Streitgespräch über Klimaschutz & Kultur

Streitgespräch: „Dafür kommt man in Deutschland ins Gefängnis“

Josef Pröll (ÖVP) und Alexander Van der Bellen

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profil: Herr Minister, Sie sagen, Österreich braucht ökologisch die Grünen nicht. Weil Sie selbst so grün sind?

Pröll: Wir sind sehr gut unterwegs, was die Qualität des Wassers und der Luft betrifft. Das Land hat sich dramatisch verbessert – unter ÖVP-Umweltministern. Wir haben aber auch ein Problem, das wir gemeinsam bewältigen müssen – den Klimawandel.

Van der Bellen: Herr Minister, Schauen Sie mich nicht so treuherzig an. Ich mag Sie ja – aber man muss bei Ihnen immer genau aufpassen: Wo ist die Luftblase, und was ist wahr? Die Wasserqualität hat sich verbessert. Aber beim Klimaschutz erleiden Sie ein Debakel. Österreich ist in der EU an vorletzter Stelle bei der Erreichung der Klimaschutz-Ziele.

Pröll: Österreich hat sich das ambitionierteste Ziel gesetzt – und das von einem hohen Niveau aus, was die Energieeffizienz betrifft.

profil: War das ein Fehler?

Pröll: Man soll sich große Ziele setzen.

Van der Bellen: Österreich ist Weltmeister bei ambitionierten Zielen – und Schlusslicht bei der Erreichung. Wenn wir vor fünf Jahren diskutiert hätten, hätte ich Ihnen mit großem Wohlwollen zugehört. Heute glaube ich Ihnen kein Wort.

Pröll: Sie könnten auch Erfolge zur Kenntnis nehmen. Wir sind Europameister bei der alternativen Energie und steigern den Anteil weiter. Dabei produziert schon jetzt kein Land mehr Strom aus erneuerbarer Energie.

Van der Bellen: Weil Österreich so viel Wasser und damit Wasserkraft hat. Das ist ja keine politische Leistung.

Pröll: Würde es die Grünen länger geben, hätten wir diesen Anteil nicht. Sie hätten Wasserkraftwerke verhindert. Wissen Sie, wie viele Bürgerinitiativen ich auflisten kann, die Windparks oder Biomassekraftwerke verhindern? Sie verlangen auf Bundesebene mehr – und verhindern es vor Ort.

Van der Bellen: Es ist zu schmeichelhaft, jede Bürgerinitiative den Grünen zuzurechnen.

Pröll: Das sicher nicht, weil sich die Grünen von einer ökologischen Partei wegbewegt und soziale Fragen in den Vordergrund gerückt haben.

Van der Bellen: Sie scheinen davon auszugehen, dass wir der verlängerte Arm von Greenpeace im Parlament sind. Wir sind aber mehr.

Pröll: Nicht einmal der Kern der Grünen ist noch ökologisch.

Van der Bellen: Nicht wir, sondern Sie haben vor einem Jahr die Förderung für erneuerbare Energie um 80 Prozent gekürzt.

Pröll: Sie haben Recht, die Entwicklung stimmt nicht, daher fordere ich ja ein neues Ökostromgesetz.

profil: In Österreich hat sich der Autoverkehr verdoppelt, das ist eines der Klimaprobleme. Wie sind Sie heute ins Parlament gekommen?

Van der Bellen: Mit dem Taxi.

Pröll: Ich mit meinem Auto. Aber wenn es geht, fahre ich öffentlich oder mit dem Rad. Ich muss auch sagen: Keine andere Regierung hat im Verkehr so viele Maßnahmen gesetzt wie wir. Wir haben die Mineralölsteuer und die Lkw-Maut erhöht – das hat sich niemand vorher getraut. Und wir setzen einen Schwerpunkt beim Ausbau der Bahn.

Van der Bellen: Aber beim Bahnausbau hapert es. Ich höre von Spediteuren regelmäßig, dass der Transport mit der Bahn unmöglich ist. Solange Österreich sinnlose Tunnel etwa durch die Koralm bohrt, weil es politisch opportun ist, fehlt Geld für den Güterverkehr.

Pröll: Der Verkehrsminister wird daran zu messen sein, welchen Beitrag der Verkehr zum Klimaschutz leistet.

Van der Bellen: Geschickt, dem Minister Faymann die Verantwortung zuzuschieben.

profil: Was soll denn im Verkehrsbereich passieren? Soll etwa die City-Maut kommen?

Pröll: Verkehr ist der Klimakiller Nummer eins. Die Frage der City-Maut muss die Stadt Wien beantworten. Jede Stadt und jedes Land muss Beiträge leisten. Das gilt auch für die Wohnbauförderung – da sind die Länder in die Pflicht zu nehmen.

Van der Bellen: Sie machen es sich leicht. Natürlich sind die Länder für die Wohnbauförderung zuständig. Aber es gibt eine Zweidrittelmehrheit von SPÖ und ÖVP im Parlament – bis heute warte ich, dass sie sinnvoll eingesetzt wird. Zweitens steht im Regierungsprogramm, dass die Wohnbauförderung bis 2015 umgebaut werden soll. So viel Zeit haben wir nicht.

Pröll: Herr Professor, lassen wir die Kirche im Dorf. Im Gegensatz zu den Grünen muss ich darauf achten, dass wir eine Umweltpolitik mit machbaren Zielen gestalten. Wenn so viele Familien ihre Häuser planen, dann kann ich nicht von einem Tag auf den anderen Passivhausstandards verpflichtend machen. Ab 2015 soll nur mehr ökologisches Bauen nach dem klima:aktiv-Standard gefördert werden. Spätestens da müssen alle Länder das umgesetzt haben.

profil: In der Zwischenbilanz liegt Österreich 40 Prozent hinter den Kioto-Zielen, die es bis 2012 erreichen will. Ist das aufholbar?

Van der Bellen: Österreich wird die Ziele meilenweit verfehlen.

Pröll: Das bestreite ich. Die meisten Steuerungsmaßnahmen beginnen erst zu greifen. Im Finish werden wir die Ziele schaffen.

Van der Bellen: Da wette ich dagegen. Die Regierung spart zwar auf Cent und Euro beim Ökostromgesetz, aber dass hunderte Millionen an Strafzahlungen wegen der verfehlten Kioto-Ziele anstehen, das war Ihnen bisher wurscht.

Pröll: Der Klimaschutzfonds mit 500 Millionen Euro für die nächsten Jahre hat seine Arbeit erst aufgenommen.

Van der Bellen: Die Gefahr besteht, dass die Industrie allein drankommt, weil sie einem strikten Limit von Schadstoffemissionen unterliegt und das Limit weiter gesenkt wird.

Pröll: Das ist machbar, und dazu stehe ich. Aber ich bin überrascht, dass die Grünen für die Industrie Partei ergreifen.

Van der Bellen: Österreich darf nicht zum Unterinntal werden. Dort kommen Betriebsansiedlungen nicht zustande, weil die Emissionswerte aus dem Verkehr zu hoch sind.

profil: Wenn Sie bei der Industrie weniger eingreifen wollen – wo dann?

Van der Bellen: Etwa beim Flugverkehr.

Pröll: Das können wir nur auf europäischer Ebene erreichen. Der Flugverkehr muss in den Emissionshandel eingebunden werden.

profil: Wird damit Fliegen teurer?

Van der Bellen: Natürlich ist das die Folge. Derzeit werden die wahren Kosten in den Preisen nicht abgebildet. Das ist eine falsche Subventionierung des Flugverkehrs.

profil: Wenn Sie jetzt mit Herrn Van der Bellen streiten – ist das angenehmer, als mit der SPÖ zu streiten?

Pröll: Streit gehört zum politischen Geschäft. Aber ein gewisses Niveau soll nie unterschritten werden – und das ist mir bei den Grünen noch nie passiert.

profil: Bei der SPÖ schon?

Pröll: Bei manchen anderen gab es das – punktuell.

profil: Wenn die Koalitionsparteien streiten, machen sie damit die Opposition nicht überflüssig?

Van der Bellen: Opposition ist ja mehr als Kritisieren. Besonders die Untersuchungsausschüsse zeigen, wie wichtig Kontrolle durch die Opposition ist. Das Unerfreuliche ist, dass SPÖ und ÖVP den Bankenausschuss zu einem Zeitpunkt abwürgen, wo es interessant wird.

Pröll: Man muss klipp und klar sehen, dass die Koalition bisher von den U-Ausschüssen geschädigt wurde. Vieles Positive, was wir in der Regierung gemacht haben, wurde vom Hickhack in den Ausschüssen überlagert. Ich bin froh, dass wir uns jetzt nicht mehr der Nabelschau der Vergangenheit widmen. Es ist nichts herausgekommen bei den Ausschüssen. Null und Nüsse.

Van der Bellen: Spielen S’ nicht den ÖVP-Generalsekretär. Wo ist der liberale Pröll?

Pröll: Weil’s ja wahr ist. Es ist Zeit, dass wir uns auf die Arbeit für das Land konzentrieren.

Van der Bellen: Ich hoffe, dass Sie nicht auch in anderen Punkten auf die offizielle ÖVP-Linie einschwenken.

Pröll: Was ist im Eurofighter-Ausschuss herausgekommen? Nichts.

Van der Bellen: Es ist herausgekommen, dass es ein dilettantischer Beschaffungsvorgang war. Und dass sich die Republik in einen Knebelungsvertrag der Sonderklasse begeben hat. Dazu gab es Punkte, die Korruptionsverdacht nahelegen.

Pröll: Es ist nichts hängen geblieben. Dass vielleicht Rapid etwas gekriegt hat …

Van der Bellen: Klar, das fällt Ihnen ein. Weil es gegen die SPÖ geht. Mir ist Rapid egal, ich bin Tirol-Anhänger.

Pröll: Ich bin Austrianer.

profil: Ihr Fußballfanverhalten in allen Ehren – aber uns würde mehr interessieren, ob Sie aus den U-Ausschüssen die Konsequenz ziehen, dass die Parteienfinanzierung offengelegt werden soll.

Van der Bellen: Der Untersuchungsausschuss kann drei Jahre tagen und würde trotzdem nicht herausfinden, ob und an wen Parteispenden geflossen sind. Die österreichische Rechtslage lässt das im Gegensatz zur deutschen nicht zu.

Pröll: Ich sehe bei der Parteifinanzierung keinen Änderungsbedarf. Die ist transparent.

Van der Bellen: Das bringt mich an der ÖVP so auf die Palme. Ihr fällt Datenschutz nur ein, wenn es darum geht, Spender zu schützen oder Steuerakten nicht an den U-Ausschuss zu geben. Dabei geht es um das Verbot der Geldwäsche.

Pröll: Sehr gefährlicher Moment. Sie unterstellen, es passiere etwas Illegales.

Van der Bellen: Es ist legal in Österreich, das ist ja genau das Problem.

Pröll: Sie sprechen von Geldwäsche.

Van der Bellen: Das meine ich unter Anführungszeichen. Wie bei uns Parteien finanziert werden, dafür kommt man in Deutschland ins Gefängnis. Firmen spenden an die Industriellenvereinigung oder an den ÖGB, die leiten es an ÖVP und SPÖ weiter – und die Spender bleiben anonym. Die Wähler sollen wissen, von wem Parteien Geld bekommen.

profil: Das sieht in Österreich der Rechnungshof.

Van der Bellen: Der veröffentlicht das nicht. Ich nehme zur Kenntnis, dass die ÖVP Transparenz der Parteienfinanzierung blockiert.

Pröll: Ich halte die Gesetzeslage zur Parteienfinanzierung für zukunftsfähig.

profil: Apropos Zukunft: Sie leiten die ÖVP-Perspektivengruppen. Bisher ist daraus wenig Konkretes zu hören.

Pröll: Wir werden im Oktober unsere Vorschläge vorlegen. Solche Erneuerungsprozesse hätten andere Parteien auch nötig. Zum Beispiel die Grünen, bei denen viele Mandatare im Pensionsalter sind.

Van der Bellen: Das bin nicht einmal ich. Thematisch sind die Grünen hervorragend aufgestellt. Bei der ÖVP hingegen merke ich in den Bereichen Bildung und Integration verdammt wenig Bewegung. Ich sehe die Fortsetzung des Schüssel-Gehrer-Kurses durch einen Schüssel-Neugebauer-Kurs.

Pröll: Warten Sie bis Herbst.

Van der Bellen: Und was ist mit Integrationsfragen? Was Innenminister Günther Platter und Generalsekretär Hannes Missethon betreiben, finde ich aus humanitärer Sicht zynisch und aus wirtschaftspolitischer Sicht einfach blöd.

Pröll: Ich habe da einen anderen Zugang. Für Menschen, die Asyl brauchen, haben wir eine klare Verantwortung. Bei der Zuwanderung muss schon erlaubt sein zu diskutieren, wer in welchem Ausmaß zu uns kommen kann.

Van der Bellen: Was ist mit dem Bleiberecht? Inzwischen haben sich sechs Landtage dafür ausgesprochen. Da gab es etwa die 80-jährige Türkin in Vorarlberg, die abgeschoben werden sollte …

Pröll: Das ist gelöst.

Van der Bellen: Ja, aber erst durch Intervention des Höchstgerichts. Anderes Beispiel: eine bestens integrierte Familie. Da wird zuerst versucht, den Vater abzuschieben, das Höchstgericht unterbindet das. Als Nächstes will die Fremdenpolizei die Frau und die Kinder abschieben. Das Verfahren läuft. Wozu haben wir einen Innenminister, der humanitäre Bleibe gewähren kann? Das will eine christlich-soziale Partei sein?

Pröll: Bevor man auf das Bleiberecht eine Antwort geben kann, müssen die Asylverfahren massiv verkürzt werden. Das muss im Vordergrund stehen.

Van der Bellen: Und inzwischen zerreißen wir Familien.

Pröll: Sie wissen, dass der Innenminister in Einzelfällen durchaus die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Sie tun sich mit dem Fordern leicht. Der Unterschied zwischen uns und den Grünen ist, dass wir den Anspruch haben, die führende Kraft im Land zu werden. Kleinparteien haben mit ihrem kleinen Wählersegment eine ganz andere Aufgabe.

profil: Auch die Aufgabe, Koalitionspartner zu sein? Sind Sie für Schwarz-Grün?

Pröll: Ich fand es schade, dass Schwarz-Grün 2003 nicht geklappt hat. Andererseits wäre ich dann wahrscheinlich nicht Umweltminister geworden. So gesehen hat jede Konstellation ihre Reize.

Van der Bellen: Schwarz-Grün ist selbstverständlich eine Möglichkeit nach der Wahl. Genauso wie Rot-Grün. Wir sind abwechselnd vom einen und vom anderen frustriert.

profil: Von wem mehr?

Van der Bellen: Stand heute: Die ÖVP legt sich bei allem quer, was mit Minderheitenrechten im Parlament zu tun hat. Sie kommt sogar auf die originelle Idee, die Redezeit der Opposition zu beschränken. Bei der SPÖ frage ich mich: Auf was kann man sich bei denen überhaupt verlassen?

Pröll: Die Grünen müssen entscheiden, ob sie aktiv Verantwortung tragen wollen und damit Kompromisse mittragen müssen. Das ist ein schwieriger Prozess. Das erlebt die SPÖ gerade schmerzhaft.

Interview: Eva Linsinger