Leitartikel: Sven Gächter

Sven Gächter Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

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Zunächst darf ich Sie zu Ihrem Karrieresprung beglückwünschen, den wohl nicht nur Sie bis vor Kurzem kaum für möglich gehalten hätten! Dass die Koalitionsverhandlungen für österreichische Verhältnisse geradezu in Rekordzeit abgewickelt wurden, kann man hoffentlich als gutes Omen für die Entschlossenheit und den Durchsetzungswillen der nun angelobten Regierung werten. Dass Sie ganz ­nebenbei aber auch noch die Muße fanden, sich via Tageszeitungen an die Öffentlichkeit zu wenden, ist eine noble Geste, die umso sympathischer wirkt, als Sie dafür die aussterbende Textsorte des Briefes bemühten und somit der ebenfalls gefährdeten Institution Post die symbolische Ehre erwiesen (deren Unantastbarkeit, wir erinnern uns, Sie ­unlängst so heroisch verfügten).

Nicht nachdrücklich genug kann auch Ihr Mut gewürdigt werden, der „Kronen Zeitung“ diesmal jede Exklusivität verweigert und dadurch all jene Lügen gestraft zu haben, die Ihnen gern einen selektiven Umgang mit Medien nach­sagen. Was Sie mitzuteilen hatten, war auch anderswo zu ­lesen, und sollte Onkel Hans über so viel Pluralität verstimmt gewesen sein, ließ er es sich zumindest nach außen hin nicht anmerken: Der Brief erschien (wenn auch nicht sehr repräsentativ aufgemacht) in der „Krone“-Rubrik „Das freie Wort“.

Die Herausforderungen an die Politik sind groߓ, ­schreiben Sie: „Wir stehen vor wirtschaftlich nicht einfachen Zeiten.“ Aufgabe des neuen Regierungsteams sei es deshalb, der österreichischen Bevölkerung „Vertrauen in die Politik und Vertrauen in die Wirtschaft“ zu geben. Das kann man kaum staatstragender und unverbindlicher formulieren, und selbst die Opposition, die der Koalition nicht einmal die traditionellen 100 Tage Schonfrist einzuräumen gewillt ist, wird ­Ihnen darin nicht widersprechen.

Vertrauen ist das Gegenteil von Angst. Sie beherrschen, werter Herr Faymann, wie kaum ein Zweiter im aktuellen innenpolitischen Geschäft die Kunst der samtpfötigen Rede. Niemandem etwas zuzumuten, was für Irritationen sorgen könnte, entspricht der Kommunikationspraxis ­eines Menschen, der Angst davor hat, das Vertrauen zu verlieren – insbesondere das Vertrauen jener, auf deren Gutwilligkeit er angewiesen ist: Koalitionspartner, ausgewählte Medien, Wähler.

Dass jedoch selbst ein Chamäleon Farbe bekennen kann, beweisen Sie mit einer kurzen, nicht weiter dramatisch gekennzeichneten Passage in Ihrem jüngsten Brief: „Großen Wert lege ich darauf, dass nach der Wahl das Gleiche gilt wie vor der Wahl. Im Falle eines neuen EU-Vertrages setze ich mich nach der Wahl ebenso entschieden für eine Volksabstimmung ein wie vor der Wahl. Bis zu diesem Zeitpunkt werde ich die Möglichkeit nützen, den Koalitionspartner ­davon zu überzeugen.“

Ein ebenso salbungsvolles wie unzeitgemäßes Bekenntnis, das die Frage aufwirft, an wen es gerichtet sein könnte. An Ihren Koalitionspartner, der mit Sicherheit nicht gleich nach der Angelobung auf das im Regierungspakt schlummernde Konfliktpotenzial verwiesen werden will? An Ihre eigene Partei, die erstmals seit längerer Zeit ihr Profil in keinem Wahlkampf schärfen muss? An die geschätzte Öffentlichkeit, die so bald mit nichts behelligt werden wird, was einem neuen EU-Vertrag auch nur entfernt ähnlich sieht? Oder an Hans Dichand, der womöglich schon wieder an ­Ihrer Europaskepsis zweifelt?

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Werner Faymann, Sie geben immer wieder Rätsel auf und tragen, wohl mit Bedacht, wenig zu deren Lösung bei. Es mag, um faszinierend zu erscheinen, nützlich sein, sich mit einem ­Geheimnis zu umgeben. Allerdings kann mitunter auch Ratlosigkeit hervorrufen, wer kein Geheimnis hat. Sie werden im Zuge Ihrer Amtstätigkeit hoffentlich Gelegenheit finden, einige der über Sie kursierenden Vorurteile zu widerlegen: etwa dass Sie populistisch gestrickt seien, den kurzfristigen medialen Effekt jeder nachhaltigen, tendenziell ungemütlichen Strategie vorzögen und nicht nur in Ihrer Sprache eine Elastizität an den Tag legten, die es selbst lang­jährigen Wegbegleitern schwer mache, Sie verlässlich einzuschätzen.

Während der Regierungsverhandlungen ging das Gerücht um, Ihr einziges Hobby abseits der Karriere sei die Homöopathie, was Sie in einem Interview leider dementierten, denn eine Schwäche für alternative Heilmethoden würde das Verständnis Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Handlungen ungemein erleichtern. Das Placebo-Prinzip ist wissenschaftlich zwar umstritten, aber in der Praxis ­immer wieder verblüffend wirkungsstark. Alles eine Frage des Vertrauens. Wir warten gespannt auf Ihren nächsten Brief!

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