„Wir brauchen ein neues Arbeitsethos“

Intendantin des steirischen herbst: „Wir brauchen ein neues Arbeitsethos“

Interview. Die Intendantin des steirischen herbst über Dumpingpreise

Drucken

Schriftgröße

Interview: Karin Cerny

profil: Als das Grazer Festival steirischer herbst 1968 gegründet wurde, war sein Crossover-Ansatz ein Alleinstellungsmerkmal. Mittlerweile setzt sogar das Burgtheater auf Spartenmischung. Braucht man den herbst überhaupt noch?
Kaup-Hasler: Wir haben auch die Salzburger Festspiele schon mehrfach direkt mit Künstlern beliefert. Früher wäre es unvorstellbar gewesen, dass Performances aus der Off-Szene sofort in den Mainstream eingegliedert werden. Aber das ist wie in der Mode: Da werden subkulturelle Trends wie die verkehrten Nähte oder die zerschnittenen Stoffe der Punks plötzlich gesellschaftsfähig. Und Ganzkörpertätowierungen sind inzwischen in Bayreuth ein Thema. Trotzdem bin ich zutiefst davon überzeugt, dass man als Festival ganz anders agieren kann. Etwa in der Frage, wie man soziale Räume kreiert und über limitierte Zeiträume hinweg künstlerische Verdichtungen schafft.

profil: Koproduktionshäuser wie das Berliner HAU oder das Wiener Brut machen doch längst auch das ganze Jahr über Festivalbetrieb.
Kaup-Hasler: Das beutet aber auch die Strukturen eines Theaters aus. Durch diese Fülle an Arbeiten ist eine Dumping-Preiskultur entstanden. Da muss ich selbstkritisch sagen: Wir Festivalmacher waren die Vorreiter dieses neoliberalen Arbeitsdenkens. Aber wir können keine kritischen Inhalte auf der Bühne behandeln und zugleich den Künstlern Bedingungen zumuten, die zunehmend unseriös sind. Wir brauchen ein neues Arbeitsethos.

profil: Wie könnte das konkret aussehen?
Kaup-Hasler: Beim steirischen herbst gibt es klare Richtlinien zur Bezahlung von Künstlern. Ich versuche in der Konsequenz weniger zu produzieren, um besser bezahlen zu können. Oder eben auch kleinere Arbeiten zu beauftragen. Wenn es eine Masse an Künstlern gibt, die alle schlecht bezahlt sind, stagniert die Szene. Wir Kuratoren sind dazu da, den Künstlern im Rahmen unserer Möglichkeiten die besten Arbeitsbedingungen zu bieten, Räume zu schaffen, in denen zeitgenössische Kunst produziert werden kann.

profil: Was halten Sie vom Ansatz der Grünen, verstärkt auf postmigrantische Positionen zu setzen?
Kaup-Hasler: Zunächst bin ich da positiv, da eingefordert wird, was über Jahrzehnte leider einfach zu wenig gemacht wurde. Allerdings kann das nur ein Aspekt einer kulturpolitischen Gesamtkonzeption sein, die weitaus mehr umfassen muss. Denn bei vielen Projekten steht klar der soziale Aspekt und ein politischer Wille im Vordergrund, große Kunst kommt da selten dabei raus – und muss es meines Erachtens auch nicht. Problematisch finde ich, wenn die Politik versucht, soziale Probleme, die sie selbst nicht lösen kann, auf das Feld der Kunst zu verlagern. Die Politik hat in Österreich ja leider verabsäumt, positive und lustmachende Integrationsmodelle zu entwickeln. Hierzulande ist diesbezüglich in den letzten 30 Jahren unheimlich viel versäumt worden. Aber dann von der Kultur zu erwarten, sie müsse das kompensieren, halte ich für problematisch. Gute Kulturpolitik muss die Vielfalt im Auge haben und sich dafür starkmachen, dass Kunst, die in kein Raster passt, die nicht einer Verwertbarkeit unterliegt – sei sie ökonomisch oder eben sozial – auch in den Blick genommen und gefördert wird. Kunst, die per se widerständig ist, hat ohnehin immer weniger Chancen.

profil: Im Vorwort zu Ihrem aktuellen Programm konstatieren Sie, der Grad zwischen Koalition und Korruption werde immer schmaler. Woran lässt sich das festmachen?
Kaup-Hasler: Das sieht man doch Tag für Tag in den Nachrichten. Ich bin noch aufgewachsen in dem politischen Glauben, es gäbe zwar schwarze Schafe, die Strukturen selbst aber seien im Wesentlichen sauber und gerecht. Das hat sich grundlegend geändert. Die Zahl der Korruptionsfälle hat seit der Ära Schüssel rapide zugenommen. Was ist inzwischen nicht beschmutzt? Wie viele hohe Amtsträger haben sich als korrupt, unprofessionell und nur auf Eigenvorteil bedacht erwiesen? Das ist ein strukturelles Problem geworden. Jeder von uns muss sich heute fragen: Wie strategisch denke ich, um etwas zu erreichen? Warum macht man zum Beispiel Wahlwerbung für Politiker? Was erwartet man sich davon?

profil: Wurden Sie von Parteien um Unterstützung gebeten?
Kaup-Hasler: Ja, und ich kann ja auch verstehen, dass Parteien durch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ihr Image verbessern wollen. Aber grundsätzlich finde ich, dass Kunstschaffende Distanz zu Parteien halten sollten. Zumindest, wenn sie sich selbst als Teil einer differenziert denkenden, kritischen Öffentlichkeit verstehen. Haltung und politisches Interesse sind in meinem Tun erkennbar und wesentliche Teile des steirischen herbst. Das Programm ist in dieser Hinsicht klar und brisant, aber ich muss deshalb doch keine Wahlempfehlung aussprechen. Das ist eine Vereinnahmung, gegen die man sich substanziell wehren sollte.

profil: Kultur und Kulturpolitik spielen doch im Wahlkampf ohnehin keine Rolle.
Kaup-Hasler: Aber man schmückt sich gerne mit der Kunst. Ich war erstaunt, wie viele und welche Künstler für Erwin Pröll Wahlwerbung gemacht haben. Da fragt man sich doch: Was erhoffen sich die Künstler denn davon im Gegenzug? Ich verstehe auch nicht, warum Kunst so gar kein politisches Thema mehr ist, denn Österreich profitiert doch enorm vom Image der Kulturnation. Gerade an der Entwicklung von Wien kann man das feststellen – Wien ist schneller, internationaler geworden. Viele junge Leute ziehen hierher. Das liegt auch an einem kreativen, lebendigen Klima, das durch eine breit und vielfältig aufgestellte Kulturszene stark geprägt wird. Doch bei der Wahl scheinen noch immer angstbesetzte Themen wie Migration, die Krise in Europa und die Schulreform im Vordergrund zu stehen.

profil: Was erwarten Sie von der Wahl?
Kaup-Hasler: Ich glaube nicht, dass sich viel verändern wird. Die Grünen werden vielleicht zulegen, und ich erwarte eigentlich, dass die FPÖ nach all den Skandalen, in die sie verwickelt war und ist, ins Bodenlose stürzt. Aber das habe ich schon öfter gedacht und war dann überrascht, dass es noch immer so viel rechtes und fremdenfeindliches Potenzial in unserem Land gibt. Die Xenophobie der Österreicher sitzt leider historisch tief und wurde jahrelang nicht nur von der FPÖ genährt. Aber den rechten Rand rechts überholen zu wollen, das ist doch eine absurde Strategie.

Zur Person
Veronica Kaup-Hasler, 45, wurde in Dresden geboren, wuchs aber in Wien auf. Sie arbeitete als Dramaturgin am Burgtheater und bei den Wiener Festwochen. Von 2001 bis 2004 leitete sie das Festival Theaterformen in Hannover und Braunschweig. Seit 2006 ist sie Intendantin des steirischen herbst in Graz. Ihr Vertrag läuft bis Ende 2014.

Infobox
Muskelmänner & Tiermetaphern
Arnold Schwarzenegger und andere Maschinenmenschen: Highlights beim steirischen herbst 2013.

Eigentlich wühlt der Italo-Schweizer Massimo Furlan gerne in seiner Kindheit, erinnert sich an den Song-Contest und Fußballspiele, die er in seinem Zimmer einst nachgespielt hat. Aus solchem Material entstehen seine Theaterabende. Für die Wiener Festwochen stellte er im Alleingang „Das Wunder von Cordoba“ im Hanappi-Stadion nach. An seine jüngste Arbeit „Gym Club“ knüpft sich allerdings keine Kindheitserinnerung, Furlan ließ sich von Graz beeinflussen, denn von hier aus startete Arnold Schwarzenegger seine Karriere. Furlan fasziniert, wie geächtet Fitness-center damals noch waren. „In den 1970er-Jahren schämte man sich, über den eigenen Körper zu sprechen, Bodybuilder waren eine Art seltsame Sekte. Heute ist jeder besessen von seinem Körper, der geformt und verbessert gehört.“ Furlan wird in Graz mit Akteuren, die alles andere als perfekte Körper vorweisen können, eine Serie anstrengender Übungen absolvieren. „Ich bin aber pessimistisch, ob wir uns dadurch verbessern werden“, merkt der Regisseur ironisch an. Die deutsche Performerin Antonia Baehr wiederum analysiert die Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch. In ihrem Solo „Abecedarium Bestiarium“ macht sie sich auf die Suche nach einem ausgestorbenen Tier, dem sie sich verbunden fühlt. Aber schon die Eröffnung des Festivals am 20. September überschreitet Grenzen und verlangt Fitness. Gleich mehrere Produktionen finden an verschiedenen Orten statt: Der belgische Regisseur Kris Verdonck etwa lässt seine Schauspieler wie Roboter agieren und bezieht sich dabei auf eine Vorlage des russischen Dichters Daniil Charms; die in Wien lebende, französische Choreografin Anne Juren erforscht Kafkas „Amerika“-Fragment, und die große Ausstellung „Liquid Assets“ geht den Mysterien globaler Geldströme nach.

www.steirischerherbst.at