Suchmaschinen: 'Die Welt ist eine Google'

Suchmaschine: 'Die Welt ist eine Google'

Der Konzern weitet seinen Einfluss weiter aus

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Unter Punkt acht vermerkt die offizielle Betriebsphilosophie des kalifornischen Suchmaschinenkonzerns Google: „Sie können seriös sein, ohne einen Anzug zu tragen.“ Die beiden Unternehmensgründer, Sergey Brin und Larry Page, stehen nicht an, dieses Bekenntnis mit Leben zu erfüllen: Konferenzen mit den hauseigenen Produktentwicklern absolvieren die 34-Jährigen bevorzugt im weißen Ärztekittel. Der Google-typische Studentenhumor will es so. Außerdem will er: Lavalampen in der Lobby, bunte Gymnastikbälle anstelle von Schreibtischsesseln und Fahrradfahrer auf den Gängen. Das ansatzweise kindergartenartige Ambiente des Google-Hauptquartiers im kalifornischen Mountain View zählt ebenso zur Ikonografie des Silicon Valley wie Steve Jobs’ Rollkragenpullover oder der alte Mythos von der Unternehmensgründung in der Garage (wie er, natürlich, auch am Anfang der Google-His­torie steht). Stolz pflegt man das unorthodoxe Image, Mitarbeiterinnen werden intern sogar dazu angehalten, keine Googlefremden Dinge wie hohe Absätze oder Schmuck zu tragen. Merke: Google ist kein normales Unternehmen. Auch die deklarierten Unternehmensziele entsprechen nicht dem betriebswirtschaftlichen Standard. Eric Schmidt, Google-CEO und mit 52 Jahren so etwas wie der Schuldirektor von Mountain View, formuliert sie so: „Unser Ziel ist es nicht, Geld zu verdienen, sondern die Welt zu verändern.“ Beides gelingt Google ganz gut.

Im September feiert Google sein zehnjähriges Bestehen, und schon jetzt zählt das Unternehmen mit einem Marktwert von 168 Milliarden Dollar zu den zehn größten Firmen der USA. Allein im letzten Quartal 2007 setzte man 4,8 Milliarden Dollar um, bei einem Nettogewinn von 1,2 Milliarden. Das Betriebsergebnis entspricht Googles De-facto-Monopolstellung auf dem Suchmaschinenmarkt: Der Marktanteil von Google, in den USA mit bloß 66 Prozent noch vergleichsweise bescheiden, liegt in Europa bei 90 Prozent. Laut dem vom Marktforschungsinstitut Integral erstellten Austrian Internet Monitor benutzen 92 Prozent der österreichischen Internet-User regelmäßig Google. Der einzige ernst zu nehmende Konkurrent Yahoo! kommt auf 22, Microsofts MSN nur noch auf dürre acht Prozent.

Vormachtstellung. In diesem Kontext erschließt sich auch der Sinn des – auf den ersten Blick scheinbar maß- und ziellosen – Übernahmeangebots von Microsoft an Yahoo!. Der krisengeschüttelte Suchmaschinenanbieter mag derzeit nicht die von Microsoft Anfang Februar gebotenen 44,6 Milliarden Dollar wert sein; im Kampf gegen Googles Vormachtstellung auf dem Online-Markt ist er für Microsoft dennoch unverzichtbar. Am Montag der Vorwoche lehnte Yahoo!-Chef Jerry Yang das Angebot zwar ab; dass Microsoft-CEO Steve Ballmer damit seine Avancen beenden wird, scheint aber unwahrscheinlich. Denn auch wenn Yahoo! zuletzt ökonomisch heftig schwächelte (der Aktienkurs ließ in den vergangenen drei Monaten um 40 Prozent nach), stellt der Kundenstamm des Portals für Microsoft einen unschätzbaren Wert dar: Mit seinen Diensten (darunter Foto-, E-Mail- und Chat-Programme) erreicht das Unternehmen eine halbe Milliarde Internet-User weltweit; User, die Microsoft nur zu gern eingemeinden würde, nein: eingemeinden muss. Denn das gewohnte Geschäftsmodell des Softwarekonzerns – der Verkauf von Programmen zur Installation auf dem Heim-PC – könnte schon sehr bald sehr obsolet sein.

Geschäftspraktiken. Daran trägt wiederum Google eine maßgebliche Teilschuld. Google hat gezeigt, dass sich mit Online-Werbung ein Vermögen verdienen lässt; ein Vermögen, das sich in den nächsten Jahren erstens noch um etliche Potenzen steigern wird, zweitens aber schon jetzt ausreicht, um einige jahrzehntealte Geschäftspraktiken zu revolutionieren. Google stellt seine Programme (darunter auch direkte Konkurrenten zu Microsoft-Programmen, siehe Kasten) gratis zur Verfügung. Die Einnahmen stammen fast zu 100 Prozent aus Werbung. Noch besser: aus krisensicherer Werbung. Denn während Zeitungsinserate, Radio- oder TV-Spots in wirtschaftlich mageren Zeiten schnell zu Streichposten werden, bleiben die unscheinbaren Anzeigen, die fast jede Google-Suche begleiten, für die Inserenten auch noch in der Rezession interessant. Schließlich richten sie ihre Botschaft an eine exakt definierte, aufmerksame und interessierte Zielgruppe: genau jenen User nämlich, der in genau jenem Moment
vor dem Bildschirm sitzt. Googles Erfolg fußt auf der Zielgenauigkeit, mit der seine ­Suchergebnisse an entsprechende Werbeeinschaltungen gekoppelt werden.

Dazu muss Google allerdings einiges wissen. Zum Beispiel, was genau jenen User in genau jenem Moment interessieren könnte. Ob er, zum Beispiel, die Stadt oder das Mädchen meint, wenn er „Paris“ eintippt, und ob in der Werbespalte also Hotel- oder doch eher Filmtipps angebracht sind. Um diesbezüglich möglichst sicherzugehen, speichert Google sämtliche eingehenden Suchanfragen und ordnet sie dem Computer zu, von dem sie stammen. Aus diesen Daten werden Muster gebildet, die – nach offizieller Sprachregelung – die Suchergebnisse verbessern sollen, die aber – im sicher nicht ganz ungewollten Ne­beneffekt – auch werbetechnisch so manchen Vorteil bringen.

Datenverarbeitung. Ja, stimmt schon: sämtliche Suchanfragen. 400 Milliarden pro Jahr. Keine kleine Datenmenge. Auch wenn Google sich hütet, genauere Informationen abzugeben, beziffern Experten das Datenvolumen auf Google-Servern mit mindestens 20 Petabyte, also 20 Millionen Gigabyte. Allein im letzten Quartal steckte Google 678 Millionen Dollar in den Aufbau neuer Server. Um den enormen Energiebedarf seiner Datencenter zu stillen, investiert Google seit vergangenem Herbst sogar in eigene Solarkraftwerke.
Der nicht einmal zehn Jahre alte, von kindsköpfigen Computeringenieuren geleitete kalifornische Suchmaschinenkonzern verwaltet in seinen Datenbanken also nicht nur das aktuelle Wissen der Menschheit (neben acht Milliarden Internetseiten umfasst die Google-Datenbank unter anderem auch die Fotos, Videos und E-Mail-Unterhaltungen aller Google-Nutzer), sondern auch ihr Wollen und Wünschen. Was Google mit diesen Daten genau macht, bleibt allerdings weitgehend unklar. So wie unklar bleibt, wo diese Daten überhaupt gespeichert sind und welche nationale Datenschutzrichtlinie jeweils gültig wird (siehe Kasten Seite 107). Kay Oberbeck, Google-Sprecher in Hamburg, weist zwar darauf hin, dass auch die werte Konkurrenz Nutzerdaten speichere. Das stimmt; im Gegensatz zu Google verfügt diese im Moment aber weder über die Speicherkapazität noch über das Know-how, diese Daten gewinnbringend einzusetzen. Google dagegen weiß, was Surfer wünschen. Und gibt ihnen, in letzter Konsequenz, auch nichts anderes mehr. Hans Zeger von der ARGE Daten sieht bereits die Gefahr eines Internets, „in dem die Webseiten für die Benutzer so aufbereitet werden, dass sie nur noch das lesen, was irgendjemand für sie auswählt“. Aus dem philosophischen Problem (Wer bestimmt, wie ich die Welt sehe?) wird damit schnell auch ein politisches: Um auf dem lukrativen chinesischen Markt Fuß zu fassen, stimmte Google Anfang 2006 den Zensurvorschriften der chinesischen Regierung zu. Regierungskritische Seiten werden von Google China ­seither nicht mehr aufgelistet. Und was Google nicht auflistet, existiert nicht.

Businesstrojaner. Mit dem betont legeren Google-Betriebsmotto „Don’t be evil“ (Sei nicht böse) scheint es also, wenn es ökonomisch konveniert, nicht sonderlich weit her zu sein. Entsprechend hat das Image des sympathischen, studentisch geführten Start-up-Unternehmens in den letzten Monaten gelitten. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint Google anno 2008 – horribile dictu! – beinah wie ein neues Microsoft. Verglichen mit Googles aktuellem Einfluss, wirkt der alte, monopolistische Softwaremoloch aus Redmond, Washington, sogar richtiggehend harmlos. Dabei hat Google gerade erst angefangen. Vor allem auf zwei Gebieten weitet der Suchmaschinenkonzern sein Portfolio derzeit massiv aus. Zum einen auf dem Handysektor: Auf dem Mobile World Congress in Barcelona wurden in der Vorwoche die ersten Handyprototypen vorgestellt, die mit dem von Google entwickelten Betriebssystem Android arbeiten. Auch dabei kommt der beliebte Google-Schmäh zum Zug: Android ist gratis, aber rentabel; ein Businesstrojaner gewissermaßen. Denn das kostenlos zur Verfügung gestellte Programm soll endlich den lang vorausgesagten, bisher aber nicht wirklich massiv erfolgten Durchbruch zum mobilen Internet schaffen – und der Google-Werbeabteilung ganz neue Zielgruppen erschließen: Weltweit haben rund 1,3 Milliarden Menschen einen internetfähigen Computer. 3,3 Milliarden benutzen ein Handy.

Kampfansage. Der zweite Vorstoß zielt direkt hinein in den Kernbereich des großen Konkurrenten aus Redmond. Geht es nach Google, soll die alltägliche Büro- und Computerarbeit in möglichst naher Zukunft ausschließlich online ablaufen: Text- und Tabellenverarbeitungsprogramme stellt Google jetzt schon gratis zur Verfügung, dazu auch Speicherplatz auf den firmeneigenen Servern. Potenziell braucht der Computerarbeiter also weder eigene Programme noch eine eigene Festplatte. Das erhöht die individuelle Flexibilität – jeder Computer mit Internetzugang wird zum ganz persönlichen Arbeitsplatz – und zugleich auch das werbewirksame Volumen der Google’schen Datenspeicher. Das Konzept – das auch von Microsoft mit seiner „Windows Live“-Programmlinie angeboten wird – nennt sich im Branchenjargon „Cloud Computing“ (nach der „Wolke“ an weltweit verstreuten Servern, auf denen gleichzeitig gearbeitet wird) und wird wohl eher schneller als langsamer zum Standard werden. Vorausgesetzt, dass die Sicherheitsbedenken nicht stärker sind. Florian Rötzer, Chefredakteur des deutschen Hightech-Magazins „Telepolis“, sieht diese Sicherheit als einziges mögliches Hindernis: „Man kann seine Daten wesentlich besser schützen, wenn sie auf der eigenen Festplatte liegen. Diese Überlegung wird im professionellen Sektor den Ausschlag geben, ob sich Cloud Computing durchsetzt. Im privaten Bereich wiederum gilt natürlich nach wie vor: Was billiger ist, wird genommen.“ Mit anderen Worten: Sergey Brin und Larry Page können ruhig schon mal ein paar neue Server bestellen.

Von Sebastian Hofer, Mitarbeit: Peter Sempelmann