraud Klasnic im Herbst 2000 ging das Finanzressort an die ÖVP über – und sowohl Paierl als auch Hirschmann ritterten um diesen wichtigen Bereich. Klasnic entschied sich für Paierl, der Kontrahent bekam als Trostpflaster die Kulturagenden dazu. „Von da an war Paierl eindeutig mächtiger als Hirschmann“, analysiert ein Landtagsabgeordneter.

Der Politologe Anton Pelinka sieht die Auseinandersetzung als eine „Art verschleppten Kronprinzen-Konflikt“. Und zumindest Herbert Paierl hatte bis vor kurzem durchaus intakte Chancen, Waltraud Klasnic eines Tages zu beerben. Er fällt nun besonders tief. Anstatt erst in ein paar Monaten zu gehen, wie Klasnic das noch Ende der Vorwoche angedeutet hatte, zog er sich sofort zurück. Seine Begründung: „Ich will nicht ein Fall von politischer Euthanasie sein.“

Gerhard Hirschmann behauptet übrigens, er sei kein bisschen schadenfroh.