Stolpert Meinl über eigene Scharade?

Stolpert Meinl über seine eigene Scharade? MEL-Deals erst im Nachhinein genehmigt

MEL-Deals erst im Nachhinein genehmigt

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Von Michael Nikbakhsh

Man stelle sich ein börsennotiertes Unternehmen vor, in dem ein Teil des Managements Geschäfte macht, von denen der andere nichts weiß. Man stelle sich ein Unternehmen vor, in dem es möglich ist, mehr als eine Milliarde Euro Anlegergeld für den Rückkauf eigener Wertpapiere einzusetzen, ohne dass der gesamte Vorstand dies formell beschlossen hätte.

Willkommen im Mikrokosmos von Meinl European Land. Bald zwei Jahre sind vergangen, seit die der Öffentlichkeit zunächst verheimlichten Wertpapierrückkäufe bei MEL (heute Atrium European Real Estate) bekannt geworden sind. Die Meinl Bank hatte, wie ausführlich berichtet, bis zur Jahresmitte 2007 insgesamt 88,8 Millionen MEL-„Zertifikate“ im Gegenwert von 1,8 Milliarden Euro vom Markt geholt – auf Rechnung von MEL und angeblich auch in deren Auftrag.

Die Frage, wer wem wann was angeschafft hat, ist für die Betrugs- und Untreueermittlungen der Justiz gegen Julius Meinl und andere von zentraler Bedeutung. Die Staatsanwaltschaft Wien, gestützt auf Erkenntnisse des Gutachters Thomas Havra­nek, geht derzeit davon aus, dass Meinl hinter den Transaktionen stand. Meinl bestreitet die Vorwürfe mit aller Vehemenz – es gilt die Unschuldsvermutung. Wie profil vergangene Woche enthüllte, haben jedenfalls zwei der ehemals sechs MEL-Direktoren bereits Ende 2007 eingestanden, von den Vorgängen nicht die leiseste Ahnung gehabt zu haben. Die am MEL-Firmensitz Jersey niedergelassenen britischen Anwälte Michael Richardson und Peter Byrne hatten gegenüber der lokalen Finanzaufsicht JFSC in einem Schreiben vom 6. Dezember 2007 ihren Rücktritt angekündigt, da sie – im Gegensatz zu anderen Direktoren – nicht in die Transaktionen eingebunden gewesen sein wollen (profil 20/09).

Die Reaktion der Meinl Bank ließ nicht lange auf sich warten. Vorstand Peter Weinzierl rechtfertigte die Diskrepanzen unmittelbar nach Erscheinen der profil-Ausgabe damit, dass die Entscheidung für die Rückkäufe von einem dreiköpfigen „Lenkungsausschuss des MEL-Boards“ getroffen worden sei, dem Richardson und Byrne nun einmal nicht angehört hätten. „Damit ist ein weiteres Mal bestätigt, dass die Entscheidung zum Rückkauf völlig rechtmäßig durch einen Beschluss der zuständigen Direktoren zustande kam und nicht, wie in den Vorwürfen fälschlicherweise behauptet, durch Einflussnahme der Meinl Bank oder ihrer Organe“, so Weinzierl wörtlich.
Das ist interessant.

Dass es bei MEL einen „Lenkungsausschuss“ gab, der derart weit reichende Entscheidungen ohne jede Rücksprache treffen konnte, war bisher ein gut gehütetes Geheimnis. Wie so vieles andere auch. Die Schlüsselfrage bleibt dessen ungeachtet unbeantwortet: Hat der „Lenkungsausschuss“, so es diesen wirklich gab, MEL tatsächlich gelenkt – oder ließ er sich ­lenken? Zufall oder nicht, in dem behaupteten Gremium saßen just drei Vertraute von Julius Meinl, die entweder für die Meinl-Bank-Gruppe im Ausland arbeiten oder diese beraten: Georg Kucian, Heinrich Schwägler und Karel Römer.

Trio capitale. Nach aktueller Version der Meinl Bank haben also diese drei Herren die Bank im Frühjahr 2007 angewiesen, MEL-Zertifikate aufzukaufen. Und sie fanden es nicht der Mühe wert, die übrigen drei Direktoren, Michael Richardson, Peter Byrne und Wolfgang Lunardon, zu informieren. Diesem Magazin wurde nun eine bisher unter Verschluss gehaltene Dokumentation zu einer entscheidenden Telefonkonferenz des MEL-Direktoriums vom 9. Juli 2007 zugespielt. Sie umfasst neben der Tagesordnung auch mehrere interne E-Mails, einen Protokollentwurf, ein Kurzprotokoll sowie eine Langfassung. Das Konvolut belegt zweierlei:
E Erst an diesem 9. Juli wurden die Wertpapierrückkäufe, die bis dahin nur dem „Lenkungsausschuss“ bekannt gewesen sein sollen, auf Ebene des Gesamtvorstands thematisiert – und schließlich beschlossen. Also quasi erst im Nachhinein. Schließlich hatte die Meinl Bank zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 52 von letztlich 88,8 Millionen Zertifikaten für MEL aufgekauft und dafür bis dahin rund eine Milliarde Euro aufgewendet. Die bereits getätigten Geschäfte wurden intern auch bei dieser Gelegenheit mit keinem Wort erwähnt.

Die Sitzung wurde von einem Mann vorbereitet und begleitet, der zwar offiziell keine Funktion bei Meinl European Land hatte, sehr wohl aber in Julius Meinls Bankengruppe: Stephan Visy. Auf dem Papier verdingte sich Visy bis zur Zerschlagung des Meinl-Komplexes unter anderem als Finanzchef der „Managementgesellschaft“ Meinl European Real Estate (MERE), die wiederum zu 100 Prozent der Bank gehörte. MERE besorgte für MEL auf Grundlage eines Managementvertrags das eigentliche Immobiliengeschäft, eine gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen MEL und MERE bestand jedoch nicht. Visy galt intern zumindest seinerzeit als rechte Hand von Julius Meinl und belegte ein Büro in der Meinl-Bank-Zen­trale am Wiener Bauernmarkt Nummer zwei, im Nahebereich seines Chefs. Das Protokoll dieser Sitzung dokumentiert eine selbst für österreichische Verhältnisse singuläre Scharade. Ausgerechnet der Meinl-Angestelle Stephan Visy, wiewohl selbst kein MEL-Direktor, durfte an diesem 9. Juli 2007 den „geplanten“ Rückkauf von Zertifikaten in aller Ausführlichkeit präsentieren.

Im Vorfeld der Sitzung hatte Visy via E-Mail eine Art Vorprotokoll an das MEL-Direktorium verschickt. In seinem auf ­Englisch verfassten Anschreiben heißt es einleitend: „Wie mit Ihnen in den vergangenen Tagen besprochen, arbeiten wir am Genehmigungsprozess in Zusammenhang mit dem geplanten Rückkauf eigener Aktien … Ich schlage für Montag 9.00 Uhr MESZ eine Konferenzschaltung vor, um offene Fragen zu klären“.

Wen genau er mit „wir“ meinte, geht aus dem Mail nicht hervor. Die entscheidende Telefonkonferenz begann tatsächlich Montag, 9. Juli 2007, Schlag 9.00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit – Visy führte das Wort. In einem von ihm selbst gleich im Anschluss an die Sitzung verfassten stichwortartigen Kurzprotokoll steht zu lesen: „Das Folgende wird diskutiert: 1. SV (Stephan Visy, Anm. d. Red.) berichtet über den wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergrund der geplanten Transaktion.“ Visys weitere Ausführungen wirken in der Nachlese erklärungsbedürftig: „2. Die Details zu dem Kredit zugunsten eines nicht verbundenen Dritten … lauten wie folgt: Maximalbetrag: EUR 2 Milliarden … Maximalerwerb: 30 Prozent der ausstehenden Zertifikate … Zeitlicher Rahmen: Erwerb von Zertifikaten innerhalb von zwölf Monaten.“

Offenbar sollten die Rückkäufe der Öffentlichkeit zunächst so verkauft werden: MEL will eigene Papiere vom Markt holen und wird einer von ihr rechtlich unabhängigen Gesellschaft einen Kredit von bis zu zwei Milliarden Euro gewähren, damit diese bis zu 30 Prozent der Zertifikate innerhalb eines Jahres aufkaufen kann.

Gekommen ist es bekanntlich anders: Den „Kredit“ hat es so nie gegeben, vielmehr wurden letztlich 1,8 Milliarden Euro Anlegergeld eingesetzt, um fast ein Drittel aller Zertifikate vom Markt zu holen. Auch mit dem „unabhängigen Dritten“, bei dem Papiere tatsächlich landeten, ist das so eine Sache. Es handelte sich um das karibische Investmentvehikel Somal A. V. V. mit Sitz auf Aruba, welches wiederum der Familie Meinl zugerechnet wird.

So oder so: Die Rückkäufe wurden an diesem Tag vom MEL-Direktorium ex post – vorbehaltlich der Zustimmung durch die Hauptversammlung – ohne nennenswerte Einwände beschlossen. Dass es die MEL-Direktoren untereinander mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, muss Julius Meinl vorderhand nicht bekümmern. Er hatte dort formell keine Funktion. Die manifesten Unregelmäßigkeiten sind also, wenn schon, dann ein Problem der MEL-Vertreter – nicht seines. Dass aber mit Stephan Visy einer seiner engsten Mitarbeiter und Angestellten in dieser Sitzung Wertpapierrückkäufe zur Beschlussfassung bringen konnte, für die er gar nicht zuständig war, wirft eine Frage auf: In wessen Auftrag hat der Meinl-Subalterne Visy gehandelt?

Die Meinl Bank beantwortete eine profil-Anfrage Ende vergangener Woche so: „Die Anwesenheit von Herrn Visy bei dem Board Meeting erklärt sich aus dem Umstand, dass gemäß dem Managementvertrag MERE vom Board der MEL immer wieder auch mit der Koordinierung von externen Dienstleistungen betraut war.“

Was auch immer das heißen mag. Ein vermeintliches Detail gibt den Behörden noch Rätsel auf. In der profil ebenfalls vorliegenden Langfassung des Sitzungsprotokolls wird Visy nur mehr als Gast geführt. Seine Wortmeldungen sind nicht verzeichnet. Wer dieses Dokument – es hat ein völlig anderes Schriftbild und trägt lediglich die Unterschrift des ehemaligen MEL-„Vorsitzenden“ Georg Kucian – wann aufgesetzt hat, lässt sich derzeit nicht sagen. Wieder eines dieser Geheimnisse.