Strudelbildung

Strudelbildung in New York: Starkoch Kurt Gutenbrunner

Porträt. Ein Österreicher brät sich in die Herzen der New Yorker

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Kurt Gutenbrunner spricht sehr schnell und in einem eigenartigen Dialekt. Es ist dieser Singsang, wie ihn Männer haben, die im ländlichen Österreich aufgewachsen sind, schon länger in Nordamerika leben und dort sehr viel zu sagen oder zumindest zu sprechen haben, dieses unverkennbare Dehnen von Äs und Verschieben von Ous. Kurt Gutenbrunner sagt „koummerschl proudschäkt“, wenn er über sein Unternehmen spricht, er beginnt Sätze mit „so“ und akzentuiert sie mit „you know“, oft muss er aber auch ganz abbrechen, das Handy beiseitelegen und Leuten, die ganz dringend seiner Meinung bedürfen, etwas zuraunen oder zum letzten Mal klarstellen, dass er jetzt keinen Geist hat für blöde Fragen: „I don’t know. Call me back tomorrow.“

„Nix Besonderes"
Heute nämlich ist Kurt Gutenbrunner unterwegs von Manhattan nach Upstate New York, zum Culinary Institute of America, einer renommierten Gastronomieschule, wo er neues Küchen- und Servicepersonal casten will, aber nur auf einen Sprung, keine Zeit, am Abend soll er wieder in seinem Sternerestaurant sein, dem Wallsé im West Village. Möglicherweise muss er aber auch in die Blaue Gans, sein Gasthaus in Tribeca, dort wird in den nächsten zwei Tagen eine TV-Show aufgezeichnet: Vier Kandidaten kochen um einen Job bei Chef Gutenbrunner. „Das ist aber wirklich nix Besonderes“, wiegelt er ab. „Nur eine kleine Geschichte. Also bitte nicht an eine Oscar-Nominierung denken!“ Warum nicht? „Ach, mein Gott. Wie soll ich sagen. Well.“ Pause. Auch das gibt es also: Kurt Gutenbrunner findet nicht die richtigen Worte.

Wenn Kurt Gutenbrunner etwas aus der Fassung bringt, dann Nationalstolz aus der Entfernung. Nein, er ist nicht unser Mann in New York, kein Aushängeschild für Austria und schon gar kein Christoph Waltz der österreichischen Küche. Auch wenn man schon versucht sein könnte, ihn als solchen zu sehen: Fünf erstklassig beleumundete, bestens gebuchte Lokale in Manhattan, Lobeshymnen in der „New York Times“, Homestorys in Lifestyle-Blogs, Stammgäste wie Julian Schnabel (der Gutenbrunner auch schon gemalt hat, das schwarz-weiß-blaue Porträt hängt neben diversen Albert Oehlens im Speisesaal des Wallsé) oder Lou Reed (den Gutenbrunner als guten Bekannten bezeichnet), Auftritte in TV-Shows – da muss man doch stolz sein dürfen auf den großen Sohn. Oder nicht?

„Ich bin ich und ganz bestimmt kein Botschafter oder so was. Aber das ist ja leider die österreichische Mentalität. Wenn wir einmal ein Tor schießen im Fußball, werden wir gleich Weltmeister. Ich habe keine Lust, immer im Reisepass nachzuschauen, bevor ich was mache. Ich habe hier ein Restaurant aufgemacht, nicht um irgendwas mit Österreich zu tun zu haben, sondern um erfolgreich zu sein mit dem, was ich tu. Dazu brauche ich keinen rotweißroten Anstrich.“

Der Junge aus dem Dorf an der Donau
Ganz so einfach ist das natürlich nicht. In Kurt Gutenbrunners Reisepass steht immer noch Österreich, obwohl er seit einem Jahr auch amerikanischer Staatsbürger (und ziemlich stolz darauf) ist. In seinen Restaurants gibt es Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn und Veltliner aus der Wachau. Und im Vorwort zu „Neue Cuisine“, seinem jüngsten, in den USA bereits seit dem Vorjahr bestselling und nun auch auf Deutsch erschienenen Kochbuch, schreibt der 50-Jährige: „In meinem Kopf bin ich immer noch ein Junge aus einem 2000 Einwohner zählenden Dorf an der Donau.“ Das Dorf heißt Wallsee, liegt im Bezirk Amstetten und weit genug entfernt von der Westautobahn, um dem durchschnittlichen Nichtniederösterreicher nicht bekannt zu sein. In New York kennt man es allenfalls als Wallsé, wobei man als durchschnittlicher New Yorker, sehr zum Leidwesen Kurt Gutenbrunners, gern an den Walzer denkt, und das nervt, denn mit ­österreichischen Klischees hat es der Chefkoch wie gesagt eher gar nicht. „Bitte verstehen S’ mich nicht falsch, ich mag Österreich, und ich bin gern in Österreich, aber ich habe in meiner Karriere immer personality in front of nationality gestellt. Bevor ich mein erstes Restaurant eröffnet habe, habe ich ein Konzept erstellt und mich gefragt, was ich gut kann und gern mach. Und das verkaufe ich halt jetzt.“

Kurt Gutenbrunner spricht mit amerikanischem Akzent, auch inhaltlich. Er sagt „wir“, wenn er über die Politik in Washington spricht, er macht sich Sorgen um die Staatsverschuldung der USA, er glaubt an ehrliche Arbeit und harten Einsatz und den Erfolg, für den jeder selbst zuständig ist, und er ist auch ganz persönlich verletzt, wenn er vom 11. September 2001 erzählt, den er in seiner Wohnung in Tribeca erlebt hat, drei Blocks vom World Trade Center entfernt. Seinen ersten Job in New York hatte der Werner-Matt- und Heinz-Winkler-Schüler Ende der 1980er-Jahre im Windows on the World, dem Restaurant im Nordturm des WTC, „und natürlich gibt es da Gedanken an Leute, die man da oben kennt. Das war net leicht. Die ganze Zeit war net leicht. Speziell wenn du ein paar Monate vorher dein erstes eigenes Restaurant aufgesperrt hast und das zweite einen Monat vor der Eröffnung steht. Aber wir haben im Wallsé trotzdem nur einen Tag geschlossen gehabt. Ich bin nicht so der Typ dafür, mich einzusperren und zu grübeln, what are we gonna do? Deswegen passen Amerika und ich so gut zusammen. Es gibt da ein ähnliches Denken.“

Dieses Denken umfasst unter anderem: weitermachen, anstrengen, nicht unterkriegen lassen. Gutenbrunner machte auch im Herbst 2001 weiter, ließ sich nicht unterkriegen und eröffnete noch im Oktober das Café Sabarsky in Ronald Lauders Neuer Galerie. Der Kritiker des „New Yorker“ gratulierte: „Die Torten und Strudel, arrangiert auf einem Marmorsims, machen den Klimts und Schieles in den Galerien Konkurrenz.“ Von Konkurrenz ist natürlich keine Rede, es geht um Symbiose, um das Gesamtkunstwerk „Wien 1900“, das in allen Gutenbrunner-Lokalen durchschimmert, in den Thonet-Stühlen, den Lobmayer-Gläsern, den Hoffmann-Untersetzern, den Klimttorten und Milchrahmstrudeln. Österreich lässt einen halt doch schwer los. Auch wenn man längst New Yorker ist. Man darf sich davon nur nicht aus dem Konzept bringen lassen. Person schlägt Nation. „Olles wunderboa, you know“, sagt Kurt Gutenbrunner, der Schnitzelkönig von Manhattan. Aber jetzt: genug geplaudert. „Nice talking to you. Auf Wiederschaun.“

„Neue Cuisine“ (Collection Rolf Heyne, EUR 41,10)

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.