Steve Jobs 1955-2011

Nachruf. Wie Steve Jobs, der Henry Ford des Computerzeitalters, Leben und Technik miteinander versöhnte

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Zwei Szenen aus dem modernen Leben. Die erste: Ein Kleinkind vor
dem Fernsehapparat seiner Eltern, das Kind will den Sender wechseln, es tapst zum Bildschirm, wischt mit der Hand von rechts nach links über die Mattscheibe und wundert sich, dass nichts passiert. Es kann noch nicht wissen, dass ein Fernseher nicht funktioniert wie ein iPhone. Die zweite: zwei ältere Damen an einem Fußgängerübergang in Wien. Sie sehen nicht aus wie Computerfreaks. Sagt die eine zur anderen: „Hast du schon gehört, Steve Jobs ist tot.“ Die Zweite, erkennbar erschüttert: „Nein, wirklich?“

Zwei wahre Geschichten, die anekdotisch zeigen, was Steve Jobs angerichtet hat – und warum seine Nachrufer kaum übertreiben, wenn sie schreiben: „Die Welt hat einen Visionär verloren“ (Barack Oba­ma). Oder: „Seinen Einfluss werden wir noch viele Genera­tionen lang spüren“ (Bill Gates). Das ­Klischee stimmt ausnahmsweise: Ja, Steve Jobs, der am vergangenen Mittwoch 56-jährig einem Krebsleiden erlag, hat tatsächlich die Welt verändert. Oder, besser gesagt: die Art, wie wir mit ihr umgehen. In seiner Branche hieße das wohl: Er hat ihre Benutzeroberfläche umgeschrieben. Steve Jobs hat wesentlich dazu beigetragen, Leben und Technik miteinander zu versöhnen, indem er der Technik so etwas wie Leben einpflanzte und indem er, umgekehrt, die Technik erst zum Lifestyle werden ließ: Apple, das ist nicht zuletzt auch eine Kultur.

Die Geschichte dieser Kultur beginnt am 24. Februar 1955 in San Francisco: Die Studentin Joanne Schieble bringt einen gesunden Jungen zur Welt und gibt ihn, weil sie mit dem Kindsvater, dem syrisch-stämmigen Politologen Abdulfattah John Jandali noch nicht verheiratet ist, zur Adoption frei. Paul und Clara Jobs, sie Hausfrau, er Mechaniker, adoptieren das Kind. Sie nennen es Steven Paul. Der Junge wächst im kalifornischen Los Altos auf, in einer Gegend, die man später Silicon Valley taufen wird. Heute würde man den jungen Steve Jobs wahrscheinlich „verhaltensoriginell“ nennen, damals, in den sechziger Jahren, war er ein schwieriges Kind: hyperaktiv, renitent, ein Einzelgänger, der mehrfach von der Schule flog und ein Problem mit Autoritäten hatte. Seinen ersten Ferienjob bekam er, indem er sich kurzerhand zu HP-Gründer Bill Hewlett durchstellen ließ. Frechheit siegte.

Eine bekannte Apple-Werbekampagne forderte die Menschen in den späten neunziger Jahren dazu auf, anders zu denken. Steve Jobs wusste, wie das geht; er machte seit 30 Jahren nichts anderes. Er war ein Kind der Sixties, ein Esoteriker und Hippie, der mit LSD experimentierte und sein Kunststudium (für das sich seine Eltern heillos verschuldet hatten) nach zwei Monaten abbrach, um nach Indien zu reisen, von wo er in safrangelben Gewändern und mit kahl geschorenem Kopf zurückkehrte. „Die große Erkenntnis dieser Zeit war die Erfahrung, dass es mehr gibt im Leben als den Materialismus der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. Wir gingen auf die Suche nach etwas Tiefgründigerem.“

Noch in den achtziger Jahren pflegte Jobs angehende Apple-Mitarbeiter beim Vorstellungsgespräch zu fragen, wie oft sie schon LSD genommen und wann sie zum ersten Mal Sex gehabt hätten. Und über Bill Gates, mit dem ihn eine jahrzehntelange Hassfreundschaft verband, meinte Jobs in einem „New York Times“-Interview 1997: „Ich finde Gates und Microsoft ein bisschen engstirnig. Er wäre eine umfassendere Person, wenn er mal Acid genommen hätte oder in einen Aschram gegangen wäre.“

Das Charisma, die Wirkung des Steven Paul Jobs, der gemeinsam mit seinem Jugendfreund, dem begnadeten Computerbastler Steve Wozniak, am 1. April 1976 das Computerunternehmen Apple gründete, beruhten in erster Linie darauf, dass er eben nicht nur Ingenieur war, sondern auch Visionär, nicht nur Erfinder, sondern auch Verbesserer, nicht nur Konzernchef, sondern auch Missionar. Jobs, der cholerische Charismatiker, dessen Charme unwiderstehlich sein konnte, war bestimmt nicht der Gottfried Daimler, aber doch ziemlich sicher der Henry Ford des Computerzeitalters: nicht der Erfinder, sondern der Popstar, der aus Maschinen erst Ikonen (und Massenprodukte) machte.

Man muss sich das Silicon Valley in der Geburtsphase der modernen Computer- und Netzwerk-Technologie als eine Kommune vorstellen, deren Einwohner statt Blumen Lötkolben im Haar trugen. Es ging diesen bärtigen Freaks tatsächlich darum, die Welt zu verändern, alte Strukturen aufzubrechen, einen neuen Geist in Silikonchips zu materialisieren. Steve Jobs verkörperte diesen Geist mehr als jeder andere seiner Zeitgenossen.
Er war ein Technikfreak, aber einer, der die Schönheit suchte und der, vor allem, die Schönheit nicht als Oberflächenphänomen betrachtete: Schön war etwas von innen heraus. Apple-Computer sollten aufgeräumt sein, kein Platinen- und Kabelsalat sollte ihr Innenleben stören. Ein Tischler, der auf sich hält, baut auch die Rückwand eines Kastens aus Massivholz. Dafür muss er den Kasten auch nicht neu erfinden. Steve Jobs hatte kein Problem damit, Ideen von anderen zu übernehmen (darunter die von Xerox abgeschaute grafische Benutzeroberfläche, mit der sein Macintosh ab 1984 für Furore sorgte; oder der schon Jahre vor dem iPod erfundene tragbare MP3-Player; oder der ursprünglich von Microsoft propagierte Tablet-PC). Entscheidend war: die Schönheit. Denn nur zum Schönen baut der Mensch eine Beziehung auf. Jobs versah eine nüchterne Ingenieurswelt mit der Kraft der Magie.

Das bedeutet nicht, dass er dabei aufs Geschäft vergaß. Hartmut Esslinger, der Gründer des Designstudios frog design und Gestalter des Apple Macintosh, erinnerte sich im profil-Interview vor einigen Jahren an die Geburtsstunde des ersten Personalcomputers: „Steve Jobs’ Vorgabe war, eine Million Macintoshs zu verkaufen. Da ging es nicht um Design, da ging es um Business. Und die Business-Innovation war im Fall des Macintosh die Erkenntnis, dass wir Computer verkaufen können wie Konsumprodukte. Dass es nicht das ganze IT-Brimborium drum ­herum braucht.“ Esslinger gewährte auch einen Einblick in die Persönlichkeitsstruktur seines Auftraggebers: „Steve hat das katholische Prinzip gefallen: Der Papst hat immer Recht. Der Papst muss Recht haben, denn sonst hätte die Kirche keine Basis mehr. Das ist ein radikales Denken, und Steve denkt radikal.“ Ein anderer Mitarbeiter aus der Apple-Frühzeit, der Marketingmann Mike Murray, beschrieb seinen Ex-Chef ganz ähnlich: „Steve kennt einfach die Grenzen nicht, die wir anderen einhalten. Aufgrund seines Hintergrunds und seines frühen Erfolgs hat er keinerlei Reglement. Er weiß nicht, dass es Dinge gibt, die unmöglich sind, weil er ja immer tun konnte, was er wollte.“

Es ist nicht viel mehr als ein Klischee, wenn über Steve Jobs gesagt wird, dass er ein Visionär war. Er war tatsächlich viel mehr, nämlich ein Realitätsverweigerer, vor allem aber einer, der nicht lockerließ, bis sich die Realität seinen Vorstellungen angepasst hatte. Auf die Frage, ob es ihm, dem Sixties-Musikfan, nicht gefallen würde, wenn Paul McCartney bei einer seiner Produktpräsentationsmessen auftreten würde, meinte Jobs einmal: „Mir würde es gefallen, wenn John Lennon spielen würde.“

In einer Welt, in der Realität – vor allem die Realität von Verkaufszahlen und Produktionskosten – mehr zählt als Verweigerung, musste Jobs irgendwann auf Widerstand stoßen. Im Mai 1985 wurde er von seinem eigenen Unternehmen ausrangiert, der Apple-Vorstand unter der Führung des ehemaligen Pepsi-Managers John Sculley stellte den unberechenbaren Gründer aufs Abstellgleis. Später bezeichnete Jobs diesen traumatischen Schnitt als „das Beste, was mir passieren konnte“. Er verließ Apple, gründete ein neues Unternehmen, Next-Computer, baute innovative Rechner und Betriebssysteme, die sich kommerziell nie durchsetzen konnten und doch sehr nachhaltig wirkten. Es ist kein Zufall, dass ein anderer Utopist und Philosoph des Digitalen, der britische Informatiker Tim Berners-Lee (siehe Interview auf Seite 94), das World Wide Web auf einem Next-System entwickelte – und damit eine alte Vision von Steve Jobs realisierte, der seine Heimcomputer schon in den frühen achtziger Jahren als Schnittstellen in einem neuen, „interpersonalen“ Kommunikationsnetz erträumt hatte.

Apple konnte mit der digitalen Revolution, die das World Wide Web auslöste, trotzdem nicht recht Schritt halten. Das Unternehmen hatte ohne den verlorenen Vater seinen Zauber eingebüßt, Microsoft überflügelte den alten Konkurrenten, der Apple-Marktanteil sank dramatisch. Mit der Demut der Verzweiflung holte man Jobs, der inzwischen, quasi en passant, mit dem Computergrafik-Studio Pixar Filmgeschichte geschrieben hatte, Anfang 1997 zurück ins Unternehmen. Sein erster Auftritt als Interimsvorsitzender, in kurzen Hosen, Turnschuhen und mit Siebentagebart, war ein Lehrbeispiel angewandten Jobsismus. „Okay, jetzt sagt mir bitte, was hier nicht stimmt“, wollte er in einer der ersten Vorstandssitzungen von den anwesenden Führungskräften wissen. Halbherziges Gemurmel. „Es sind die Produkte! Okay, was also stimmt nicht mit den Produkten?“ Neuerliches Gemurmel. „Die Produkte sind Scheiße!“

Und Jobs machte aus Scheiße wieder einmal Gold. Schon im Mai 1998 stellte er den Apple iMac vor, einen bonbonfarbenen, leistungsstarken und benutzerfreundlichen Computer, der eine unmissverständliche Botschaft aussandte: Rechner sind mehr als nur Werkzeuge. Sie sind, ­unter anderem, auch: schön, cool und ­Statussymbole. Jobs schuf nicht nur neue Maschinen, sondern vor allem ein neues Verhältnis des Menschen zur Maschine. Sie war nicht mehr unheimlich, undurchschaubar oder lästig. Mit dieser Botschaft im Gepäck hob ­Apple zu einem (nicht nur für seine Shareholder) berauschenden Höhenflug ab. Im Herbst 2001 wurde der iPod vorgestellt und revolutionierte im Verein mit dem iTunes-System den digitalen Musikmarkt. Im Juni 2007 folgte das iPhone und läu­tete eine neue Ära der digitalen Mobilität ein. Im Jänner 2010 präsentierte Jobs das iPad, dessen revolutionäre Bedeutung für die Kulturtechnik des Lesens (beziehungsweise die Verlagsbranche) immer un­übersehbarer wird. Die Menschen scheinen auf alles, was das kleine i im Namen trägt, mit echter Liebe zu reagieren.

Liebe heißt aber auch Beziehung, und Beziehung heißt: Freiheit aufgeben, für das schöne ­Gefühl der Geborgenheit. Das Erfolgsgeheimnis von Apple bestand – vor allem in den Jahren post iPod – nicht nur in der Sexiness und Lifestyle-Tauglichkeit seiner Produkte, sondern vor allem auch darin, dass es Grenzen aufzog: Die Geräte waren mit jenen anderer Hersteller nicht kompatibel, sie machten nur, was Apple vorgab, zeigten nur einen (zweifellos schönen, praktischen) Ausschnitt der digitalen Wirklichkeit. Das Chaos, in das die digitale Revolution zu führen schien, die Unordnung des World Wide Web wurden im geschlossenen Apple-Universum beschnitten – um den Preis der Überraschung. Apple ist liebenswert, aber auch monomanisch und autoritär.

Und das erfolgreichste Unternehmen der Gegenwart: Im Mai 2010 überflügelte der Marktwert von Apple jenen von Micro­soft, im August 2011 für kurze Zeit sogar jenen von Exxon, was Apple zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt machte. Im Vorjahr setzte Apple mit seinen knapp 50.000 Mitarbeitern 65,23 Milliarden US-Dollar um und erzielte einen Gewinn von 14 Milliarden. Dass es einen Teil seiner Hochpreisgeräte in Billiglohnländern und unter zweifelhaften arbeitsrechtlichen Bedingungen produzieren lässt, muss man nicht Steve Jobs persönlich ankreiden. Dass sein Unternehmen auch sektiererische Züge aufwies, sehr wohl. Nicht umsonst verlieh der praktizierende Zen-Buddhist (der auch seine Hochzeit mit Laurene Powell 1991 im Yosemite National Park von dem Zen-Meister Kobun Otogawa zelebrieren ließ) seinen Produktpräsentationsansprachen stets die Anmutung von Gottesdiensten. Zu Apple musste man sich bekennen, wohl oder übel.

Eine Lieblingsmetapher des Digital-Philosophen Steve Jobs lautete: „Ein Computer ist ein Fahrrad für unsere Gedanken.“ Steve Jobs hat das Rad nicht neu erfunden. Aber er hat uns beigebracht, wie man damit richtig fährt.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.