Häfenelegie

Justizstrafanstalt Leoben: Häfenelegie

Justizstrafanstalt Leoben. Die verlorenen Illusionen im angeblich schönsten Gefängnis der Welt

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Text und Fotos: Christa Zöchling

Humaner Strafvollzug ist im Grunde ein Widerspruch in sich. Er ist auch unpopulär. Er passt nicht ins Weltbild des Kleinbürgers – vor allem, wenn Strizzis aus Osteuropa sich darauf berufen. Auf einer georgischen Website wurde die Leobner Justizstrafanstalt kurz nach ihrer Betriebnahme im Jahr 2005 als grüne Idylle vorgestellt: mit Topfpflanzen auf Balkonen, Korbstühlen, Tischfußball, Cardio-Fitnessgeräten und Apartments für Sex. Wenn schon, sollte man sich in der Obersteiermark festnehmen lassen, so die Empfehlung. Ein japanisches Fernsehteam suchte hier Bilder für eine beliebte Show. Der Zuseher musste raten, was es war. Auch die Freiheitlichen machten das Gefängnis landesweit bekannt. Noch in jedem Wahlkampf wurde es als „Wellnesstempel“ und „Häfenparadies“ angeprangert.

Fachleute halten es für das „schönste“ der Welt. Es sei die „bauliche Entsprechung für humanistischen Umgang mit den Gefangenen“, erklären die Architekten. Drinnen soll es an draußen erinnern, um im besten Fall „Resozialisierungmaßnahmen überflüssig werden zu lassen“. Doch das große Versprechen wurde nicht eingehalten. Von der Vision eines humanen Strafvollzugs hat sich die Politik mehr oder weniger verabschiedet – aus Ignoranz, Spargründen und Feigheit.

Das war einmal anders. Mitten hinein in die Leserbriefaktion der „Kronen Zeitung“ zum „Volksbegehren Todesstrafe“ im Jahr 1977 wagte es der damalige sozialdemokratische Justizminister Christian Broda, von der Utopie einer „gefängnislosen Gesellschaft“ zu sprechen. Schon mit der Idee des „Häftlingsurlaubs“ hatte er die eigenen Genossen gegen sich aufgebracht. Broda konnte dennoch einiges durchsetzen: Er hat Homosexualität, Abtreibung und „Ehestörung“ entkriminalisiert, Geld- statt Haftstrafen und vorzeitige Entlassung etabliert. Kurze Gefängnisaufenthalte, so die damalige Denkschule, führten zur kriminellen Infektion und nicht zur Besserung, vor allem bei jungen Delinquenten.
Ein spektakulärer Banküberfall, eine Prominentenentführung und ein aufsehenerregender Sexualmord Ende der 1970er-Jahre genügten, um weiteren Reformen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Als Broda abdankte, saßen in keinem anderen europäischen Land so viele Menschen im Gefängnis wie in Österreich.

„Achtung und Würde"
Nach Broda kamen freiheitliche Anwälte, parteilose Fachleute und ganz kurz noch einmal eine Sozialdemokratin an die Spitze des Ressorts. Die Verwaltung wurde auf den neuesten Stand gebracht, es gab kleinere Reformen im Strafrecht. Der inhaltliche Kurs wurde dem Zug der Zeit überlassen. Gesellschaftliche Konjunkturen geben zusehends den Ton an. Das Strafmaß für Drogen-und Sexualdelikte wurde verschärft, doch bei den Ausgaben für Therapie wird gespart. Das Problem der Ostbanden, die mit organisierten Einbrüchen bürgerliche Wohn- und Villenviertel unsicher machen, führte dazu, dass auch in anderen Fällen allzu schnell Gewerbstätigkeit angenommen wird, was schon bei kleinen Diebstählen zu jahrelanger Haft führen kann. Obwohl es mittlerweile auch für Erwachsene den außergerichtlichen Tatausgleich gibt und jedes zweite Vergehen gar nicht vor dem Richter landet, sind die Gefängnisse in Österreich überfüllt; von einem Weg in die gefängnislose Gesellschaft kann keine Rede sein.
Selbst die Resozialisierung sei mittlerweile zur „hohlen Phrase“ verkommen, meint Kriminalsoziologe Wolfgang Stangl. Paradoxerweise zeigt sich das Problem gerade an einer Strafanstalt mit Anspruch, in Leoben. An ihrer Spitze steht ein melancholisch dreinblickender lebenserfahrener Mann, Manfred Gießauf, der davor zwei Jahrzehnte lang in der Grazer Karlau, wo auch Mörder und Schwerverbrecher einsitzen, seine Erfahrungen gesammelt hat. Das größte Problem sieht Gießauf in der fehlenden Arbeitsmöglichkeit für die Insassen und in den trüben Aussichten, wenn sie wieder entlassen sind. Ohne Wohnung, Konto und Arbeit und mit Misstrauen bedacht, würden die meisten, auch nach kurzen Haftstrafen, schnell wieder in ihr altes Milieu zurückfallen.

An der hellgrauen Außenmauer des ­Leobner Gefängnisses, hinter dem, so denkt man reflexhaft, die Gefangenen in traurigem Trott ihre Runden ziehen, ist das Gebot eingraviert, dass jeder Häftling „menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden“ muss.

Alles andere an diesem Bau ist durchscheinend, eine Fassade aus Glas, zarte Holzjalousien, die gegen die Sonne schützen. Im Inneren luftige Gänge. Von jedem Treppenabsatz aus fällt der Blick auf querliegende Trakte und begrünte Innenhöfe. Weiße Wände, an denen Farbtropfen herunterzurinnen scheinen, monochrome Bilder. Lichtinstallationen, riesige Palmenpflanzen, grasgrüne und pinkfarbene Designerstühle, orange Couchen, die „Süddeutsche Zeitung“, ein Gratisabo, unberührt auf einem Beistelltisch. Die Worte des Schriftstellers Gerhard Roth hinter Glas: „Ich, du, heute, morgen.“

Das ist freilich graue Theorie. Die Hälfte der rund 200 Insassen sind junge Ausländer, die andere Hälfte stammt mehrheitlich aus einschlägigem Milieu, hat die Schule abgebrochen, keine Berufsausbildung und ist nicht zum ersten Mal hier. Auch 15 Frauen und zehn jugendliche Straftäter schlagen hier die Tage tot.

Vier Selbstmorde in neun Jahren
Das größte Problem ist Langeweile. Im Männertrakt, wo die Gefangenen einzeln in Zellen sitzen, ist es totenstill. Einmal am Tag darf man in den Innenhöfen spazieren. Die Benützung der sogenannten „Kuschelzelle“, bar jeder heimeligen Ausstrahlung, wird selten beantragt.

Arbeit gibt es, auch in guten Auftragszeiten, gerade für jeden Zweiten, für 1,20 bis 1,50 Euro die Stunde. In der KFZ-Werkstatt dürfen sie Reifen wechseln und Autos waschen, aus Sicherheitsgründen nur für das Justizpersonal. Oder aus Abfällen Metallblumen gestalten. In der Tischlerei werden „Insektenhotels“ gebastelt: eine Art Vogelhäuschen, mit Holzstücken vollgestopft, in denen Insekten ihre Larven ablegen können. Eine Gruppe von Insassen setzt dünnste Nadeln in vorgestanzte Löcher. Sie arbeiten für AT&S, den Leiterplattenhersteller von Hannes Androsch. Diese Akkordarbeit ist heiß begehrt. Man kann dadurch auf Stunden kommen.
Besonders trist ist die Arbeit der jugendlichen Insassen. Zwei von ihnen sitzen vor Bergen von Jolly-Buntstiften und stecken je einen Stift einer Farbe in eine Plastikhülle. Die Zellen dieser neun Burschen, der jüngste ist 17, der Älteste 21 Jahre alt, sind tagsüber offen. Es liegt Testosteron in der Luft. Wie Tiger kreisen sie zwischen dem kleinen Sortierraum und einer Küchenecke.

Fußball spielen ist verboten. Es war so aggressiv gerempelt worden, dass es zu schweren Verletzungen kam.

Für die 15 inhaftierten Frauen in Leoben gibt es so gut wie keine Arbeit. Ab und zu bügeln und putzen. Als profil in der vorvergangenen Woche durch die Strafanstalt geführt wurde, fand gerade ein Gruppengespräch mit einer Psychologin und einer Sozialarbeiterin statt, wegen eines Drogenvorfalls. Mitten in der erregten Runde – schlagfertige Frauen mit wachem Blick und dem gewissen Spruch – sitzt ein Kind: jenes 14-jährige Mädchen, das nach monatelangem Facebook-Mobbing einem Klassenkameraden ein Messer in den Bauch rammte. Seit zweieinhalb Monaten sitzt das Mädchen nun schon in Untersuchungshaft.

Vier Selbstmorde gab es in Leoben in den vergangenen neun Jahren. Gießauf muss schlucken. Einmal hat er einem Freigänger, der Drogen ins Haus schmuggelte, den Ausgang verboten – und am Tag darauf den jungen Burschen erhängt in seiner Zelle gefunden.

„Zumindest im Bereich der Jugenddelinquenz müsste man die Perspektive einer gefängnislosen Gesellschaft aufrechterhalten“, sagt der Kriminalsoziologe Arno Pilgram.