Stormy Weather

Stormy Weather

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Wir haben seit einiger Zeit schon zur Kenntnis genommen, dass es Eltern gibt, die ihre minderjährigen Töchter an galante Herren für einige die Kinder traumatisierende Nächte verkaufen; dass Mütter existieren, die tatenlos entmenschten Vätern zusehen, die das selbst gezeugte Baby misshandeln; wir haben auch schon von ebenso schrecklichen Rabenmüttern gelesen.
Aber haben wir das zur Erkenntnis genommen?

Es ist keine Frage, dass die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft gestiegen ist; aber es gibt keine wissenschaftlich untermauerte Antwort darauf.

Es gilt, diversen deutschen und amerikanischen Umfragen zufolge, als erwiesen, dass die Menschen einander um die Jahrtausendwende noch um etwa zehn Prozent mehr trauten als drei Jahre danach.

Gegenseitiges Vertrauen bedeutet, keine Angst voreinander zu haben. Nicht zu befürchten, der liebe Nächste wäre auf dein Leben oder dein Hab und Gut aus. Dieses Empfinden mindert das instinktive Gewaltpotenzial des Menschen.

Nun scheint es sich erschreckend erhöht zu haben. Von Fußballplätzen bis zu Einkaufsstraßen kommt es zu kriminellen Krawallen, die immer häufiger von Jugendlichen angezettelt werden.

Die Jugendlichen, die ihren Eltern eben noch ohne Misshandlung entwischen konnten, spüren trotzdem eine Aggression in sich, die sie mittels krampfhaft kampfhafter Akte gegen andere ventilieren zu können glauben. Sie reagieren ihren Aufreger ab – und dass das noch gefährlicher werden kann, als die jetzige sensible Situation ohnehin zeigt, daran erinnert der seinerzeitige Aufruf der Baader-Meinhof-Bande: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht!“

Ganz sind junge Menschen noch nicht darangegangen, auch noch nicht alle verzweifelten jungen Mütter und desperaten Väter, aber die Angst vor der Gesellschaft, die sie umgibt und vorgibt, sie zu schützen und zu stützen, muss so gewaltig zugenommen haben, dass ihnen immer öfter bloß sinnlose, menschenlebenverachtende Gegengewalt als sonst nicht mehr artikulierbarer Aufschrei möglich scheint.

Sie empfinden, dass stormy weather um sie (und vor allem über ihnen) herrscht, dass sie in unberechenbar stürmischen Zeiten leben, in einem so rauen Luftzug, der selbst manche Erwachsene etappenmäßig erschauern lässt. Noch bar aller Mittel, die Machtpositionen möglich machen, schlagen sie zunehmend brutaler um sich und, wie sie vermeinen, damit zurück.

Sie wollen sagen, dass sie, ungeachtet aller internationalen Veränderung, gesund auf der Welt bleiben und rings um sich Sicherheit haben wollen, und dafür wären sie auch bereit, persönlich beizutragen: In einer am vergangenen Montag veröffentlichten Umfrage über die Traumberufe Jugendlicher standen Arzt und Polizist an der Spitze der Nennungen.

Dieses Ergebnis ist eventuell ernüchternd für eine Gesellschaft, die seit Jahren daran arbeitet, Models oder Moderatoren als auf jeden Fall zu präferierende Professionen anzuschmuggeln – ein mentaler Missbrauchsversuch, der von den potenziellen Opfern erfolgreich abgewehrt wurde.

Die Einschätzung junger Menschen ist, sofern sie sich nicht aus rabiater Überlebensangst selbst in Rage gebracht haben, von jener älterer Mitmenschen kaum unterschiedlich. Eine Umfrage der Zeitschrift „Reader’s Digest“ vom vergangenen April erwies, welche Berufsgruppen das meiste Vertrauen genießen.

Feuerwehrleute haben einen hundertprozentigen Vertrauensvorschuss, denen die Krankenschwestern knapp (98 Prozent) folgen. Die immer zu empfehlenden Apotheker, die Auskunft geben über alle unerwünschten Nebenwirkungen, die wir uns nicht selbst erwählt haben, liegen im Ranking noch vor Piloten und Ärzten. Und auch noch

PISA-Pflichtige haben erkannt, dass sie von unseren Bauern mehr halten als unseren Lehrern. Es liegt auf der Straße, dass Taxifahrern mehr über den Weg getraut wird als Rechtsanwälten, aber es überrascht, dass Journalisten (36 Prozent) für seriöser gehalten werden als Finanzberater. Deutlich dahinter (24 Prozent) werden Autoverkäufer als zuverlässig vermutet. Ach ja, und dann gibt es noch die Frage, wie Politiker in aller Glauben dastehen – schmächtig, denn nur zwölf Prozent halten was von ihnen.

Es ist natürlich unzulässig, diesen Stellenwert mit dem steigenden Stellenwert der Gewalt in unserer Gesellschaft in unmittelbaren Zusammenhang zu bringen, und es muss jederzeit außer Frage stehen, dass kein gewählter Volksvertreter sich ständig um alle auftauchenden Phänomene und alle auftretenden Psychosen kümmern kann – aber mag es sein, dass die Popularität der Politiker ein wenig mit der progressiven Ängstlichkeit des jungen Teils unserer Bevölkerung zu tun hat? Ist es denkbar, dass, im Bewusstsein, nicht allein gelassen oder gar wirtschaftspolitisch überfahren zu werden, ein tieferes Durchatmen weniger Durchdrehen bewerkstelligen könnte? Etwas mehr Zuversicht statt Zynismus würde vielen vielleicht helfen.

Pfingsten, sagt das Evangelium, ist das Fest der Erleuchtung.