Steiermark: Neues aus der Giftküche

Ist Waltraud Klasnics Schicksal besiegelt?

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Die Mitarbeiter der steirischen Volkspartei sollten diesen Montagmorgen nicht zu spät in ihrem Büro am Grazer Karmeliterplatz erscheinen. Für Punkt neun Uhr früh hat sich seltener Besuch angesagt: Günther Kräuter, Rechnungshofsprecher der SPÖ, begehrt Einsicht in die Buchhaltung der steirischen Schwarzen. Den eher unerwünschten Gast mit dem seltsamen Anliegen hat die Chefin höchstpersönlich eingeladen. „Wer immer will, ist eingeladen, binnen fünf Minuten unsere Buchhaltung anzuschauen“, verkündete ÖVP-Landeschefin Waltraud Klasnic Donnerstag vergangener Woche. Die Bücher der Volkspartei seien „nicht nur in Ordnung, sondern auch offen“. Und diese einmalige Chance will sich der steirische SPÖ-Nationalratsabgeordnete nicht entgehen lassen.

Anlass für Klasnics ungewöhnliches Angebot sind die jüngsten Entwicklungen im steirischen Wahlkampf vor den Landtagswahlen am 2. Oktober. Ein Wahlkampf, der laut Gerhard Hirschmann „an Gemeinheit, Hinterfotzigkeit und Tiefe nicht mehr zu überbieten ist“. Der frühere Klasnic-Wegbegleiter und Aufdecker aus Leidenschaft steht plötzlich selbst im Mittelpunkt einer Affäre um angebliches Schwarz- und Schweigegeld in der Höhe von 292.000 Euro.

Die Vorgeschichte: Im Juni 2004 hatten der steirische Energieversorger Estag und Gerhard Hirschmann einen Vergleich geschlossen. Der frühere Landesrat und Ex-Estag-Vorstand zog die Klage gegen den Energieversorger wegen seiner Absetzung zurück. Im Gegenzug zahlte ihm sein früherer Arbeitgeber eine hübsche Abfertigung in der Höhe von 1,2 Millionen Euro brutto, wovon nach Abzug der Steuern 747.000 Euro übrig blieben.

Dass es überdies eine kleine Nebenabsprache gegeben hatte, war bis vergangene Woche unbekannt. Zusätzlich zur Estag-Abfertigung erhielt der frühere Landesrat laut der Illustrierten „News“ eine weitere Zahlung in Höhe von 292.000 Euro. Der Hintergrund: Hirschmann hatte sich von der Estag mehr Geld erwartet, doch das Unternehmen war nicht bereit, die Wünsche seines Ex-Vorstands zu erfüllen. Aufsichtsratspräsident Johannes Ditz: „Hirschmann hatte einen 5-Jahres-Vertrag, von dem er damals erst neun Monate erfüllt hatte. Wir wollten ihm nicht die volle Summe zahlen, die ihm für eine korrekte Vertragserfüllung zugestanden wäre, weil er Fehler gemacht hat.“

Hirschmann akzeptierte schließlich doch das geringere Angebot der Estag – leichten Herzens, denn in der Zwischenzeit hatte eine weitere Geldquelle zu sprudeln begonnen. Der Büroleiter von Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, Herwig Hösele, hatte auf der Suche nach einer Lösung der Causa mehrmals Gespräche mit Hirschmanns Wiener Anwalt Martin Maxl geführt. Hösele: „Im Zuge eines dieser Gespräche habe ich Herrn Maxl auch Michael Pacher als Verhandlungspartner genannt, der einen Personenkreis vertrat, dem es ebenso ein Anliegen war, ein für alle Beteiligten akzeptables Ergebnis zu erzielen.“

Lokalprominenz. Michael Pacher zählt zu den bekannteren Anwälten in Graz. Über den von ihm vertretenen „Personenkreis“ will er mit Hinweis auf seine anwaltliche Schweigepflicht keine Angaben machen. Laut profil-Informationen handelt es sich bei Pachers Mandanten um sechs lokalprominente und wohlhabende Steirer aus dem ÖVP-Umfeld. Auch Advokat Pacher wird in Graz der ÖVP zugerechnet. Anfang der achtziger Jahre engagierte er sich bei der jungen ÖVP. Als Student arbeitete er sogar für eine Ideenplattform der Volkspartei mit dem Namen „Modell Steiermark“. Leiter des Projekts war der damalige Landesparteisekretär der steirischen Volkspartei: Gerhard Hirschmann.

Über Treuhandkonten der Anwälte Pacher und Maxl flossen die 292.000 Euro Sonderabfertigung zu Hirschmann. Schenkungssteuer sei bei dieser Transaktion keine angefallen, sagt Pacher (siehe Kasten, Seite 20).

Waltraud Klasnic beteuerte vergangene Woche, von den Vorgängen nichts gewusst zu haben. Dass das Geld für Hirschmann direkt aus der ÖVP gekommen sei, schloss sie aus. Auch ihr Kontrahent interessierte sich offenbar lange nicht für die Identität seiner noblen Spender. Nach eigenen Angaben ging er davon aus, die 292.000 Euro seien von der Estag nahe stehenden Unternehmen gekommen.

Als die Kritik an den „Nehmerqualitäten“ Hirschmanns immer lauter wurde, trat er die Flucht nach vorne an. Freitagvormittag erklärte er in Graz, dass er die Sonderabfertigung nicht für sich persönlich, sondern für Spesen und wohltätige Zwecke verwendet habe. So seien immerhin 183.000 Euro zur Begleichung von „Anwalts- und ähnlichen Kosten“ und 35.000 Euro für Sachaufwendungen verwendet worden. Den Rest – rund 75.000 Euro – habe er der Caritas gespendet. Auch von seiner offiziellen Estag-Abfertigung in Höhe von 747.000 Euro netto sei ihm kaum etwas geblieben. 200.000 Euro habe er in den Wahlkampf investiert, der Rest verteile sich auf Unterstützungszahlungen an Behindertenorganisationen und seine Familie.

Hirschmanns persönliche Abfertigungsbilanz: „Ich habe nichts für mich persönlich verwendet, sondern wie angekündigt für karitative Zwecke.“ Das „Imperium“ ÖVP schlage nun gegen ihn zurück, nachdem es vergeblich versucht habe, ihn zu kaufen.

Laut Hirschmann, der seit Dezember 2004 gemeinsam mit dem Kommunikationsberater Dietmar Ecker und seinem Anwalt Maxl eine Lobbying-Agentur betreibt, seien ihm von ÖVP-Politikern Beratungsaufträge in Höhe von 300.000 Euro in Aussicht gestellt worden, sollte er auf eine Kandidatur verzichten. Außerdem habe ihm Wolfgang Schüssel im Vorjahr ein Mandat für das EU-Parlament angeboten. Im Kanzleramt will man sich nicht ausführlicher zur Personalie Hirschmann äußern. Der Bundeskanzler habe vor den EU-Wahlen 2004 bei der Listenerstellung mit vielen Leuten gesprochen.

In den vergangenen Monaten hatten persönliche Freunde, steirische Schwarze und auch Vertreter der Bundespartei versucht, eine Versöhnung mit Hirschmann herbeizuführen. In vertraulichen Gesprächen versuchten sie, den Abtrünnigen davon zu überzeugen, von einer Kandidatur abzusehen. Selbst zwischen den Erzfeinden Hirschmann und Klasnic soll es zu klandestinen Treffen gekommen sein. Und noch Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe seiner Kandidatur im Juni 2005 wurde Hirschmann von seinem langjährigen Weggefährten Bernd Schilcher bekniet, sein Vorhaben nicht zu realisieren.

Vergebens. Der beinahe biblische Hass Hirschmanns gegen seine eigene Partei und deren Chefin war stärker.

Waltraud Klasnics Image als gütige, aber, wenn nötig, auch strenge Landesmutter ist in den vergangenen Monaten heftig ins Wanken geraten. Die Pannenserie, mit der sie sich konfrontiert sieht, kann wohl nicht mehr ausschließlich auf Pech oder widrige Verhältnisse zurückgeführt werden. Was in der Steiermark passiert, lässt den Schluss zu, dass ganz oben jemand die Zügel nicht mehr in der Hand hat. Sollte Klasnic die Landtagswahlen am 2. Oktober verlieren, braucht sie zur Begründung nur drei Worte: Estag, Spielberg, Herberstein.

Das politische Unglück der steirischen ÖVP begann, als Gerhard Hirschmann im April 2003 den politischen Dienst quittierte und in den Vorstand der Estag wechselte. Es dauerte keine zwei Monate, und er wurde seinem Ruf als Querdenker voll gerecht. In einem Zeitungsinterview wies er auf diverse Missstände bei seinem neuen Arbeitgeber hin. Hauptziel seiner Attacken war Herbert Paierl, damals Finanzlandesrat und Eigentümervertreter bei der Estag.

Fehlendes Know-how. Klasnic wird sich seither oft gefragt haben, ob es in jenen Tagen, als die Turbulenzen losgingen, noch möglich gewesen wäre, sie zu beenden und damit auch zu verhindern, dass Hirschmann zum politischen Mitbewerber wurde. Tatsache ist, dass die Landeshauptfrau die beiden Streithähne ungebremst aufeinander losgehen ließ. Die Ergebnisse des Zwists unter den einstmals dicken Parteifreunden: Paierl musste zurücktreten, Hirschmann und seine zwei Co-Vorstände bei der Estag wurden gefeuert.

Doch nach dem Abgang der zwei Profis zeigte sich erst, wie schwer sie zu ersetzen waren. In der steirischen ÖVP fehlt seither sichtlich das Know-how für alles, was Politik außer Betriebseröffnungen, Landtagssitzungen und Festreden noch bedeutet. Die Partei wirkt unbeholfen, fehleranfällig, manchmal geradezu naiv. Ein Beispiel dafür war das Auftauchen einer Schulungsunterlage für junge Wahlhelfer vor ein paar Wochen. Detailliert stand in diesem Wahlkampf-„Knigge“ zu lesen, wie der politische Gegner mit Internet-Postings und Leserbriefen schlecht gemacht werden könne und solle. Alle Parteien kennen diese Tricks. Doch nur die ÖVP Steiermark, früher ein Hort der gepflegten Ranküne, ist offenbar ungeschickt genug, sie nicht professionell zu kaschieren.

Die Estag-Krise war noch kaum verdaut, da setzte es im Dezember 2004 schon den nächsten Tiefschlag. Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz gab bekannt, dass er seine Pläne für den Ausbau der Autorennstrecke in Spielberg aufgeben werde. Für seine Entscheidung verantwortlich machte Mateschitz einen negativen Bescheid des Bundes-Umweltsenats. Klasnic flüchtete sich in Realitätsverweigerung. „Die Situation macht mich betroffen genug“, erklärte sie. „Das Projekt ist so großartig für unser Land und besonders die Region, dass ich nicht an Alternativen denken will.“ So darf ein Politiker höchstens auf eine Naturkatastrophe reagieren, nicht aber auf eine handwerkliche Panne, die mit etwas besserer Vorarbeit wahrscheinlich zu verhindern gewesen wäre.

Als wäre das alles noch nicht genug unfreiwillige Wahlkampfhilfe für die SPÖ gewesen, brach vor ein paar Wochen auch noch die Affäre Herberstein über Klasnic herein. Ein Prüfbericht des Landesrechnungshofs ergab schwere Mängel in der Förderpraxis des Landes. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdachts.

Klasnic hat sich im Fall Herberstein genau so verhalten wie bei allen anderen Kümmernissen in den vergangenen zwei Jahren. Sie wartete, sie leugnete, sie dementierte – bis es zu spät war. Obwohl in der Steiermark schon im Frühling durchsickerte, dass der Rechnungshof mit Herberstein keine Freude haben würde, setzte sie sich weiter für die Übernahme des Tierparks durch das Land ein. Mit ihrer Duzfreundin Andrea Herberstein brach sie erst, als alle Vorwürfe auf dem Tisch lagen.

Laut einer vertraulichen Umfrage der SPÖ von Franz Voves ist die Zahl der unentschlossenen Wähler in der Steiermark durch die jüngsten Enthüllungen um den Tierpark weiter gestiegen. Im direkten Vergleich hat die ÖVP dennoch knapp die Nase vorn. Gerhard Hirschmann dürfte sein selbst gestecktes Ziel, Drittstärkster zu werden und einen Sitz in der Landesregierung zu erobern, verfehlen.

Nervenflattern. Ein schwacher Trost: In der steirischen Volkspartei war am Ende vergangener Woche so mancher Funktionär der Verzweiflung nahe. Einen Monat vor der Wahl wieder mit der Affäre Estag/Hirschmann belästigt zu werden zerrüttet die Nerven. Landesgeschäftsführer Andreas Schnider: „Es bleibt wirklich niemandem etwas erspart.“

Gerhard Hirschmann seinerseits machte die „Giftküche“ von Klasnics Wahlkampfunterstützer Kurt Bergmann als Quelle der Anschuldigungen gegen ihn aus. Der ÖVP-Veteran dementierte ebenfalls kulinarisch-metaphorisch: „Ich koche nie mit Gift, sondern immer frisch. All meine Gäste sind wohlauf, aber Gerhard Hirschmann hat meine Mitleidsgrenze längst überschritten.“

Von Josef Barth, Gernot Bauer und Alexander Dunst